2025-07-23, 07:02 PM
Kleine Wolken zogen träge am Himmel entlang, getrieben von einem schwachen Wind, der aus östlicher Richtung über die Küste wehte. Die Sonne hatte ihre volle Strahlkraft noch nicht erreicht. Es war gegen neun, als ich auf den Balkon trat und meinen Blick über den Horizont schweifen ließ. Der Wetterbericht verhieß schwülwarmes Klima mit Temperaturen an die 30-Grad-Grenze. Dank des immerwährenden Lüftchens hier an der Küste würde man die Hitze weniger stark zu spüren bekommen. Ich stand im Schlafanzug vor meiner Balkontür und kratzte mir gedankenverloren den Bauch. Ein Handgriff zwischen die Beine justierte die obligatorische Morgenlatte, dann drehte ich mich um die eigene Achse und zog mich in mein Hotelzimmer zurück. Ich marschierte gleich durch ins Badezimmer, wo ich mir das Duschwasser lauwarm einstellte. Ich warf meine Klamotten achtlos auf den Boden und spielte einen Moment mit dem Gedanken, nackt wie ich war auf den Balkon zurückzukehren. Ich verwarf die Idee, da ich mir kurz darauf nicht mehr erklären konnte, warum mir überhaupt so ein dummer Gedanke gekommen war. Was würde es mir bringen?
Eine Viertelstunde später machte ich mich auf den Weg zum Frühstücksbuffet. Ein weiterer Tag meines Jahresurlaubes stand auf dem Programm. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich ihn verbringen würde. Ich war allein in den Urlaub gefahren. Früher hatte ich die armen Individuen bedauert und abschätzig bedacht, die alleine die Strandpromenade entlang flanierten, ihren Espresso einsam tranken oder die ohne Begleitung Dinge unternahmen, die man besser zu zweit erleben sollte. Nun war ich selber einer der Bedauernswerten, die keinen Partner an ihrer Seite hatten, mit dem sie die Freuden des Urlaubes teilen konnten. Ich war ein 36-jähriger Alleinreisender, stand in der Blüte meines Lebens und hatte niemanden. Das mag verzweifelt klingen, aber in manchen Situationen empfand ich so und sehnte mich zurück nach besseren Zeiten. Zeiten, in denen ich nicht alleine verreist bin. Zeiten, in denen bei meiner Frau noch kein Hirntumor diagnostiziert wurde. Zeiten, in denen sie putzmunter war, das Leben und ihren Ehegatten geliebt und in denen sie die Urlaubszeit mit mir in vollen Zügen genossen hatte.
Seit sechs Monaten war ich Witwer. Zum Glück blieben keine Kinder zurück, denen man den frühen Tod der Mutter hätte erklären müssen. Es genügte schon, mir das alles klarzumachen, obwohl ich bis heute nicht verstehe, warum das Schicksal ausgerechnet Sophie treffen musste und indirekt mich, als überlebenden Angehörigen. Ich habe lange keinen Sinn darin gesehen, alleine zu verreisen. Mit wem sollte ich die Urlaubsfreuden teilen? Mit wem sollte ich Gespräche führen, die Eindrücke des Tages aufarbeiten? Ich bin gefahren, weil mir zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen ist. Nach Sophies Tod habe ich mich in Arbeit gestürzt und Überstunden ohne Ende geschoben. Irgendwann war mein Chef auf mich zugekommen und hatte mich verdonnert, die aufgebauten Überstunden abzufeiern und zu Hause zu bleiben. In meiner Wohnung erinnerte mich so Vieles an Sophie und ich ertrug es nicht, ständig mit den Erinnerungen an bessere Zeiten konfrontiert zu werden, ohne die Chance zu haben, diesen entfliehen zu können. Also hatte ich kurzerhand zwei Wochen Urlaub an der Nordsee gebucht und mich in einem guten Mittelklassehotel, direkt am Strand gelegen, einquartiert.
Ich hatte jedoch die Einsamkeit und die Erinnerungen unterschätzt. Sophie und ich sind früher regelmäßig verreist, hatten beinahe jede Stunde des Tages gemeinsam verbracht und ich schwöre, ich hatte jede Minute mit ihr genossen. Wir waren fünf Jahre verheiratet gewesen. In dieser Zeit hatte es zahlreiche Urlaube und Kurzausflüge gegeben. Ich vermisste Sophie, wollte sie an meiner Seite haben, damit ich mich nicht so verdammt einsam fühlte in meinem Mittelklassehotel an dem feinen Sandstrand, mit dem schönen Wetter und den gut gelaunten Urlaubern um mich herum. Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, vorzeitig abzureisen, in der Hoffnung, mich zu Hause irgendwie besser ablenken zu können, denn hier an der Nordsee drohte mir erst recht die Decke auf den Kopf zu fallen. Doch dann geschah etwas, das mich mein Vorhaben überdenken ließ, denn ich lernte jemanden kennen, der eine Art Lichtblick in meinem tristen Alltag darzustellen schien.
Ihr Name war Susanne, und sie war die erste Frau, die ich seit langer Zeit wahrgenommen habe. Wir sind uns auf der Promenade begegnet, wo ihr der Riemen der Handtasche gerissen war. Ihre Tasche war zu Boden gefallen und deren Inhalt hatte sich vor meinen Füßen auf dem heißen Asphalt verteilt. Ich ging zufällig an ihr vorbei und reagierte prompt. Ich bückte mich, um ihr beim Aufheben der verstreuten Güter behilflich zu sein, und ging dabei so energisch zu Werke, dass ich mich übereilt bewegte und ihr in die Quere kam. Wir stießen mit den Köpfen zusammen, glücklicherweise nur dezent und es war nichts passiert. Wir beide fanden die Situation amüsant und konnten über den Vorfall lachen. Susanne ließ sich gerne von mir helfen, und nach einer Weile hatten wir ihre zahlreichen Utensilien zusammengeklaubt. Für mich war es selbstverständlich, ihr zur Hand zu gehen, und damit war die Angelegenheit für mich dem Grunde nach erledigt. Susanne bedankte sich herzlich und ging ihres Weges.
Knapp eine Stunde später traf ich sie erneut. Dieses Mal sah ich sie an der Promenade draußen in einem Café sitzen, wo sie ein Getränk genoss und sich die Sonne aufs Gesicht scheinen ließ. Sie war allein, und als sie mich entdeckte, lächelte sie mich strahlend an. Ich blieb stehen und begrüßte sie unbeholfen. Ich fragte beiläufig, ob sie ihre Sachen unbeschadet in ihr Hotel bekommen hatte, was sie mir versicherte. Ich war überrascht, als sie mich einlud, ihr auf einen Kaffee Gesellschaft zu leisten. Mir war sie von Anfang an sympathisch vorgekommen und ich hatte natürlich ohnehin nichts Sinnvolleres mit meiner Zeit anzufangen gewusst. Ich war dankbar für die Abwechslung und setzte mich zu ihr. Da ihr Latte macchiato zur Neige ging, bestellte ich uns beiden zwei Neue und kam mit Susanne ins Gespräch. Wir machten uns einander bekannt und erfuhren voneinander, dass wir beide alleine den Urlaub verbrachten. Wir erzählten uns, wo wir wohnten, was wir bereits am Ort unternommen hatten und welche Pläne wir für die nächsten Tage verfolgten.
Ich fühlte mich ausgesprochen wohl bei der Unterhaltung und genoss das Gespräch. Ich war verwundert, wie schnell die Zeit verging. Wir bestellten weitere Getränke, ich lud sie auf ein Stück Kuchen ein und bemerkte nicht, wie sich der Himmel langsam zuzog und es immer düsterer wurde. Erst als es unerwartet zu regnen anfing, beendeten wir unser Gespräch und zogen uns in die Sicherheit eines Unterstandes zurück. Dort harrten wir aus, bis der Platzregen vorüberging und die Sonne erneut strahlte, als wäre nichts geschehen. Unsere Kleidung war feucht, und Susanne fühlte sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Wir verabschiedeten uns voneinander und beschlossen, uns etwas Trockenes anzuziehen. Als Susanne vorschlug, uns später ein weiteres Mal zu treffen, sagte ich nicht Nein, hatte ich doch ohnehin nicht anderes vor. Ich zog mich in meinem Hotelzimmer um und wartete, bis die Zeit verstrich, um mich dann endlich wieder auf den Weg zu machen.
Ich traf mich mit Susanne in einem griechischen Restaurant. Sie sah fantastisch aus. Sie hatte sich für ein elegantes langes Kleid entschieden, das ihr ausgezeichnet stand. Ihre Sonnenbrille hatte sie im Hotel gelassen. Das lange dunkle Haar trug sie hochgesteckt. Susanne war eine attraktive Frau, die ich auf Anfang dreißig schätzte. Mir gefiel sie. Sie strahlte eine selbstbewusste Art aus, war dabei sympathisch und sah einfach klasse aus. Ich fragte mich, warum sie niemand in den Urlaub begleitete. Wir teilten uns eine Flasche Rotwein und gaben unsere Bestellung auf. Wir intensivierten unser Gespräch vom Nachmittag und vergaßen die Zeit. Es wurde spät, und eine weitere Flasche Wein wechselte den Besitzer. Obwohl wir uns nicht kannten, gingen uns die Gesprächsthemen nicht aus.
Seit langer Zeit fühlte ich mich wohl in meiner Haut und musste nicht ständig an meine verstorbene Frau denken.
Eine Viertelstunde später machte ich mich auf den Weg zum Frühstücksbuffet. Ein weiterer Tag meines Jahresurlaubes stand auf dem Programm. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich ihn verbringen würde. Ich war allein in den Urlaub gefahren. Früher hatte ich die armen Individuen bedauert und abschätzig bedacht, die alleine die Strandpromenade entlang flanierten, ihren Espresso einsam tranken oder die ohne Begleitung Dinge unternahmen, die man besser zu zweit erleben sollte. Nun war ich selber einer der Bedauernswerten, die keinen Partner an ihrer Seite hatten, mit dem sie die Freuden des Urlaubes teilen konnten. Ich war ein 36-jähriger Alleinreisender, stand in der Blüte meines Lebens und hatte niemanden. Das mag verzweifelt klingen, aber in manchen Situationen empfand ich so und sehnte mich zurück nach besseren Zeiten. Zeiten, in denen ich nicht alleine verreist bin. Zeiten, in denen bei meiner Frau noch kein Hirntumor diagnostiziert wurde. Zeiten, in denen sie putzmunter war, das Leben und ihren Ehegatten geliebt und in denen sie die Urlaubszeit mit mir in vollen Zügen genossen hatte.
Seit sechs Monaten war ich Witwer. Zum Glück blieben keine Kinder zurück, denen man den frühen Tod der Mutter hätte erklären müssen. Es genügte schon, mir das alles klarzumachen, obwohl ich bis heute nicht verstehe, warum das Schicksal ausgerechnet Sophie treffen musste und indirekt mich, als überlebenden Angehörigen. Ich habe lange keinen Sinn darin gesehen, alleine zu verreisen. Mit wem sollte ich die Urlaubsfreuden teilen? Mit wem sollte ich Gespräche führen, die Eindrücke des Tages aufarbeiten? Ich bin gefahren, weil mir zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen ist. Nach Sophies Tod habe ich mich in Arbeit gestürzt und Überstunden ohne Ende geschoben. Irgendwann war mein Chef auf mich zugekommen und hatte mich verdonnert, die aufgebauten Überstunden abzufeiern und zu Hause zu bleiben. In meiner Wohnung erinnerte mich so Vieles an Sophie und ich ertrug es nicht, ständig mit den Erinnerungen an bessere Zeiten konfrontiert zu werden, ohne die Chance zu haben, diesen entfliehen zu können. Also hatte ich kurzerhand zwei Wochen Urlaub an der Nordsee gebucht und mich in einem guten Mittelklassehotel, direkt am Strand gelegen, einquartiert.
Ich hatte jedoch die Einsamkeit und die Erinnerungen unterschätzt. Sophie und ich sind früher regelmäßig verreist, hatten beinahe jede Stunde des Tages gemeinsam verbracht und ich schwöre, ich hatte jede Minute mit ihr genossen. Wir waren fünf Jahre verheiratet gewesen. In dieser Zeit hatte es zahlreiche Urlaube und Kurzausflüge gegeben. Ich vermisste Sophie, wollte sie an meiner Seite haben, damit ich mich nicht so verdammt einsam fühlte in meinem Mittelklassehotel an dem feinen Sandstrand, mit dem schönen Wetter und den gut gelaunten Urlaubern um mich herum. Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, vorzeitig abzureisen, in der Hoffnung, mich zu Hause irgendwie besser ablenken zu können, denn hier an der Nordsee drohte mir erst recht die Decke auf den Kopf zu fallen. Doch dann geschah etwas, das mich mein Vorhaben überdenken ließ, denn ich lernte jemanden kennen, der eine Art Lichtblick in meinem tristen Alltag darzustellen schien.
Ihr Name war Susanne, und sie war die erste Frau, die ich seit langer Zeit wahrgenommen habe. Wir sind uns auf der Promenade begegnet, wo ihr der Riemen der Handtasche gerissen war. Ihre Tasche war zu Boden gefallen und deren Inhalt hatte sich vor meinen Füßen auf dem heißen Asphalt verteilt. Ich ging zufällig an ihr vorbei und reagierte prompt. Ich bückte mich, um ihr beim Aufheben der verstreuten Güter behilflich zu sein, und ging dabei so energisch zu Werke, dass ich mich übereilt bewegte und ihr in die Quere kam. Wir stießen mit den Köpfen zusammen, glücklicherweise nur dezent und es war nichts passiert. Wir beide fanden die Situation amüsant und konnten über den Vorfall lachen. Susanne ließ sich gerne von mir helfen, und nach einer Weile hatten wir ihre zahlreichen Utensilien zusammengeklaubt. Für mich war es selbstverständlich, ihr zur Hand zu gehen, und damit war die Angelegenheit für mich dem Grunde nach erledigt. Susanne bedankte sich herzlich und ging ihres Weges.
Knapp eine Stunde später traf ich sie erneut. Dieses Mal sah ich sie an der Promenade draußen in einem Café sitzen, wo sie ein Getränk genoss und sich die Sonne aufs Gesicht scheinen ließ. Sie war allein, und als sie mich entdeckte, lächelte sie mich strahlend an. Ich blieb stehen und begrüßte sie unbeholfen. Ich fragte beiläufig, ob sie ihre Sachen unbeschadet in ihr Hotel bekommen hatte, was sie mir versicherte. Ich war überrascht, als sie mich einlud, ihr auf einen Kaffee Gesellschaft zu leisten. Mir war sie von Anfang an sympathisch vorgekommen und ich hatte natürlich ohnehin nichts Sinnvolleres mit meiner Zeit anzufangen gewusst. Ich war dankbar für die Abwechslung und setzte mich zu ihr. Da ihr Latte macchiato zur Neige ging, bestellte ich uns beiden zwei Neue und kam mit Susanne ins Gespräch. Wir machten uns einander bekannt und erfuhren voneinander, dass wir beide alleine den Urlaub verbrachten. Wir erzählten uns, wo wir wohnten, was wir bereits am Ort unternommen hatten und welche Pläne wir für die nächsten Tage verfolgten.
Ich fühlte mich ausgesprochen wohl bei der Unterhaltung und genoss das Gespräch. Ich war verwundert, wie schnell die Zeit verging. Wir bestellten weitere Getränke, ich lud sie auf ein Stück Kuchen ein und bemerkte nicht, wie sich der Himmel langsam zuzog und es immer düsterer wurde. Erst als es unerwartet zu regnen anfing, beendeten wir unser Gespräch und zogen uns in die Sicherheit eines Unterstandes zurück. Dort harrten wir aus, bis der Platzregen vorüberging und die Sonne erneut strahlte, als wäre nichts geschehen. Unsere Kleidung war feucht, und Susanne fühlte sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Wir verabschiedeten uns voneinander und beschlossen, uns etwas Trockenes anzuziehen. Als Susanne vorschlug, uns später ein weiteres Mal zu treffen, sagte ich nicht Nein, hatte ich doch ohnehin nicht anderes vor. Ich zog mich in meinem Hotelzimmer um und wartete, bis die Zeit verstrich, um mich dann endlich wieder auf den Weg zu machen.
Ich traf mich mit Susanne in einem griechischen Restaurant. Sie sah fantastisch aus. Sie hatte sich für ein elegantes langes Kleid entschieden, das ihr ausgezeichnet stand. Ihre Sonnenbrille hatte sie im Hotel gelassen. Das lange dunkle Haar trug sie hochgesteckt. Susanne war eine attraktive Frau, die ich auf Anfang dreißig schätzte. Mir gefiel sie. Sie strahlte eine selbstbewusste Art aus, war dabei sympathisch und sah einfach klasse aus. Ich fragte mich, warum sie niemand in den Urlaub begleitete. Wir teilten uns eine Flasche Rotwein und gaben unsere Bestellung auf. Wir intensivierten unser Gespräch vom Nachmittag und vergaßen die Zeit. Es wurde spät, und eine weitere Flasche Wein wechselte den Besitzer. Obwohl wir uns nicht kannten, gingen uns die Gesprächsthemen nicht aus.
Seit langer Zeit fühlte ich mich wohl in meiner Haut und musste nicht ständig an meine verstorbene Frau denken.