05-29-2025, 06:11 PM
Genießerisch hielt ich meine Augen geschlossen, während die talentierten Lippen meinen Ärger auf der Arbeit und den Streit mit meiner Freundin in Nichts auflösten. Ich würde sie sowieso bald in die Wüste schicken.
„Oh verdammt, ist das gut“, keuchte ich und gab dem Höhepunkt nach.
Kurz darauf ließen mich diese, fast perfekten, Lippen frei.
Fabian erhob sich und sah mich flehend aus seinen haselnussfarbenen Augen an, die Hand lag an seinem Gürtel. Die hellbraunen Haare waren von meinen Händen zerzaust und der schlanke Läuferkörper war unsicher angespannt. Sofort kehrte mein Ärger zurück.
„Was soll das“, blaffte ich ihn an.
„Ich hab gehofft, ich dürfte mich neben dir erleichtern, nur dieses eine Mal. Bitte, Patrick.“
„Wie oft eigentlich noch? Ich hab keinen Bock dir zu zuschauen, wenn du an dir rumspielst. Geh ins Bad, oder verpiss dich nach Hause, verstanden?“
Er stand wieder kurz vor einem diesen Heulanfälle und sah mich traurig an.
„Okay, dann mach dich vom Acker, ich melde mich wieder bei dir.“
Mir war schon klar, dass ich ihn damit verletzte, aber er wollte es doch so. Unsere Treffen fanden schon seit einem halben Jahr regelmäßig statt, seit unserer Betriebsweihnachtsfeier. Er fing Mitte letzten Jahres bei uns an, um sich etwas zum Studium hinzu zu verdienen, obwohl ihm seine Eltern das meiste finanzierten.
Ich merkte schon relativ früh, dass er sich gerne in meiner Nähe aufhielt, tat es anfänglich aber noch als Zufall ab. Doch als er Tini, meine Freundin, und mich spätabends in meinem Büro beim Sex erwischte, da sah ich seine Tränen und wusste, dass da mehr war. Fast ein halbes Jahr beobachtete ich ihn, testete seine Reaktionen auf meine Nähe und war mir sehr sicher, dass er sich in mich verliebt hatte.
Meine unerklärliche Neugierde darauf, wie sich seine Lippen anfühlen würden, wuchs. Auf der Feier trank ich ein wenig über den Durst und im Rausch kam mir eine Idee. Bevor ich mich völlig abschoss, fragte ich Fabian, ob er mich nach Hause fahren würde. Er war, erwartungsgemäß, sofort dazu bereit. Bei mir daheim erzählte ich ihm von meiner Neugierde und war eigentlich davon überzeugt, dass er nicht widerstehen können würde.
Erst sah er mich ungläubig an, ließ sich aber darauf ein. Nach dem, zugegeben genialen, Höhepunkt machte sich bei mir die Ernüchterung breit. Ich hatte einen Homo an mein bestes Stück gelassen und fand es gut. Er machte Anstalten sich zu entkleiden und ich bat ihn zu gehen. Er zögerte einen Moment und warf mir einen bittenden Blick zu. Ich forderte ihn erneut auf zu verschwinden und diesmal tat er es, wortlos und sichtbar traurig.
Es blieb nicht bei dem einen Mal, dafür war es zu geil. Ein Wort von mir genügte und er war immer wieder zur Stelle. Er musste wissen, dass es mir nur um das Eine ging, um das Gefühl seiner begnadeten Lippen.
Fabian erinnerte mich ein wenig an meine Mutter. Mein Vater war der uneingeschränkte Herr im Haus und sie hatte nichts zu melden, ertrug seine Affären und wandte sich dem Alkohol zu. Gefühle hatten in seinen Augen keine Berechtigung, denn sie lenkten nur von den wahren Zielen ab. Ich war ein gelehriger Schüler und Fabian zählte für mich nicht direkt als Mann.
Tini war ganz anders als meine Mutter, ein dominanter Kontrollfreak und das führte oft zu Streitereien. Trotzdem blieb ich mit ihr zusammen. Mein Vater zeigte seine Abneigung ihr gegenüber ohne Scheu. Sie hassten sich gegenseitig.
Ich stand auf und zog kommentarlos meine Hose hoch. Fabian stand noch immer am selben Fleck.
„Sag mal, bist du taub? Du kennst das Spiel. Wie oft denn noch? Ich steh nicht auf Kerle, sei doch froh, dass ich dir das hier manchmal erlaube. Es ist gut, okay, aber deswegen schulde ich dir nichts.“
Seufzend schloss er die Augen und atmete schwer aus. „Okay, ich warte auf deinen Anruf. Bis dann.“
Traurig trottete er zur Tür und schloss sie behutsam hinter sich. Kurze Zeit später sah ich ihn durch das Fenster, als er mit hängenden Schultern das Grundstück verließ.
Das Hochgefühl des Orgasmus hatte völlig nachgelassen und war meiner Wut gewichen. Dieser Schwachkopf wollte es einfach nicht kapieren. War es etwa meine Schuld, dass er sich in mich verliebt hatte? Ich hatte ihm nie Hoffnung gemacht. Er durfte lediglich manchmal an mir rumlutschen, weil er es wirklich verdammt gut konnte.
Ich ging zum Barfach, schnappte mir den guten Single-Malt und spülte meinen Ärger mit einem halbvollen Glas herunter. Nach dem dritten Nachschlag tat er mir plötzlich ein wenig Leid.
„Er hat selber Schuld“, murmelte ich und griff zum Telefon.
„Was willst du“, kam es scharf aus dem Hörer.
„Tini, der Streit tut mir Leid. Kannst du herkommen?“
„Hast du getrunken?“
„Ja, aber nur ein bisschen. Bitte, Tini, ich brauch dich bei mir.“
Meine Freundin seufzte hörbar. „Okay, ich bin in einer halben Stunde bei dir. Gott, ich weiß nicht, warum ich das tue.“
„Weil du mich liebst“, schlug ich ihr vor.
„Vermutlich. Also bis gleich.“ Es knackte in der Leitung und ich lauschte noch dem Besetztton, bevor ich mich in die Dusche schwang und Fabians Sabber, sowie den Duft seines Aftershaves von mir wusch.
Ich trocknete mich gerade ab, als die Tür geräuschvoll zuschlug und Tinis Absätze auf dem Laminat im Flur klapperten.
„Pat?“ Ihre Stimme scholl laut durch die Wohnung.
„Ich bin im Bad, Moment“, rief ich zurück und band mir schnell das große Handtuch um die Hüfte.
Dann stand sie auch schon in der Tür und betrachtete mich eingehend.
„Netter Aufzug. Sag mal, brauchst du mich, oder brauchst du Sex?“
„Beides. Das eine geht nicht ohne das andere.“
Der strenge Zug um ihre Augen entspannte sich. „Das will ich auch schwer hoffen. Du würdest es nicht überleben, wenn du mich mit irgendeiner anderen Schnepfe betrügst.“
„Würde mir nie einfallen, du bist meine einzige Schnepfe, Ehrenwort.“
„Na danke für das Kompliment“, antwortete sie in einem gespielt säuerlichen Tonfall.
In einer provokanten Haltung bewegte sie sich auf mich zu und ich drehte mich mit dem Rücken zum Waschbecken, die Hände am Rand abgestützt.
„Du hast mich eigentlich nicht verdient“, säuselte sie.
„Vermutlich nicht.“
Dann stand sie vor mir und öffnete das Handtuch, während meine Hand unter ihre Bluse glitt und einen der festen Hügel umfasste. Lust flackerte in ihren blauen Augen und sie warf lässig das rotblonde Haar über die Schulter.
„Du brauchst heute wohl Starthilfe.“ Ihr Blick ruhte auf meinem schlaffen Schwanz.
„Es war ein harter Tag, er wird rechtzeitig artig sein.“
Sie wollte nicht warten und ging auf die Knie. Einen Augenblick später glitten ihre vollen Lippen über mich und ich schloss die Augen. Aber es passte nicht, es war ein gieriges Rumgenuckel und mein Kleiner rührte sich nicht.
Fabian war leidenschaftlicher und kümmerte sich um mein bestes Stück, als ob es ein wertvoller Schatz sei, mit völliger Hingabe. Die fast perfekten Lippen, nur der Körper war der falsche. Der Gedanke an seine ‚Behandlung’ brachte tatsächlich Leben in mein schlaffes Teil.
„Na also, geht doch!“ Sie grinste mich von unten an und wirkte so, als ob sie einen Wettkampf gewonnen hätte, so triumphierend. Damit machte sie gleich wieder alles kaputt, die Stimmung war hinüber.
Frustriert knurrend machte sie sich gleich wieder ans Werk. Das wilde Gezerre und Gelutsche fing an weh zu tun.
„Verdammt, Tini, verrate mir bitte, was du da tust!“ Ich griff unter ihre Arme und zog sie nach oben.
„Ich will mir holen, was du versprochen hast. Was denkst du denn?“
„Ich hab dir nichts versprochen.“
„Und warum hast du dann angerufen? Ich dachte du willst Versöhnung feiern.“
„ Was ist, wenn ich einfach nur deine Gesellschaft brauche?“
Jetzt sah sie eindeutig wütend aus. „Moment mal, Freundchen. Du hast mich neulich weggeschickt, ich würde dir zu dicht auf die Pelle rücken. Du wolltest mal ‚frei durchatmen’. Und jetzt kommst du mit so einem Mist. Mit meinem Dildo hatte ich letzte Nacht mehr Spaß als mit dir die ganze letzte Woche über. Der würde vermutlich sogar mit mir reden, wenn er könnte. Ganz im Gegensatz zu dir.“
„Du hast echt nen Knall. Du willst reden? Dann schiess los “ Ihre Laune war ansteckend.
Sie rückte ihre Bluse zurecht. „Nein, danke, kein Bedarf. Ruf mich an, wenn du wieder bei Verstand bist.“
Völlig perplex blieb ich am Waschbecken stehen, bis die Wohnungstür laut zuknallte. Ich rannte hinterher und riss die Tür auf.
„Dann fick doch deinen verdammten Dildo!“ Meine Stimme hallte laut durch das Treppenhaus.
„Wichser“, scholl es von unten. Die Tür gegenüber öffnete sich und die alte Mohrbeck, meine Nachbarin, sah aus zusammengekniffenen Augen zu mir. Da wurde mir bewusst, dass ich noch immer nackt war und ihr Blick versprühte wütende Entrüstung.
„Na du alte Vettel, noch nie nen Schwanz gesehen?“ Meine zugegebenermaßen unbedachte Aussage brachte bei ihr das Fass zum Überlaufen.
„Das wird ein Nachspiel haben, Herr Reder. So nicht. Ich werde mich offiziell beim Vermieter beschweren.“ Mit diesen Worten verschwand sie in ihrer Wohnung und knallte die Tür zu. Ich sah eine Bewegung an ihrem Spion und streckte den Mittelfinger in ihre Richtung. Sie schnappte entrüstet nach Luft, ich hörte das angestrengte Rasseln ihres Atems. „Ein Nachspiel!“, hallte es gedämpft.
Wütend ging ich in meine Wohnung und warf nun meinerseits die Tür ins Schloss.
Beiläufig betrachtete ich mein Handy und fand eine neue Kurznachricht. Jochen, mein befreundeter Arbeitskollege, war auf dem Weg ins Fitnessstudio und hatte keine Lust allein zu trainieren. Erst wollte ich absagen, entschied mich aber dagegen. Der Tapetenwechsel war bitter nötig.
Etwas später…
„Echt toll, dass du noch vorbeigekommen bist.“
„Kein Ding, ich musste sowieso mal raus. Tini macht nur noch Stress. Erst beschwert sie sich, dass ich auf Abstand gehe und dann brauch ich ihre Gesellschaft und sie flippt aus, weil ich nicht mit ihr poppen will.“
„Man, ich kann es nicht mehr hören. Warum macht ihr nicht einfach Schluss. Ihr schafft nicht mal fünf Minuten Frieden zu halten, außer ihr vögelt euch das Hirn raus.“
„Weil der letzte Teil gut ist?“
Er schmetterte den Einwurf mit einer wegwerfenden Geste ab. „Das kann es doch wohl nicht sein?“
Ich stoppte das Fahrrad-Ergometer und wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Wenn sie nicht so zickig wäre, dann hätten wir es leichter.“
Jochen hob eine Augenbraue an. „Mal ganz im Ernst, du stehst ihr in Zickigkeit… – pardon, im machohaften Verhalten – in nichts nach.“
„Willst du alleine trainieren?“
„Genau das meine ich. Absolut nicht kritikfähig. Vor ein paar Monaten warst du noch zur Einsicht fähig. Was passiert bloß mit dir?“
„Tut mir Leid, ich bin wegen vorhin noch durch den Wind. Und ich bin sehr wohl kritikfähig.“
„Schon gut. Hauptsache du glaubst daran. Themenwechsel, okay? Ich mach den Anfang am Rudergerät.“
„Alles klar, dann geh ich zum Butterfly, wir können ja danach wechseln.“
Ich hockte mich auf die gepolsterte Bank, lehnte meinen Rücken an und legte die Unterarme an die Schaumstoffwülste. Dann ging es los. Die zwanzig Kilo waren mir zu wenig und ich steckte den Stift an den Gewichten auf glatte vierzig um. Nach drei Blöcken, mit jeweils dreißig Zügen, machte ich eine Pause.
Mein Blick schweifte durch das Center und blieb in einer der hinteren Ecken hängen, bei den Laufbändern, wo Fabian sich gerade verausgabte. Er starrte verbissen geradeaus und nahm keine Notiz von uns.
„Na, machst du schon schlapp?“ Jochen grinste mich hämisch an.
„3,6 Tonnen sind doch genug für den Anfang.“
„Du angeberischer Mathematiker. Okay, lass uns tauschen.“
Ich starrte weiterhin zu den Laufbändern.
„Erde an Patrick, ich sagte tauschen. Was ist denn los?“
„Schau mal, die Schwuchtel ist da.“
Sein Blick folgte meinem und er zuckte mit den Schultern.
„Na und? Lass ihn in Ruhe, er tut dir ja nichts.“
‚Wenn du wüsstest’, dachte ich.
„Du wirst doch wohl Manns genug sein und dich nicht von ihm bedroht fühlen, oder?“
„Bedroht? Bist du irre? Ich kann ihn einfach nicht leiden.“ In dem Moment blickte Fabian in unsere Richtung und seine Haut verlor sämtliche Farbe. Selbst aus der Entfernung konnte ich seinen verletzten Gesichtsausdruck wahrnehmen. Ich sah ihn kampflustig an und er verlor den Laufrhythmus. Unbeholfen stolperte er und fiel beinahe vom Band.
Eine Hand zog an meinem Kinn und Jochen stand mir gegenüber. „Schön, dass es dich amüsiert, wie er sich fast ziemlich weh getan hätte. Du gehst rudern, dann musst du ihn ja nicht ansehen.“
„Schon gut. Okay, Gerätetausch.“ Ich sah noch einmal kurz in die Ecke und Fabian war verschwunden.
Eine gute Stunde später standen wir ausgelaugt unter der Dusche. Das heiße Wasser rieselte wohltuend über meinen Körper. Als ich zum Shampoo greifen wollte bemerkte ich, dass Jochen mich musterte. Ich quittierte dieses mit einer neuen Portion Gereiztheit.
„Was ist?“
„Du benimmst dich in letzter Zeit ziemlich merkwürdig. Sogar für deine Verhältnisse.“
„Und deshalb glotzt du so?“
Sein Mund klappte kurz auf, aber er schloss ihn kopfschüttelnd wieder.
„Ja natürlich. Ich bin, wie alle Kerle die dich anschauen, von deinem Anblick schwul geworden und hinter dir her. Jeder Mann will dich. Vielleicht hab ich dich aber auch angeschaut, weil du ein Gesicht machst, als ob du jemanden umbringen willst.“
„Tut mir ja Leid, dass ich nicht lachend durch die Gegend renne. Der alte Kramer kontrolliert jeden meiner Schritte auf der Arbeit, Tini benimmt sich total abartig und ständig hängt die Schwuchtel hier rum.“
„Ja klar, die Anderen wieder. Das mit dem Kramer ist doch deine Schuld. Es ist ne Tatsache, dass du mit deinem Kram nicht nachkommst. Christine verstehe ich auch, wenn du bei ihr genau so bist wie die letzten Tage. Und dieser Fabian war schon vor dir hier. Ich kapier echt nicht, was dein Problem mit ihm ist. Ich steh auch nicht auf den Kram, den er mit seinen Typen macht, kenne aber meinen Platz sehr genau und muss mich deswegen nicht bedroht fühlen.“
„Und ich etwa nicht? Pass bloß auf, was du sagst.“
Innerlich kochte ich , aber auch Jochen schien die Geduld zu verlieren. Er war im Unrecht. Sich von einem Kerl einen blasen zu lassen macht schließlich nicht schwul, der Junge war einfach nur gut.
„Pat, ich hab keinen Bock auf diesen Scheiß. Mir ist es völlig egal, ob du nun hetero, schwul oder sonst was bist. Es kommt auf das Menschliche an und du gehst mir langsam sehr auf die Nerven.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich gehe gleich noch ein Bier trinken. Wenn du deine homophobe Kacke stecken lässt, dann darfst du mitkommen… Chef.“
„Ich werds versuchen.“
„Du lässt es. Basta. Oder geh gleich heim.“
Wir gingen natürlich noch in die Kneipe und aus einem Bier wurden drei. Der Alkohol lockerte und entspannte mich ein wenig.
„Jo, dass vorhin tut mir Leid. Ich steh einfach etwas unter Stress. Das geht wieder vorbei und wegen dem Kleinen reiß ich mich zusammen.“
Innerlich zuckte ich zusammen, wegen dem was mir da gerade rausgerutscht war. Hoffentlich hatte Jochen es nicht bemerkt.
„Der Kleine? Hat er jetzt Karriere gemacht?“ Natürlich hatte er es bemerkt.
„Die Schwuchtel, meine ich. Liegt wohl am Bier, ich kann nicht mehr klar denken.“
„Natürlich, war ja klar.“ Jochen schien nicht wirklich überzeugt.
Wir schwiegen uns eine Weile an, tranken aus und bezahlten.
„Bis morgen früh“, verabschiedete ich mich.
Jochen lachte auf. „Nein, danke. Samstags schlafe ich lieber aus.“
„Oh verdammt, stimmt ja. Bis Montag dann.“
Vor der Tür trennten sich unsere Wege. Vielleicht hatte mein Freund Recht und ich sollte etwas netter zu Fabian sein. Aber würde er das nicht falsch verstehen? Eigentlich war alles völlig okay. Ich hatte meinen Spaß und er bekam, was er wollte. Dann erinnerte ich mich an die Situation im Bad, als Tini vor mir kniete und ich dabei an ihn denken musste.
„Ach Schwachsinn“, murmelte ich. Das konnte nur passieren, weil meine Freundin so grob war.
Bald darauf war ich daheim und fiel in einen unruhigen Schlaf. Ich träumte von den fast perfekten Lippen.
—
„…fünf Kilometer Stau, die Bergungsarbeiten sind fast abgeschlossen. Ansonsten sind die Straßen frei, fahren sie vorsichtig.“
Ich tastete nach dem Radiowecker und hatte wohl vergessen ihn auszuschalten. Meine Beine kämpften sich aus dem Bett. Ich dackelte in die Küche und machte mir Kaffee. Die Zeiger der Wanduhr bildeten fast eine senkrechte Linie, noch eine Minute bis sechs Uhr.
Mit dem Rücken zur Arbeitsplatte wartete ich auf meinen Koffeindrink.
Eine Stunde später, in einer kleinen Studentenwohnung
Fabian wälzte sich unruhig im Bett herum, bis ihn sein Handy aus dem Schlaf erlöste.
„Ja?“ Seine Stimme klang noch völlig verschlafen.
„Hallo Schatz. Hab ich dich geweckt?“
„Ja, ist aber okay, Mama.“
„Ich wollte nur sicher gehen, dass du deinen Zug nicht verpasst. Oma freut sich schon auf dich, schließlich hat sie dich schon zwei Jahre nicht mehr gesehen. Und … Thomas Eltern kommen auch, sie freuen sich ebenfalls sehr darauf.“
Thomas … Fabian schluckte schwer. Thomas war sein bester Freund und die erste große heimliche Liebe. Mittlerweile war dieser schon seit vier Jahren tot.
Fabian wollte ihm eines Abends von seinen Gefühlen erzählen und trank sich deshalb Mut an. Doch dann wurde es zuviel und er schlief, vom Alkohol völlig hinüber, noch in der Kneipe ein. Thomas brachte ihn noch nach Hause und verschwand. Am nächsten Morgen waren sie zum Joggen verabredet, doch Fabian verschlief in seinem Rausch und so machte sich Thomas, mit einem mp3-Player bewaffnet, allein auf den Weg. Als er dann am frühen Morgen die verlassene Landstraße überquerte, hörte er das Auto nicht, welches sich schnell näherte. Der Fahrer selbst war völlig übermüdet und bemerkte den Läufer nicht, wie er es später bei der Polizei zu Protokoll gab.
Der Notarzt konnte nur noch den Tod des Jungen feststellen. Damals brach für den ehemals selbstbewussten Fabian eine Welt zusammen.
Danach entschied er sich zu einem großen Schritt und outete sich in der Schule. Sein Versteckspiel und die Angst hatten ihm einen hohen Preis abverlangt. Wäre er früher schon ehrlich gewesen, dann hätte Thomas nicht sterben müssen, befand er für sich selbst.
Dabei hatte er großes Glück. Die wenigen Mobber wurden von seinen Freunden in Schach gehalten.
Thomas Eltern entdeckten bald darauf das Tagebuch ihres Sohnes und fanden heraus, dass er ebenfalls viel für Fabian empfand. Das versetzte Fabian einen weiteren Schlag. Sie beide hätten jetzt glücklich und zusammen sein können. Doch er hatte es verbockt und somit einen tödlichen Fehler begangen .
Später begegnete er Patrick. Er hätte ein Bruder von Thomas sein können. Dasselbe dunkelblau strahlte aus seinen Augen, die gleichen schwarzen Haare fielen ihnen strähnig ins Gesicht und beide waren sie ein gutes Stück größer als er, der sich mit einem Meter neunundsiebzig eher klein fand. Beide hatten zudem eine ähnlich athletisch-kraftvolle Statur. Gut, er war 27 Jahre alt und Thomas wäre jetzt, so wie Fabian auch, 22.
Er dachte, er hätte nach der Sache mit Tommy eine zweite Chance bekommen. Doch so ähnlich sie auch aussahen, so unterschiedlich war ihr Charakter. Wie sehr vermisste Fabian die freundschaftlichen Umarmungen von damals! Patrick reichte ihm, im Normalfall, nicht einmal die Hand. Aber Fabian dachte, er sei nur unsicher und hoffte, dass sein Schwarm bald zu seinen Gefühlen stehen würde. Patrick hatte ihm während der vielen Treffen schon zärtliche Blicke zugeworfen.
„Fabian? Was ist mit Dir? Bist du eingeschlafen?“
„Nein, ich hab nur gerade an damals gedacht. Ich vermisse ihn.“
„Das weiß ich doch, mein Schatz. Also, bitte mach dich fertig, der Zug wartet nicht. Dann bist du bald bei uns.“
Er war hin und her gerissen. Was wäre denn, wenn Patrick ihn brauchte?
„Mama … ich kann nicht. Es geht im Moment einfach nicht.“
„Das kannst du uns nicht antun! Es ist doch schon alles geregelt!“
Er überlegte schnell eine passende Ausrede. „Mein Chef, Patrick … er braucht eine Änderung für ein Programm, es soll am Montag fertig sein und ich kann es nur hier am PC machen. Es ist wirklich wichtig.“ Die Lüge bereitete ihm Gewissensbisse.
Seine Mutter wurde hellhörig. „So, dieser Patrick mal wieder. Er ist dir wohl auch sehr wichtig, oder?“
„Er braucht mich…“ Diesmal war es nicht einmal gelogen.
„Die Anderen werden ziemlich enttäuscht sein.“
„Ich mach es wieder gut, ehrlich. Es ist nur etwas unglücklich gelaufen. Mama, die Firma ist echt toll und wenn ich mich gut anstelle, dann hab ich vielleicht eine Chance auf Arbeit, wenn das Studium vorbei ist. Das ist eine riesige Möglichkeit für mich.“
Sie seufzte. „Aber warum gerade Heidelberg. Du könntest hier oben auch gute Arbeit finden, wärst wieder bei Freunden und bei uns. Vermisst du das Meer denn nicht?“
Sie hatte ja Recht. Aber Patrick war nun mal hier und nicht im Norden.
„Lass uns bitte ein anderes Mal darüber reden. Ich hab dich lieb, Mama.“
„Ich liebe dich auch. Und viele Grüße von Papa.“
Sie beendeten das Gespräch. Fabian vergrub sich das Wochenende über in seinen Büchern, nahm sein Handy mit zum Joggen und wartete, wie schon so oft im letzten halben Jahr, auf einen Anruf von Patrick. Vergebens.
Montag
Ich hatte das Wochenende überstanden. Von Tini sah und hörte ich nichts und war versucht mich bei Fabian zu melden. Aber stattdessen kümmerte ich mich um die vernachlässigte Arbeit.
Der alte Kramer schien vorerst wieder besänftigt, zumindest lobte er den Einsatz.
Von Fabian war noch keine Spur zu sehen, doch dann erinnerte ich mich, dass er montags Vorlesungen hatte und erst später in die Firma kam. Vielleicht würde ich ihn später noch für den Abend zu mir einladen.
Dann klopfte es an meiner Tür und Jochen trat ein.
„Na, Chef, alles klar mit dir?“
Ich brummte abfällig. „Ich hab am Wochenende gearbeitet und wäre jetzt eigentlich lieber daheim. Aber ich erwarte noch ein paar Mails von den Kunden.“
„Verstehe. Und was gibt’s Neues von deiner Freundin?“
„Funkstille. Ich soll mich melden, wenn ich wieder bei Verstand bin.“
„Du wirkst eigentlich ganz normal, zumindest jetzt.“ Ein spöttisches Grinsen zierte Jochens Gesicht.
„Das kann sich auch ganz schnell wieder ändern, wenn du mir auf den Keks gehen willst. Ich hab gerade einfach keinen Bock auf sie. Wie du schon sagtest, nach fünf Minuten gibt es wieder Stress und ich will gerade nicht mit ihr schlafen.“
„Das ist natürlich ein ernsthaftes Problem. Bist du krank?“
Ich hob drohend meinen Locher und nahm eine Wurfstellung ein.
„Schon gut, schon gut. Es geht mich nix an.“ Er nahm mich natürlich nicht ernst, das Grinsen war kein bisschen weniger spöttisch.
„Hast du ne Ahnung wann die PC-Husche kommt? Ich hätte da noch ein paar Änderungswünsche für das Programm.“
Das Grinsen verschwand aus Jochens Gesicht. „Die Husche hat auch einen Namen! Fabian hat sich für heute krank gemeldet. Die Mail hast du auch bekommen.“
„Sorry, ich hab meinen guten Vorsatz wieder verdrängt. Na hoffentlich ist er morgen wieder fit.“ Soviel zu meiner Einladung für den Abend.
„Deine Fürsorge rührt mich zu Tränen. Wir haben auch noch andere Programmierer, die das bestimmt erledigen können.“
„Schon, aber …“ Mir fiel dazu nichts ein, er hatte ja Recht und eigentlich ging es mir auch nicht um das Programm. Das konnte ich Jochen natürlich nicht sagen.
„ Schon klar, die anderen kannst du nicht runterputzen. Patrick, das ist langsam echt erbärmlich.“
„Moment! Das ist es nicht. Er arbeitet mit am schnellsten und hat teilweise auch gute Ideen gehabt. Wenigstens das kann ich ihm zugute halten.“
Ich konnte es kaum fassen, dass ich jetzt mit Jochen über meinen Vorwand stritt, oder mir seinen Ton gefallen ließ. Aber wir waren schon seit Ewigkeiten befreundet und aus seiner Sicht erschienen seine Bemerkungen richtig.
„Das sind ja mal ganz neue Töne. Aber mir brauchst du das nicht sagen, denn die meisten hier wissen bereits, dass der Junge gut ist. Und was er nach Feierabend in seinem Schlafzimmer macht, sollte uns nicht stören. Es gehört nicht hierher. Es wäre schön, wenn auch du das endlich mal beherzigen würdest.“
„Jawohl, Herr Anwalt.“ Ich kassierte einen verärgerten Blick. „Was wolltest du eigentlich hier?“
Jochen wedelte mit einem Umschlag vor meiner Nase. „Hatte ich jetzt fast vergessen. Hier, für dich. Die Brauerei hat das Angebot angenommen, die Kampagne kann starten.“
„Yes! Endlich. Das sind mal gute Nachrichten.“
„Allerdings. Und nicht vergessen, Fabian hat auch daran mitgewirkt.“
„Oh klasse. Schick ihm doch einen Blumenstrauß, okay?“
Jochen schmiss mir wortlos den Umschlag auf den Tisch und eilte aus meinem Büro. Das Knallen der Tür war vermutlich im ganzen Trakt zu hören.
Ich wusste einfach nicht, warum ich immer wieder in diese Kerbe hauen musste. Jochen hätte von dem kleinen Sex-Arrangement kein Wort geglaubt, selbst wenn es ein Beweisfoto gegeben hätte. Aber von wem sollte er es auch erfahren? Fabian hielt die Klappe und ich würde garantiert kein Wort darüber verlieren.
Die nächsten Stunden wurden sehr arbeitsintensiv, ich schickte einige Dateien an unsere Vertragsdruckerei, telefonierte mit ein paar Aufnahmestudios wegen der Radiospots und kümmerte mich um meine Post. Die Woche begann glücklicherweise erfolgreich.
Zwischenzeitlich versuchte ich Fabian zu erreichen, aber niemand nahm ab. Eine halbe Stunde vor Feierabend versuchte ich es noch mal und er ging dran. Aber er antwortete nicht.
„Fabian? Hörst du mich?“
Außer einem leisen Schluchzen war nichts zu hören. Aus irgendeinem Grund gefiel mir das nicht und ich rief seine Personaldatei auf, um mir die Adresse rauszusuchen. Er hatte sie mir zwar mal aufgeschrieben, doch der Zettel verschwand damals im Papierkorb.
Ich war gerade fertig, da kam Jochen wieder zu mir ins Büro.
„Wenn du dich wieder gefangen hast, dann können wir ins Studio gehen. Ich hab heute Auslauf bekommen.“
„Vielleicht später, hab noch was zu erledigen.“
Er blickte zufällig auf den Monitor und sah die Akte, bevor ich sie wegklicken konnte.
„Was zur Hölle hast du vor?“
„Ich werde ihn besuchen und mal schauen wie es ihm geht. Du hattest nicht ganz Unrecht.“
„Soll ich mitkommen?“ Jochen traute mir offensichtlich nicht.
„Keine Sorge, ich schaff das schon, ohne auf ihm rumzuhacken. Ich sollte mich wirklich bei ihm entschuldigen.“ ‚Und vielleicht noch etwas Spaß haben’, fügte ich in Gedanken hinzu.
Jochen wirkte immer noch nicht überzeugt.
„Hör zu, ja, er arbeitet toll mit, ist kreativ und hat offensichtlich mit niemandem sonst ein Problem. Das mit dem Blumenstrauß war zwar zynisch gemeint, aber insgesamt gesehen hast du Recht. Er scheint was auf meine Meinung zu geben.“
„Und ich hab keine Ahnung warum. An seiner Stelle würde ich dich mit dem Arsch nicht angucken.“
Mir lag eine spitze Erwiderung auf der Zunge, aber Jochen ahnte das und griff ein.
„Das war die falsche Formulierung, sag jetzt bloss nichts über seinen Arsch.“
„Okay. Wir treffen uns später, ich werde nicht lange brauchen.“
Jochen verabschiedete sich und ging. Auch ich schnappte mir den Autoschlüssel und fuhr zu Fabians Adresse. Die Ecke kannte ich noch gut aus meiner eigenen Studentenzeit.
Nach fünfzehn Minuten Fahrt parkte ich den Wagen vor dem alten Wohnblock. Ich suchte seinen Namen auf der riesigen Tafel und fand ihn bald, inklusive Etage und Wohnungsnummer. Die Eingangstür stand offen und ich fuhr direkt mit dem Aufzug in den sechsten Stock. Kurz darauf hatte ich seine Wohnung gefunden und schellte.
Niemand rührte sich und ich klopfte zusätzlich noch an.
„Ja?“ Ich hörte seine matte Stimme nur schwach durch die Tür.
„Ich bin es, Patrick.“
„Ich … es tut mir Leid, ich kann heute nicht.“
Hatte er mich gerade abgewiesen? Ich war überrascht.
„Lass mich rein und dann sehen wir weiter“, forderte ich.
Eine Kette glitt schleppend durch eine Schiene und dann öffnete er langsam die Tür. Er sah mich aus roten Augen an und ging träge zur kleinen Wohnstube.
„Bitte, setz dich doch. Ich … bin gleich bei dir. Möchtest du vorher etwas zu trinken?“
Ich war geschockt. Er hatte dicke Ringe unter den rot geheulten Augen, war blass und seine Körperhaltung glich der eines alten Mannes. Ich verschwendete keinen Gedanken an unser Spielchen.
„Etwas zu trinken wäre toll“, antwortete ich ihm. „Das andere lassen wir besser ausfallen.“
Er sah mich einen Moment lang ausdruckslos an und schlich in die Küche. Bald kam er mit zwei Wassergläsern zurück, stellte sie auf den Tisch und machte sich gleich an meiner Hose zu schaffen.
Meine Hand schloss sich um seine und stoppte ihn.
„Es ist mein Ernst, lass das.“
„Bin ich dir dafür auch nicht mehr gut genug?“ Tränen liefen über sein Gesicht und eine Welle von Gefühlen überschwemmte mich. Zorn darüber, dass er sich so gehen ließ, völlig verweichlicht, und dann auch Mitleid. Plötzlich wollte ich ihn beschützen.
„Das ist es nicht. Aber sieh dich an, schau in den Spiegel. Ich kam zwar auch mit dem Vorsatz her, aber es geht nicht. Das bring ich nicht.“
Er kniete weiter vor mir und weinte immer stärker. Sein Körper zitterte und ich war mit der Situation völlig überfordert. ‚Was würde mein Vater jetzt tun’, fragte ich mich. Klar, er hätte ihm jetzt die flache Hand ins Gesicht geschlagen und so was wie ‚reiß dich zusammen’ gesagt.
Dieser Gedanke funktionierte für mich aber gerade überhaupt nicht.
„Also, Fabian… bitte hör auf damit.“ Seine Reaktion war das genaue Gegenteil meiner Bitte. Er schluchzte noch stärker. Seine Hand lag regungslos um meinen Hosenbund geklammert und meine immer noch auf seiner. Ansonsten mied er jeden weiteren Körperkontakt, so wie ich es immer von ihm verlangte.
„Scheiße, was soll ich nur tun?“ Meine Stimme war nur ein Flüstern, aber irgendwie hörte er es und sah mir in die Augen. Er zog seine Hand zurück und damit gab es keinen Berührungspunkt mehr.
Ich wollte aufstehen und gehen, doch meine Beine verweigerten mir den Gehorsam. Ich saß einfach nur da und starrte das Häufchen Elend an.
„Bin ich denn so abartig für dich? Ich hab dich am Freitag beim Trainieren gehört. Warum tust du mir so weh? Warum holst du mich trotzdem immer wieder zu dir?“ Seine Augen starrten auf den Boden.
„Ich weiß es nicht. Es gefällt mir, wie du es tust.“ Die erste Frage konnte ich nicht beantworten. „Warum sagst du nicht einfach nein?“
Er schwieg für einen Moment. „Ich weiß nicht, ob du es verstehen würdest. Ob du weißt, wie es ist, wenn man plötzlich alles Wichtige im Leben verliert.“
Fabian hatte Recht, so etwas kannte ich nicht. Er verlor kein weiteres Wort darüber. Offensichtlich wollte er mir seine Geschichte nicht erzählen und ich wusste nicht, ob ich sie hören wollte.
„Setz dich, bitte.“ Meine Hand klopfte auffordernd auf das Sofa und er sah mich ungläubig an. „Ich meine es ernst, setz dich zu mir.“
Er stand schwankend auf und ich streckte ihm die Hand entgegen, an der er sich hochzog. Dann ließ er sich langsam auf die Sitzfläche gleiten. Mein Arm legte sich reflexartig um seine Schultern und ich zog ihn näher an mich heran. Das überraschte mich selber ein wenig.
Er presste sich dicht an mich heran und ich spürte die warme, weiche Haut seiner Wange an meinem Hals. Ich verkrampfte zwar ein wenig, stieß ihn aber nicht weg, was mein erster Impuls gewesen wäre.
„Ich hoffe einfach, dass du mir eine Chance gibst, irgendwann. Ich hoffe es jeden Tag. Deswegen sage ich nicht nein.“
„Aber warum sollte es Hoffnung geben? Du bist ein Kerl und ich …“
„Und du bist nicht schwul, ich weiß. Du machst es mir ja auch immer wieder sehr deutlich. Aber warum lässt du dich von mir befriedigen? Deine Freundin macht es doch auch. War ja damals nicht zu übersehen.“
„Weil sie…“ Gute Frage. „Ich möchte nicht darüber reden.“
Mir tat mittlerweile der Nacken vor Anspannung weh und Fabian schien meine Gedanken zu erraten.
„Entspann dich doch ein bisschen, ich werde auch nichts machen. Das hier reicht mir völlig, es ist sehr schön mit dir. Und du riechst gut.“ Er seufzte.
Ich empfand den Geruch seiner Haare auch als ganz angenehm. Mir fiel erstmals sein eigener Duft auf, der sonst von dem süß-herben Aftershave überdeckt wurde.
Langsam ließ ich die Schultern sinken und lockerte mich ein wenig. Die Situation fing an mich zu erregen, aber dann hörte ich nur noch ein leises, gleichmäßiges Atmen. Fabian war eingeschlafen.
Ich wand mich unter ihm hervor und ließ ihn in eine liegende Position gleiten, zog meinen Arm unter seiner Schulter weg und war mit meinem Gesicht plötzlich ganz nah an seinem. Meine Lippen schwebten über seiner Wange.
Ich konnte es nicht und stand auf. Jochen wartete schon.
***
Mein Kollege legte die Hantel zurück in die Halterung. „Und wie war es?“
„Wir haben es überlebt.“
„Ich wollte eigentlich wissen, wie es ihm geht.“
„Besser, denke ich. Vielleicht ist er ja morgen wieder bei der Arbeit.“
„Nur nicht zu informativ sein. Hast du dich wenigstens benommen?“
Ich stand von der Aufwärmmatte auf und streckte mich. „Ja, ich habe mich benommen. Du wärst überrascht, wie nett ich sein kann.“
„Allerdings. Besonders dann, wenn es um ihn geht.“
„Man könnte ja meinen, du hältst mich für ein Monster. Er ist eigentlich ganz okay, nur definitiv zu weich.“
„No comment, harter Mann.“ Er legte ein paar weitere Gewichte auf die Hantel. „Dann zeig mal, wie hart du wirklich bist.“
Einige Stunden später
Fabian wachte etwas desorientiert auf, erkannte aber, trotz der Dunkelheit, sofort sein Wohnzimmer. Er erinnerte sich, wie er in Patricks Armen eingeschlafen war und kurz wach wurde, als ihn dieser sanft auf die Couch legte. Ihm war so, als hätte er kurz den Atem des Älteren auf seinem Gesicht gespürt.
Ein neues Gefühl von Hoffnung und wohlige Wärme machten sich in ihm breit. So gut hatte er ihn noch nie behandelt. Und er war dankbar, dass Patrick nicht auf seinen üblichen ‚Spaß’ bestanden hatte. Die Umarmung erinnerte den Studenten an Thomas, der ihm immer dasselbe Gefühl von Geborgenheit gegeben hatte.
Fabian ging in sein Schlafzimmer und schlief noch ein paar Stunden, so gut wie schon lange nicht mehr.
Dienstags hatte er keine Vorlesungen und war in der Firma fest eingeplant… und verschlief um eine gute Stunde. Hastig duschte er sich, suchte frische Klamotten aus dem Schrank und schwang sich auf sein Fahrrad.
„Geht es Ihnen wieder besser?“ Der alte Kramer fing ihn am Empfang ab.
„Danke, ja. Ich bin nur noch etwas müde und hab leider verschlafen.“
„Macht nichts, das kommt bei Ihnen selten vor. Und herzlichen Glückwunsch, auch Sie haben zum Erfolg der Brauerei-Kampagne beigetragen.“
„Wirklich? Das sind ja gute Nachrichten.“
„Weiter so.“ Kramer klopfte Fabian anerkennend auf die Schulter und marschierte ab.
Patrick kam kurz danach aus dem Kopierraum und sah Fabian missgelaunt an, bevor dieser sich in sein Büro zurückzog. Er verstand die Welt nicht mehr. Bis zur Mittagspause trafen sie sich noch einige Male, doch Patrick würdigte ihn keines Blickes.
Die gute Laune des Studenten war wie weggeblasen.
Ein paar Stunden früher
Beschwingt betrat ich das Büro, selbst der leichte Muskelkater konnte meine Stimmung nicht trüben. Der Besuch am Vorabend war richtig, das war mir nun völlig bewusst.
Die Emails waren schnell abgearbeitet und ich besorgte mir einen Kaffee in der Kantine, wo Jochen und ich noch ein paar Worte wechselten. Er machte sich über meinen Muskelkater lustig, weil ich seine Herausforderungen mit mehr Gewichten stur angenommen hatte.
Ich saß gerade wieder am Platz, als mein Telefon klingelte.
„Kramer und Partner, Patrick Reder.“ Meine Stimme versprühte gute Laune.
„Schön, dass du so fröhlich bist. Mal sehen, wie du gleich reagierst.“
„Tini, was gibt es?“
„Okay, kurz und schmerzlos also. Herzlichen Glückwunsch, Papa.“
Mir fiel vor Schreck der Hörer runter. Mit zittrigen Fingern nahm ich ihn wieder auf.
„Verarsch mich nicht.“
„Ich bin im zweiten Monat.“
„Das kann nicht sein. Du nimmst die Pille!“ Ich war schockiert, aber absolut nicht positiv.
„Tja mein Schatz, vielleicht hab ich sie auch mal zu spät eingenommen, keine Ahnung. Jedenfalls ist es passiert.“
„Das gibt es nicht … aber der zweite Monat ist gut, sehr gut. Mach doch am Besten gleich einen Termin für den Abbruch.“
„Vergiss es. Patrick, ich bin fast dreißig und ich wollte irgendwann ein Kind mit dir. Dann kommt es eben jetzt. Wir hätten endlich unsere eigene kleine Familie. Es würde unserer Beziehung gut tun.“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage. Christine, ich weiß ja nicht einmal, ob es mit uns überhaupt noch Sinn macht. Wir sind ständig am Streiten. Was wollen wir da mit einem Kind?“
„Du bist ein egozentrisches Arschloch. Natürlich läuft es gerade nicht besonders, aber ich weiß wenigstens, dass ich dich will!“
„Lass uns das Thema verschieben, wir reden heute Abend darüber, oder die Tage.“
„Ja klar, verschieben, oder totschweigen. Du bist deinem Vater so was von ähnlich. Wenn man etwas nicht beachtet, dann existiert es auch nicht und euer Wort ist Gesetz, was? Aber es geht hier nicht nur um uns beide.“
„Doch, genau darum geht es. Ich will kein Kind und es ist dir egal. Es kümmert dich einen Dreck, was ich möchte.“
„Arschloch!“ Sie brüllte dieses letzte Wort so laut, dass es mir in den Ohren wehtat. Dann war die Leitung tot.
Wütend schnappte ich mir ein paar Unterlagen und lief zum Kopierraum. Das Gerät zog Seite um Seite ein, begleitet von einem monotonen Surren. Die Kopien rutschten in die Sortierfächer und der Vorgang war beendet. Auf dem Weg ins Büro hätte ich Kramer fast noch über den Haufen gerannt.
Und dann sah ich Fabian am Empfang, wie er mich entdeckte und anstrahlte. Ich bedachte ihn mit einem gereizten Blick und verschloss wortlos meine Tür.
Wir trafen uns im Laufe des Vormittags noch einige Male, aber ich war nicht in der Lage ihn anzusehen.
Der ganze Tag war wie verhext. Die Sache mit der Schwangerschaft hatte mich total aus der Bahn geworfen. Sollte ich trotzdem Schluss machen? Ich verabredete mich für den Abend bei meinen Eltern, zum Essen.
Zu allem Überfluss streikte dann mein PC und ich stiefelte zur EDV. Fabian tippte gerade ein paar Zeilen in seinen Computer und Mario, der Administrator, schraubte an einem Drucker herum.
„Schw… Fabian, kommst du bitte mal? Ich habe ein Problem am PC.“
Er hatte natürlich gemerkt, dass mir beinahe mein übliches ‚Schwuchtel’ über die Lippen gerutscht wäre. Dementsprechend schlich sich, trotz der Verbesserung, der traurige Ausdruck zurück in seine Augen.
Wortlos folgte er mir ins Büro.
„Es tut mir Leid. Das war keine Absicht.“ Ich meinte es wirklich ernst.
„Wieso, es ist doch alles wieder beim Alten. Gestern, das war ein Versehen.“ Die Verbitterung in seiner Stimme tat mir weh.
„Nein, war es nicht. Ich will mich doch entschuldigen. Der Tag war beschissen.“
„Und dann lässt du es an mir aus, bitte, lass es einfach.“
„Jetzt hör mir mal zu. Ich weiß selber, dass ich mich falsch verhalten habe. Heute hat meine Freundin angerufen und mir erzählt, dass ich Vater werde. Ich will dieses Kind nicht und sie will nicht abtreiben. Wir haben immer verhütet, es darf gar nicht sein.“
„Na herzlichen Glückwunsch.“ Seine Augen glänzten feucht und er wischte sich kurz mit dem Handrücken durchs Gesicht. „Warum erzählst du das ausgerechnet mir? Ich weiß auch so, dass ihr miteinander schlaft und es tut auch so schon weh genug. Sie bekommt das, was ich gern hätte. Ich gebe mich mit dem zufrieden, was du mir anbietest, nur allein um wenigstens einen Teil meiner Wünsche erfüllt zu bekommen.“
Er rieb sich wieder durch das Gesicht, während er sich durch die Menüs im Programm klickte, auf der Suche nach dem Fehler.
„Tut mir Leid, ich wollte dich nicht anschnauzen. Das gestern Abend war wunderschön für mich. Und es hat dich auch nicht umgebracht. Okay, ich werde vielleicht nie das bekommen, was ich mir am meisten wünsche, mag sein, aber ich hab mich richtig geborgen gefühlt und nicht wie dein Spielzeug.“
„Ich fand es auch … nicht unangenehm.“
„Bei dir können sogar Komplimente wie eine Beleidigung klingen.“
„Fabian, ich … es war schön, irgendwie. Aber es ist falsch.“
„Und das andere ist dann richtig?“
Ich wusste keine Antwort darauf.
„Wenn du es geschehen lässt und dich keinem Gefühl verpflichten musst, dann ist es okay. Sobald du etwas geben sollst, dann ist es wieder falsch. Oder sehe ich das jetzt nicht richtig?“
„Sollen wir es lassen?“ Ich fühlte mich gerade richtig schlecht. Bisher hatte ich immer geglaubt, er bekäme genau das, was er wollte. Schwule blasen sich eben gerne einen, mehr braucht es nicht.
„Ist das dein einziger Gedanke dazu? Ich habe mir schon öfters gewünscht, du würdest mich einfach in Ruhe lassen.“ Sein Gesicht drückte traurige Verbitterung aus. „Ich komm einfach nicht von dir los.“
„Fabian, wieso liebst du mich, trotz alledem?“
Er seufzte. „Dein PC läuft wieder. Darf ich gehen?“
„Ja, natürlich. Danke.“
Als er an mir vorbei wollte, griff ich nach seinem Arm, zog ihn an mich ran und umarmte ihn. Seine Arme hingen kraftlos an der Seite herunter und er erwiderte es nicht.
„Tu das bitte nicht, wenn du es nicht ernst meinst. Lassen wir es so, wie es ist. Dann weiß ich wenigstens, woran ich bin.“ Seiner Stimme fehlte jeder Ausdruck und ich ließ ihn wieder los.
„Vielleicht hast du Recht.“ Ich war mir im Moment überhaupt nicht sicher.
„Gut.“ Er verschwand mit gesenktem Kopf. Warum kümmerten mich plötzlich seine Gefühle? Alles veränderte sich dadurch und machte es komplizierter. Oder war es schon immer so kompliziert und ich hatte es mir nur einfach gemacht?
Als ich später bei meinen Eltern eintraf, hatte sich meine Stimmung nicht gerade verbessert. Antonia, das Dienstmädchen, öffnete die Tür und ließ mich herein. Meine Mutter lag schlafend auf der Couch, ein leeres Cognac-Glas stand auf dem Tisch.
Mein Vater saß im Esszimmer am Ende des Tisches und zog an seiner Pfeife. Der schwere Duft seines Tabaks hing im Raum.
„Hallo Vater.“ Ich begrüßte ihn, wie üblich, mit einem Kopfnicken und setzte mich an das andere Kopfende.
„Hallo Patrick. Welch seltene Ehre.“ Sein Blick glitt an mir vorbei, direkt auf Antonia, die ihren kurvigen Körper gerade streckte, um an die Teller im oberen Regal des Schranks zu kommen. Sie war in meinem Alter und es war ein offenes Geheimnis, dass sie des Öfteren bei meinem Vater ‚nächtigte’.
„Was ist denn mit dir los? Du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter.“ Jetzt lagen seine Augen forschend auf mir.
„Christine ist schwanger.“ Er hasste es, wenn man ewig um den heißen Brei redete.
„Das fehlt ja noch. Ich war schon immer gegen diese Kratzbürste.“
„Es hätte mit jeder anderen passieren können.“
„Ist es aber nicht. Du hast doch hoffentlich mit ihr über die Abtreibung gesprochen.“ Das war eindeutig nicht als Frage gemeint. Keine Spur von Opafreuden, das wäre ja zu gefühlsbetont.
„Natürlich. Sie will nicht.“
Er donnerte mit der Faust auf den Tisch. „Was für eine Art Mann bist du eigentlich? Sie will nicht? Wen interessiert das denn?“
„Vater, sie ist eben nicht wie Mama.“
„Genau das ist euer Problem.“
Er klopfte die Pfeife aus und füllte sie mit frischem Kraut. Die Flamme seines Streichholzes zuckte dem Kopf entgegen, als der alte Herr am Mundstück zog.
„Regel das.“ Dies war ein eindeutiger Befehl und ich nickte pflichtschuldig.
„Es gibt da noch etwas. Ein Mitarbeiter in der Firma ist in mich … verliebt.“ Mir war nicht ganz klar, warum ich gerade dieses Thema ansprach. Vielleicht lag es an der Sehnsucht nach Nähe und Verständnis, die mich fest in ihren Klauen hielt. Meine Gefühlswelt lag in Trümmern. Aber mein Vater erwies sich, wie immer, als der falsche Ansprechpartner für so was. Ich hätte es besser wissen müssen.
„Nirgends ist man vor diesen Perversen sicher. Aber du wirst ihm die Flausen sicherlich austreiben, wie es sich für einen Mann gehört.“ Wieder der Befehlston. Wenn es nach ihm ginge, dann müsste ich Fabian vermutlich auspeitschen, bis er sich freiwillig auf eine Frau wirft oder ‚seinem Elend’ ein Ende setzte.
„Ich kümmere mich darum.“
Antonia erlöste mich von dem Gespräch, indem sie die dampfenden Teller mit Braten und Kartoffeln vor uns absetzte und mir ein Bier brachte. Mein Vater begnügte sich mit seinem teuren Whiskey.
Ich wusste nicht mehr, warum ich eigentlich herkommen wollte. Von meinen Eltern hatte ich keine vernünftigen Ratschläge zu erwarten. Dass mein Vater für eine Trennung war, hätte ich auch so gewusst. Es wunderte mich fast schon, dass ich überhaupt auf der Welt war. Aber Mamas Schwangerschaft war eine gesellschaftliche Entscheidung.
Wäre Tini ein braves Frauchen ohne Ambitionen, dann hätte er mir jetzt eine Zigarre gereicht und die Zukunft meines Kindes verplant.
Aber ich wollte kein Vater sein. Nicht so wie er, doch würde ich es anders machen können? Ich kannte nur dieses Leben.
Mir fehlte jedes bisschen Appetit und würgte mir den halben Inhalt des Tellers hinein, bis ich ihn zur Seite schob. Antonia räumte ihn gleich weg.
„Schmeckt es dir nicht?“
„Doch, Vater. Aber ich hatte nicht viel Hunger.“
Ich beobachtete ihn, wie er sich wortlos Bissen um Bissen in den Mund schob, sorgfältig kaute und hin und wieder mit einem Schluck Whiskey nachspülte. Sein Hausmädchen füllte das Glas immer wieder auf. ‚Wie gut er sie doch erzogen hat’, dachte ich in einem Anflug von Zynismus.
Ich konnte eigentlich nur dankbar sein, nicht als Mädchen geboren worden zu sein.
„Gut, ich denke, du hast dich noch um einiges zu kümmern. Viel Erfolg dabei.“ Er zündete sich wieder sein Pfeifchen an und damit war meine Anwesenheit nicht länger erwünscht.
„Natürlich. Einen schönen Abend noch.“
Zügig verließ ich das Haus, setzte mich in das Auto und brüllte meinen Frust raus. „Du bornierter alter Mann. Dämlicher Tyrann!“
Da meine Stimmung nicht noch weiter sinken konnte, nahm ich mein Handy und tippte Tinis Nummer ein.
Als sie abnahm, wartete ich ihre Meldung nicht ab und legte gleich los. „Wir sollten uns gleich treffen, wir haben was zu besprechen.“
„Patrick?“ Die irritierte Stimme am Telefon gehörte nicht meiner zukünftigen Ex, es war Fabian. Ich starrte auf das Display und erschrak. Unterbewusst hatte ich seine Nummer gewählt.
„Oh, Fabian… das ist jetzt wirklich unangenehm. Eigentlich wollte ich Tini anrufen.“ Ich rechnete schon damit, ihn erneut zu verletzen. Doch das wollte ich nach all unseren Erfahrungen miteinander vermeiden. Daher schlug ich einen versöhnlichen Ton an.
„Verstehe. Ich wünsche euch viel Spaß.“
Der Klang seiner Stimme verriet mir, dass ich recht gehabt hatte und war erleichtert, nicht gleich losgebollert zu haben. Dennoch fühlte ich mich prompt schuldig und wollte nicht, dass er alles in den falschen Hals bekam.
„Fabian warte, leg nicht auf. Ich will dich nicht quälen. Es geht bei ihr auch nicht um Sex. Ich will mich mit ihr treffen um Schluss zu machen.“ Bevor er sich wieder unnötig Hoffnungen machen konnte fügte ich noch ein „Es hat nichts mit dir zu tun“ an.
„Warum auch. Als ob du wegen einem Kerl wie mir mit ihr Schluß machen würdest.“
Sein zynischer Tonfall kam nicht ganz überzeugend rüber. Mein widersprüchliches Verhalten musste etwas in ihm verändert haben. Es war offensichtlich, dass er angefangen hatte zu kämpfen und er wurde zusehends mutiger, aber durch die ständigen Misserfolge auch frustrierter. Eines wurde mir jedenfalls klar, er wollte sich nicht mehr alles widerstandslos gefallen lassen.
„Hör bitte auf damit. Ich möchte dir entgegen kommen, soweit es möglich ist. Es ist nur nicht so einfach. Du hast ein ziemliches Chaos in meinem Kopf ausgelöst und ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Das passiert nicht erst seit gestern. Seit Weihnachten entgleitet mir alles, ich verliere die Kontrolle über mein Leben. Und das liegt alles an unserem ‚Arrangement’.“
„Hast du jemals versucht die Kontrolle freiwillig zu verlieren, abzugeben?“
„Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Hast du jemals versucht zu leben?“
„Was denkst du denn, was ich hier tue?“
„Du läufst irgendwelchen Zwängen nach. Aber wann warst du wirklich glücklich, wann hast du richtig gelebt? Andere, die das Leben lieben, werden aus dieser Welt gerissen. Und du wirfst alles weit von dir. Alles was ich bei dir sehe ist Wut und Trostlosigkeit.“ Seine Stimme klang mittlerweile wieder eindeutig verheult. Und irgendwo, tief in mir, gab es einen Teil, der ihm zustimmte.
„Fabian, kommst du bitte zu mir? Ich bin fast daheim.“
„Wenn du willst… ich bin auf dem Weg.“
„Danke, bis gleich.“ Ich drückte das Gespräch weg und fuhr auf meinen Parkplatz. Ein Umschlag ragte aus dem Briefkasten. Der Absender war mir bekannt, es war der Vermieter und ich ahnte Fürchterliches. Dies war das angekündigte Nachspiel, eine Abmahnung und die Androhung einer Anzeige, wenn ich mich nochmals einer Mieterin oder einem Mieter gegenüber ungebührlich und beleidigend verhalten würde.
Ich beruhigte meine Nerven mit einem einfachen Single-Malt und hockte mich auf die Couch.
Bald darauf durchbrach die Klingel für einen Moment die Stille. Ich schleppte mich zum Öffner, ließ die Tür einen Spalt offen und ging wieder zur Couch. Fabian kam auf leisen Sohlen herein und blieb unschlüssig vor mir stehen.
„Möchtest du es gleich hier?“
Die Kälte in seiner Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken, aber der Kampf um seine Fassung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ich war mir fast sicher, dass er um die Wirkung seiner Worte bescheid wusste und das er mir einen schmerzhaften Stich verpassen wollte.
„Du musst mich doch eigentlich hassen, oder?“
„Es wäre vermutlich einfacher.“ Seine Worte taten mir weh, auch wenn ich diese Antwort erwartet hatte.
„Ich habe dich aber nicht deswegen hergebeten.“ Mühsam unterdrückte ich den schmerzhaften Kloß im Hals. Der Abend mit meinem Vater hatte mir doch stärker zugesetzt.
„Wozu denn? Ich dachte, wir hätten uns heute darauf geeinigt.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, dein Wortlaut war etwas anders, hör mir bitte erst zu. Du hast am Telefon einige Dinge gesagt, über die ich nachdenken musste und du hast in einigen Punkten Recht gehabt.“ Ich machte eine kleine Pause, aber er sagte keinen Ton. „Was hast du gemeint, als du das mit ‚aus dem Leben gerissen’ gesagt hast?“
Er wurde ein wenig blasser. „Das ist mir so raus gerutscht. Ich möchte nicht darüber reden.“
„Ich verstehe, warum du mir nicht vertraust.“
„Das ist es nicht. Zumindest nicht nur.“
Er stand mit verschränkten Armen vor mir und sah mich unsicher an. Plötzlich wurden mir meine schlechten Manieren bewusst. „Bitte, setz dich. Möchtest du auch ein Glas?“ Ich deutete auf den Malt. Fabian nickte schüchtern und setzte sich, mit etwas Abstand, neben mich.
Er nahm das Glas und nippte vorsichtig an dem Getränk. Dann verzog er das Gesicht und hustete heftig. Ich fing herzhaft an zu lachen.
„Na vielen Dank auch, lach mich ruhig aus.“ Und etwas sanfter fügte er hinzu. „Ich hab dich jetzt zum ersten Mal lachen sehen.“
„Sorry“, antwortete ich glucksend, „aber du hast auch zu komisch ausgesehen.“
„Nein, es ist okay. Das hab ich vorhin gemeint. Du hast deine Kontrolle abgegeben und deinen Gefühlen freien Lauf gelassen.“
„Eigentlich bist du zu gut zu mir.“
„Das gleicht es dann wohl aus.“ Sein trauriger Blick weckte keinen Ärger in mir, so wie es sonst immer der Fall war.
„Mein Verhalten war alles andere als fair“, gab ich zerknirscht zu. „Tini hat mich ein ‚egozentrisches Arschloch’ genannt. Und vermutlich hat sie Recht.“
Fabian widersprach nicht.
Ich rückte ein Stückchen näher an ihn heran und er wich wieder ein Stück zurück. „Bitte spiel nicht mit mir. Ich halte es nicht mehr aus.“
„Das tue ich nicht. Aber ich weiß auch nicht, wo das alles hinführen soll.“
„Und was erwartest du von mir?“ Fabian rückte nun selber ein paar Zentimeter in meine Richtung.
„Zunächst einmal… habe ich nicht das Recht etwas von dir zu erwarten, aber ich würde dir gerne ein Freund sein, ein Neustart für uns. Ganz ehrlich, ich kriegs nicht mehr hin, mich von dir bedienen zu lassen. Nicht mehr seit neulich bei dir. Mir war nicht klar, was ich dir damit angetan habe, fühlte mich als der Gönner, der dir noch einen Gefallen tut. Dabei hätte ich es besser wissen müssen. Ich kann ein ziemlicher Ignorant sein.“
Sein Gesichtsausdruck wandelte sich in ein freudiges Erstaunen.
„Mein Vater hat es mir anders vorgelebt. Frauen haben zu gehorchen und die widerwärtigen Perversen brauchen nicht mehr als einen Schwanz. Er hasst Schwule und verachtet Frauen. Eigentlich hasst er alle Menschen.“
„Oh man, was für ein Mensch.“
„Das kannst du wohl laut sagen. Und ich war bisher nicht viel anders.“ Ich seufzte resignierend.
„Aber du kannst ausbrechen. Du musst so nicht sein.“
„Ach Fabian, ich bin so schon mein ganzes Leben. Es ist nicht so einfach. Selbst dieses Gespräch … ich würde es jetzt schon gerne rückgängig machen.“
„Aber du kannst doch nicht dein ganzes Leben lang die Menschen von dir stoßen, daran muss man doch kaputt gehen.“
„Man gewöhnt sich daran.“ Ich spürte seinen Arm, wie er sich um mich legte und kämpfte gegen den üblichen Reflex an. Der größte Teil von mir wollte aufspringen und ihn anbrüllen. Doch dann verschwand der Arm wieder. Wie so oft, in letzter Zeit, fühlte ich mich schuldig.
„Soll ich gehen?“
„Es wäre vermutlich vernünftiger, aber nein, meinetwegen nicht.“
Fabian gähnte unterdrückt. „Okay.“
„Bist du sehr müde?“ Mein Blick fiel auf die Uhr, wir hatten fast Mitternacht.
„Es geht.“ Er war ein schlechter Lügner.
Meine nachfolgenden Worte konnte ich selber nicht glauben. „Also, es ist jetzt vielleicht etwas seltsam, aber du kannst gerne hier bleiben. Ich bin auch ziemlich geschafft, wäre aber nur ungern allein. Wenn du deine Finger beherrschen kannst, dann darfst du mit zu mir.“
„Du verarscht mich doch.“ Er strömte ein verständliches Misstrauen aus.
„Ich fürchte nicht. Sag ja oder lass es, aber entscheide dich, bevor ich meine Meinung wieder ändere. Bitte.“
„In Selbstbeherrschung hab ich Übung.“ Es hörte sich vorwurfsvoll an, aber ich wusste, dass er es nicht so gemeint hatte.
Ich suchte ihm eine Zahnbürste heraus und schickte ihn ins Bad. Danach machte ich mich selber frisch und dann kam die nächste Hürde. Wir standen ziemlich verkrampft vor meinem Bett. Der Raum war immer noch ziemlich warm vom Tag.
„Hast du vielleicht ein Shirt für die Nacht? Meine Sachen sind frisch aus dem Schrank, die könnte ich auch morgen noch anziehen.“
Ich räusperte mich. „Ähm, ja, schon. Aber es ist doch ziemlich warm. Also … es macht mir nichts aus, wenn du es einfach weglässt. Ich würde auch lieber darauf verzichten.“
„Oh Gott, ich werde sterben, ganz bestimmt.“ Er wurde sichtlich nervös.
Ich machte den Anfang, legte Shirt und Jeans auf die Wäschekiste und kroch unter die Decke. Seine Augen folgten mir stumm.
„Na los, ich beiße nicht.“
„Ja, leider“, brummte er leise. Er streifte sich das Hemd umständlich über den Kopf, dann folgte die Hose. Ich war mir nicht sicher, doch die Wölbung in den leichten Shorts schien zuzunehmen. Es war mir zwar etwas unangenehm, aber ich betrachtete auch seinen Körper etwas genauer. Er war wirklich gut in Form. Er bemerkte meine Blicke und hielt sich schüchtern die Hände vor den Schritt.
„Sorry, aber das kann ich wirklich nicht steuern.“
„Kein Ding, denke ich. Immerhin… naja, du kennst meinen ja auch schon recht gut.“
Der Kleine nickte und kroch ebenfalls unter die Decke. Er lag, steif wie ein Brett, auf dem Rücken und starrte an die Decke. Irgendwie brachte mich das wieder zum Lachen.
„Okay, also folgendes: wie du schon angemerkt hast, die Sache in deiner Wohnung hat mich nicht umgebracht. Das wäre eventuell okay.“
„Aber ich hab kaum was an.“
„Das betrifft uns beide.“
„Ja, aber du würdest mich auf deiner Haut spüren.“
„Fabian, komm einfach mal näher.“
Er wuchtete sich wieder hoch und robbte näher an meine Seite. Dabei schob ich meinen Arm ein Stück vor, damit er seinen Kopf darauf legen konnte.
„Ist doch gar nicht so schlimm“, sagte ich mehr zu mir selbst. Seine Haut lag weich an meiner. Fast noch weicher als Tini. Und auch wärmer.
Fabian machte es sich in der Nähe meiner Schulter bequem. „Danke“, flüsterte er leise und plötzlich spürte ich seine Lippen auf meiner Wange, als er mir einen hauchzarten und unschuldigen Kuss gab.
Ich tastete nach der Lampe und löschte das Licht. Meine Augen wurden erstaunlich schnell schwerer und ich war kurz vorm einschlafen, als plötzlich die Schlafzimmertür mit einem Knall an die Wand schlug und das Deckenlicht aufflammte.
„Ich lass mir das nicht mehr von dir gefallen! Wir reden jetzt! Ich habe ein verdammtes Recht dar… Was ist denn hier los?“
Fabian zuckte zusammen und presste sich erschrocken an mich, während Tini uns zornig anfunkelte.
„Es ist garantiert nicht so wie es aussieht. Fabian, vielleicht solltest du jetzt doch gehen.“
„Fabian? Etwa der Fabian? Du hast dich letztens nicht so angehört, als ob ihr die besten Freunde wärt. Ich glaub’s ja nicht! Der Vater meines Kindes mit einer Schwuchtel im Bett.“
„Jetzt ist aber gut! Wir sind Freunde, nichts weiter. Und wir fühlen uns momentan beide nicht besonders.“ Ich drehte mich zu Fabian um, der immer noch völlig verängstigt an mir hing. „Bitte geh, es wäre besser.“
Tini griff nach seinen Klamotten und warf sie auf ihn. „Verschwinde und lass die Finger von meinem Freund!“
Verdammt, ich konnte jetzt nicht einmal Schluss machen, sie würde sofort die falschen Schlüsse ziehen.
„Er hat mich überhaupt nicht angefasst. Zumindest nicht so wie du denkst.“ Ich stand auf und zog die Furie aus dem Schlafzimmer. „Zieh dich in Ruhe an, ich kümmere mich um sie.“
Sein Gesicht sagte ganz deutlich, dass er gerade nichts mehr verstand. Ich machte eine unauffällige ‚ich ruf dich an’ -Geste, indem ich mit Daumen und dem kleinen Finger einen Hörer simulierte. Fabian nickte apathisch und ich ließ ihn erstmal alleine.
„Es ist überhaupt nichts passiert. Wie du siehst, wir waren nicht nackt.“
Christine tigerte auf und ab und sie warf Fabian einen bösen Blick zu, als er sich wortlos an uns vorbei schlich. Ansonsten sagte sie aber nichts.
„Nicht nackt, na toll. Hast du eine Ahnung, wie das eben ausgesehen hat?“
„Jedenfalls anders als es war. Hör zu, wir hatten beide etwas Gesellschaft nötig.“
„Du hättest auch mich anrufen können.“
„Ja natürlich. Und was wäre passiert? Wir hätten uns wieder gestritten, genau wie jetzt.“
Sie legte ihre Hand auf meine Brust. „Wir hätten auch was anderes tun können.“
„Sorry, aber genau danach steht mir momentan überhaupt nicht der Sinn. Ich bin keine Maschine, die mal eben alles ausblenden kann. Zurzeit läuft einfach zuviel schief.“
„Und an wem liegt das?“
„Klar, ich hab natürlich alleine Schuld. Sei doch ehrlich, zwischen uns läuft es schon lange nicht mehr richtig.“
„Willst du mir damit etwas Bestimmtes sagen?“ Ihre Stimme bekam einen lauernden Unterton.
„Wir sollten uns eine Weile nicht sehen und unsere Beziehung gründlich überdenken.“
„Verstehe. Ganz wie du willst. Ich wünsche dir eine grauenhafte Nacht. Und noch etwas: ich werde das Kind bekommen. Es ist mir egal, was du sagst. Bis dann.“
Mir fehlte die Lust noch etwas zu erwidern und ich ließ sie ziehen. Wie von ihr gewünscht wurde meine Nacht grauenhaft und ich hoffte, sie zog wirklich nicht die falschen Schlüsse.
***
Fabian schwebte im siebten Himmel. Die Grenzen waren zwar gezogen, aber er konnte gut damit leben. Es war weit mehr, als er von Patrick noch erwartet hätte. Die Geschichte über den Vater erklärte dazu noch einiges mehr. ‚Was für ein grausamer und kalter Mann’, dachte er.
Und jetzt lag er hier, dicht an seinen Schwarm angekuschelt, den Kopf auf die Schulter gebettet und Patricks Stimme hatte einen zärtlichen Klang angenommen. Ein übermächtiges Verlangen überkam ihn, und er drückte dem Dunkelhaarigen einen vorsichtigen Kuss auf die Wange.
Doch dann, nur wenige Minuten nach dem Verlöschen des Lichtes, entwickelte sich um ihn herum ein Albtraum. Patricks Freundin brüllte wie eine Furie und Fabian fühlte sich mit einem Schlag elend. Hatte er das Leben seines Freundes noch tiefer ins Chaos gestürzt?
Der studierte Betriebswirt warf ihn, wie schon so oft, aus seiner Wohnung. Zwar mit sanfter Stimme, aber in den Augen lag eine unmissverständliche Bestimmtheit. Wenigstens konnte er die Wohnung unbehelligt verlassen.
Er hoffte nur, dass dies nicht der letzte Abend in dieser Form war, dass ihm seine Träume wieder entrissen wurden.
Vor lauter Grübelei stand er plötzlich vor seinem Wohnhaus und fiel bald darauf in einen unruhigen Schlaf.
Guten Morgen, liebe Sorgen
Der Wecker beendete den Horror dieser Nacht. Im Traum schlug mein Vater immer wieder auf mich ein, während Tini lachend zusah und sich einen Cognac nach dem anderen gönnte. Noch schlimmer war Fabians Anblick, der regungslos, mit blutenden Wunden übersät, neben mir auf dem Boden lag.
Ich schaffte es gerade noch zur Toilette und übergab mich. Würde sie meinem Vater davon erzählen? Hätte sie überhaupt was davon? Es würde an ihrer ‚Beziehung’ zu ihm nichts ändern.
Und warum kümmerte mich das eigentlich? Ich war nicht von meinem Vater abhängig, stand auf eigenen Beinen im Leben. Er war mir nie eine Stütze, hatte nichts gegen mich in der Hand. Ein weiterer Schwall Magensaft ergoss sich in die weiße Keramikschüssel. Ich betätigte die Spülung und putzte mir die Zähne. Dabei betrachtete ich die zweite Zahnbürste, die Fabian gestern benutzt hatte. Ihn raus zu werfen, den einzigen Menschen, der mir alle Fehler immer wieder verzeihen konnte, tat weher als gedacht. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was ich ihm mit meinem Verhalten alles angetan hatte.
Doch nun musste ich erst einmal den Schaden begrenzen und rief Tini an.
„Was willst du“, blaffte sie ins Telefon.
„Es tut mir Leid. Es hätte gestern nicht so laufen müssen.“
„Eine Entschuldigung, von dir? Wie auch immer, sie kommt ein wenig spät.“
„Aber versteh mich doch, es ist so vieles anders zwischen uns. Wir sind schon zu lange dicht am Abgrund.“
Sie schnaufte verärgert. „Du hast dich verändert, nicht ich. Und ich komme damit auch nicht mehr zurecht . Ich erwarte aber, dass du dich um das Kind kümmern wirst.“
„Tini, ich… bitte sag meinem Vater nichts von gestern.“
Sie lachte düster. „Du bist ein erbärmlicher Angsthase. Vielleicht tue ich es nicht, das liegt ganz an dir.“
„Willst du mich etwa erpressen?“ Ich war fassungslos.
„Ich möchte nur, dass du an gewisse Prioritäten denkst.“ Die neue Kälte in ihrer Stimme ließ mich frieren.
„Das glaube ich jetzt nicht.“
„Das hast du dir selber zu zuschreiben. Ich hab dich wirklich geliebt. Und jetzt halte ich dich an den Eiern, Patrick Reder.“
Sie legte auf.
Eine gute Stunde später hockte ich erschöpft im Büro und dachte über mein Leben nach, welches sich langsam in einen Scherbenhaufen verwandelte. Und das alles erst seit Fabian.
Wie auf ein Stichwort klopfte es zaghaft an der Tür und Fabian trat ein.
„Was willst du?“ Meine Stimme klang härter als gewollt und der Arme fuhr erschrocken zusammen. Wortlos drehte er sich um und schloss die Tür hinter sich.
„Oh verdammt…“ Ich sprang auf und rannte hinterher. „Tut mir Leid, bitte komm rüber.“
Er folgte mir zögerlich in mein Reich und ich erzählte ihm alles, vom Traum bis zum Telefonat.
„Und was willst du jetzt machen?“ Er hockte auf der Schreibtischkante und sah mich mitleidig an.
„Ich weiß es nicht, verdammt. Eigentlich müsste es mir egal sein, ob sie mit ihm darüber spricht. Zudem ist ja auch nichts zwischen uns gelaufen. Aber das weiß er ja nicht. Alleine die Tatsache, dass einer wie du in meinem Bett lag reicht schon, damit er ausflippt.“
„Einer wie ich…“
Ich griff nach seiner Hand. „Verzeih mir, ich hab es nicht böse gemeint.“
„Schon gut. Aber warum ist es dir denn nicht egal, was er sagt?“
„Keine Ahnung. Ich weiß eben auch nicht, was er dann macht. Er war nie besonders zimperlich, wenn es um ‚wichtige, erzieherische Maßnahmen’ ging. Seit ich weiß, wie weh eine Reitgerte tun kann, verzichte ich freiwillig auf Pferdesport.“
„Oh mein Gott. Und wann hat er so was gemacht?“
„Bei schweren Verfehlungen. Widerworte, zum Beispiel. Aber es war auch der Grund, warum ich mit Krafttraining angefangen habe. Durch die härteren Muskeln war der Schmerz nicht mehr ganz so stark.“
„Das hab ich nicht gewusst.“
„Ach Fabian, wie auch. Davon hab ich selbst Tini noch nie etwas erzählt. Und jetzt müssen wir schauen, wie es weitergeht. Bei mir ist es für uns derzeit nicht sicher. Tut mir Leid, aber wir können uns eine Weile nicht sehen.“
Er sprang auf. „Ich habe auch eine Wohnung. Sie weiß nicht, wo ich lebe.“
„Fabian, das weiß ich doch. Aber sie wird es rauskriegen, wenn sie muss. Was passiert wohl, wenn sie mich überhaupt nicht mehr bei mir antrifft? Sie wird suchen, Rückschlüsse ziehen.“
„Ich verstehe, du willst ihr nachgeben.“
„Verdammt, nein, ich will uns beide schützen.“
„Okay. Du, Patrick, ich muss noch einiges erledigen. Vielleicht sehen wir uns ja heute Abend im Studio, wenn wir es irgendwie einrichten können.“
„Vielleicht. Glaub mir bitte, es tut mir Leid.“
Er nickte leicht und verschwand wieder in seiner Abteilung. Wir sahen uns einige Stunden nicht mehr, er ging mir aus dem Weg. Und als ich dachte, es könne nicht mehr schlimmer werden, da klingelte mein Handy.
„Christine, was willst du?“
„Hallooooo Schaaaatzi!“ Sie lallte ein wenig.
„Dein Kind scheint dir ja sehr wichtig zu sein, wenn du trinkst.“
„Och, nur ein kleines bisschen. Aber warum ich anrufe, du kommst heute Abend zu mir.“
Mein Hals schnürte sich zu. „Ich kann nicht.“
„Prioritäten!“ Sie betonte das Wort in einem merkwürdigen Singsang.
„Okay… ich komme um sechs Uhr.“
„Perrrrfekt, um sex Uhr.“ Sie imitierte dabei ein wenig das katzenhafte Schnurren von Halle Berry, aus dem Film ‚Catwoman’ und kicherte.
Fabian trat mir weiterhin nicht unter die Augen und nach Feierabend ging ich in die EDV.
„Mario, wo ist Fabian?“
„Der ist schon vor einer Stunde verschwunden, zur Nachmittagsvorlesung. Es ist schließlich Mittwoch.“
„Oh, das hatte ich vergessen. Dann einen schönen Feierabend.“
„Dir auch, bis morgen.“
Ohne Umwege ging ich zum Auto und fuhr zu Christine, damit ich es endlich hinter mir hatte.
Sie erwartete mich bereits und öffnete die Tür. Bei ihrem Anblick war sofort klar, was sie von mir wollte. Sie trug einen Morgenmantel aus schwarzer Seide und darunter ein halbtransparentes schwarzes Negligee. Die langen Nylonstrümpfe endeten in einer breiten Borte im oberen Drittel ihrer Oberschenkel, nur noch von den Strapsgurten gehalten. Früher hätte mich dieser Anblick rasend vor Lust gemacht, nun wollte ich mich lieber übergeben.
Sie packte meine Krawatte, zog mich durch die Wohnung ins Wohnzimmer und stieß mich unsanft auf die Couch. Dann hockte sie sich breitbeinig über meinen Schoß und presste mir die üppigen, gepushten Brüste ins Gesicht.
„Ich kann das nicht. So funktioniert es nicht.“ Ich zog meine Nase aus dem Dekolleté, um nicht darin zu ersticken.
„Wieso, stehst du nicht mehr auf meine Muschi?“ Sie lachte hämisch und stand auf. Am TV Schrank öffnete sie mit einem Rascheln eine Pappschachtel und warf mir einen silbrigen Tablettenblister zu. In dem Blister befanden sich blaue, rautenförmige Pillen.
„Dann nimm halt die, das Viagra wird schon helfen. Und wenn du noch eine andere Stimulation brauchst, ich war für dich in der Videothek. Welchen Film möchtest du sehen? Lass mal schauen. ‚Rasierte Kätzchen im Schwesternheim’ oder ‚Kolbenfresser im Jungeninternat’. Was darf es sein?“ Sie kam mit wiegenden Hüften auf mich zu. „Oder du beweist mir ohne all dieses, dass du noch ein Mann bist.“
Ich warf die Tabletten auf den Boden. „Darf ich noch kurz duschen? Es war ein langer Tag.“
„Sicher doch. Aber zieh dich hier aus, den Teil möchte ich nicht verpassen.“
Ich lockerte die Krawatte und zog mein Hemd aus. Die Situation war mir unangenehm. Ihre Augen verfolgten gierig jede Bewegung, als ich erst die Schuhe, Strümpfe, die Jeans und am Ende die Shorts fallen ließ.
„Du bist vielleicht ein charakterloser Penner, aber du siehst verboten gut aus.“
Auf der Demütigungsskala von null bis hundert war ich mittlerweile auf -10 angelangt. Aber es war egal, die Sache würde ich schon durchziehen, vielleicht war dann wenigstens Fabian aus der Schusslinie.
Die Dusche brachte keine Entspannung. Dieses miese Gefühl klebte wie Teer an mir. Tini räkelte sich bereits auf dem Bett und erwartete mich, meine Klamotten hatte sie ordentlich auf die Sofalehne gelegt.
„Wir können dann anfangen.“
„Ach, du bist heute aber wieder romantisch. Küss mich gefälligst.“
Ich ließ mein Handtuch fallen und legte mich neben sie. Mit geschlossenen Augen näherte ich mich ihren, zu einem siegessicheren Grinsen verzogenen, Lippen.
Ihre Zunge schob sich gierig in meinen Mund und ich konzentrierte mich auf das Bild von Fabian. Wie er wohl küssen würde? Er war in allem so sanft und zärtlich. Ihre fordernden Hände glitten über meinen Rücken. Wie würden sich wohl seine warmen Finger anfühlen?
Es funktionierte, mein kleiner Freund erwachte zum Leben. ‚Bloß die Augen geschlossen lassen’, dachte ich mir. Sein sanftes Lächeln schwebte vor mir.
Tini und ich schliefen miteinander. Was ich nicht bemerkte war, dass sie mein Handy unter dem Kopfkissen bereithielt. Zielsicher wählte sie Fabians Nummer aus der Kontaktliste und legte das Gerät auf den Nachttisch. Danach füllte das Geräusch ihrer lustvollen Schreie und mein leises Stöhnen den Raum. Fabians Bild vor mir wurde immer plastischer und ich näherte mich dem Höhepunkt. Mit einem gekeuchten ‚Ich liebe dich’ entlud ich mich. In dem Moment verdunkelte sich das Display meines Mobiltelefons, Fabian hatte aufgelegt.
„Die Erkenntnis kommt ein wenig zu spät.“ Sie grinste mich süffisant an. „Aber das war heute tatsächlich eine ganz brauchbare Nummer. Schade, dass du dich sonst nicht so angestrengt hast.“
Der Traum von Fabian zerplatzte wie eine Seifenblase und machte meinen Blick frei für die Wirklichkeit. Und die lag in der Gestalt einer rotblonden Teufelin vor mir. Sie sah beiläufig zur Seite und ich bemerkte mein Telefon. Hastig griff ich danach und, aus einer spontanen Eingebung heraus, klickte ich mich in die Anruflisten. Das letzte Gespräch war Fabian, vor kurzer Zeit und lang genug.
„Was hast du getan?“
„Eigentlich nichts, wieso? Ihr seid doch nur Freunde, was macht es da schon wenn er weiß, zu wem du wirklich gehörst. Und das, mein Lieber, dürfte er reichlich mitbekommen haben.“
Ich sprang aus dem Bett und rannte zu meinen Klamotten, ich musste hier raus.
„Wer hat dir erlaubt zu gehen?“ Sie schmiegte sich nackt an den Türrahmen und genoss ihren Triumph sichtlich.
„Was willst du denn noch von mir? Liebevoll rumkuscheln?“
„Nein, mein Süßer. Ich will deine offensichtliche Abscheu vor dir selbst auskosten. Du bereust es noch, mir das Herz gebrochen zu haben.“
Meine Augen wurden feucht, Tränen sammelten sich und brannten sich ihren Weg nach unten. Ich hatte seit zwanzig Jahren nicht mehr geweint und es erschütterte mich.
„So, ich glaube das reicht mir für heute. Du darfst gehen.“ Sie drehte sich um und verschwand im Schlafzimmer, ließ mich weinend im Wohnzimmer zurück. Fabian würde mich hassen.
***
Fabian kam völlig fertig vom Training nach Hause, bitter enttäuscht, dass Patrick verschwunden blieb. Jochen, der diesmal alleine dort war, wusste auch nichts Genaues. Er vermutete, dass es Stress mit der Freundin gab.
Nach einer kurzen Dusche fiel er ins Bett und wälzte sich unruhig herum. Nach einer schier endlosen Zeit klingelte sein Telefon und er sah Patricks Nummer. Sofort verbesserte sich die Laune des Studenten, sein Angebeteter hielt Wort.
„Hi Patrick!“
Er bekam keine Antwort und hörte nur die erregten Laute einer Frau, die Stimme hörte sich sehr nach Christine an. Und im Hintergrund, ganz unverkennbar, dass wohlige Stöhnen von Patrick. Fassungslos hielt er den Hörer an Ohr. Die Geräusche wurden immer lauter, bis er Patricks Höhepunkt eindeutig identifizierte.
„Ich liebe dich!“ Fabian schmetterte das Telefon enttäuscht gegen die Wand, wo es in tausend Stücke zerfiel und brach schluchzend zusammen.
Nach schier endlosen Stunden, der Wecker zeigte 10 Uhr an, raffte er sich völlig übernächtigt auf und verließ, nach einer notdürftigen Dusche, seine Wohnung. Er wollte Patrick zur Rede stellen und fuhr mit dem Rad zur Firma, auf eine Vorlesung hätte er sich jetzt nicht konzentrieren können.
Monika Herzgold, die Empfangsdame, musterte ihn mit einem besorgten Blick.
„Hallo Fabian, du siehst ja grauenhaft aus.“
„Ist Patrick in seinem Büro?“
„Hat er damit zu tun? Ich werde mit Kramer reden, so geht es nicht weiter. Aber ich dachte, ihr hättet euch ein wenig angefreundet?“
„Es hat nicht mit der Arbeit zu tun. Ich muss mit ihm reden.“
„Das tut mir Leid, aber er ist noch nicht aufgetaucht. Wir erreichen ihn auch nicht.“
„Monika, bitte lass Kramer aus dem Spiel, es ist nicht so wie du denkst.“
Er drehte sich um und schnappte sich sein Fahrrad. Im Rekordtempo fuhr er zu seinem nächsten Ziel und wurde fündig. Patricks Auto stand, schief eingeparkt, vor dem Haus. Er klingelte an der Tür und bekam keine Reaktion. Die Haustür stand offen und er stürmte die Stufen hinauf und klopfte wild an der Haustür.
„Was machen Sie da?“
Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine ältere Dame in der offenen Haustür. „Ich möchte zu Patrick.“
„Da wünsche ich ihnen viel Glück, er ist heute Nacht stockbesoffen die Treppe raufgestolpert. Ein Lärm war das. Es würde mich wundern, wenn er jetzt schon wach wäre. Dieser Kerl macht nichts als Ärger, aber ich werde mich beim Vermieter beschweren. Er ist untragbar für dieses Haus. Vor ein paar Tagen stand er nackt im Treppenhaus und hat mich unflätig beschimpft. Können Sie sich das vorstellen? Mich hat er beschimpft und ungeniert mit seinem … seinem … Ding vor mir rumgewackelt. Es ist die Höhe! Dieser Mensch hat keinen Anstand, keine Manieren. Er ist ein ungehobelter Mensch.“
Fabian starrte die alte Frau fassungslos an und wünschte ihr einen spontanen Herzinfarkt.
„Äh, Frau …“, er schaute auf ihr Klingelschild, „Frau Mohrbeck, ich habe Sie verstanden, er ist ein unmöglicher Mensch, aber es interessiert mich wirklich gerade überhaupt nicht. Sie haben keine Ahnung, in was für einer Situation er steckt. Ihnen steht kein Urteil zu.“
„Unverschämtheit. Aber richten Sie ihm aus, dass ich den Vermieter informieren werde.“ Sie schloss die Tür hinter sich und Fabian atmete erleichtert aus. ‚Was für ein Besen’, dachte er.
Dann wurde ihm bewusst, dass er wieder Partei für ihn ergriffen hatte, trotz der gemeinen Aktion am Telefon.
Er klopfte weiter an die Tür. „Patrick, mach bitte auf!“ Er bekam keine Reaktion und war ratlos.
Das Verhalten passte einfach nicht. Der Ärger über ‚seine Tini’ wirkte so echt, er brauchte die Nähe, hatte den einseitigen Sex verweigert und das zwei Mal in Folge. Dann all die Dinge über den herzlosen Vater, die Patrick erzählt hatte. Der Mann war offen wie nie zuvor und verströmte soviel Gefühl dabei. Das mit dem ‚Telefonat’ passte einfach nicht zusammen.
Geknickt verließ er das Haus und besorgte sich unterwegs, für eine beträchtliche Summe, ein neues Handy ohne Sim-Lock. Zurück in der eigenen Wohnung fischte er seine Karte aus den Trümmern und räumte die Wohnung auf.
Nach dem Einschalten zeigte sein Telefon auch prompt eine neue Kurznachricht an. Er tat sich schwer den, vor Fehlern strotzenden, Text zu entziffern.
Die Grundaussage war, dass alles anders war, als Fabian denken würde und das Patrick sich schämen würde. Die Nachricht wurde offensichtlich unter großem Alkoholeinfluss geschrieben, denn auch ein T9-Wörterbuch hatte seine Grenzen. Zumindest da hatte die Mohrbeck nicht übertrieben.
Er wählte die Nummer der Firma.
„Kramer und Partner, mein Name ist Monika Herzgold.“
„Monika, hier ist Fabian. Patrick hat sich wohl den Magen verdorben und kommt kaum aus dem Bad. Ich war eben bei ihm und besorge etwas aus der Apotheke.“
„Verstehe. Danke für den Anruf, Herr Kramer ist ziemlich sauer gewesen. Ich werde es ihm gleich mitteilen. Richte ihm bitte gute Besserung aus.“
„Mache ich, danke. Bis morgen.“
Er schwang sich ein weiteres Mal auf das Rad und fuhr zurück zu Patricks Wohnung. Er stürmte durch die offene Haustür und hielt atemlos den Finger auf den Klingelknopf. Nach ungefähr zehn Minuten hörte er etwas aus dem Inneren, irgendwas fiel mit einem Klirren um und schlurfende Schritte näherten sich der Tür. Der Türspion verdunkelte sich kurz und die Tür ging auf.
Fabian wich erschrocken zurück und Übelkeit stieg in ihm auf. Patrick blickte ihm aus glasigen Augen entgegen und stank wie eine ganze Kneipe. Das weiße T-Shirt war von Erbrochenem ganz fleckig und er hielt eine halbvolle Flasche in der Hand, seinen geliebten Single-Malt. Der Student riss sich zusammen und schob ihn in die Wohnung zurück. Hier sah es auch nicht besser aus. Auf dem Couchtisch standen zwei leere Whiskeyflaschen und eine weitere war gegen den Sessel gerollt. Überall fand er Pfützen aus Magensaft. Der Gestank war widerlich.
„Was ist nur mit dir passiert?“
Patrick versuchte ihn anzusehen, verlor aber ständig den Blickkontakt. „Prost, auf den tollen Abend!“ Er versuchte die Flasche an den Mund zu setzen, verfehlte aber. Fabian riss ihm den Alkohol aus der Hand.
„Willst du dich totsaufen? Man, lass das Zeug weg!“
„Gibs her!“ Patrick taumelte schwankend nach vorne, verfehlte aber die Flasche. Dann sank er vor Fabian auf die Knie und heulte hemmungslos. Er fiel mit dem Kopf nach vorne und umklammerte den Studenten am Oberschenkel, welcher sich absolut hilflos fühlte.
„Erzählst du mir was passiert ist?“
„Ich bin erbärmlich. Sie hat mich erpresst und ich hab mit dir…“, er kicherte zwischen zwei Schluchzern, „mit ihr geschlafen. Ich hab aber dabei an dich gedacht. Geh, lass mich allein, ich bin Dreck.“
Fabian streichelte ihm sanft über den Kopf. „Das bist du nicht und ich lass dich jetzt garantiert nicht alleine.“ Beherzt zog er den Betrunkenen hoch und stütze ihn auf dem Weg ins Badezimmer. Patrick stolperte immer wieder und er hatte alle Mühe ihn aufrecht zu halten. Im Bad streifte er ihm, ohne jede Gegenwehr, die versifften Klamotten ab, ließ in vorsichtig zu Boden gleiten und stellte das Wasser in der Wanne auf eine angenehme Temperatur ein.
„Hey, nicht einschlafen, dass kannst du gleich machen. Hast du irgendwo Aspirin?“
Patrick deutete auf den Spiegelschrank und kicherte wieder. „Ich hab ja nix an.“
„Du gehst gleich in die Wanne.“ Er griff nach der Tablettenschachtel und flitzte in die Küche. Kurz darauf kehrte er mit einem Glas Wasser zurück, in dem sich zwei der Tabletten auflösten. „Hier, trink das.“
Nach einem schnellen Bad wickelte Fabian seinen ‚Patienten’ in ein frisches Handtuch und führte ihn, an den ekelhaften Pfützen vorbei, ins Schlafzimmer. Patrick schlief sofort ein und der Student kümmerte sich schnell die kleinen Unfälle in der Wohnung. Vorsichtshalber schloss er die Wohnungstür ab und ließ den Schlüssel, leicht schräg gestellt, im Schloss stecken. Dann ging er zurück zum Bett und legte sich vorsichtig daneben, damit er schneller reagieren konnte, für den Fall der Fälle.
Doch die furchtbare Nacht forderte ihren Tribut und Fabian schlief ebenfalls ein.
***
Hinter meinen Schläfen pochte es heftig und ich spürte einen starken Druck auf meiner Brust. Ich erinnerte mich nur noch an den Besuch in der Kneipe, nach dem Desaster bei Tini. Ich hatte aber keine Ahnung, wann oder wie ich da wieder raus gekommen war.
Vorsichtig öffnete ich meine Augen und konnte nur verschwommen sehen. Bilder von Fabian blitzen in einer nicht greifbaren Geschwindigkeit durch meinen Kopf. Plötzlich verschwand der Druck auf der Brust und wanderte zum Bauch. Mein Blick gewann langsam an Klarheit und ich erspähte einen Arm, der quer über mir lag. Einen Männerarm und ich war, bis auf ein Handtuch, nackt.
Mit großer Anstrengung drehte ich meinen Kopf zur Seite und Fabians Gesicht schälte sich aus den schemenhaften Blickfetzen. Innerlich atmete ich auf, denn für einen Moment war ich unsicher, ob ich in der Kneipe nicht einen Fehler gemacht hatte. Hinter dem Schlafenden sah ich den Wecker und zuckte erschrocken zusammen. Die Ziffern wechselten gerade von 19:59 auf 20 Uhr. Ich versuchte mich aufzurichten, aber der Kopfschmerz zog mich zurück auf das Kissen.
„Wie geht es dir?“ Ich hörte seine verschlafene Stimme wie durch Watte.
„Frag nicht…“ Das Sprechen fiel mir schwer, der Hals war völlig ausgetrocknet.
„Ich hab dich in der Firma krank gemeldet. Magen verdorben“, nuschelte er.
„Danke.“ Plötzlich erinnerte ich mich an den Vorabend und rückte, trotz der Schmerzen, von ihm weg.
„Warum tust du das alles? Ich habe gestern mit ihr geschlafen und … das Telefon…“ Er legte seine Fingerspitzen auf meinen Mund.
„Ich weiß. Gestern hab ich dich dafür gehasst, aber irgendwo hab ich es auch nicht geglaubt. Du hast mir vorhin, im Vollrausch, alles erzählt und ich glaube nicht, dass du zur Lüge fähig warst.“
„Alles? Was denn alles?“
„Sie hat dich erpresst, vermutlich mit deinem Vater. Und du sagtest … du hättest an mich gedacht.“
Ein paar vereinzelte Tränen liefen über sein Gesicht und ich bemerkte sie, als sich die salzige Flüssigkeit einen Weg über meinen Arm suchte.
„Ich hab gedacht, dass dein ‚ich liebe dich’ für sie bestimmt war.“
„Nein. Schon lange nicht mehr.“
Die nächste Frage konnte ich schon erahnen.
„Heißt das, du liebst mich?“
Die Antwort auf diese Frage hingegen war deutlich schwieriger. Bevor ich jedoch darauf eingehen konnte stand Fabian auf und kam mit einer Flasche Wasser zurück, die er mir wortlos in die Hand drückte. Ich leerte sie in einem Zug.
„Komm bitte wieder ins Bett.“ Ich wartete einen Moment, bis er seinen Körper wieder an mich schmiegte.
„Ich weiß es nicht, Fabian. Es ist nicht so einfach. Okay, ja, ich habe dabei an dich gedacht, an deine vorsichtige und zärtliche Art. An die warmherzigen Blicke, die du mir, trotz meines Verhaltens schenkst. Ich … mag dich wirklich sehr und weiß nicht, warum sich plötzlich alles verändert hat. Aber die Frage ist eigentlich eher: warum tu ich das? Ist es deinetwegen, oder einfach nur weil du gut zu mir bist.“
„Das macht für mich keinen Unterschied“, warf er ein.
„Aber für mich. Du hast es verdient, dass es deinetwegen ist. Ich kann mir nur schwer vorstellen dich so zu berühren, wie du es bei mir tust. Und dann… ist da noch Tini. Sie hat mich in der Hand und Abende wie gestern werden sich vermutlich wiederholen.“
„Und du willst dich lieber über Jahre hinweg danach halb tot saufen? Es steht alles auf dem Spiel. Nicht nur dein eigenes Glück. Auch die Arbeit. Wie willst du so was auf Dauer erklären? Irgendwann wachst du auf und hast Nichts. Du wirst alles verlieren.“
Er hatte Recht, darüber konnte ich bisher noch nicht nachdenken. Einen Punkt hatte er jedoch ausgelassen.
„Und was ist mit dir? Wie würdest du damit zurechtkommen?“
„Ich hab mich an die Rolle der zweiten oder dritten Geige gewöhnt.“
„Genau das meinte ich, du hast mehr verdient. Es wäre besser, wir würden etwas Abstand zwischen uns bringen. Ich will nicht dein Leben auch noch ruinieren.“
„Du bist ein feiger Wichser, weißt du das? Du wirfst lieber dein Leben und deine Zukunft weg, nur damit dein Vater nicht erfährt, dass du Gefühle hast und es genießt, wenn ich in deinem Arm liege? Aus Angst davor, was er dann über dich denkt? Angst davor, was er mit dir anstellt? Als ob du dich nicht wehren könntest, sieh dich doch an!“ Eine Mischung aus Wut und Trauer lag in seiner Stimme. „Du hast keine Ahnung was man verlieren kann, aus einer falschen Angst heraus. Angst vor Klarheit.“
Mir fiel darauf keine Antwort ein und Fabian erzählte mir die Geschichte von ihm und Thomas. Er tat sich schwer damit und ich zog ihn dicht zu mir, wofür er mir ein dankbares Lächeln schenkte. Als er fertig war, da wurde ich unsicher.
„Du liebst mich also, weil ich ihm so ähnlich sehe?“
„Ja. Nein, anfänglich mit Sicherheit, aber ich hab schnell gemerkt, dass du nicht Tommy bist. Bisher wart ihr wie Tag und Nacht. Doch du bist so voll von Widersprüchen und ich habe gehofft, dass ich irgendwann zu deinem wahren Ich durchkommen würde. Weißt du, wir haben nur begrenzte Chancen wirklich glücklich zu werden und man darf sie nicht einfach verstreichen lassen.“
„Und du verschwendest deine Chancen an mir.“
Sein liebevolles Lächeln jagte mir eine Gänsehaut über den gesamten Körper.
„Das sehe ich nicht so. Sieh uns an, wir erzählen uns gegenseitig Dinge, über die wir sonst schweigen. Du lässt mich an dich heran. Und so was machst du nicht leichtfertig.“
Ich konnte ihm nicht widersprechen und drehte den Kopf so, dass ich ihm in die Augen schauen konnte. Seine Lippen lagen nur wenige Zentimeter von meinen entfernt und ich zauberte spontan einen leichten Kuss darauf. Es fühlte sich ganz gut an und seine Zähne blitzten auf, als sich seine Mundwinkel nach oben zogen.
Er legte die Finger auf mein Gesicht und streichelte mich sanft in den Schlaf, einen viel besseren Schlaf.
***
Der Wecker holte mich aus einer erholsamen und albtraumlosen Nachtruhe. Ein warmer Luftzug strich regelmäßig über meine Brust, er hatte sich halb auf mich gelegt und der Kopf ruhte unterhalb meines Kinns.
„Hey, wir müssen aufstehen“, flüsterte ich leise und rüttelte vorsichtig an seiner Schulter.
„Nur noch fünf Minuten, Mama.“
Ich lachte. „Die bin ich garantiert nicht.“
Er schoss senkrecht in die Höhe, als er merkte, wo er war, und wie er auf mir lag.
„Tut mir Leid, ich hab das nicht mit Absicht gemacht!“
„Hey, keine Angst, Kleiner. Es war … nicht unangenehm“, grinste ich ihn an.
Seine Hand klatschte leicht auf meine Brust. „Blödmann“, antwortete er, mit einem leicht tadelnden Unterton. Sein Gesicht wurde aber sofort wieder ernster. „Wie geht es jetzt weiter?“
„Erstmal aufstehen, Frühstück, Kaffee und dann fahr ich dich heim. Mit den Klamotten kannst du nicht zur Arbeit. Über alles andere kümmern wir uns später. Du hast aber Recht, es muss sich einiges ändern.“
Er nickte zustimmend und dann machten wir uns fertig. Mit einem Schmunzeln registrierte ich meine verrammelte Wohnungstür, er hatte wirklich an alles gedacht. Das Müsli brachte meine Energie zurück und bald schon wartete ich vor seinem Haus, wo er sich blitzschnell umzog. Ich war ihm unglaublich dankbar für alles, dass er sogar die Spuren meines Alkoholgenusses beseitigt hatte. Es musste viel Überwindung gekostet haben. Aber er blieb bei mir, war für mich da, trotz dieses absoluten Tiefpunktes. Tini wäre vermutlich nach Hause verschwunden, hätte mich irgendwann geweckt und zur Sau gemacht. Dann hätte sie mir einen Wischlappen in die Hand gedrückt und mich zum Großputz gezwungen.
Meine Meinung über den Studenten hatte sich gründlich geändert. Er war nicht unmännlich, eher im Gegenteil. Und ich hatte kein Recht, ihn für meine Zwecke zu benutzen. Innerhalb weniger Tage war mein Weltbild aus den Fugen geraten und ich hatte absolut keine Erklärung dafür, warum sich meine Einstellung ihm gegenüber verändert hatte. Ich hatte ihn schon so oft verletzt gesehen und es interessierte mich nicht, bis zu meinem ersten Besuch bei ihm. Es war, als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte.
Fabian kam aus der Haustür gestürmt und wäre beinahe noch über die Stufen gestolpert.
„Sorry, es ging nicht schneller.“
„Nur keine Hektik, wir liegen gut im Plan. Du hättest dir ruhig noch Zeit lassen können, dann säße dein Shirt nicht auf links“, grinste ich ihn an.
„Oh, stimmt.“ Er griff nach dem Saum und hielt inne. „Stört es dich, wenn ich kurz …“
„Jetzt mach hin, wir haben schon mit weniger Bekleidung gekuschelt.“
Er zog sich eilig den Stoff über den Kopf und wendete es. Ich betrachtete die Haut, die sich so weich auf mir angefühlt hatte.
„Warte!“
Er ließ das Shirt sinken und sah mich fragend an. Meine Finger näherten sich der glatten Haut. „Darf ich?“
Fabian nickte schüchtern. Vorsichtig strich ich über seinen seitlichen Brustkorb und spürte die samtigen, fast unsichtbaren Härchen. Er hielt den Atem an und bekam eine Gänsehaut. Verlegen legte er seine Hände in den Schritt.
„Das ist jetzt keine besonders gute Idee.“
Ich zog meine Hand zurück und nickte. „Wahrscheinlich. Aber weißt du was? Es fühlte sich …“
„Nicht unangenehm an?“, schlug er vor.
„Ich dachte eher an ‚gut’.“ Fabian strahlte über das ganze Gesicht und zog sich wieder an. „Es hat mir auch gefallen.“
***
„Morgen ihr zwei. Geht es dir wieder besser?“
„Morgen Moni, danke, ja, ich hatte eine ausgezeichnete Krankenschwester.“ Dabei zeigte ich auf Fabian.
„Es überrascht mich, dass ihr euch plötzlich so gut versteht.“
„Wir machen alle Fehler, manchmal. Aber selbst ich bin lernfähig und er ist ein wertvoller Teil des Teams.“
Wir trennten uns und machten uns an die Arbeit. „Bis nachher, Fabian. Heute Abend reden wir weiter, okay?“
„Gerne, bis später.“
Monika kam kurze Zeit später in mein Büro.
„Er hat ganz schön was für dich übrig.“
„Ich weiß. Vielleicht war genau das mein Problem. Aber wir haben uns ganz gut arrangiert.“
„Ich hoffe es. Du bist nicht weit von einer Beschwerde beim Betriebsrat entfernt. Also bitte, reiß dich weiter zusammen. Und das hast du nicht von mir.“
„Moni, es ist wirklich vorbei. Ich mag ihn und bin für seine Hilfe gestern dankbar. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.“ Mir war gar nicht bewusst, was mein Verhalten alles ausgelöst hatte. Meine Zukunft stand definitiv an einer steilen Klippe.
„Das hoffe ich.“ Ihr tragbares Telefon klingelte. „Ich muss wieder, bis später.“
Den Rest des Vormittags verbrachte ich mit der Durchsicht von einigen Präsentationen und nahm, wenn nötig, ein paar Korrekturen vor. Unsere Druckerei meldete einen Maschinendefekt, aber sie würden es fast pünktlich schaffen. Verzögerungen waren bei uns mit eingeplant, von daher gab es deswegen kein Problem.
Mein Handy machte sich bemerkbar, der Akku war fast leer. Mir fiel ein, dass ich es seit dem Abend bei Tini nicht mehr in der Hand hatte. Dementsprechend sah es auch auf dem Display aus. Diverse Nachrichten von der Firma, Jochen und Christine.
„Oh verdammt“, entfuhr es mir. Flugs erschien ihre Nummer im Firmentelefon. Ich atmete einmal kräftig durch und drückte den Wählknopf.
„Höchste Eisenbahn, Herr Reder. Ich dachte schon, du würdest deine Prioritäten vernachlässigen.“ Ich hatte ein Monster aus ihr gemacht.
„Meine Priorität ist momentan die Arbeit, ich hab mir in letzter Zeit zuviel negatives geleistet.“
„Dein Job ist mir total egal. Du bist mir was schuldig.“
Ich blendete alle Emotionen aus und blieb kalt. „Schön. Aber ohne Arbeit hab ich nur sehr wenig Geld. Kennst du jemanden, der dir sonst noch Unterhalt für das Kind zahlen würde?“
Sie überlegte kurz. „Vielleicht dein Vater?“
„Du bist ihm scheißegal. Erzähl es ihm und er wird mit Freude versuchen mich fertig zu machen, aber du bist für ihn weniger Wert als der Dreck unter seinen Schuhen. Er gibt dir höchstens Geld für eine Abtreibung. Weißt du, er will diesen Enkel nicht. Und er ist weder dir, noch mir gegenüber verpflichtet.“
Tini antwortete nicht darauf.
„Übrigens, ich weiß nicht, was du mit dem Telefon bezweckt hast, aber es ging schief. Fabian und ich haben uns darüber unterhalten.“
„Seit wann hast du eigentlich Eier in der Hose?“ Eine berechtigte Frage, fand ich.
„Prioritäten. Wenigstens damit hattest du Recht.“
„Prioritäten also. Was läuft zwischen dir und der Schwuchtel?“
„Nichts. Ich bin nicht … schwul. Aber er ist einer der nettesten Menschen, die ich kenne. Und er erpresst mich auch nicht zum Sex.“ Warum hatte ich gezögert?
„Das kannst du mir nachher beweisen, dass du nicht schwul bist.“
„Nein, Christine. Geh zu meinem Vater. Er wird dich wahrscheinlich nur für eine rachsüchtige Zicke halten, aber es ist vorbei, du hast mich das letzte Mal gedemütigt.“
„Dafür wirst du bluten, ich press dich bis auf den letzten Cent aus!“
„Nur zu, im Ausbluten hab ich Übung. Und mach dir keine Sorgen, das Kind bekommt was ihm zusteht.“ Ich beendete das Gespräch mit gewaltigem Herzklopfen und konnte meine Worte kaum glauben. Fabian musste davon erfahren und ich ging in die Küche, um uns mit Kaffee zu versorgen.
Zu meiner Überraschung waren Jochen und er auch da.
„Man Patrick, geht es dir wieder gut? Ich hab gestern zigmal versucht dich zu erreichen.“
„Alles in Butter. Ich war in guten Händen.“
„Hast du dich etwa mit Tini versöhnt?“ Sein überraschter Gesichtsausdruck sollte sich bald noch verstärken.
„Ich sagte ‚in guten Händen’. Darf ich dir einen talentierten Pfleger und künftigen Informatiker vorstellen?“ Meine Hand deutete auf Fabian, welcher leicht errötete.
Jochens Tasse glitt ihm aus der Hand und das glasierte Tongefäß zersplitterte am Boden.
„Ha-hast du Fieber?“
Ich lachte. „Nein, mir geht es gut. Fabian, ich wollte eigentlich auch zu dir. Es ist aus, Tini ist Geschichte.“
Der Kleine umarmte mich zaghaft und ich spürte kurz seine Wange an meiner. „Oh man, ich freu mich für dich.“
Jochen hockte am Boden, fegte die Scherben zusammen und starrte uns fassungslos an.
„Was guckst du so? Du hast doch selber immer darauf gepocht, dass ich ihn besser behandeln soll. Ein schwuler Freund ist überhaupt nicht so übel.“ Im Gegensatz zu meinen Worten, wie mir Fabians angespannte Körperhaltung verriet, bevor er sich von mir löste.
„Sorry, ich hab’s nicht so gemeint. Jetzt guck nicht so, du kennst mich doch.“
Jochens Augen schienen aus den Höhlen fallen zu wollen.
„Äh, du hast Tini wirklich verlassen?“ Mein Kollege wollte von der für ihn merkwürdigen Situation ablenken.
„Ja. Auch wenn sie schwanger ist, den Entschluss hatte ich schon länger gefasst. Aber es sind einige Dinge passiert, die mir in Bezug auf sie die Augen geöffnet haben. Und Fabian war nicht ganz unbeteiligt. Er war da, als ich ganz unten war. Ein echter Freund. Also, trotz meines fiesen Verhaltens.“
„Ich erkenne dich ja gar nicht wieder.“
„Vermisst du den alten Patrick etwa?“
„Nicht direkt… okay, ich muss das jetzt erstmal verarbeiten. Sag mal, seid ihr beiden jetzt…“
„Nein“, kam es zeitgleich von Fabian und mir.
„Ja, dann mach ich mich mal wieder ans Werk. Wir sehen uns dann spätestens im Studio, oder?“
„Von mir aus geht es klar. Fabi?“
Jochen grinste über die Kurzform und der Angesprochene wurde wieder rot. „Ich würde gerne, aber ich muss heute unbedingt was für die Uni machen. Das kam in den letzten Tagen etwas kurz.“
„Sorry dafür, meine Schuld.“ Ich drückte ihn kurz, betont kumpelhaft.
„Ach quatsch, ich hab es ja gerne gemacht.“
Mein älterer Kollege hatte die Küche kurz nach der Umarmung verlassen. „Wenn du möchtest kannst du auch gerne bei mir lernen. Meine Wohnung ist ja wieder sicher und das mit dem Schlüssel in der Tür… eine einfache und geniale Idee.“
„Wenn du das wirklich willst, gerne. Ich mag deine Wohnung. Nur die Nachbarn… was hast du da eigentlich für einen Besen am Hals? Was die für Stories erzählt. Du hättest mit deinem ‚Ding’ vor ihr rumgewedelt und so was. Jetzt will sie sich bei dem Vermieter beschweren, weil du im Vollrausch so laut warst.“
„Oh Gott, nicht die Mohrbeck wieder. Ich hab wegen ihr schon eine formelle Abmahnung bekommen. Und… die Geschichte stimmt, in einem gewissen Umfang. Es passierte nach einem Streit mit Tini, nachdem du am Freitag verschwunden warst.“
„Ist dir mal aufgefallen, dass alles Negative irgendwie mit ihr zu tun hatte? Zumindest die zwei Dinge mit deiner Nachbarin.“
„Sie war einfach nicht die Richtige für mich und wir hätten schon vor Ewigkeiten die Sache beenden sollen. Es ist ja nicht alles nur ihre Schuld. Du weißt am Besten, wie falsch ich mich verhalten kann.“
Fabian nickte betreten. Die Erinnerungen an mich waren sicherlich nicht die Allerbesten. Dann stahl sich ein spitzbübisches Lächeln in sein Gesicht. „Seitdem wir miteinander reden kommen aber ständig mehr deiner besseren Seiten ans Licht.“
„Ich weiß, danke.“ Ein Teil in mir wollte ihn küssen, aber die falsche Seite behielt die Oberhand und ich klopfte ihm auf die Schulter. „Wir sollten jetzt wirklich wieder arbeiten.“ Ich erntete ein Nicken, von einem mutlosen Seufzer begleitet. Mit jeweils einer frischen Tasse Kaffee gingen wir getrennte Wege.
Der restliche Arbeitstag verging schnell und ohne besondere Ereignisse. Fabian hielt ein wenig Abstand und wir begegneten uns nur wenige Male zufällig auf dem Flur. Ich hätte ihn gerne etwas aufgemuntert, aber seine Reaktionen weckten eine unerklärliche Abwehrhaltung bei mir. Er musste doch verstehen, dass ich in der Öffentlichkeit nicht ganz so ungezwungen sein konnte.
Jochen redete beim Training auch nicht lange um den heißen Brei.
„Was geht da bei euch eigentlich ab? Das heute war wie eine Szene aus einem Paralleluniversum.“
„Es geht gar nichts ab. Ich versuche mich nur mit ihm anzufreunden.“ Meine Antwort kam etwas barscher als beabsichtigt.
„Jetzt bleib doch ruhig. Ich finde es ja auch wirklich nicht schlecht. Aber ich hab mal eine Frage dazu. Ist dir aufgefallen, wie er dich ansieht?“
Ich konnte es mir denken, hielt es aber für klüger, den Unwissenden zu mimen. „Wie denn?“
„Er himmelt dich an. Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist er bis über beide Ohren in dich verschossen. Er muss wohl Masochist sein.“
„Als ob du wüsstest wie er tickt.“
„Du etwa? Ich kenne kaum jemanden, der emotional so kurzsichtig ist wie du.“
„Danke für die Blumen. Du hast allerdings Recht, ich hab in der Zeit mit Tini ziemlich alles runter gefahren. Die Beziehung hat uns beiden nur geschadet.“ Über den Zwischenfall verlor ich allerdings kein Wort. Wäre das mit dem Telefon nicht gewesen, dann hätte auch Fabian nie davon erfahren.
„Gut, den Befreiungseffekt konnte ich heute deutlich beobachten. Aber das eigentliche Problem ist Fabian. Schlimm genug, dass er sich ausgerechnet in dich verliebt, aber diese Form von Nähe zu dir macht es ihm auch nicht einfacher.“
Und wieder traf Jochen ins Schwarze. Es war egoistisch von mir, ihn als Seelentröster zu benutzen, ihn so dicht heran zulassen und ihm trotzdem etwas Wesentliches zu verwehren. „Er ist mir irgendwie schon ans Herz gewachsen.“
„Aber du kannst ihm nicht geben was er von dir möchte. Du bist bisher nur selten den Mittelweg gegangen, immer nur Hopp oder Top, wenn man von Tini mal absieht. Aber Fabian ist nicht Tini, nicht mal im Ansatz weiblich.“
„Und was soll ich machen, ihn links liegen lassen?“ Für einen Moment wollte ich ‚Schluss machen’ sagen.
„Ich werde dir bestimmt nicht sagen was du tun sollst, du bist alt genug. Ich möchte nur, dass du über dein Handeln nachdenkst.“ Er grinste frech. „Du kannst natürlich sein fester Freund werden, dann ist er auch glücklich.“
„Schwachsinn. Lass uns weitermachen, wir sind ja nicht zum labern hergekommen.“ Jochens spaßhafter Vorschlag kam mir längst nicht so falsch vor, wie ich ihm Glauben machen wollte. Er selber bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick. Ehe ich reagieren konnte, schlang er seine Arme um mich und klopfte mir auf den Rücken. Ich schob ihn unwirsch weg.
„Was soll der Mist?“
„Interessant.“ Mehr sagte er nicht.
***
Wie heißt es so schön, was hoch fliegt, muss auch wieder runterkommen. So ging es auch meiner Laune. Daheim kochte ich eine Kleinigkeit und wartete dabei auf Fabian, der eigentlich jeden Moment eintreffen sollte.
Wir setzten uns an den Esstisch und seine anfänglich gute Stimmung verblasste zusehends. Ich konnte einfach nicht mit ihm reden, zuviel ging mir durch den Kopf.
„Möchtest du heute lieber allein sein?“ Der ängstliche Ton riss mich aus den Gedanken und brachte erneut Schuldgefühle hoch.
„Nein, tut mir Leid. Es sind noch so viele Dinge, die ich verarbeiten und einsortieren muss. Wie geht es mit dem Lernen voran?“
„Ich hab heute einiges geschafft. Den Fehltag konnte ich nachholen.“
„Und das nur wegen mir. Kann ich das wieder gutmachen?“
Er druckste verlegen herum. „Naja… ich würde mich einfach gerne an dich kuscheln, wenn du möchtest.“ Das Gespräch mit Jochen kroch durch die Erinnerung und verstärkte die Gewissensbisse ein wenig. Es war wieder nur ein kleines Häppchen, mit dem er sich abspeisen ließ.
„Es ist das Mindeste, was ich tun kann. Gerne. Ich bin sowieso ziemlich erledigt.“
Und so lagen wir bald, nach der abendlichen Hygiene, im Bett. Er schmiegte sich Wärme suchend an mich. „Fabian, ich …“
„Psscht, schon gut. Ich weiß was du sagen willst.“
„Aha?“
„Du machst dir Gedanken, weil ich nicht mehr von dir bekommen kann. Das steht dir eindeutig ins Gesicht geschrieben.“
„Oh“, war meine nicht besonders intelligente Antwort.
Er drehte sich auf die Seite, damit er mich anschauen konnte und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Sein Arm schob sich vorsichtig über mich und blieb quer über dem Bauch liegen. „Ist das noch okay für dich?“
„Du hättest es gemerkt, wenn nicht.“ Die Hitze im Schlafzimmer war zwar an der Grenze zum Unerträglichen, aber seine Körperwärme störte mich nicht. Sein Atem strich kühlend über meine Brust und es kribbelte allmählich zwischen meinen Beinen. Das Ganze blieb natürlich nicht unbemerkt.
„Pat… darf ich mich darum kümmern?“ Seine Stimme war etwas heiserer als vorher. Ich war hin und her gerissen. Einerseits vermisste ich dieses Gefühl der zarten Lippen, aber der Kopf sprach sich dagegen aus. ‚Unfair’, echote es hinter meiner Stirn.
„Ich weiß nicht… bist du dir sicher?“
„Ja, bin ich. Mir fehlt dein Geschmack, du schmeckst sehr gut.“
Der raue Unterton in der Stimme wirkte sehr erregend und so ein ‚Kompliment’ bekam man ja auch nicht häufig. „Okay. Er gehört ganz dir.“
Sein nackter Oberkörper löste sich von meiner Seite und hinterließ ein leeres Gefühl. Die Luft wirkte plötzlich kühl und ich fröstelte ein wenig. Doch dann streiften zwei Hände geschickt meine Shorts ab und eine warme Hand legte sich zart um mein bestes Stück, spielte damit. Ich schloss meine Augen und genoss es einfach. Ich spürte, mit einiger Überraschung, seine Lippen auf meinem Bauch, die sich mit sanften Küssen ihren Weg nach unten suchten. Das hatte er bisher noch nie gemacht. Gut, ich hatte es ihm auch verboten, es überschritt eine bisher unsichtbare Grenze. Aber heute gefiel es mir.
Fabian ließ sich viel Zeit und ich wand mich unter ihm. Zwischendurch schenkte er mir liebevolle Blicke, die ich unbewusst erwiderte. Trotz des wippenden Kopfes strahlte er eine unglaubliche Sinnlichkeit aus und ich ließ es zu, dass er mit einer Hand über meinen Oberkörper streichelte.
Das Kribbeln in den Leisten nahm zu und ich schloss genießerisch die Augen. Die Welle des Höhepunkts schlug über mir zusammen. Als ich die Augen wieder öffnete, da wischte er sich gerade mit dem Handrücken über den Mundwinkel und sah mich entschuldigend an. „Du hattest ganz schön was angestaut, es war ein wenig viel auf einmal.“
Mein Atem beruhigte sich allmählich wieder. „Hör bitte auf dich zu entschuldigen. Es war toll.“
„Danke. Äh, Patrick, ich verschwinde mal eben.“ Der Kleine erhob sich umständlich vom Bett und versuchte seine Erregung vor mir zu verbergen.
„Stopp!“
„Du willst mich jetzt nicht rauswerfen, oder?“ Der Grad an aufkeimender Panik in seinen Augen stieg exponentiell an.
„Nein, wirklich nicht.“ Ich klopfte mit der Hand auf das Bett. „Zieh das Ding aus. Ich werde es schon überleben, wenn du es hier machst.“
„Kein Scherz?“ Seine Erregung nahm sichtbar zu.
„Kein Scherz, Indianerehrenwort.“
Ich rückte ein wenig zur Seite und breitete meinen Arm aus, damit er sich drauflegen konnte. Er streifte sich gedankenschnell den Slip ab, wohl aus Angst, ich würde von meinem Ehrenwort zurücktreten. Sein Körper glühte förmlich und sein Schwanz stach ein beachtliches Stück in die Höhe. Ich zog ihn dicht an mich heran, damit er etwas von meiner Nähe spüren konnte und beobachtete, wie er sich selber zum Höhepunkt brachte. Der Anblick löste widersprüchliche Gefühle in mir aus, ließ mich aber nicht völlig kalt.
Wie ferngesteuert fasste ich um ihn herum und streichelte vorsichtig über seine Seite, ein Stück unter seiner Achsel.
„Oh Gott“, stöhnte er und fing an zu zucken. Mit der Hand fing er sein Sperma auf, welches sich sonst vermutlich über dem ganzen Bett verteilt hätte. Sein entspanntes Gesicht strahlte einen unglaublichen Frieden aus. Sein Kopf fiel auf die Seite und ich spürte das heftige Pochen der Halsschlagader auf meinem Arm. „Kneif mich, bitte.“
„Du träumst nicht.“ Meine Stimme klang sanft.
Ich drehte mich leicht nach hinten, fischte eine Packung Papiertücher aus dem Nachtschrank und reichte sie ihm. Er beseitigte schnell seine Spuren.
„Es war auch besser als ein Traum. Ich hätte nie daran geglaubt.“
„Ich hatte es mir auch schlimmer vorgestellt.“ Ich bereute die Wortwahl sofort. Prompt sanken seine Mundwinkel nach unten und er schloss die Augen.
„Ach Fabian, du weißt wie ich es gemeint habe. Oder?“
„Ich hoffe es.“ Bravo, ich hatte die Stimmung mal wieder gekillt. Es hätte eigentlich nicht mehr schlimmer kommen können, aber ich hätte mich besser kennen sollen.
„Ich wollte auch noch etwas mit dir besprechen. Wegen heute Mittag.“
„Und was möchtest du besprechen?“ Seine Stimme klang völlig neutral.
„Jochen war heute etwas merkwürdig und ich denke er ahnt vielleicht was. Könntest du dich in der Öffentlichkeit ein wenig zurückhalten? Sonst denkt bald jeder, wir hätten was miteinander.“
Fabian richtete sich auf und sein Gesicht verströmte eine Mischung aus Wut und Trauer.
„Ach, denken die das? Und wie nennst du das hier? War das eben ein gnädiger Gefallen von dir, oder was spielst du für ein Spiel mit mir? Tolles Timing. Ich danke dir, dass ich wenigstens mal für einen kleinen Moment glücklich sein durfte.“
„Fabian, bitte…“
„Nein! Nichts für ungut, du hast nur eben den glücklichsten Moment meines Lebens zerstört. Du wirst dich vermutlich nie ändern.“ Die Wut wich einem Schwall Tränen.
„Ich ertrag das nicht mehr. Ich weiß, dass du mehr fühlst, du zeigst es mir in jeder Sekunde und hilfst mir zu schweben. Und dann lässt du mich abstürzen. Es war alles viel einfacher, als du mich nur benutzt und beschimpft hast. Ich wusste woran ich war und hab mich nicht dieser völlig falschen, übersteigerten Hoffnung hingeben müssen.“
Fabian stand auf und sammelte seine Klamotten zusammen. Er war blitzschnell angezogen.
„Was machst du?“
„Ich gehe nach Hause. Dein Spielzeug hat keine Lust mehr.“
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und trottete zur Tür. Ich raffte schnell meine Short und ein Shirt zusammen und rannte hinterher. Er war schon zur Tür hinaus und ich griff nach dem Schlüssel, bevor ich ihm ins Treppenhaus folgte. Auf dem Gehsteig holte ich ihn ein.
„Fabian, es tut mir Leid, wirklich, aber geh nicht!“ Ich griff nach seinem Arm und zog ihn zu mir, doch er befreite sich nach einem kleinen Augenblick.
„Es tut dir jedes Mal Leid. Mir tut es auch Leid.“
Er schloss sein Fahrrad auf und ich starrte ihm noch eine Weile nach, bis das Surren des Dynamos nicht mehr zu hören war. Durch den Tränenschleier bemerkte ich auch nicht das Auto, welches auf der anderen Straßenseite parkte. Ein sehr bekanntes Auto.
Mein erster Weg führte mich zur Hausbar und ich schnappte mir die letzte Flasche Single-Malt. Doch ich trank sie nicht. Stattdessen beobachtete ich die kupferfarbene Flüssigkeit, wie sie durch den Abfluss verschwand. Die Trinkerei hatte mir noch nie Glück gebracht. Außerdem erinnerte es mich an meinen Vater. Ich wollte einfach die Nacht abwarten und mich morgen bei Fabian entschuldigen.
Er hatte Recht, ich empfand deutlich mehr als ich mir eingestehen wollte. Ich liebte ihn und das nicht erst seit gestern. Ein verblödeter, emotional verkrüppelter und gottverdammter Feigling, das alles traf auf mich zu.
***
Die Nacht endete so trostlos wie sie angefangen hatte. Die innere Leere fraß mich auf. Ich wartete bis 9 Uhr und wagte einen Anrufversuch. ‚Teilnehmer vorübergehend nicht erreichbar’, tönte mir die blecherne Frauenstimme entgegen. Ich versuchte es im halbstündigen Rhythmus und das Resultat blieb das Gleiche. Gegen 12 Uhr stand ich vor seinem Haus und lief langsam auf die Tür zu. Eine unbekannte Frau machte sich an seinem Briefkasten zu schaffen.
„Was tun Sie da?“
Sie drehte sich um. „Herr Westerkamp hat mich gebeten, in seiner Abwesenheit nach der Post zu gucken. Und wer sind Sie?“
„Fabian ist nicht da?“
„Er ist heute Morgen abgereist, zu seinen Eltern. Für ein paar Tage ans Meer.“
„Oh bitte nicht.“
„Sind Sie Patrick?“
Ich nickte erschrocken.
„Lassen Sie ihn in Ruhe.“ Sie schloss den Briefkasten und verschwand im Haus.
„Okay, das hab ich wohl verdient“, murmelte ich zu mir selbst. Die nächsten Stunden lenkte ich mich allein im Studio ab. Jochen verbrachte den Abend lieber mit seiner Frau. Als ich mich vor Müdigkeit kaum noch rühren konnte, lenkte ich den Wagen, nach einer kurzen Dusche, übervorsichtig nach Hause. Ich schaffte es nur noch bis auf mein Sofa, bevor der Erschöpfungsschlaf gnädig zuschlug.
Zerschlagen traf auch das Gefühl beim aufwachen. Aber ein Muskelkater war deutlich besser als ein Alkoholkater. Den restlichen Sonntagvormittag verbrachte ich mit nachdenken. Ich legte mir Worte zurecht, mit denen ich Fabian von meinen Gefühlen überzeugen konnte. Hoffentlich.
Die Ruhe wurde, kurz nach Mittag, durch die Schelle gestört. Dann klopfte es an der Tür. Fabian?
Ich sprintete zur Tür und riss sie auf, der Schock war unbeschreiblich. Ich sah einen langen Mantel, der einen edlen Anzug bedeckte. Faltige Hände stützten sich auf einen massiven Spazierstock. Mein Vater.
„Was machst du denn hier?“
Er reichte mir wortlos einen braunen Umschlag. Ich öffnete die Lasche und zog den Ausdruck eines Digitalphotos hervor. Der Zeitstempel passte zum Freitagabend. Es zeigte mich, spärlich bekleidet, wie ich Fabian im Arm hielt, kurz bevor er sich losriss. Um seinen Kopf hatte jemand einen roten Kreis gezeichnet und eine Linie verband den Kreis mit einem Wort: ‚Schwuchtel’. Ich sank kraftlos auf die Knie.
Die Stimme meines Vaters drang zu mir wie durch Watte. „Du kümmerst dich also um das Problem. Du bist noch jämmerlicher als dieser Perverse.“
„Er ist nicht pervers. Er ist einer der anständigsten Menschen die ich kenne.“
„Du sollst mir nicht widersprechen!“
Dieser Satz löste eine Welle von Erinnerungen aus. Widerworte sind Schmerz. Wie oft hatte er mich verprügelt, wenn ich ihm widersprach. Und es war ihm egal womit. Mal war es die Reitgerte, ein Stück Holz und alles, was in greifbarer Nähe lag. Wie damals riss ich auch nun die Arme schützend nach oben, keine Sekunde zu spät.
Ich hörte das Zischen der Gehhilfe, wie sie durch die Luft schnitt und meinen Arm traf. Der gespannte Trizeps fing die größte Wucht des hölzernen Schaftes ab. Es brannte höllisch und der Impuls ließ mich mit dem Kopf gegen die Wand stolpern. Ich stieß mich ab und im nächsten Moment steckte die metallische Spitze des Stockes in der Wand, genau da, wo kurz zuvor noch mein Kopf war. Mein Vater zerrte mit beiden Händen am Griff, bekam seine ‚Waffe’ aber nicht sofort frei. Mit aller verfügbaren Kraft schnellte ich aus der Hocke vor und mein Schädel knallte gegen sein Kinn. Der Schmerz explodierte förmlich und breitete sich wellenförmig aus. Doch der alte Herr fiel wie ein nasser Sack zu Boden.
Ich konnte noch die Mohrbeck sehen, wie sie starr in ihrer Tür stand.
„Bitte … nicht beim … Vermieter…“ Ich verlor das Bewusstsein.
***
Fabian hatte, trotz der langen Zugfahrt, in der folgenden Nacht kein Auge zubekommen und sich bis in den frühen Morgen mit seinen Eltern unterhalten. Sie wussten mittlerweile alles und waren fassungslos. Sie verstanden aber auch, dass Patrick nicht ganz der Unmensch war, den sie in ihm sehen wollten, hatten Mitleid mit seiner harten Kindheit.
„Ihr habt Recht, ich kann da nicht mehr bleiben. Seine Nähe bringt mich um und ich habe keine Kraft mehr zu warten. Ich hoffe schon so lange darauf, das er sich seine Gefühle endlich eingesteht.“
„Dein Zimmer steht immer noch frei, aber wir können auch schauen, ob wir Dir eine Wohnung in der Nähe finanzieren können, bis Du das Studium abgeschlossen hast.“ Viel mehr fiel seinem Vater dazu nicht ein.
Fabian schluchzte leise, nickte aber zustimmend.
„Schatz, wir helfen Dir, was auch immer passiert. Und Du wirst hier sicher einen netten Jungen finden, der Dir auch etwas zurückgibt. Dieser Patrick ist ein Idiot, wenn er Dich nicht zu schätzen weiß. Er hat Dich nicht verdient.“ Seine Mutter küsste ihn sanft auf die Wange und Fabian klammerte sich an ihr fest. Doch ans Verlieben wollte er im Moment absolut nicht denken.
„Gut, ich fahre morgen zurück, kündige bei Kramer und lasse mich exmatrikulieren. Dann bin ich bald wieder hier.“ Ein neuer Schwall Tränen floss über seine Wangen. Er bedauerte seinen ‚Fast-Freund’, das dieser keinen Rückhalt bei der Familie hatte. Er würde es deutlich schwerer haben.
‚Du darfst dich nicht um ihn sorgen, sonst geht es dir nie besser’, rief er sich still zur Ordnung.
Nach ein paar wenigen Stunden Schlaf entführten ihn seine Eltern an den Strand, den er wirklich sehr vermisst hatte und vergaß im warmen Sonnenlicht für ein paar Stunden den schweren Weg, der nun vor ihm lag.
***
Leise Stimmen drangen an mein Ohr. „Ich sage es ihnen doch, dieser ‚Herr’ wollte den jungen Mann umbringen.“ Das war die Mohrbeck.
Zwei schlanke Finger zogen meine Augenlieder nach oben und eine Stiftlampe blendete mich. „Okay, die Augen reagieren normal. Ansonsten haben wir noch einen starken Bluterguss am linken Oberarm, eine saftige Prellung. Wir sollten es aber noch röntgen.“
Ich blinzelte.
„Er kommt zu sich.“
Eine männliche Stimme meldete sich und ein Uniformierter schob sich in mein Blickfeld.
„Wie ist ihr Name?“
„Patrick Reder.“
„Sehr gut. Erinnern sie sich noch an etwas?“
„An alles. Mein Vater wollte mich umbringen.“
Der Polizist hielt mir das Bild vor die Nase. „Der Umschlag war an ihn adressiert. Hat der Vorfall etwas damit zu tun?“
„Ja. Ich glaube… ich bin schwul.“
Der Polizist wandte sich einem Kollegen zu. „Bringt ihn ins Krankenhaus, aber es bleibt jemand in der Nähe. Ich will ihn vernehmen, sobald er aufgewacht ist. Frau Mohrbeck, danke, dass Sie uns gerufen haben. Wir melden uns, falls noch Fragen auftauchen sollten.“ Er nahm das Bild wieder an sich. „Sollen wir Ihren Freund informieren?“
„Er ist nicht mein Freund, das hab ich gründlich versaut.“
„Tut mir Leid für Sie. Haben Sie eine Idee, wer dieses Foto gemacht haben könnte?“
„Meine Ex, möglicherweise. Wir haben uns vor kurzem getrennt. Sie ist schwanger und hat es nicht besonders gut aufgenommen.“ Ich nannte ihm Tinis Adresse und erzählte haarklein, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Die Mohrbeck stand noch in der Tür und hörte gebannt zu.
„Ich hatte ja keine Ahnung. Oh mein Gott, was sind das nur für Menschen.“
„Frau Mohrbeck, bitte gehen Sie in ihre Wohnung zurück. Und jetzt Abtransport.“
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich auf einer Trage lag und die Sanitäter trugen mich zum Rettungswagen. Die Notärztin stieg in ihr eigenes Dienstfahrzeug.
Die Röntgenbilder von Kopf und Oberarm waren unauffällig. Ich hatte wirklich nur eine extrem schmerzhafte Prellung und eine ungefährliche Beule am Kopf. Es bestand jedoch der Verdacht auf eine Gehirnerschütterung und ich musste die Nacht zur Beobachtung bleiben.
Am nächsten Morgen, nach einer weiteren Befragung durch die Polizei, wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen und bekam eine einfache Schlinge für den Arm, damit ich ihn ruhig halten konnte. Einen Krankenschein wollte ich nicht. Mein Vater hatte ohne zögern gestanden. Er wollte den missratenen Schandfleck seiner Familie beseitigen.
Des Weiteren wurde ein Durchsuchungsbefehl ausgestellt und Tinis Wohnung wurde gründlich untersucht. Sie hatte das Bild auf der Festplatte und wurde ebenfalls verhaftet. Zwei Probleme weniger, aber das letzte Problem war das schwierigste von allen.
Gegen Mittag traf ich in der Firma ein. Kramer und Monika stürmten auf mich zu.
„Wir haben es schon gehört, geht es Ihnen gut?“ Kramer wirkte besorgt.
„Es ist nur eine Prellung. Mein Vater ist in U-Haft, mit etwas Glück sehe ich ihn nie wieder.“ Nach einem kurzen Zögern ergänzte ich „Dafür habe ich den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren.“
Ohne weitere Kommentare drehte ich ihnen den Rücken zu und verschwand in meinem Büro. Ich versuchte mich auf die Emails zu konzentrieren, aber es gelang mir nicht. Irgendwann ging ich ihn die Küche und besorgte mir einen Kaffee.
Vor der Tür hörte ich plötzlich Fabians Stimme, zusammen mit Kramers.
„Ich hab es mir wirklich überlegt, Herr Kramer. Es ist das Beste und mir fehlt die Heimat.“
„Ich lasse Sie nur ungern gehen, Herr Westerkamp. Aber gut, ich nehme Ihre Kündigung an.“
Kündigung? Heimat?
„NEIN!“ Ich sprintete in den Flur.
„Fabian, bitte tu das nicht!“
Er sah mir nicht einmal mehr in die Augen.
„Es ist das Beste für uns alle. Ich kann nicht mehr.“
Kramer blickte irritiert zwischen uns hin und her.
„Fabian, bitte, denk noch mal drüber nach.“
„Das habe ich“, antwortete er mit einem unterdrückten Schluchzen. „Machs gut, Patrick.“ Er drehte sich um und lief in Richtung Ausgang
Ich sammelte allen Mut zusammen und legte alles an Kraft in die Stimme. „Fabian, ich bin schwul und, verdammt noch mal, ich liebe Dich!“ Mein Aufschrei war im ganzen Haus zu hören. Er blieb tatsächlich stehen.
„Es steht nichts mehr zwischen uns. Mein Vater sitzt im Gefängnis. Er wollte mich deinetwegen umbringen. Lass mich bitte nicht allein, ich brauche dich mehr denn je. Bitte, ich meine es ernst. Du fehlst mir.“
„Für wie lange denn? Du gibst mir immer wieder neue Hoffnung und nimmst sie mir wieder. Das übersteigt meine Kraft.“
Mit zittrigen Schritten lief ich zu ihm und drehte ihn an der Schulter herum. Sein tränenverschmierter Anblick brach mir fast das Herz. „Ich beweise es Dir“, flüsterte ich und legte meine Lippen auf seine. Mein Arm rutschte aus der Schlinge und ich umklammerte ihn, die Schmerzen ignorierend. Er verlor den Bodenkontakt und schlang nun seinerseits die Arme um mich. Ich presste ihn fest an meinen Körper, während der Kuss immer mehr an Leidenschaft gewann.
Im Hintergrund spielte leise das kleine Radio von Moni, welches einen absolut passenden Song zum Besten gab.
Well, you done done me and you bet I felt it
I tried to be chill but your so hot that I melted
I fell right through the cracks, now I’m tryin to get back
before the cool done run out I’ll be givin it my best test
and nothin’s gonna stop me but divine intervention
I reckon it’s again my turn to win some or learn some
But I won’t hesitate no more,
no more, it cannot wait
I’m yours
Well open up your mind and see like me
open up your plans and damn you’re free
look into your heart and you’ll find love love love love
listen to the music at the moment people dance and sing
Were just one big family
And it’s our godforsaken right to be loved loved loved loved loved
So, i won’t hesitate no more,
no more, it cannot wait i’m sure
there’s no need to complicate, our time is short
this is our fate
I’m yours
(*Musik & Text von Jason Mraz, Elektra Records)
Atemlos stellte ich ihn wieder ab und hielt mir den pochenden Arm. „Glaubst du mir nun?“
Der entrückte Gesichtsausdruck wandelte sich zu einem zaghaften Lächeln. Er nickte.
„Danke für die Chance. Ich werde nie wieder so einen Scheiß machen. Dafür sind deine Küsse zu gut.“
Er grinste mich an. „Ich fand es auch … nicht unangenehm.
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Fabian
„Ich fand es auch … nicht unangenehm“, hörte ich mich sagen. Patrick sah mich erst irritiert an, lachte dann aber.
„Touché, Kleiner.“
Liebevoll sah er mich an und mir wurden die Knie weich. Ein Traum begann sich zu erfüllen.
Patrick hatte mich erneut völlig in seinen Bann geschlagen, nachdem ich schon beinahe aufgegeben hatte.
„Das war also unser erster Kuss…“, flüsterte ich mit einem verträumten Lächeln.
Ungeachtet der Uhrzeit schlenderten wir unter den amüsiert bis irritiert wirkenden Blicken der Kollegen nach draußen.
„Ich glaub das gerade nicht“, lächelte Patrick.
„Frag mich mal. Damit hätte ich bei dir nicht mehr gerechnet. Gehofft ja, aber nicht erwartet.“
„Und du wolltest wirklich verschwinden?“ Schuld und Reue stand in seinen Augen. Ich nickte nur.
„Deshalb hab ich ja bei Kramer gek… Oh Mist!“ Ich riss mich von seiner Hand los und rannte zurück in die Firma.
„Moni, wo ist der Chef?“, fragte ich keuchend.
„Gerade in den Kopierraum gegangen. Und herzlichen Glückwunsch für euch Beide.“
Dankbar lächelte ich sie an und rannte in den besagten Raum. Patrick war dicht hinter mir.
„Herr Kramer, die Kündigung…“ Er unterbrach mich mit einer unwirschen Geste und ließ meinen Umschlag in den Shredder fallen. Dann lächelte er mir zu.
„Welche Kündigung, Herr Westerkamp? Hatten Sie mich nicht nach ein paar freien Tagen für Herrn Reder und Sie selbst gefragt?“
Verdattert starrte ich ihn an und er lachte. „Ich lasse Sie nur ungern gehen, Sie erinnern sich? Und nun kehrt endlich Frieden in diese Firma ein, nachdem sie beide sich ja offensichtlich…“, er machte eine kleine Kunstpause, „offensichtlich vertragen haben.“
Dann wurde er jedoch sehr ernst.
„Sie werden noch genug Schwierigkeiten bekommen, nehme ich an.“
Mit diesen Worten holte er Patrick und mich von unserer Wolke auf den Boden der Tatsachen zurück. In der Firma würde es sicherlich keine Probleme geben, aber es lag noch so viel im Argen. Immerhin war Patrick ein werdender Vater und die Mutter würde uns vermutlich nicht ewig vom Hals gehalten werden.
Und ob Patrick sich wirklich im Klaren darüber war, dass wir nun eine völlig neue Ebene unserer Beziehung zueinander erreicht hatten? Sicher würde er jetzt nicht plötzlich mit allen Einzelheiten meines Körpers zurechtkommen.
Kramer schien meine Gedanken im Ansatz zu erraten und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. „Sie schaffen das schon.“
„Danke, ich hoffe es auch.“
„Herr Reder, Sie dürfen gerne eintreten. Auch für Sie hätte ich noch ein paar ernsthafte Worte.“
Patrick schlich langsam in den Raum und sah aus wie ein geprügelter Hund. Die Euphorie unseres Kusses schien verpufft zu sein und er wirkte unsicher und irgendwie verschlossen, fast schon abweisend. Kramer wandte sich kurz von uns ab und schloss die Tür.
„Herr Kramer?“ Mein Freund – ich ließ dieses Wort in Gedanken wieder und wieder auf der Zunge zergehen – trat dem Chef etwas unsicher gegenüber. Sehr zu meiner Überraschung griff er jedoch nach meiner Hand und hielt sie eisern fest. Kramer registrierte es mit einem wohlwollenden Nicken.
„Herr Reder, um es gleich am Anfang klar zu stellen: ich habe keine Probleme mit Homosexuellen. Für sie gelten dieselben Regeln wie für alle in diesem Haus. Hier wird gearbeitet, und nichts sollte dem entgegenstehen. Und ich bin froh über diese neue Situation, dass der Betriebsfrieden nun nicht mehr gestört wird. Aber wenn sich da etwas bei Ihnen beiden anbahnen sollte, sorgen Sie bitte dafür, dass hier alles seinen geregelten Verlauf nimmt.“
Patrick fühlte sich bei dieser Ansprache nicht besonders wohl. Mir war selber nicht ganz klar, wie nah ihn sein Verhalten an den beruflichen Abgrund geführt hatte.
„Wenn Sie Probleme bekommen sollten, sei es wegen Ihrer Familie oder dieser Schwangerschaft, dann können Sie mit mir darüber reden. Ihnen ist klar, dass wir hier mit freiem Kopf arbeiten müssen, um unsere Kunden zu halten. Und wenn Sie aus privaten Gründen etwas mehr Freizeit benötigen, dann komme ich Ihnen, im Rahmen meiner Möglichkeiten, auch entgegen. Aber machen Sie den Mund auf, verstanden?“
Patrick konnte nur noch nicken. Kramer hatte uns völlig überrascht.
„Gut, meine Herren, ich möchte sie beide bis Montag nicht mehr sehen. Sie haben sicherlich noch einiges zu erledigen. Sollte ich Ihre Hilfe benötigen und davon muss ich leider ausgehen, dann regeln wir das per Email.“
„Einverstanden.“ Patricks Hand glitt aus meiner, er streckte sie Kramer hin, der sofort einschlug. „Danke, Chef.“
Mit einer wegwerfenden Geste deutete der ältere Mann auf die Tür. „Raus jetzt!“
Auf dem Weg zum Auto ergriff er wieder meine Hand. Diesen Halt hatte ich auch bitter nötig, denn meine Eltern mussten auch noch informiert werden. Sie würden mich bestimmt für geisteskrank halten. Mit Feuereifer schmiedeten sie schon Pläne für die nahe Zukunft, um mich aus meinem Elend zurück ins elterliche Nest zu holen.
Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter und glitt an meinem Gesicht aufwärts. „Geht es dir nicht gut?“ Ich schmiegte meine Wange in seine Handfläche.
„Meine Eltern denken, dass ich spätestens übermorgen nach Hause komme. Vermutlich suchen sie schon nach einer kleinen Wohnung in der Nähe.“
„Ich habe wohl denkbar schlechte Karten bei ihnen.“ Seine freie Hand zuckte unschlüssig. Er wollte mich umarmen, schreckte aber davor zurück. Ich nahm ihm die Entscheidung ab und zog sie auf meine Hüfte.
„Sie werden dich zu den Haien ins Meer werfen, ganz bestimmt.“ Nicht gerade begeistert schaute er mich an. Der Scherz war missglückt. „Oder sie geben dir eine zweite Chance, so wie ich.“
Diesmal lachte er auf. „Eine zweite Chance wie du? Es waren dutzende Chancen.“ Seine Stimme wurde wieder etwas ernster, als er meinen Gedanken von vorhin aufnahm. „Und ich hoffe, dass du mir auch weiterhin Chancen gibst. Das ist alles so neu für mich und ich werde bestimmt noch Fehler machen.“ Patrick öffnete die Autotür und ließ mich Platz nehmen, bevor er auf seine Seite ging.
„Was geht dir durch den Kopf, wenn du daran denkst mich anzufassen?“, fragte ich, als wir beide Türen geschlossen hatten.
Ein anzügliches Grinsen huschte ihm über das Gesicht. „Daran denken ist eine Sache. Es tatsächlich zu tun ist etwas anderes. Als wir … als du, ich meine, als wir… bei mir…“, er stotterte und wurde leicht rot, was bei ihm sehr ungewohnt war und irgendwie verdammt süß wirkte. Seine Hand krampfte um das Lenkrad und er atmete tief durch. „Als du neben mir lagst und … es … dir gemacht hast. Ach Fabi, hilf mir bitte.“
Ich guckte ihn mit gespieltem Entsetzen an. „Jetzt? Hier im Auto? Aber da können doch alle zugucken.“
„Du bist doof“, grinste er. „Es hat mir gefallen dich dabei anzusehen.“
„Patrick?“ Natürlich hörte ich das gerne, aber ich wollte auch nicht, dass zwischen uns eine Art Leistungsdruck aufkommt.
„Ja?“
„Bleib einfach locker. Ich bin gerne bei dir und will nicht, dass du dich zu etwas zwingst bevor du bereit bist. Deine Nähe allein bedeutet mir viel.“
Darauf antwortete er nicht, aber sein Lächeln strahlte ein wenig wärmer als vorher. Wir fuhren los und Patrick hing seinen Gedanken nach. In ihm arbeitete es sichtbar.
„Hast du Hunger?“, fragte er unvermittelt und ich nickte.
Patrick
‚Bin ich glücklich?’ Diese Frage beschäftigte mich seit der Abfahrt von der Firma. Im Prinzip war ich es, aber Fabians Verständnis verunsicherte mich wieder aufs Neue. Er steckte zurück und wollte mich meine Fehler machen lassen. Mein eigenes Verhalten beschämte mich. Hatte er nicht was Besseres als mich verdient? Natürlich brauchte ich ihn jetzt, aber es war egoistisch.
Die nähere Zukunft war beängstigend. Ein Kind war unterwegs, mein Kind. Tini würde bald wieder frei sein, sie konnte nicht wissen, was dieses Foto von Fabi und mir auslösen würde.
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich, dass mein Freund sich über den Bauch rieb und einen kurzen Blick auf die Uhr warf. Er hatte mit Sicherheit noch nichts seit seiner Abreise aus der Heimat gegessen.
„Hast du Hunger?“ Er nickte und ich steuerte den nächsten Italiener an. Ich war ganz froh über die Unterbrechung, denn mein Arm schmerzte wieder.
Die Mittagszeit war schon vorbei und so fanden wir auch gleich einen Platz. Meine Gedanken schweiften wieder zu Tini und dem Kind. Natürlich würde ich nicht mehr mit ihr zusammenkommen, damit war es vorbei. Aber sollte ich mich nicht trotzdem um das Kind kümmern?
Zusammen mit Fabian würde es schon klappen und Tini würde irgendwann bestimmt einer vernünftigen Regelung zustimmen.
„Und Sie?“ Eine Stimme mit italienischem Akzent unterbrach mich.
„Äh…“
„Für ihn das Gleiche“, sprang Fabi ein, als ich nach einer halben Minute immer noch wie vom Pferd getreten dasaß und den Kellner anstarrte, der dann genervt in Richtung Küche abzog.
„Geht es dir gut?“ Seine Augen ruhten forschend auf mir.
„Ja, doch. Was hast du eigentlich bestellt?“
„Pizza Peperoni mit doppelt Käse und ein Glas Wasser.“
Die Antwort entlockte mir ein Lächeln. „Sehr gute Wahl. Ich liebe diese Pizza.“
„Ich weiß, dass du sie gerne isst. Du hast sie schon mehrfach in die Firma bestellt.“ Er wusste schon so viel über mich und ich eigentlich nichts über ihn, von Tommi mal abgesehen und dass er liebende Eltern hatte. Diese Erkenntnis war ein weiterer Dämpfer für meine Stimmung.
„Patrick, was beschäftigt dich? Sag jetzt bitte nicht ‚Nichts’. Du musst nicht alles mit dir selber ausmachen.“
„Wo genau kommst du eigentlich her?“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ein Stückchen westlich von Rostock, ungefähr zwanzig Autominuten. Du musst unbedingt mit mir hochfahren. Die Luft dort ist himmlisch und du riechst das Meer bis zu meinen Eltern.“
„Hast du Heimweh?“
„Manchmal“, antwortete er ehrlich. „Aber hier gefällt es mir auch sehr und, viel wichtiger als das, du bist hier.“
„Wie war er?“ Ich kassierte nur einen fragenden Blick. „Thomas, wie war er so?“
„Uff. Was soll ich sagen? Ich war verliebt in ihn. Für mich war er damals perfekt. Ein verdammt guter Freund. Sein Tod hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Mein Lebensmittelpunkt war plötzlich weg.“ Er unterbrach seine Erzählung und räusperte sich. Die Erinnerung bereitete ihm noch immer Schmerzen.
Ich hob beschwichtigend die Hand. „Tut mir leid, du brauchst nicht weiterreden.“
„Schon gut, irgendwann muss ich ja damit klarkommen. Manchmal verwirrt mich eure Ähnlichkeit. Ihr würdet ohne weiteres als Brüder durchgehen.“
Seine Hand zitterte ein wenig. Ich gab mir einen Ruck und griff nach dieser. Diese Art von Liebesbekundung fiel mir noch immer etwas schwer. Fast schon automatisch suchte ich den Blick zur Tür, aus Angst, mein Vater könnte jeden Moment auftauchen. Das war natürlich ausgemachter Blödsinn und auch sonst schenkte uns Niemand besondere Beachtung.
„Aber darüber hast du vorhin nicht nachgedacht, oder?“ Seine Augen schienen bis in mein Herz zu blicken.
„Nicht nur. Ich hab über Tini nachgedacht. Beziehungsweise über mein Kind. Könntest du dir vorstellen, dass wir uns ab und an zusammen darum kümmern?“
„Ich werde dich nicht im Stich lassen“, antwortete er ausweichend. Mit dieser Frage mutete ich ihm eine Menge zu, denn es betraf eine Zeit, mit der er wenig angenehme Erinnerungen verband.
Das Essen sorgte für eine wohltuende Unterbrechung des Gesprächs, welches uns beide ziemlich heruntergezogen hatte. Schweigend aßen wir unsere Pizza. Und auch nachdem wir fertig waren, sagte keiner von uns ein Wort, bis er aufseufzte.
„Patrick, ich brauch noch etwas Zeit bei der Sache. Und die haben wir ja, naturgemäß noch über ein halbes Jahr. Das Kind ist für mich eine lebende Erinnerung an unser erstes halbes Jahr. Und außerdem… sei bitte ehrlich: warst du glücklich mit ihr, bevor du mich getroffen hast?“
„Meistens. Aber mach dir deswegen keine Vorwürfe. Es ist nicht deine Schuld. Oder glaubst du, ich hätte mich gegen meinen Willen mit dir eingelassen? Die Schuld trifft Tini und mich gleichermaßen. Du hast mir lediglich den Ausweg gezeigt. Es ist ja nicht so, dass du dich mir an den Hals geworfen und bedrängt hast.“
„Du hast dich in den letzten Tagen ganz schön verändert“, lächelte er.
„Die Angst dich zu verlieren, hat mir die Augen geöffnet.“
„Ich sollte meine Eltern anrufen. Warte bitte einen Moment“
Fabian ging kurz vor die Tür und ich winkte den Kellner zum Zahlen heran. Der Kleine stand vor der gläsernen Tür und telefonierte, heftig gestikulierend. Seinen Eltern schien die Planänderung nicht zu passen. Ich konnte es verstehen. Um meine Mutter würde ich mich auch noch kümmern müssen. Ohne meinen Vater, der sie zum Essen zwang, würde sie vermutlich nicht lange durchhalten. Es wurde Zeit, dass ich etwas gegen ihre Alkoholsucht unternahm.
Fabian kam bald zurück und wirkte mitgenommen.
„Nicht gut gelaufen?“, fragte ich.
„Nicht besonders. Sie vertrauen dir nicht.“
Das war ja zu erwarten. „Verstehe“, seufzte ich und beschloss den Kleinen aufzumuntern.
„Süßer?“
Er hob den Kopf und sah mich merkwürdig an. „Hast du eben wirklich ‚Süßer’ gesagt?“
Nickend bestätigte ich seine Frage und ein Strahlen trat erneut in seine Augen.
„Ich möchte mit dir zusammen zu meiner Mutter fahren. Sie braucht Hilfe.“
„Im Ernst? Ich soll mitkommen?“ Der ungläubige Gesichtsausdruck war unbezahlbar.
„Ja, natürlich! Du bist ein Teil meines Lebens geworden und das möchte ich ihr zeigen. Allerdings ist es zu bezweifeln, dass sie davon im Moment überhaupt etwas mit bekommt.“
Mein Student sah nun wieder richtig glücklich aus und griff nach meiner Hand. Zusammen verließen wir das Restaurant und gingen zum Auto. Je näher wir meinem Elternhaus kamen, desto angespannter wurde ich. Auch wenn mein Vater nicht dort sein konnte, die Erinnerungen an den letzten Sonntag waren übermächtig. Feucht rann mir der kalte Schweiß über die Stirn.
„Alles okay mit dir?“ Die sorgenvolle Stimme Fabians rettete mich aus den furchteinflößenden Gedanken.
„Geht schon“, antwortete ich gepresst. „Der Sonntag steckt noch in den Knochen.“ Die Todesangst, die ich bei dem Gedanken verspürte, musste ich nicht extra erwähnen. Sein mitleidiger Ausdruck sprach Bände.
Kurz darauf stoppte ich den Wagen neben meinem Elternhaus und warf an Fabian vorbei einen vorsichtigen Blick darauf.,.
„Hier?“ Erstaunt musterte er das villenartige Haus mit dem viktorianischen Bogen über der Tür, der nachträglich angebaut worden war. Mein Vater stand dort jeden Morgen und wartete auf die Zeitung. „Wow, ein schönes Haus.“
„Oberflächlich vielleicht.“ Für mich strahlte es Kälte aus. „Dann lass uns mal rein gehen.“
Fabian folgte mir zur Tür und ich betätigte die Glocke, doch niemand öffnete. Antonia hatte sich nach der Verhaftung wahrscheinlich abgesetzt.
„Komm!“ Ich griff nach der warmen Hand meines Freundes und zog ihn um das Haus herum. Ein kleines Holztor führte in den Garten, der früher sehr gut gepflegt war und nun zusehends verwilderte. Der ehemals makellose Rasen war von Unkraut überwuchert.
Ich hielt geradewegs auf die Kellertreppe zu und hoffte, dass der Schlüssel noch immer in seinem alten Versteck lag. Die alte Wandlampe im Treppengang ließ sich leicht zur Seite kippen und in einem kleinen Loch, welches sich hinter der Lampenblende befand, lag der gesuchte Gegenstand. Das alte Türschloss öffnete sich mit einem rostigen Quietschen.
Wir betraten die kleine Vorkammer, in der wir früher immer die Klamotten für die Gartenarbeit deponiert hatten. Mittlerweile war der Raum, bis auf einen einsamen Besen, leer. Die nächste Tür führte in den Vorratskeller. In den Wandregalen befanden sich dutzende Weinflaschen und auch die Whiskeyflaschen meines Vaters.
Fabian betrachtete die Flaschen eingehend. „Single-Malt?“ Die Erinnerung an meinen alkoholischen Zusammenbruch jagte ihm einen kurzen Schauer über den Rücken.
„Es ist hoffentlich das Einzige, was ich mit ihm gemeinsam habe.“ Ich zögerte einen Moment. „Hatte. Zumindest in dem Ausmaß.“
Wir verließen den muffigen Keller und betraten den eigentlichen Wohnraum. Bis auf das dumpfe Ticken der Standuhr war es still. In der Küche standen benutzte Töpfe auf dem Herd und verströmten einen ranzigen Fettgeruch. Vaters Pfeife lag an seinem Platz im Essbereich, direkt neben der Sonntagszeitung.
Vor meinem geistigen Auge sah ich ihn dort sitzen, ein Glas Whiskey vor sich stehend, den schweren Duft des Tabaks in der Luft, wie er mich mit eisiger Miene musterte. Für einen kurzen Moment wurden mir die Beine weich und Fabian war sofort stützend zur Stelle.
„Hier haben wir letzte Woche noch gesessen, als ich ihm von Tinis Schwangerschaft und … von dir erzählte. Er wollte, dass ich mich um beide Probleme ‚angemessen’ kümmere. Ausgerechnet ihm musste ich davon erzählen… es ist schwer, wenn man niemanden zum Reden hat.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
„Jetzt hast du mich und kannst mir alles erzählen. Schließlich gehörst du nun ebenfalls zu meiner Familie. Auch meine Eltern werden es noch verstehen.“ Er legte seine Hand auf meine Brust und ein warmes Gefühl gab mir neue Kraft.
„Antonia hat sich vom Acker gemacht, wie es scheint. Mutter ist vermutlich oben.“
Wir gingen leise in den Schlafbereich im ersten Stock. Der Weg führte an meinem alten Zimmer vorbei und ich öffnete die Tür.
„Hier drin bin ich aufgewachsen.“
Fabian warf einen Blick in den Raum und schüttelte den Kopf. „Sah das schon immer so aus?“ Die schmucklosen, braunen Eichenmöbel hatte ich schon mein ganzes Leben. Das schmale Bett neben dem massigen Schreibtisch wirkte verloren und die tristen weißen Wände strahlten eine sterile Kälte aus. Bilder und Poster durfte ich damals nicht aufhängen.
„Ja, es sah immer so aus. Wir hatten strenge Regeln und mich sollte nichts ablenken.“
Wortlos schloss ich die Tür und wir schlichen auf die Tür meiner Mutter zu. Die halb geöffneten Vorhänge ließen diffuses Licht durch die dichten Gardinen strömen. Die Fenster waren geschlossen, es roch nach Schweiß und Alkohol. Mutter lag im Bett und schnarchte leise. Der Cognac stand auf dem Nachtschränkchen. Ihr Anblick war erschreckend. Die Haut war fahl und das Gesicht wirkte eingefallen. Wahrscheinlich hatte sie seit einigen Tagen nichts mehr gegessen.
Sie reagierte nicht auf mein Rufen und ließ sich auch nicht wachrütteln. Fabian sah sich aufmerksam um und blieb an einem gerahmten Foto auf dem anderen Nachtschrank stehen. „Dein Vater?“ Er zeigte auf den stocksteifen Mann im Frack, in dessen Arm sich meine Mutter im altmodischen Kleid eingehakt hatte. Das Bild war bereits 30 Jahre alt.
Ich nickte und griff gleichzeitig zum Telefon. Meiner Mutter konnte ich alleine nicht mehr helfen.
Fabian
Patrick hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Das Haus war oberflächlich gesehen schön, aber es hatte keine Ausstrahlung, wenig persönliches. Sein Zimmer fand ich besonders schrecklich. Es vermittelte eine negative, fast schon depressive Atmosphäre. Die schweren Möbel waren erdrückend. Es war nicht weiter verwunderlich, wie er zu diesem schwierigen Menschen wurde und ich war froh ihm das alles verzeihen zu können.
Beim Anblick seiner Mutter stockte mir kurz der Atem. Sie sah furchtbar aus. Und dann entdeckte ich das Bild auf der anderen Bettseite. Die eine Person war eindeutig seine Mutter in jüngeren Jahren. Sie war hübsch, hatte aber keine Ähnlichkeit mit Patrick. Der Mann an ihrer Seite, der mich mit seinem strengen Blick nahezu durchbohrte, aber auch nicht.
„Dein Vater?“ Ich zeigte auf den Kerl mit dem kalten Blick und Patrick nickte nur. Es war mir schleierhaft, wie die Beiden so einen hübschen Sohn zur Welt bringen konnten.
„Guten Tag, Herr Doktor Billmeier, Patrick Reder hier. Bitte kommen Sie zum Haus meiner Eltern. Danke.“ Mein Freund steckte sein Telefon zurück in die Hosentasche.
Er bemerkte meinen fragenden Blick. „Sie braucht fachmännische Hilfe.“ Es lag nicht der Hauch einer Emotion in seiner Stimme.
„Liebst du deine Mutter?“ Eine dümmere Frage fiel mir wohl nicht ein. Der neue Ausdruck in seinem Gesicht jagte mir einen Schauer über den Rücken.
„Lieben? Weil sie nie für mich da war? Weil sie meinen Vater alles mit mir machen ließ? Sie hat mich im Stich gelassen, hat sich in den Alkohol geflüchtet. Sie bekommt professionelle Hilfe, mehr kann ich nicht für sie tun.“
Wie gerne hätte ich ihn nun in den Arm genommen, aber seine ganze Haltung schrie ‚Abstand’.
„Lass uns unten warten.“ Ohne die Frau eines weiteren Blickes zu würdigen, eilte er an mir vorbei zur Treppe.
„Patrick, bitte warte!“ Ich sprintete hinterher und legte ihm die Hand auf die Schulter, die er unwirsch abschüttelte.
„Es tut mir leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe. Die Frage war dumm.“
„Allerdings“, kam es unterkühlt zurück und er lief weiter. Sein Verhalten machte mich sauer.
„Ich hab dir das aber nicht angetan. Und du weißt wie sehr ich dich liebe.“ Diesmal blieb er stehen und wartete, bis ich aufgeholt hatte. Langsam drehte er sich zu mir um und sah mich schuldbewusst an.
„Sorry“, nuschelte er und streichelte mir flüchtig über die Wange. „Sei mir bitte nicht böse. Das Haus weckt immer meine schlimmsten Seiten. Niemand von uns hatte ein inniges Verhältnis zueinander, von meinem Vater und dem Hausmädchen mal abgesehen.“ Eine gehörige Portion Zynismus mischte sich in seine Stimme, die längst nicht mehr so kalt klang.
Dieses Mal ließ er auch meine Umarmung zu, in die er sich etwas hineinfallen ließ. Nach einem tiefen Atemzug griff er wieder nach meiner Hand und führte mich kommentarlos ins Wohnzimmer, wo wir uns nebeneinander auf die Couch setzten. Er zögerte einen Moment, schob dann aber doch seinen Arm hinter meinen Rücken und zog mich an der Hüfte dicht an sich heran. Gedankenverloren griff er nach meiner Hand und spielte mit meinen Fingern.
„Weißt du, so was hat es hier nie gegeben. Keine Nähe oder Umarmungen. ‚Emotionen behindern uns’, hat Vater immer gesagt.“
„Aber du teilst seine Meinung nicht mehr, oder?“
Statt einer Antwort küsste er mich und wirkte gleich viel befreiter. „Du färbst auf mich ab, denke ich. Kein Mensch hat mich jemals so verwirrt wie du, Fabi.“
Lächelnd kuschelte ich mich an ihn und wir saßen einige Minuten schweigend zusammen. Bis der fürchterliche Türgong mich zusammenzucken ließ. Patrick lachte leise und ging zur Tür.
„Hallo Herr Doktor. Bitte folgen Sie mir.“ Patrick führte einen weißhaarigen Mann im grauen Anzug herein.
„Fabian, bitte warte hier. Ich bin gleich wieder da.“ Er machte es bestimmt nicht mit Absicht, aber seine Stimme hatte wieder einen formell distanzierten Tonfall angenommen.
Die beiden verschwanden im oberen Stockwerk. Ungefähr zehn Minuten lang lauschte ich dem nervtötenden Ticken der Uhr, bis ich mich ein wenig in der unteren Etage umsah. Auch hier fand ich kaum persönliche Akzente. Die Möbel wirkten alt, gepflegt und schmucklos. Es kam mir vor wie im Museum.
Nirgendwo fand ich Kinderbilder von Patrick. Meine Eltern hatten eine ganze Wand mit meinen Bildern zugepflastert. Im Esszimmer, nahe dem Stuhl mit der Pfeife, hing eine Urkunde der Bundeswehr, ausgestellt auf den Namen Heinrich Reder. Es passte in das Gesamtbild seines Vaters: Zucht und Ordnung, wohin man auch sah.
Mittlerweile waren dreißig Minuten vergangen und von Patrick noch keine Spur. Unruhig setzte ich mich wieder auf das Sofa und wartete. Die trübe Atmosphäre schlug mir auf das Gemüt.
Es dauerte nicht mehr lange, da kamen teppichgedämpfte Schritte näher. Patrick sah mich entschuldigend an, blieb jedoch auf Abstand. „Ich bringe Ihnen dann ein Glas Wasser. Fabian, möchtest du auch etwas trinken?“
Ich nickte leicht und Patrick verschwand für einen Augenblick. Dieser Doktor Billmeier setzte sich auf einen der zwei Sessel und musterte mich abfällig. Vermutlich waren ihm Jeans, Shirt und Sneakers nicht gut genug.
Patrick kam mit drei Gläsern und einer Wasserflasche zurück. Nach dem Einschenken nahm er, sehr zu meiner Enttäuschung, auf dem anderen Sessel Platz. Das bedrückende Schweigen wurde lediglich von der Uhr unterbrochen. Ich hielt es nicht mehr aus.
„Was ist denn jetzt mit deiner Mutter?“
Der Doktor runzelte die Stirn und Patrick wirkte für einen Moment verärgert, als ob er nicht darüber reden wolle.
„Sie wird gleich abgeholt und in eine Klinik gebracht, zum Entzug. Alleine kommt sie nicht klar und es besteht Gefahr, dass sie am Ende noch verhungert.“
Er bemerkte meinen erschrockenen Blick über seine herzlose Wortwahl und lenkte ein. „Es ist das Beste für sie. Doktor Billmeier ist ihr behandelnder Arzt und kümmert sich um die behördlichen Schritte, falls notwendig. Herr Doktor das ist mei … ein Freund der Familie, Fabian Westerkamp.“
Innerlich zuckte ich zusammen und war sauer, blieb nach außen hin aber ruhig. Patrick sah es mir trotzdem an und warf mir einen flehenden Blick zu.
„Angenehm, schön Sie kennen zu lernen, Herr Westerkamp“, log der Arzt. Seine Stimme hatte einen spöttischen Klang.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Herr Billmeier.“ Meine Stimme klang nicht weniger spöttisch und ich genoss die Verärgerung auf dessen Gesicht, als ich seinen Titel ignorierte. Patrick tat erschrocken, aber ein winziges belustigtes Funkeln schlich durch seine Augen. Dieser Mann war ein eingebildeter Fatzke.
„Ein Freund der Familie also? Herr Reder, ich hatte bereits eine Unterredung mit Ihrem Vater. Ist er zufällig eben ‚dieser’ Freund der Familie?“ Die Abscheu in den Worten war nun offensichtlich und dieser Mensch schenkte mir einen unheilsschwangeren Blick.
„Ganz Recht, er ist es.“ Endlich erhob sich mein Freund und nahm demonstrativ neben mir Platz.
„Sie beschämen Ihre Familie. Nicht Ihr Vater gehört in das Gefängnis.“
„Das muss ich mir von Ihnen nicht sagen lassen, Herr Doktor Billmeier. Kümmern Sie sich um meine Mutter und lassen Sie mich in Ruhe!“
„Was fällt Ihnen eigentlich ein?“ Die Anspannung im Raum nahm stetig zu und mir war unwohl. Der seltsame Arzt konnte mir ja egal sein, aber wie Patrick sich plötzlich vor ihm, in voller Größe, aufbaute und unnachgiebige Autorität verströmte, hatte etwas Beängstigendes.
„Jetzt hören Sie mir gut zu, Sie Schmarotzer: Ihre Meinung über mich können Sie sich sonst wo hinstecken. Sie sind der Arzt meiner Eltern und genießen gewisse Privilegien, die Ihnen mein alter Herr mit seinem verdammten Geld verschafft hat. Sie mögen vielleicht mit meinem Vater befreundet sein, aber es gibt Ihnen nicht das Recht mich zu beleidigen! Und wenn Ihnen das hier zuviel ist, dann können wir meine Mutter auch in jede andere Klinik einliefern lassen, das ist mir scheißegal! Haben Sie mich verstanden, Billmeier?“ Die Stimme meines Freundes wurde immer leiser und lauernder.
Der Angesprochene schien in den Sessel kriechen zu wollen, peinlichst darauf bedacht, sein Gegenüber nicht mehr zu reizen. Patricks gesamte Haltung war wie die einer Raubkatze, kurz vor dem Angriffssprung. Wenn mich seine Ausstrahlung nicht so verängstigt hätte, dann hätte ich über den duckmäuserischen Arzt gelacht. Aber das Lachen blieb mir im Hals stecken.
Mein Großer bemerkte meine Anspannung und kam einen Schritt auf mich zu.
„Ihnen steht kein Urteil über uns zu. Fabian, kommst du bitte mit mir in das Esszimmer? Er kann hier warten.“
Als ich mich nicht rührte, streckte er mir die Hand entgegen. „Komm schon, bitte“, fügte er deutlich sanfter hinzu und ich ließ mich in den anderen Raum führen. Billmeier sah krampfhaft in eine andere Richtung.
„Entschuldige bitte, aber der Kerl ist wie mein Vater, ein richtig bornierter Drecksack, jedoch feige bis zum Abwinken. Ohne meinen kleinen Auftritt hätte er immer weitergemacht und ich will mit diesem Menschen nicht diskutieren.“
„Charles Manson hätte mir nicht weniger Angst eingejagt als du eben.“
Patrick lachte. „War ich so schlimm?“
„Schlimmer. Für einen Moment sah es so aus, als ob du ihn gleich in winzige Stücke hacken würdest.“
„Ich hab das alles hier so satt. Sollte man sich im Haus seiner Eltern nicht geborgen und ‚daheim’ fühlen? Ich fühl mich hier eingesperrt, wie in einem Mausoleum. Hier drin macht mich alles krank. Am liebsten würde ich den Schuppen abfackeln.“
„Ich weiß echt nicht was ich dir jetzt sagen soll“, antwortete ich nachdenklich. „So was wie hier kenne ich einfach nicht. Aber versuch bitte nach vorne zu schauen. Das hier“, ich machte eine ausholende Geste, „das ist alles Vergangenheit. So sehr ich es mir für dich wünsche, es lässt sich nicht mehr ändern. Der Weg liegt vor uns, nicht hinter uns.“
Patrick lächelte endlich wieder. „Du hast Recht, aber ich werde wohl noch eine Weile brauchen.“
„Wir packen das. Vielleicht sollten wir uns demnächst einen Tapetenwechsel gönnen und einfach mal hier verschwinden. Ans Meer, zum Beispiel.“
„Ich halte es für keine gute Idee, solange deine Eltern noch sauer sind. Die Wogen sollten sich erst einmal glätten.“
„Sie beruhigen sich schneller als du glaubst, wenn sie merken, dass du es wirklich ernst mit mir meinst.“
„Das glaube ich dir ja, aber ich fühle mich unwohl bei dem Gedanken. Und außerdem möchte ich mit Mutter sprechen, sobald sie wieder einigermaßen klar ist.“
Patricks Augen blickten in die Ferne und ein Ausdruck von Sehnsucht spiegelte sich darin. Er wirkte ein bisschen wie ein Junge, der im dichten Kaufhausgewühl seine Eltern verloren hatte. Stumm griff ich nach seiner kalt-klammen Hand.
„Okay. Natürlich sollst du dich wohlfühlen, wenn wir zu mir fahren.“
Mir fielen keine tröstenden Worte mehr ein und die Türglocke ließ mich erneut zusammenzucken.
„Ja, sie ist scheußlich. Wie passend für dieses Haus. Sehr stimmig. Aber hoffentlich hören wir sie heute zum letzten Mal.“ Er bewegte sich in Richtung Tür und ich blieb unsicher sitzen, vielleicht wollte er mich nicht dabei haben?
„Na komm, die Katze ist eh aus dem Sack, jetzt brauchen wir auch keine Rücksicht mehr nehmen. Außerdem tut mir deine Nähe gut.“
Er hakte seinen Arm unter meinen und wir gingen gemeinsam weiter. Doktor Billmeier stand unschlüssig im Wohnzimmer, als wir die Sanitäter mit der Trage hereinließen.
Auf dem Weg zur Treppe sprach Patrick ihn wieder an. „Sie können dann draußen warten, ich schicke Ihre Laufburschen gleich nach.“ Billmeier verschwand wortlos und sichtbar eingeschüchtert nach draußen. Die Augen des Arztes funkelten vor unterdrückter Wut.
Die zwei Männer zerrten die alte Frau etwas grob auf die Trage und folgten uns schweigend zum Ausgang. „Wenn meine Mutter wieder ansprechbar ist, dann will ich informiert werden. Sie haben ja meine Handynummer“, ranzte er den Doktor kaltschnäuzig an.
„Kleiner, warte bitte kurz.“ Er küsste mich, vor den Augen Billmeiers, auf die Wange und ging kurz ins Haus zurück.
Der Arzt sah uns mit unverhohlener Verachtung an, wandte sich aber ab, als Patrick mit dem Schlüssel das Haus verließ und die Tür verriegelte. Dieses Machtspiel zwischen den beiden gefiel mir überhaupt nicht und ich war mir auch nicht ganz sicher, ob der Kuss ernst war, oder einfach nur provozieren sollte.
„War das eben wirklich nötig?“ Kaum saßen wir im Auto, da schoss die Frage aus mir raus.
„Du meinst den Kuss? Ich wollte es schon die ganze Zeit über, aber nicht nochmal in dem Haus.“
„Du bist manchmal echt schwer zu durchschauen“, entgegnete ich frustriert.
„Und du traust mir immer das Schlimmste zu.“ Seine Stimme klang beleidigt.
„Lass uns bitte nicht streiten. Die letzte Stunde war aufregend genug.“
„Mir ist eigentlich auch eher nach kuscheln. Einverstanden?“
Wie hätte ich da noch widersprechen können?
Patrick
Fabian ahnte nur, welche Abgründe sich in mir auftaten, wenn ich in diesem Haus war. Mein Verhalten gegenüber der Frau, die ich als Mutter bezeichnete, konnte er bei seinem Elternhaus nicht verstehen. Ich hatte schon längst meine Gefühle für diese Familie verloren, wollte nicht mehr ein Teil von so etwas sein. Ein Gespräch gestand ich ihr noch zu, dann würde der letzte Bruch folgen.
Dass Fabian, seit dem Betreten des Hauses, heute all meine Taten anzweifelte und mir provozierendes Kalkül vorwarf, war zwar nachvollziehbar, aber es verletzte mich sehr. Er war der Einzige, der mir emotional noch nahe stand, der mir wichtig war.
Das Kuschelangebot hatte seine Laune zwar verbessert, aber während der Heimfahrt herrschte bedrückendes Schweigen.
„Bist du sauer auf mich?“ Ich hielt die Stille nicht mehr aus.
„Eher auf mich“, kam es zögerlich zurück. „Ich hätte das nicht sagen sollen.“
Seufzend antwortete ich. „Doch, es hätte so aussehen können. Billmeier wird ähnliches gedacht haben. Vielleicht wollte ich ihm, unterbewusst, ja wirklich noch eins auswischen, aber…“
„Aber?“
„Ich hab gehofft du freust dich darüber, nach der heftigen Zeit in meiner persönlichen Hölle.“
Sein Gesicht verzog sich und das schlechte Gewissen prangte wie eine Leuchtreklame auf seiner Stirn. Das wollte ich aber auch nicht. „Fabi, fühl dich deswegen nicht schlecht. Ich werde zukünftig etwas aufpassen.“
Er antwortete nicht, sondern legte seine Hand auf mein Knie und auch seine Züge glätteten sich wieder.
„Wenn du dich entspannst, dann bist du besonders hübsch“, merkte ich noch an. Die Wirkung der Worte blieb nicht aus, er lächelte verlegen in sich hinein und wurde etwas rosig um die Nase. Um die Ernsthaftigkeit dieser Worte zu betonen strich ich mit der rechten Hand über seine Wange.
„Surfst du eigentlich, wenn du zuhause bei deinen Eltern bist?“
Seine Augen bekamen sofort einen verträumten Glanz. „Ja, ich liebe die Wellen unter dem Brett, aber die sind da meist nicht ganz so spektakulär. Ich würde gerne Mal irgendwann auf richtigen Brechern gleiten. Hast du die WM gesehen? Dieses Jahr waren sie in Costa Rica. Einfach geile Strände und … wie kommst du da eigentlich drauf?“ Sein fragender Blick wirkte regelrecht jungenhaft und ich musste grinsen.
„Du siehst wie ein Surfer aus. Du machst bestimmt eine gute Figur im Wasser.“ Er genoss meine Komplimente deutlich, nachdem ich sie ihm so lange Zeit verwehrt hatte. Er sehnte sich nach meiner Anerkennung.
In meiner Wohnung verzogen wir uns sofort auf die Couch und er schmiegte sich an mich, bis es kurz darauf, an der Tür klopfte. Widerwillig stand ich auf und warf einen Blick durch den Spion.
Was wollte die denn jetzt? Ich bemühte mich um einen freundlichen Tonfall.
„Guten Abend, Frau Mohrbeck.“
„Herr Reder, ich möchte mich entschuldigen. Ich wusste ja nicht, was Sie alles durchmachen mussten. Und die Sache mit Ihrem Vater war ganz furchtbar. Der wollte Sie umbringen! Ich habe die ganze Nacht kaum schlafen können und habe auf Sie gewartet. Hier ist ein wenig von meinem Nudelsalat. Der ist von gestern, also noch ganz frisch. Oder haben Sie schon etwas gemacht?“ Sie plapperte wie ein Wasserfall und brachte mich zum Lächeln. Sie war eigentlich doch nicht ganz verkehrt.
„Frau Mohrbeck, beruhigen Sie sich bitte, es ist ja alles gut gegangen.“ Ich nahm die Schüssel entgegen. „Fabian und ich haben noch nichts vorbereitet und nehmen dankend an. Möchten Sie auf einen Kaffee hereinkommen?“
„Nein, nein, Sie brauchen bestimmt noch etwas Ruhe und da will ich Sie mal nicht stören.“
„Dann noch einen schönen Abend, Frau Mohrbeck. Ich bringe Ihnen die Schüssel morgen wieder.“
„Es hat keine Eile. Einen guten Abend Herr Reder. Einen schönen Gruß an ihren Freund.“
Ob sie es wusste? Den Grund für das Theater gestern hatte sie zwar mitbekommen, aber zog sie auch die richtigen Schlüsse? Es war mir, ehrlich gesagt, mittlerweile egal. Er war schließlich auch mein Freund.
„Hast du Hunger? Hausgemachter Nudelsalat von meiner Nachbarin.“
Erstaunt sah er auf. „Von der Mohrbeck?“
„Sie hat gestern alles mit angesehen und ihre Meinung über mich wohl geändert. Die Polizei und den Notarzt hat sie auch informiert. Ich lag ja bewusstlos im Flur. Mein alter Herr hat ein ziemlich hartes Kinn. Dagegen ist auch mein Dickschädel nicht immun.“
Kurz umriss ich die Details der Auseinandersetzung, soweit ich mich erinnern konnte. Eine Gänsehaut kroch über seine Arme, aber er schwieg. Was sollte man dazu auch sagen?
„Ja, ich habe Hunger. Lass uns den Salat mal begutachten.“ Er entfernte die Alufolie von der weißen Porzellanschüssel. Sie war bis zum Rand gefüllt und nichts schien zu fehlen. Der war garantiert nicht von gestern übrig. Gierig mampften wir die Schüssel leer, das Zeug war köstlich.
Die leere Schüssel verschwand in der Spülmaschine und wir gingen zurück auf die Couch. Fabian kuschelte sich an meine Schulter und wir nickten ein. Keiner von uns hatte vergangene Nacht besonders gut geschlafen und der Tag war ziemlich anstrengend.
Irgendwann wurde ich wach, als Fabian sich unter meinem Arm herauswand. Draußen war es bereits dunkel.
„Ich geh nur kurz duschen. Kommst du dann ins Bett?“
Ich nickte ihn verschlafen an. „Gute Idee, bis gleich.“
Wenige Minuten später rauschte das Wasser der Dusche und ich verspürte einen unangenehmen Druck auf der Blase. Also klopfte ich leise an die Duschkabine.
„Stört es dich, wenn ich eben auf die Toilette gehe?“
„Nein, mach nur“, kam es zurück.
Ich setzte mich auf die Schüssel und verrichtete meine Notdurft. Durch die beschlagenen Scheiben der Dusche zeichnete sich die schlanke Silhouette seines Körpers ab. Er hatte die Arme im Nacken verschränkt und ließ das Wasser genießerisch über seine Haut fließen.
Meine Gedanken reisten zurück zu unserer letzten gemeinsamen Nacht, als er sich vor meinen Augen zum Höhepunkt streichelte. Vor dem geistigen Auge erblickte ich seinen sinnlichen Gesichtsausdruck und hörte das leise, wohlige Stöhnen. Mein Blut sammelte sich in tieferen Regionen.
„Pat, bist du eingeschlafen?“ Seine Stimme hallte leicht über die glatten Fliesenwände.
„Nein. Noch nicht.“ Ich stand auf, zog mich aus und lief unschlüssig auf die Dusche zu. Er stand noch immer mit dem Rücken zu mir. „Stell mal bitte kurz das Wasser aus.“
Er drehte sich kurz um und sah meinen Schatten vor der Kabine. Das Rauschen des Wassers verstummte. Ich öffnete die Tür und sah seinen nassen Körper, umgeben vom warmen Wasserdampf.
„Hättest du was dagegen, wenn wir schnell zusammen duschen?“
Seine Augen betrachteten mich neugierig und wurden größer, als er mir auf den Schritt starrte. Die Reaktion auf seiner Seite blieb nicht aus. Er schüttelte den Kopf und ich kletterte ebenfalls hinein.
Plötzlich bekam ich wieder Angst vor der eigenen Courage. Der Gedanke daran war eben doch noch etwas anderes. Fabian deutete meine Zurückhaltung richtig. „Schon gut, ich war auch so schon überrascht genug. Na komm, dreh dich mal um.“
Sanft drehten mich seine Hände an den Schultern um und ich ließ den Kopf gegen die Wand sinken. Mein Mut wurde mit einer zärtlichen Massage belohnt, wobei er auf einen größtmöglichen Abstand zwischen unseren Körpern achtete.
Nach viel zu kurzer Zeit hörte er wieder auf. „Darf ich dich einseifen?“ Ich brummte etwas Zustimmendes. Kurz darauf waren seine zarten Hände fast überall. Liebevoll massierte er meinen Oberkörper mit dem Duschgel. Als er meine Vorderseite wusch, berührte seine Brust meinen Rücken und seine Erregung drückte leicht gegen meinen Oberschenkel. Ich wollte es genießen, aber meinem Kopf wurde es für den Moment zuviel.
„Fabian, bitte hör auf. Ich …“ Sofort zog er sich zurück. „Tut mir leid. Es ist einfach ein Schritt zuviel auf einmal.“
„Du musst dich nicht entschuldigen. Ich hab mich hinreißen lassen. Es ist so schwer dir zu widerstehen, dass glaubst du gar nicht.“
Ich wollte mich für seine Berührungen revanchieren, aber die Stimmung war weg. Jeder wusch sich selber fertig und wir verließen nacheinander die Dusche.
„Ich muss es vielleicht nicht, aber du solltest wissen, dass ich mein Verhalten von eben nicht okay finde. Es war schön, bis zu… einem gewissen Punkt.“ Ich wollte es nicht aussprechen, aber er nickte verstehend.
Wir griffen nach unseren Badetüchern und trockneten uns ab. „Es wird Zeit mich daran zu gewöhnen“, murmelte ich und griff unvermittelt nach seiner Hand. So zog ich ihn ins Schlafzimmer.
Ohne jeden weiteren Kommentar legte ich mich nackt ins Bett und lupfte die Decke, damit er mir folgen konnte. Er kam der Aufforderung zögerlich nach.
„Hältst du es wirklich für eine gute Idee?“
„Vielleicht nicht, aber ich möchte es versuchen.“
„Dir ist aber schon klar, dass ich dich ziemlich heiß finde und … ich bin auch nur ein Kerl.“
„Jetzt hör auf zu labern und komm endlich her“, lachte ich. Vorsichtig robbte er an mich heran.
Fabian
Seit der Dusche machte ich mir gewaltige Vorwürfe. Sein Anblick, wie er sich entspannt nach vorne beugte und mir seinen Rücken präsentierte, hatte mich ziemlich angemacht und beim Einseifen verlor ich ein wenig meine Selbstkontrolle.
Als mein Schwanz seinen Schenkel streifte, hätte ich am liebsten sofort mit ihm geschlafen, oder mich von ihm nehmen lassen. Es wäre mir völlig egal gewesen. Aber es war ein Fehler.
Und nun lagen wir nackt im Bett, all meine aufgestauten Sehnsüchte kämpften sich langsam an die Oberfläche. Ich konnte ihn ja verstehen, aber die Situation war vergleichbar mit einem Verhungernden, dem man ständig mit der Keksschachtel vor der Nase herumwedelte, ohne ihn davon essen zu lassen. Er hatte die Grenzen verwischen lassen und meine Sehnsucht auf mehr geweckt.
Die Gedanken waren nicht unbedingt hilfreich, um gegen meine steigende Lust zu kämpfen und ich war sicher, dass er den zunehmenden Druck an seiner Taille spüren musste. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und kuschelte meine Wange etwas tiefer an seine Schulter, während mein Arm reglos auf seiner Brust verharrte. Ich hoffte, dass er eingeschlafen war.
Den Gefallen tat er mir natürlich nicht, denn plötzlich sah ich in seine Augen, die im seichten Licht der Straßenbeleuchtung schimmerten und meine Pupillen innerhalb der hellen Iris fixierten.
„Du darfst ruhig weiteratmen“, flüsterte er. „Es ist alles okay, denke ich.“
Der Arm, auf dem ich lag, streichelte vorsichtig über meine untere Rückenpartie und jagte mir zusätzliche Schauer durch den Körper. „Du fühlst dich so herrlich weich an.“
„Nicht überall“, antwortete ich frech, aber mit wackeliger Stimme.
„Hab’s schon bemerkt.“ Seine andere Hand lag nun auf meiner Schulter und glitt langsam abwärts, bis er auf der Hüfte stoppte. Die zittrigen Finger beschrieben seinen inneren Kampf. Ich versuchte krampfhaft meine Atmung unter Kontrolle zu halten, um nicht aufzustöhnen.
Sein Daumen rutschte Stück um Stück tiefer und ich griff mit meiner Hand unabsichtlich fester um seine Schulter. Er schloss seine Augen und seine Hand legte sich um meine Erregung. Diesmal konnte ich das Keuchen nicht stoppen und er quittierte es mit der Andeutung eines Lächelns.
Seine Finger drückten und kneteten mich vorsichtig und er traf dabei einige verdammt gute Stellen. Mein Atem war längst außer Kontrolle.
„Er fühlt sich gut an, viel weicher als meiner.“ Sein rauer Tonfall zog in Wellen durch meine reizüberfluteten Nerven. „Fass mich bitte an!“
Das brauchte er nicht zweimal sagen. Meine Finger glitten flink unter die Decke und fanden sofort ihr Ziel. Nun stöhnte auch er auf und seine Finger bewegten sich fordernder. Seine Lippen fischten gierig nach meinem Gesicht und trafen meinen Mund. Sofort war seine Zunge in mir.
Ich hielt die Spannung nicht mehr aus und kam ohne Vorwarnung. Meine verlangende Erwiderung des Kusses brachte auch Patrick über die Klippe und meine Hand wurde feucht.
Fast schon erwartete ich, dass er von mir abrücken würde, doch das Gegenteil passierte. Er zog mich dichter heran. Das schwache Licht reichte aus, um seine leicht gerunzelte Stirn zu erkennen. „Woran denkst du?“
„An die Vergangenheit, die Gegenwart und an die Zukunft. Hauptsächlich an das Jetzt und unseren Weg. Du hast Recht, die Vergangenheit ist geschehen, steht fest.“
„Und wie siehst du die Zukunft? Bereust du das ‚Jetzt’?“
Er drehte sich auf die Seite, so dass wir Brust an Brust gekuschelt lagen. „Nein. Und die Zukunft… ich kann es dir nicht genau sagen, doch der Weg geht in die richtige Richtung.“
Er schien noch etwas sagen zu wollen, während seine Stimme immer leiser wurde. Doch dann beruhigte sich sein Atem und er war eingeschlafen. Ich genoss einfach noch den Augenblick und folgte ihm bald ins Reich der Träume.
***
Warme Sonnenstrahlen wischten über meine Augen und weckten mich sanft auf. Das Bett fühlte sich kühl an und ich streckte meinen Arm nach Patrick aus. Ich griff ins Leere.
In seiner Wohnung war es verdächtig still. Ob er wohl auf die Couch ausgewandert war? Der Blick auf die Uhr ließ diesen Gedanken platzen, es ging bereits auf elf Uhr zu. Sicherheitshalber schlüpfte ich in meine Shorts und machte mich auf die Suche, doch die Wohnung war und blieb leer. Seine Schuhe und der Schlüsselbund fehlten.
Sein Verschwinden verunsicherte mich. Traurig ging ich ins Schlafzimmer zurück und zog die verschmierten Bettsachen ab. Kurz darauf hatte ich sie in dem Waschtrockner im Bad deponiert. Ich zog mich komplett an und ging in die Küche, um noch einen Kaffee zu trinken, bevor ich zu meiner eigenen Wohnung aufbrechen würde.
Doch an der Maschine klebte ein Stück weißer Karton, den er mit Klebeband am Gehäuse befestigt hatte.
„Guten Morgen, Kleiner.
Ich bin heute recht früh wach geworden und konnte nicht mehr einschlafen. Wecken wollte ich Dich aber auch nicht.
Ich bin gegen Mittag zurück und bring was zum Brunchen mit.
Bis nachher, Pat.“
Glücklich presste ich seine Nachricht an meine Brust. Ich hätte nicht wieder an ihm zweifeln sollen, vor allem nicht mehr nach dieser Nacht. Dass er mich angefasst hatte, kam mir beinahe wie ein Traum vor. Genießerisch ließ ich noch einen zweiten und dritten Kaffee durch die Kehle fließen.
Das Telefon riss mich aus meiner Schwärmerei. Es stand keine Nummer im Display, aber ich vermutete, Kramer wollte etwas.
„Westerkamp, bei Reder?“
Niemand antwortete und ich hörte jemanden scharf einatmen.
„Hallo?“
„Was machst du bei Patrick? Und wo ist er? Gib ihn mir.“ Mir stockte der Atem, es war Christine.
„Er… er ist unterwegs“, stotterte ich. Die Frau war mir nicht geheuer, schließlich hatte Pat ihr die Attacke des Vaters zu verdanken und sie trug sein Kind.
„Na klasse. Jemand muss mich abholen. Ich sitze noch bei der Polizei. Die haben mich einfach mitgenommen, ohne Geld, nur die Brieftasche mit den Papieren.“
„Er ist nicht da und ich hab kein Auto.“ Mein Ton klang entschuldigend und ich wusste nicht warum. Neben ihr fühlte ich mich einfach klein. Sie war skrupellos.
„Hör zu, ich will von dir nicht geholt werden. Patrick ist mir was schuldig.“
„Sch-schuldig? Die Fotoaktion hat ihn fast umgebracht!“ Hatte die Tussi sie noch alle?
„Das war nicht geplant. Sein Vater hat einen schlimmeren Schaden als ich dachte. Patrick gehört zu mir, das wird er noch merken und du lässt die Finger von ihm.“
Ich hatte die Nase voll. „Das wird er ja wohl selber entscheiden können, von wem ‚er’ die Finger lässt und von wem nicht.“ Sie schnappte nach Luft und ich genoss kurz den billigen Triumph. Die Worte taten mir auch wieder leid. Das war nicht mein Niveau.
„Das soll er mir selber sagen“, zischte sie und beendete das Gespräch. Mein Herz klopfte bis zum Hals und ich stand starr auf dem Fleck, das Telefon ungläubig betrachtend.
So fand mich dann auch kurz darauf Patrick. Ich bemerkte ihn erst, als er mich mit seinem Arm umschlang und mir das Telefon aus der Hand nahm. Beiläufig registrierte ich seine Sporttasche an der Wand.
„Was ist passiert?“ Seine Stimme verriet nervöse Anspannung.
„Tini. Sie wurde entlassen und wollte abgeholt werden.“
Seine Haltung versteifte sich sofort und sein Tonfall kühlte ab. „War das alles?“
„Tut mir leid, ich glaub mir ist vor Ärger was rausgerutscht. Sie weiß jetzt vermutlich Bescheid.“
Ich schilderte ihm das Gespräch und erwartete, dass er sauer auf mich war.
„Komm, die Brötchen sind noch warm, frisch aus dem Ofen.“ Er klang bemüht locker, aber hinter seiner Stirn arbeitete es.
Patrick verteilte Teller, Brötchen und ein paar frische Feinkostsalate auf dem Esstisch. Mutlos kaute ich auf einem der leckeren Brötchen herum.
„Pat, bitte sag was.“
Er kaute nachdenklich weiter und schluckte. „Was denn? Dass ich sauer bin, weil du dich hast provozieren lassen?“
„Zum Beispiel, ja.“
„Konnte ich denn heute Nacht die Finger von dir lassen?“
„Nein, aber…“
„Kein aber. Ich finde es nicht okay, dass sie es auf die Art erfahren hat, aber gelogen hast du auch nicht.“ Er sprach in einem ungewöhnlich beherrschten Tonfall und ich traute dem Frieden nicht ganz. Den Beweis für mein Misstrauen fand ich an seiner Hand, die sich dermaßen fest um die Tischkante schloss, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Er folgte meinem Blick mit den Augen und zog die Hand weg. „Verdammt, was bildet die sich ein? Und ich bin wirklich nicht sauer auf dich! Die Frau schafft es immer wieder aufs Neue. Sie hat dich mit Sicherheit absichtlich provoziert, weil du ihr anders nie geantwortet hättest. Glaub mir, ich weiß nur zu gut, wozu sie fähig ist.“
Ich erinnerte mich an dieses Telefonat in der Nacht, als er mit ihr geschlafen hatte und fühlte mich richtig dämlich. Natürlich, sie hatte mich total ausgespielt.
„Wir müssen das klären“, meinte er mehr zu sich selbst.
„Wir? Ich soll mit?“ Mir war überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken.
„Ja, ich möchte nicht mit ihr alleine sein. Sie soll ruhig sehen, dass du dir das nicht einbildest.“
„So wie bei Billmeier?“ Ich biss mir auf die Lippe, doch es war ausgesprochen.
Patrick warf mir einen angesäuerten Blick zu. „Fabian, du wolltest mit mir zusammen sein. Jetzt sind wir es wirklich und ich möchte es auch zeigen. Warum nimmst du immer gleich das Schlimmste an?“ Er gab sich die Antwort selber. „Wir haben wohl beide noch zu arbeiten, oder? Du an der Vergangenheit und ich an der Zukunft.“
Ich nickte bloß.
„Und was ist mit deinem Spruch, die Vergangenheit ließe sich sowieso nicht ändern und wir müssen nach vorne blicken?“
„Das ist unfair“, entgegnete ich leise.
„Du hast Recht, tut mir leid“, schlug er versöhnlicher an. „Aber auch Tini lässt sich nicht einfach unter ‚Vergangenheit’ ablegen.“
„Also gut, ich bin dabei.“ Er lächelte wieder ein wenig nach meiner Zusage.
Ich würde noch eine ganze Weile stark sein müssen, um unsere frische Beziehung nicht zu gefährden. Die ganze Sache schien schwieriger als gedacht, aber es würde sich lohnen, davon war ich überzeugt.
Patrick
Trotz aller Zuversicht war die Stimmung bei uns beiden angeknackst. Im Studio hatte ich mir den Tag schön vorgeplant, aber wieder war Tini im Weg. Schlimmer hätte es eigentlich nicht mehr kommen können, doch dann vibrierte mein Handy.
„Reder.“
„Billmeier hier. Sie ist wach.“ Der Arzt beendete das Gespräch und ich starrte auf das Telefon.
„Was ist los?“
„Meine Mutter ist wach. Kommst du mit?“
Fabian nickte niedergeschlagen.
„Sorry, Kleiner, ich hatte mir den Tag auch anders vorgestellt. Deutlich zweisamer.“
Nun stahl sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen, aber er wirkte noch immer etwas verloren. Ich stand auf und besorgte mir noch einen Kaffee aus der Kanne. Fabian stand etwas deplaziert vor dem Tisch. Zwinkernd bewegte ich meinen Zeigefinger und winkte ihn heran. Der Kleine kam zögernd auf mich zu und ich schloss ihn in meine Arme. Sein Gesicht sank auf meine Brust und er holte tief Luft.
Ich griff nach seiner Taille und hob ihn vorsichtig an, um ihn nach einer Drehung auf die Küchenzeile zu setzen. Ich drängte mich zwischen seine Beine, legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn zum Kuss heran. Seine Lippen öffneten sich zögerlich, doch dann erwiderte er den Druck meiner Lippen, während seine Arme meinen Rücken streichelten.
„Geht es dir wieder besser?“, fragte ich nach einer Weile.
Statt einer Antwort wurde er rot und warf einen verschämten Blick nach unten, wo sich seine Jeans verdächtig wölbte.
Lachend griff ich nach seiner Hand und legte sie auf meinen Schoß. „Keine Angst, mir geht es genau so.“ Ich seufzte. „Aber lass es uns später fortsetzen, wenn wir das mit meiner Mutter hinter uns gebracht haben.“ Ich glitt mit der Hand über seinen angespannten Schritt und er schloss mit einem kleinen Stoßseufzer die Augen. „Wirklich, ich freu mich drauf.“
Ich verstand mittlerweile meine ehemals krankhafte Scheu vor seinem Körper nicht mehr. Zumindest was das Anfassen anging. Alles an ihm fühlte sich sexy an, von der samtigen Haut zu dem Spiel der zarten Muskeln. Sein atemloses Keuchen, als ich ihn zum Höhepunkt streichelte, hallte noch angenehm durch meine Erinnerung. Das alles und auch die sanften Liebkosungen seiner Hand hatten gereicht, um mich auch um den Verstand zu bringen. Dies war mein bisher unbeschwertester Höhepunkt, eine regelrechte Befreiung aus den alten Zwängen und ich hoffte, dass dieses Gefühl auch zukünftig die Oberhand behielt-.
Meine Lippen strichen noch einmal über seinen Hals, bevor wir uns voneinander lösten. Ich hielt ihm den gesunden Arm hin und half ihm von der Arbeitsplatte.
„Ich wünschte, so könnte es immer bei uns sein“, flüsterte er.
„Wird es, irgendwann bestimmt.“ Diese Worte meinte ich auch so.
Kurze Zeit später fädelte ich meinen Wagen in den Innenstadtverkehr ein. Billmeiers Privatklinik lag ein wenig außerhalb und der Verkehr nahm stetig ab, je näher wir dem weißen Kasten im Grünen kamen.
An der Schranke zum Parkplatz hielten wir an und ich öffnete das Fenster, um das Ticket zu ziehen. Wir fanden einen Parkplatz in der Nähe des Eingangs.
Billmeier ließ es sich nicht nehmen uns persönlich zu begrüßen. „Welch eine Freude Sie hier zu sehen, Herr Reder.“ Seine Stimme troff vor Zynismus, denn hier fühlte er sich wieder stark. Fabian hingegen ignorierte er. „Folgen Sie mir.“
Wir gingen über die Treppe in den ersten Stock, wo sich die luxuriöseren Zimmer seiner Privatpatienten befanden. Meine Mutter befand sich gleich im ersten Krankenzimmer, 102 prangte auf dem goldenen Schild neben der Tür. Billmeier verließ uns grußlos, denn hier waren wir alleine und er musste keinem seiner Angestellten eine Show vorspielen.
Ohne zu klopfen traten wir ein. Mutter öffnete ihre Augen, sah uns an und drehte den Kopf wieder zur Seite.
„Ist der da der Grund, warum Heinrich im Gefängnis sitzt?“, fragte sie tonlos.
„Nein, Mutter. Vater sitzt dort, weil er mich erschlagen wollte.“
„Du bist so undankbar, nach allem, was wir dir ermöglicht haben.“ Ich wurde sauer und Fabian griff nach meiner Hand.
„Undankbar? Er hat mich ständig geschlagen und du hast dich besinnungslos gesoffen und es ignoriert. Du warst mir nie eine gute Mutter.“
Sie lachte wehmütig auf. „Du bist nicht mein Sohn.“
„Warum, weil ich einen Mann liebe? Du bist nicht besser als Vater.“
„Du bist nicht unser Sohn!“ Sie schrie mir die Worte entgegen und sie taten weh. Trotz allem, es war meine einzige Familie. Auch Fabian sah irritiert zwischen uns hin und her.
„Pat, sie meint das ernst. Ich hab doch das alte Foto der beiden gesehen. Es macht Sinn.“
„Was meinst du?“
„Ihr seht euch nicht ähnlich.“
„Schlauer Bursche, dein Freund.“
Ich verstand die Welt nicht mehr. „Ich bin nicht euer Kind?“
„Ich bin schon mein Leben lang unfruchtbar.“
„Oh mein Gott“, stöhnte ich. „Wo sind denn meine richtigen Eltern?“
„Das weiß ich nicht. Heinrich hat sich damals darum gekümmert. Wir hatten Freunde, die uns geholfen haben.“
„Aber meine Geburtsurkunde? Da steht doch…“ Ich glaubte das alles nicht.
„Sie ist nicht echt, Heinrich hat dafür gesorgt. Frag ihn.“ Die Umgebung flimmerte vor meinen Augen. Fabian ahnte etwas und stützte mich, bevor meine Beine den Dienst versagten. Er zog einen Stuhl vom Besuchertisch und ließ mich hinsetzen.
„Wir finden es raus, keine Angst. Die Adoption muss ja irgendwo festgehalten worden sein.“ Seine Worte beruhigten mich, doch meine Mutter sah das anders.
„Nein, ihr werdet keine Aufzeichnungen finden. Es gab keine Adoption. Ich wollte damit nie etwas zu tu haben, sprich mit Heinrich.“
Allmählich kehrte die Kraft in meine Beine zurück und ich erhob mich wortlos. Fabian half mir zur Tür.
„Patrick, es tut mir leid. Ich hätte es dir schon vor langer Zeit sagen sollen.“
Mit Tränen in den Augen verließ ich das Zimmer. Mein Leben löste sich zusehends auf. Nichts war mehr so wie es schien, meine Vergangenheit war eine Lüge. Ich hatte andere Eltern. Wie wären die wohl gewesen? Sie waren noch schlimmer, sonst hätten sie mich nicht weggegeben.
„Ich bin bei dir, Patrick, hörst du? Ich helfe dir.“ Fabian weinte ebenfalls, er hielt mein Leid nicht aus. Dafür war ich ihm dankbar. Es war kaum vorstellbar, was ich ohne ihn getan hätte.
Zusammen verließen wir die Klinik. Billmeier begegnete uns noch einmal und warf mir einen höhnischen Blick zu. Er musste davon gewusst haben und es hätte mich nicht gewundert, wenn er in die Sache verwickelt gewesen wäre. Besonders dann, wenn sie wirklich unfruchtbar war,
Fabian hielt mich fest im Arm und gab mir ein notwendiges Gefühl von Stabilität. Er schien gerade meine einzige Verbindung zur Realität zu sein. Leise öffnete er die Beifahrertür und drückte mich auf den Sitz.
„Was soll das!“, protestierte ich.
„Na was wohl? Dich mit dem Arm fahren zu lassen gefiel mir schon nicht und in dem Zustand fährst du nicht. Ich hab vielleicht kein Auto, aber einen Führerschein.“ Er warf die Tür zu und setzte sich neben mich.
„Danke.“ Ein Gefühl von Bewunderung stieg in mir auf. Ich hatte ihm das Leben schwer gemacht und trotzdem blieb er tapfer. Wo nahm er nur diese Kraft her?
„Gern geschehen“, antwortete er leise. „Möchtest du nach Hause? Oder…“
„Nein, nach Hause. Ich habe gerade weder Kraft für ein Treffen mit Tini, noch mit … Vater.“
Es war fraglich, ob Heinrich mir überhaupt antworten würde. Wenn die Geschichte meiner Mutter stimmte, wovon auszugehen war. Dann war die Geburtsurkunde eine Fälschung und das war mit Sicherheit strafbar. Damit würde er Mutter und noch jemanden hineinreiten.
„Gut.“ Er startete den Wagen und fuhr etwas ruckelig an, das Auto war ihm fremd.
Die Fahrt verlief schweigend, ein Zustand, an den ich mich langsam gewöhnte. Jeder hing still seinen Gedanken nach. Wenigstens seine Hand legte sich tröstend auf meinen Unterarm.
In der Wohnung ging ich gleich ins Schlafzimmer und legte mich hin. Fabian wollte erst noch etwas nachschauen und bald darauf zu mir kommen. Ich hörte, wie der Computer hochfuhr und döste weg.
Knappe zwei Stunden später weckten mich seine vorsichtigen Bemühungen, sich unauffällig an mich zu kuscheln.
„Hey“, sagte ich leise.
„Hey. Ich wollte dich nicht wecken.“
„Ist okay. Und, was hast du gemacht?“
Sein Gesicht verriet mir, dass er mich damit eigentlich nicht behelligen wollte. „Ich hab im Internet nachgeforscht. Natürlich gab es nichts Konkretes zu dir, aber wenigstens weiß ich jetzt, dass eine Fälschung der Geburtsurkunde nicht schwer ist, wenn man die richtigen Leute kennt. Billmeier zum Beispiel hätte eine Meldung an die Ämter machen können.“
Es war schon interessant, dass Fabi auch gleich Billmeier bedachte.
„Schön und gut, aber dann müsste im Gegenzug ein anderes Kind verschwunden sein. Kann ein Arzt eine ganze Geburt vertuschen?“
„Vielleicht eine unbekannte Hausgeburt. Es ist möglich, aber über das Wie weiß ich nichts.“
Wenn mein Freund Recht hatte, dann dürfte es ziemlich unmöglich sein, etwas über meine Wurzeln herauszufinden, außer mein so genannter Vater würde mit der Wahrheit rausrücken. „Also wissen nur meine Eltern und ihr Komplize wirklich Bescheid. Oder die, die mich einfach weggegeben haben.“
Egal was meine Zieheltern getan hatten, die Frage nach dem Warum, warum meine leiblichen Eltern so gehandelt hatten, nagte noch stärker an mir. Fabians warmer Körper drängte sich dichter an mich heran und seine Nähe gab meinen Gedanken etwas Frieden. Meine Hand schob sich unter sein Shirt und kam auf dem Rücken zum liegen, was ihm ein wohliges Schnurren entlockte.
„Wenn du es wirklich herausfinden willst, dann versuche ich dir zu helfen“, nuschelte er an meinem Hals.
Wollte ich das wirklich? Es wäre besser, mit der Sache endlich abzuschließen, als noch eine Enttäuschung zu erleben. Sonst hätte ich am Ende zwei Elternpaare, die mit mir nichts zu tun haben wollten. „Ich denk drüber nach.“
Der Tag war noch relativ jung und wir blieben noch eine kleine Weile liegen. Fabian fühlte sich nicht besonders wohl und machte sich auf den Weg zu einer entspannenden Dusche, während ich mich um ein spätes Mittagessen kümmerte. Wir wollten am Abend noch mal ins Studio, damit Fabian etwas trainieren und ich mit Jochen reden konnte. Sport kam für mich derzeit kaum in Frage, vom Ausdauertraining mal abgesehen und das hatte ich an diesem Tag schon hinter mir.
Das Gemüse war schnell geschnitten und ich wollte eben den Herd einschalten, als ein unwillkommenes Schellen die Ruhe störte. Ich stiefelte genervt zur Tür, da Fabian eben erst das Duschwasser abgestellt hatte. Die Überraschung hätte nicht unangenehmer sein können.
„Was willst du, Christine?“
„Wir müssen reden.“ Ihre gesamte Haltung drückte Kampfeslust aus und mich störte ihre Anwesenheit gewaltig.
„Das hätten wir auch am Telefon machen können.“
„Natürlich, wenn du nie zuhause bist und nicht an dein Handy gehst. Ich war gerade in der Gegend und hab dein Auto stehen sehen.“
„Natürlich rein zufällig, oder? Wie ich sehe bist du auch ohne meine Hilfe vom Revier nach Hause gekommen.“
„Ich bin mit dem Taxi heim und hab dann Geld aus der Wohnung geholt. Immerhin, dein Schwuchtelchen hat davon erzählt.“
Für den Hausflur war sie mir etwas zu laut und ich trat einen Schritt zur Seite, damit sie in die Wohnung konnte. „Nenn ihn nicht so.“
„Was meinst du?“ Fabian trat gerade aus dem Bad, mit einem Handtuch um die Hüfte und mit einem anderen rubbelte er sich die Haare trocken.
„Der ist ja immer noch hier!“ Tini kreischte beinahe schon hysterisch und durchbohrte seinen schlanken Körper mit giftigen Blicken. Fabian eilte ins Schlafzimmer und meine Ex wollte gleich hinterher, doch ich hielt sie am Arm fest.
„Lass mich los, verdammt noch mal! Ich hab ein Hühnchen mit dem zu rupfen.“
„Das hast du nicht. Er bleibt und du lässt ihn in Ruhe!“
„Was willst du denn mit dem? Warum erlaubst du ihm ständig in deiner Nähe zu sein?“ Ein verletzter Ausdruck huschte über ihr Gesicht.
„Ich bin mit ihm zusammen und… ich liebe ihn.“ Gerne hätte ich es ihr anders beigebracht, aber es war an der Zeit für klärende Worte. Endlich wusste sie es.
„Du spinnst doch! Du willst dich nur an mir rächen, wegen dem Bild.“
„Blödsinn. Tini, es ist aus, endgültig. Und ich habe mich aus freien Stücken für ihn entschieden.“
Christine sah mich ungläubig an und der Blick wandelte sich in Verachtung. „Weißt du, was du deiner Familie damit antust?“
Ich lachte etwas schrill auf. „Familie? Oh, du weißt es ja gar nicht. Überraschung: ich bin nicht ihr leiblicher Sohn.“ Ihr Gesicht entgleiste. „Die Urkunden sind gefälscht, sagt ‚Mutter’. Ich weiß es aber auch erst seit heute.“
„Das kann doch nicht sein.“
„Mutter ist unfruchtbar, sagt sie. Ich war nur eine gesellschaftliche Investition. Und deswegen fiel es Vater auch nicht besonders schwer mich ausschalten zu wollen.“
„Oh mein Gott.“ Sie kam auf mich zu und versuchte ihre Arme tröstend um mich zu legen.
Fabian
Kaum war ich aus dem Bad, da traf mich beinahe der Schlag. Tinis Stimme war hasserfüllt und ich stürmte ins Schlafzimmer, um mir schnell ein paar Klamotten überzustreifen. Gönnte man uns denn überhaupt keine Ruhe?
Als ich mich etwas gesammelt hatte, betrat ich die Höhle des Löwen.
„Verdammt bleib mir vom Hals!“ Patrick schob Tini nachdrücklich von sich weg, welche im Moment traurig aussah. „Ich bin eigentlich ganz froh darüber, dass ich nicht ihr Sohn bin. Spar dir den Trost.“
Das Geräusch der schließenden Schlafzimmertür ließ beide herumfahren.
„Er soll verschwinden.“ Tinis Blick war eisig.
Mein Freund kam direkt auf mich zu. „Fabian bleibt.“ Er sah mich entschuldigend an. „Tut mir leid, Kleiner, ich hab mit ihr nicht gerechnet.“
Fast schon erwartete ich eine neue verbale Attacke gegen mich, doch die blieb aus.
„Wieso nimmst du ihn mir weg?“ Ihre wütende Fassade brach zusammen und ihre Augen wurden feucht. Ich sah Patrick Hilfesuchend an.
„Das tut er nicht.“ Er zog mich zu seinem Sessel und wir setzten uns dicht nebeneinander. „Fabian ist unschuldig. Ich habe ihn ein gutes halbes Jahr wie ein Spielzeug benutzt und seine Gefühle mit Füßen getreten, nur um mir nicht einzugestehen, dass ich etwas mehr für ihn empfand.“
„Ein halbes Jahr schon?“ Ihre Augen weiteten sich.
Sein Körper zitterte leicht. „Ja, ich hab ihn ein halbes Jahr durch die Hölle gehen lassen. Er wollte gestern verschwinden, für immer.“
Innerlich musste ich ihm zustimmen, es war die Hölle. Aber er hatte sich verändert und auch Tini wirkte verändert. Der offensichtliche Hass auf mich verschwand aus ihren Augen und sie musterte mich eher mitleidig. „Und was wird jetzt aus unserem Kind?“
Ich traf eine Entscheidung. „Patrick würde sich gerne um euer Kind kümmern und ich würde gerne mithelfen. Christine, es tut mir leid, aber man kann Gefühle nicht beeinflussen.“
Fragend sah sie zu Patrick. „Also war es das wirklich mit uns?“
Er nickte. „Sieht so aus. Es tut mir leid, Tini, aber es gibt keinen Weg zurück. Ich habe mich wirklich in ihn verliebt.“
„Ich melde mich. Das… muss ich erstmal verdauen.“ Sie stand auf und verschwand ohne weitere Kommentare zur Tür.
Neben mir hörte ich Patrick verzweifelt ausatmen. „Oh Gott, ich muss hier raus.“ Seufzend vergrub er seinen Kopf in meiner Schulter.
„Mein Angebot steht noch. Ich müsste nur mit meinen Eltern reden und es ihnen erklären.“
„Das geht nicht, nach allem was passiert ist.“ Er hatte richtig Angst vor einer Begegnung, dass war deutlich.
„Sie werden es verstehen, glaub mir.“
„Fabi, was ist mit der Uni?“
Offenbar klammerte er sich an jeden noch so kleinen Vorwand und ich seufzte. „Es wird schon, ich bin eigentlich ganz gut im Stoff, müsste aber kurz mit ein paar Kommilitonen und meinem Prof sprechen.“
„Also gut. Schlimmer kann es eigentlich nicht mehr werden.“ Resignierend sank er tiefer in den Sessel.
Mein Herz machte vor Freude einen Hüpfer. „Ich bin gleich bei dir.“
Das Telefon war schnell zur Hand ich und wählte die Nummer meiner Eltern.
„Fabian, ist alles okay bei dir?“ Meine Mutter schien neben dem Telefon gewartet zu haben, so schnell wie sie dran ging.
„Hallo Mama, ja, es geht soweit. Deswegen rufe ich auch an. Hier sind einige Dinge passiert. Patrick und ich brauchen eine kleine Auszeit und … hättet ihr etwas dagegen, wenn wir euch besuchen würden?“
Patrick sah erwartungsvoll zu mir rüber und ich wartete angespannt auf ihre Antwort.
„Mama, bitte. Wir erzählen euch auch alles ganz genau. Gebt ihm bitte eine Chance“, flehte ich sie an.
„Also gut. Wann kommt ihr her?“ Im Hintergrund hörte ich Paps leise reden.
„Eventuell morgen Abend?“ Die Frage galt eher Patrick und er nickte.
„Morgen ist okay. Das Gästezimmer muss ich wohl nicht vorbereiten, oder?“
„Nein, Mama. Und danke.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. „Seid bitte nett zu ihm, er hat es gerade nicht leicht.“
„Wir geben uns Mühe. Bis morgen, Schatz.“ Sie klang nicht wirklich glücklich darüber.
„Bis morgen, Mama. Hab dich lieb und grüß Papa.“
Wir beendeten das Gespräch. Patrick starrte mutlos vor sich hin und ich setzte mich auf seinen Schoß. Er brauchte dringend eine Ablenkung.
„Es wird schon, glaub mir. Wir sollten das Studio heute ausfallen lassen und uns mit Jochen auf ein Bier treffen.“
Er lächelte leicht. „Eine gute Idee. Seit unserem Auftritt in der Firma hatten wir noch keine Gelegenheit zum quatschen.“
Patrick schob mich sanft von seinem Schoß und ging in die Küche, um die Anfänge des Essens in den Kühlschrank zu stellen. Dann rief er unseren Kollegen an, der dieser Planänderung zustimmte. Wir verabredeten uns in einem Restaurant und machten uns ausgehfertig.
***
„Da kommt ja unser Tagesgespräch!“ Jochen wartete bereits am Tisch und erhob sich grinsend.
„Wie ist die Stimmung in der Firma?“ Patrick und ich reichten ihm nacheinander die Hand.
„Gut. Ein paar sind überrascht, aber es scheint niemand ein ernsthaftes Problem damit zu haben. Es wird natürlich viel über euch geredet.“
Das war zu erwarten, aber Patrick nahm es recht locker auf.
„Und dich hat es nicht überrascht?“
„Nicht richtig. Ich kenne dich schon lang genug und du warst in den letzten Tagen ziemlich verändert. Du erinnerst dich an meine Umarmung im Studio? Seitdem hatte ich den Verdacht.“
„Oh. Du Hund.“ Patrick lachte und ich verstand nur Bahnhof.
„Welche Umarmung?“, fragte ich.
Mein Freund erzählte von dem Tag, an dem er die Trennung von Tini verkündete. Jochen hatte ihn abends getestet, nachdem Patrick meine Umarmung in der Küche zugelassen hatte.
Ein Kellner notierte unsere Wünsche und brachte bald darauf unsere Bestellungen. Ausnahmsweise griff ich auch zu einem einzelnen Bier.
„Und wie geht es dir jetzt dabei?“ Forschend legte Jochen seinen Blick auf mich, als Patrick kurz in Richtung Toiletten verschwunden war. Während des Essens hatte mein Freund die letzten Neuigkeiten knapp zusammengefasst.
„Die Frage meinst du nicht ernst, oder?“
Seine Augen funkelten kurz amüsiert auf. „Das du glücklich bist, ist mir klar. Aber im Moment geht doch so einiges drunter und drüber.“
„Na ja, ich hätte es mir schon irgendwie einfacher gewünscht, aber er bemüht sich sehr um mich und es tut verdammt gut.“
Alles konnte ich meinem Kollegen nicht erzählen, für die letzten Monate hätte er wohl kaum Verständnis gehabt. Und Patrick sollte nicht mit noch mehr Vorwürfen konfrontiert werden. Sein Zustand bereitete mir auch so schon genügend Sorgen.
„Seine krankhafte Ablehnung dir gegenüber, hätte mir eigentlich schon viel früher zu denken geben sollen.“
„Lass uns bitte nicht darüber reden. Diesen Teil möchte ich ganz schnell vergessen. Wir müssen all unsere Energie auf die nächsten Wochen konzentrieren.“
„Verstehe schon. Ich war ja selber auch ziemlich sauer auf ihn. Und ihr wollt morgen wirklich fahren?“
„Ja, er muss unbedingt für ein paar Tage hier weg, sonst dreht er noch völlig durch.“
Nickend stimmte Jochen mir zu und schien die Sorge zu teilen. „Wenn das alles stimmt, dann haben seine Eltern echt ein mieses Spiel mit ihm getrieben.“
„Er schafft das, egal wie es ausgeht und ich werde alles tun, um ihm zu helfen.“
„Wobei helfen?“ Patrick legte seine Hand auf meine Schulter, als er mir einen schnellen Kuss auf die Wange gab.
„Dir dabei helfen, ein anständiger Mensch zu werden“, lachte Jochen.
„Wenn das einer schaffen kann, dann Fabian.“ Das Grinsen meines Freundes wirkte etwas gequält, für solche Scherze hatte er momentan nicht viel übrig.
Viel länger hielten wir es auch nicht mehr aus. Patrick und Jochen tranken noch ein paar wenige Biere, während ich mich, nach der einen Ausnahme, an Wasser klammerte, damit wir noch sicher heim kamen.
„Ich werde euch Kramer vom Hals halten, auch wenn es Überstunden bedeutet. Nicht das er am Ende doch noch Arbeit für euch hat.“ Jochen zeigte sich großzügig und schwankte beim Aufstehen leicht, so wie mein Freund auch.
„Danke, du hast was gut.“ Wir verabschiedeten uns vor dem Lokal und unser Kollege ließ sich schwer in ein wartendes Taxi fallen.
„Das Essen war eine gute Idee, ich fühl mich etwas besser.“ Patrick beugte sich zu mir rüber und gab mir einen sanften Kuss auf die Lippen, kaum dass wir im Auto saßen. Sein Atem roch nur leicht nach Alkohol. Für eine kurze Zeit befürchtete ich, er würde sich betrinken, aber der neue Pat mied den Rausch. Seit dem Tag, an dem ich ihn völlig betrunken in seiner Wohnung fand, hatte er nicht eine Flasche von dem Malt mehr im Haus.
„Gern geschehen. Und ab Morgen ist Entspannung pur angesagt, dann liegen wir den ganzen Tag am Strand.“ Ich freute mich wahnsinnig darauf, aber die Erinnerung, an das Treffen mit meinen Eltern, ließ seine verbesserte Stimmung wieder abflauen.
„Vertrau mir, Pat, dass wird gut gehen.“
Er seufzte nur.
Patrick
Schweigsam verbrachten wir die restliche Fahrt zu mir. Ein kurzer Urlaub wäre zwar das Richtige gewesen, doch mit unserem geplanten Ziel konnte ich mich nicht anfreunden. Fabians Zuversicht wollte nicht so Recht überspringen.
Beinahe schon routiniert stellte er meinen Wagen vor dem Haus ab und öffnete mir galant die Tür. Seine ausgestreckte Hand beachtete ich nicht und kämpfte mich mühsam aus dem Sitz heraus.
Enttäuscht ließ er die Hand wieder sinken. „Wenn du nicht willst, dann sag es mir, aber ignorier mich nicht schon wieder. Ich meine es doch nur gut, du Dickkopf!“
Nachdenklich sah ich zu seinen Augen auf, die mich mit einem undefinierbaren Blick musterten. Er wirkte verletzt und sauer.
„Nein, lass uns fahren. Es tut mir leid.“ Ich hielt ihm meinen rechten Arm entgegen und er griff sofort nach der Hand, zog mich in seine Umarmung.
In der Wohnung hielten wir uns nicht lange im Bad auf und gingen gleich ins Bett. Er kuschelte seinen nackten Körper fest an mich heran und das Gefühl seiner Nähe machte mich, wider Erwarten, auf eine angenehme Art schläfrig. Ich spürte das gleichmäßige Klopfen seines Herzens an meiner Seite.
„Ich bin froh das du bei mir bist“, flüsterte ich ihn sein Ohr.
Mit müden Augen sah er auf und seine Lippen verzogen sich zu einem zaghaften Lächeln. „Du wirst mich auch nicht mehr los“, kam es flüsternd von ihm.
„Ich nehme dich beim Wort“, antwortete ich leise, doch er hörte es nicht mehr. Zaghaft streichelte ich über seinen schlafenden Körper und hatte plötzlich ein sehnsüchtiges Verlangen nach mehr, wollte mit ihm schlafen und ihn dicht an mir fühlen. Wie sein bestes Stück wohl schmecken würde? In dieser Richtung fehlte mir jede Erfahrung. Aber ich erinnerte mich, mit welcher lustvollen Leidenschaft er mich immer verwöhnt hatte.
Fabian bewegte sich, seine Hand rutschte tiefer und kam auf meinem Becken zur Ruhe.
‚Na perfekt’, murmelte ich und hielt den Atem an, als er seinen Kopf unter meiner Achsel vergrub und mich sein Atem auf der empfindlichen Haut kitzelte. Die kurzen blonden Bartstoppeln, welche man bei Licht kaum erkennen konnte, taten ihr übriges, als sein Kinn mich berührte. All diese kleinen Reize lösten unglaubliche Gefühle in mir aus, in einer Intensität, die ich bei Tini vorher nicht empfunden hatte. Der Sex mit ihr war toll, aber es gab keinen Vergleich zu dem, was Fabian hier unbewusst mit mir anstellte.
Wieder bewegte sich seine Hand, nur wenige Millimeter tiefer und ein Kribbeln zog durch meinen Körper. Und als ob das noch nicht gereicht hätte, schob sich sein oberes Bein über meinen Oberschenkel. Sein schlankes Knie kam kurz vor meinem Lendenbereich zum liegen. Schlief er wirklich? Ich lauschte in die Dunkelheit und hörte seinen gleichmäßigen Atem. Außerdem lag seine Männlichkeit schlapp an meiner Hüfte.
Dann setzte sein Atem kurz aus und er schmatze leise, die feuchten Lippen berührten einen der oberen Rippenbögen und eine prickelnde Gänsehaut breitete sich wellenförmig über meinem Körper aus.
Mein Verstand schaltete sich langsam aus und ich genoss die totale Reizüberflutung, während sich mein Atem beschleunigte. Der Daumen seiner Hand strich hauchzart über den äußeren Rand meiner gekürzten Schambehaarung und legte damit endgültig den letzten Schalter um: ich unterdrückte ein Stöhnen und kam, ohne das eine einzige Hand mein bestes Stück berührt hatte.
Nur langsam beruhigte sich mein Herz und ich fühlte mich auf eine glückliche Art befreit. Entspannt konnte ich nun seine Nähe genießen und schlief bald darauf ein.
***
Der Morgen begann, wie der Abend zuvor geendet hatte, in entspanntem Glück. Fabian war nicht einen Zentimeter von mir abgewichen, lag aber mit dem Kopf nun auf meiner Schulter, die sich ein wenig taub anfühlte.
Ich kroch langsam unter ihm hervor und bettete seinen Arm vorsichtig unter seinen Kopf, damit er nicht aufwachte. Mit einem Bündel frischer Klamotten ging ich unter die Dusche, um die getrockneten Spuren unseres ‚Nicht-treibens’ zu beseitigen. Bei dem Gedanken daran musste ich lächeln, so etwas hatte ich definitiv noch nie erlebt.
In der Küche heizte ich den Kaffeeautomaten ein und beobachtete den anbrechenden Tag durch das Fenster. Gerade wurde es 7 Uhr und es herrschte bereits geschäftiges Treiben auf der Straße. All zu lange würde ich meinen Kleinen nicht mehr schlafen lassen können, da er früh zur Uni wollte, um seine Abwesenheit zu regeln. Doch darüber musste ich mir keine Gedanken machen, denn kaum war die erste Tasse Kaffee durchgelaufen, hörte ich leise Schritte im Flur. Mein Freund tauchte nackt und völlig verpennt in der Küche auf.
„Guten Morgen, Schlafmütze.“ Ich ging auf ihn zu und schlang meine Arme um den warmen Körper. „Magst du auch einen Kaffee?“ Verschlafen nickte er an meiner Schulter. Noch nie hatte ich ihn direkt nach dem Aufstehen erlebt und fand das irgendwie süß.
Mit meinem Mund neckte ich seine Lippen und entlockte ihm ein Lächeln.
„Guten Morgen“, nuschelte er.
Zärtlich strich ich mit der Hand über den knackigen Läuferpo und genoss das samtig-weiche Gefühl seiner Haut, was er mit einem Seufzen quittierte. Ich verstand mein altes Verhalten immer weniger, jetzt, wo ich meine Finger kaum noch von ihm lassen konnte. Doch dafür blieb jetzt keine Zeit und ich gab ihm einen sanften Klaps auf den Hintern, bevor ich mich von ihm löste. Er reagierte mit einem unwilligen Murren.
„Später, Schlafmütze“, vertröstete ich ihn und reichte ihm einen Tasse mit dampfenden Koffein. Ich betrachtete weiterhin seinen nackten Körper, den er mir ohne Scheu zur Schau stellte.
„Ich mag deine Blicke“, lächelte er. „Es kommt mir immer noch wie ein Traum vor.“
Schweren Herzens riss ich mich von seinem Anblick los. „Ich würde ja auch gerne noch mit dir weiter träumen, aber dafür haben wir kaum noch Zeit.“
„Du hast Recht.“ Er nippte vorsichtig an dem heißen Getränk. „Ich verschwinde mal schnell ins Bad.“
Die kurze Wartezeit verbrachte ich am Fenster, nachdem er sich in die Dusche verabschiedet hatte. Erneut dachte ich an die bevorstehende Reise und die Nervosität kehrte zurück. Auch Tini und meine Zieheltern spukten mir durch den Kopf. Die Vergangenheit brach mir unter den Füßen weg und ich hatte nur den einen Halt, den Fabian mir geben konnte. Doch dazu gehörten auch seine Eltern.
Derartig versunken bemerkte ich nicht, wie er die Küche wieder betrat, bis sich sein Arm um mich legte. Ich schrak kurz zusammen.
„Ich bin es nur. Denkst du wieder an heute Abend?“ Sein Kehlkopf vibrierte an meiner Schulter, nachdem er sich an mich geschmiegt hatte.
„Ja, auch. Sag mal, trinken deine Eltern Wein?“
Er dachte einen Moment nach. „Irgendeinen Rotwein, aber ich weiß nicht welchen. Trockener Rotwein.“
„Dann lass mich bitte in der Stadt raus, du kannst das Auto haben.“
Ich bekam einen dankbaren Kuss auf den Hals. „Das ist super. Ich hatte mir schon überlegt, wie ich an mein Fahrrad komme.“
Fabian ließ mich in der Stadt aus dem Auto und fuhr weiter zur Uni. Ich besorgte derweil einen guten Wein und zusätzlich einen schönen Strauß frischer Blumen, den ich seiner Mutter geben wollte.
In einem Café wartete ich dann auf seinen Anruf und gönnte mir ein kleines Frühstück.
Die Sonne genießend schloss ich die Augen und lauschte auf die Geräusche in der Straße. Kreischende Kinder und sich unterhaltende Menschen mischten sich unter das Geklapper von Schuhen.
„Darf ich Ihnen noch etwas bringen?“ Der junge Kellner riss mich aus der Geräuschwelt.
„Einen Kaffee, bitte.“
Er nickte kurz und räumte mein leeres Geschirr ab. Nachdenklich sah ich ihm hinterher, als er im Laden verschwand. Eigentlich war er ganz nett anzusehen und ich fragte mich, ob mir auch andere Männer gefallen würden. Doch der Gedanke ihn anzufassen ließ mich schaudern. Nein, ich wollte Fabian.
Meine Augen richteten sich wieder auf das hektische Treiben und ich zuckte zusammen. Aus der Menschenmenge schälte sich Tini heraus, in einem knappen roten Kostüm und hochhakigen Schuhen gleicher Farbe. Sie hatte ihr Handy zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt, während sie in der schwarzen Handtasche etwas suchte.
Offensichtlich hatte sie den Vormittag bei einem Frisör verbracht und die neue Frisur stand ihr gut. Das ehemals rot-blonde Haar leuchtete in einem hellen Braunton und war etwas kürzer als vorher.
Dann sah sie mich und ließ die Tasche unschlüssig sinken. „Ich rufe später zurück.“
Meine Ex beendete das Gespräch und kam langsam auf mich zu.
„Patrick, was machst du hier?“
„Frühstücken.“ Die Antwort kam ziemlich aggressiv und ich wollte sie schnell wieder loswerden. Tini sah gut aus und genau dieses Empfinden störte mich.
„Allein?“ Hoffnung klang in der Stimme mit.
Ich zeigte auf meine Einkäufe. „Das sind Mitbringsel für Fabians Eltern. Er ist gerade in der Uni und regelt seine Abwesenheit.“
Sie setzte sich ungefragt auf den freien Stuhl an meinem Tisch. „Patrick, ich habe mich falsch verhalten. Diese eine Nacht hätte nicht passieren dürfen. Aber ich war so wütend auf dich. Ich bin einfach zu weit gegangen.“ Ihre Hand griff nach meiner und ich zog sie hastig weg. Ihr sanfter Blick passte nicht mehr zu dem Bild der Furie, die mich nur wenige Tage zuvor zum Sex erpresst hatte.
„Zu weit gegangen? Mehr fällt dir nicht dazu ein? Tini, ohne Fabian wäre ich am Tag drauf vermutlich an meiner eigenen Kotze erstickt. Mir wäre es an dem Tag egal gewesen, die Demütigungen waren zu viel. Er hat mich ins Leben zurückgeholt!“
Die Art, wie sie die Aktion herunterspielen wollte, machte mich sauer. „Es ist alles gesagt. Uns verbindet nur noch das Kind, aber mit dir will ich ansonsten keinen Kontakt mehr.“
„Du liebst ihn wirklich?“ Eine Träne stahl sich in ihr Auge.
„Ja, sieh es endlich ein.“ Der Kellner brachte meinen Kaffee und ich bezahlte.
„Hier, trink den Kaffee, ich muss weg.“ Mit diesen Worten schob ich ihr die Tasse rüber, raffte meine Sachen zusammen und ging. Kurz darauf klingelte auch endlich das Telefon.
Fabian
Erleichtert verließ ich das Sprechzimmer von meinem Professor. Ein paar befreundete Kommilitonen würden ihre Unterlagen für mich kopieren.
Voller Vorfreude griff ich nach dem Handy. „Ich bin fertig. Wo steckst du?“
„Auf der Flucht“, brummte er mir entgegen. „Tini hat mein Frühstück gestört. Komm bitte zur Haltestelle vor der Passage, ich bin gleich da.“
„Okay, ich beeil mich!“ Als er nichts mehr sagte drückte ich das Gespräch weg. Hoffentlich war seine Stimmung nicht zu weit unten.
Kaum zehn Minuten später hielt ich am Treffpunkt an. Patrick wartete bereits ungeduldig und winkte mir zu. Schnell sprang ich aus dem Wagen und öffnete den Kofferraum, wo er seine Einkäufe verstaute.
Unschlüssig sah ich ihn an und wusste nicht was ich sagen sollte. Er bemerkte den Blick, sah sich kurz um und legte seine gesunde Hand auf meine Wange, bevor er mich zu einem flüchtigen Kuss heranzog.
„Alles okay, Kleiner. Mir geht es gut.“
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
***
Mittlerweile war es dunkel und die letzten Kilometer lagen vor uns. Patrick wurde auf der Fahrt immer stiller. In der Wohnung wirkte er noch ganz normal, als wir unsere Klamotten in Rekordtempo zusammenpackten. Von Staus blieben wir weitestgehend verschont und lauschten ein paar CD’s. Doch die Nervosität nahm stetig zu.
Pünktlich zu den Nachrichten um 22:00 Uhr erreichten wir die Einfahrt zum Haus meiner Eltern und ich parkte unter dem Carport neben der Eingangstür.
Ich schnappte mir die Reisetaschen aus dem Kofferraum und machte mich auf den Weg zur Tür, während Patrick zögerlich die Geschenke betrachtete. Auf dem Hof blieb es dunkel, eine der Glühbirnen war durchgebrannt.
Meine Mutter stand im Eingang und wartete bereits. Schummriges Licht drang aus dem Haus.
„Hallo mein Schatz“, begrüßte sie mich. Ihr misstrauischer Blick ging an mir vorbei in die Dunkelheit.
„Hi, Mama.“ Ich drehte mich nach der Umarmung ebenfalls um und erkannte Patricks schemenhafte Silhouette. „Bitte denk an dein Versprechen“, flüsterte ich.
„Ja, ist schon gut, wir werden versuchen nett zu sein.“
Ich warf ihr einen flehenden Blick zu. „Nicht versuchen. Es war schon schwer genug ihn hierher zu bekommen. Er hat seine Fehler eingesehen.“
Sie seufzte auf. „Ist ja gut, guck mich nicht so treudoof an.“
Leise näherten sich die Schritte meines Freundes. „Guten Abend, Frau Westerkamp. Ich bin Patrick, Patrick Reder.“ Seine Stimme klang unsicher und zitterte.
Er trat in das schwache Licht des Hauses und meine Mutter riss überrascht die Augen auf, als sie ihn ansah.
Mechanisch streckte sie ihm die Hand entgegen. „Heidemarie Westerkamp, hallo.“
Das Verhalten meiner Mutter und der starrende Blick irritierte Patrick zusehends. „Stimmt etwas nicht?“
„Nein, Sie erinnern mich nur an jemanden.“ Ich hatte eine starke Vorahnung, auf wen sie anspielte.
„Sie meinen bestimmt Thomas. Fabian hat mir erzählt, ich sähe ihm ähnlich.“ Bei der Erwähnung des Namens sah er mich liebevoll an und legte seine Hand auf meine Schulter.
„Ich habe ihm alles von Thomas erzählt, Mama.“
Sie riss sich von seinem Anblick los und bat uns ins Haus. „Anton ist noch schnell in die Stadt gefahren, er kommt sicher gleich, der Supermarkt hat ja jetzt geschlossen.“ Ihr Tonfall wirkte nervös, von Ablehnung keine Spur.
Patrick ging wieder zum Auto um seine Mitbringsel zu holen.
„Du hast gesagt, er sähe ihm ähnlich. Aber er sieht aus wie er.“ Sie flüsterte, damit mein Freund es nicht hören konnte.
„Ich weiß. Ein unglaublicher Zufall, oder? Man könnte sie für Brüder halten. Und sein Verhalten ist dem von Thomas auch ganz ähnlich geworden. Ich fühle mich genau so wohl in Patricks Nähe.“
Sie sagte nichts sondern blickte wieder zur Tür, wo mein Großer mit dem Strauß Blumen stand und schüchtern lächelte. „Der ist für Sie, Frau Westerkamp.“
Mama lächelte zurück. „Heidi reicht völlig, Patrick. Ein hübscher Strauß, danke.“ Sie ließ uns ins Wohnzimmer und suchte nach einer Vase, während ich die Taschen neben die Tür stellte. „Geht es dir gut?“
Patrick stand etwas verloren vor dem Sofa. „Ich glaube ja. Die Begrüßung war etwas unheimlich.“
Ich ging auf ihn zu und er schloss mich sofort in seine Arme. Er vergrub sein Gesicht in meiner Schulter und atmete tief ein, bis ein Räusperer von der Tür ihn zurückfahren ließ.
„Lasst euch nicht stören. Ich wollte nur etwas zum Trinken bringen. Was möchtet ihr?“
„Kaffee!“, riefen Pat und ich gleichzeitig.
Wir setzten uns auf die Couch und warteten. Er legte seine Hand in meine und bettete seinen Kopf auf meiner Schulter. Der Tag und die Fahrt steckten uns beiden in den Knochen und ich unterdrückte ein Gähnen.
Mama brachte den Kaffee und ich bemerkte ihre heimlichen Blicke, mit denen sie Patrick unauffällig musterte. Scheinwerferlicht drang durch die Fenster und der Kombi meines Vaters fuhr auf den Hof.
Meine Mutter verschwand zur Tür und kehrte kurz darauf zurück. „Anton braucht Hilfe, er hat eine neue Festzeltgarnitur gekauft.“
Patrick stand sofort auf und wir gingen beide nach draußen.
„Hallo Papa“, mein Vater nahm mich herzlich in den Arm.
„Schön, dass du hier bist, Fabian. Na, wo ist dein Freund?“
Ich zeigte auf die Haustür, wo mein Großer schüchtern wartete und mit seinen Fingern spielte. So zurückhaltend sah man ihn selten und er wirkte um Jahre jünger. In solchen Momenten wurde die Ähnlichkeit zu Tommy noch größer. Und mein Vater reagierte beinahe genau so seltsam, wie es Mama auch schon getan hatte.
Langsam schritt er auf die Tür zu und Patrick fühlte sich sichtbar unwohler, unter den forschenden Augen meines Vaters.
„Hallo, Herr Westerkamp. Patrick Reder.“ Er hielt meinem Vater die Hand entgegen, die dieser auch gleich ergriff.
„Anton. Habt ihr die Fahrt gut überstanden?“ Der lässige Plauderton sorgte wieder für Entspannung.
„Ja, danke, Fabian fährt wirklich gut.“
„Das will ich meinen“, lachte Paps. „Er hatte auch den besten Fahrlehrer im Rostocker Umland.“
Patrick schaltete schnell. „Sie… du bist Fahrlehrer?“
„Fahrschule Westerkamp, ganz genau.“ Mein Vater klopfte meinem Freund wohlwollend auf den linken Oberarm, was Patrick ein schmerzvolles Stöhnen entlockte. Die Prellung war noch zu frisch und er hatte auch einen ziemlich Bluterguss.
„Alles in Ordnung?“
„Papa, lass uns später darüber reden“, schritt ich helfend ein. Das Thema war gewiss nichts für einen nächtlichen Hofplausch. Patrick sah das ähnlich und lächelte mich dankbar und mit leicht schmerzverzehrter Miene an.
Paps klemmte sich die Bänke unter die Arme und wir trugen gemeinsam den Tisch hinter das Haus, auf die Terrasse. Mama ließ uns über die Glastür zum Esszimmer herein.
Geschlossen gingen wir ins Wohnzimmer zurück und setzten uns. Die Stimmung war angespannt und meine Eltern musterten Patrick ständig mit kurzen Blicken.
Mir wurde das zuviel. „Ja, er sieht Thomas ähnlich.“ Mein Freund schien im Sofa versinken zu wollen.
„Es tut mir leid, dass ich euch so mit dem Besuch überfallen habe, aber wir mussten einfach mal raus aus Heidelberg. Die Situation ist ziemlich angespannt.“
Meine Eltern schwiegen taktvoll, aber die fragenden Gesichter machten deutlich, dass sie mehr hören wollte.
„Meine Ex-Freundin ist schwanger und nicht glücklich darüber, dass ich mich für Fabian entschieden habe. Sie hat einigen Ärger provoziert. Ich gebe zu, ich wollte nicht herkommen, wegen allem was vorher zwischen Fabian und mir passiert ist. Das war ganz großer Mist.“
„Das war es allerdings. Aber wenn ich mir unseren Sohn so anschaue, dann scheint ihr eure Probleme im Griff zu haben.“
Patrick nickte und unterdrückte ein Gähnen. „Ja, ich weiß nicht, wo ich jetzt ohne ihn wäre.“
Mein Vater schien mit der Antwort noch nicht ganz zufrieden. „Das war vermutlich noch nicht alles, oder? Es geht uns zwar nichts an, aber wir würden gerne mehr darüber erfahren, wie es bei euch zu dieser Wende kam.“
Pat verspannte ein wenig und Mama lenkte ein. „Wir sollten morgen in aller Frische weiterreden. Ich glaube die Jungs sind müde, Anton.“
Sie erntete ein zustimmendes Nicken und wir wünschten uns eine gute Nacht, bevor sich alle in ihre Räume verteilten.
„Hast du ein Bild von ihm?“ Patrick sah sich aufmerksam in meinem alten Zimmer um. „Ich würde gerne verstehen, warum deine Eltern so seltsam auf mich reagieren.“
Wortlos ging ich auf eins der Regale über meinem Schreibtisch zu und zog ein Fotoalbum hervor. Ich blätterte durch die Seiten, bis ich zu einem Schnappschuss von uns kam, den meine Eltern, ungefähr ein halbes Jahr vor Tommies Tod, in einem Rostocker Café gemacht hatten. Thomas und ich unterhielten uns damals über einen Surfwettbewerb und er strahlte richtig dabei. Das Foto hatte es unglaublich gut eingefangen.
„Ach du Scheiße!“ Patrick stand hinter mir und starrte fassungslos auf das Bild. „Wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte das ein Bild von uns sein.“
Er sah mich nachdenklich an und ich ahnte, was ihm wohl durch den Kopf ging. Es war bestimmt wieder eine Frage, die er mir schon vor ein paar Tagen gestellt hatte und er sah sich hier aufs Neue bestätigt.
„Nein, Patrick, ich habe mich vielleicht wegen der Optik in dich verknallt, aber ich liebe dich. Den Menschen Patrick Reder. Du bist nicht Thomas Maler. Ich hab mich ja auch schon gefragt, ob du nicht sein Bruder gewesen sein könntest, nach der Offenbahrung deiner Mutter, aber es ist unmöglich. Seine Eltern sind in deinem Geburtsjahr geflohen und wurden geschnappt. Er kam vier Jahre ins Gefängnis und sie musste in einer Fabrik arbeiten. Von einem Kind haben sie nie etwas erzählt. Marlies hat damals auf Robert gewartet und sie wurden gleich wieder ein Paar, kurz nach seiner Entlassung. In der Nacht wurde dann auch Thomas gezeugt. Er kam einen Tag vor mir im gleichen Krankenhaus zur Welt.“
„Und wenn sie bei der Flucht ein Kind gehabt hätten, was wäre damit passiert?“
„Der Staat hätte es sicher einbehalten und unter anderem Namen in ein Heim und zu Pflegeeltern gegeben. So was war früher normal, um die Kinder zu staatstreuen Menschen zu erziehen. Doch dann hätten die Beiden ihr Kind, nach Öffnung der Stasiakten bzw. nach dem Mauerfall gesucht.“
„Sie hatten ein Kind bei der Flucht dabei und es wurde ihnen weggenommen. Sie fanden Holger, ihren ersten Sohn. Er ist bei den Pflegeeltern verstorben, nur eine Woche nach der Übergabe.“
Wir hatten Mama nicht bemerkt, die wartend in meiner offenen Zimmertür stand. „Verstorben, zwei Monate nach seiner Geburt im Februar 82. Der Totenschein war, glaube ich, auf den dritten April ausgestellt. Marlies hat mir davon erzählt. Erfahren haben sie davon 93, als ihnen endlich jemand Auskunft geben konnte.“
Patrick wurde blass. Ich erinnerte mich, dass er einen Tag später Geburtstag hatte. Konnte das alles Zufall sein? „Mama, warum habt ihr nie etwas gesagt?“
„Marlies und Robert wollten es nicht. Die Beiden haben damals sehr darunter gelitten und wollten euch damit nicht belasten. Und nach Thomas Tod ging es überhaupt nicht mehr. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre nur einen Sohn zu verlieren, aber gleich zwei… das ist unmenschlich.“
„Frau We… Heidi, wir sollten uns morgen wirklich über ein paar Dinge unterhalten. Aber ich muss erst noch einiges sortieren.“
„Selbstverständlich, Patrick. Schlaft gut.“
Mein Freund zitterte. „Fabi, was hältst du davon? Es sind alles ein paar Zufälle zuviel, oder nicht?“
„Ich weiß nicht. Möglich wäre es schon. Die Geschichte deiner Ziehmutter und das jetzt… und dann frag ich mich wieder, wie wahrscheinlich es ist, dass ausgerechnet wir uns treffen, so weit von meiner Heimat entfernt.“
Patrick sah schlecht aus und seine Hand legte sich verkrampft auf seinen Bauch. „Wo ist die Toilette?“, fragte er gehetzt und ich deutete auf die Tür neben dem Schreibtisch, auf mein kleines Privatbad.
Patrick stürmte los und ich hörte nur noch, wie der Klodeckel gegen die Wand fiel und wie er sich röchelnd übergeben musste. Eine gewisse Hilflosigkeit machte sich in mir breit. Die Idee hinter dem Urlaub war schließlich eine Ablenkung von dem ganzen Stress in Heidelberg und nun kam es noch dicker. Ich hoffte, dass er deswegen nicht sauer auf mich war.
Nach einigen Minuten kehrte er aus dem Bad zurück und sah furchtbar aus. Wortlos legte er sich auf mein Bett und schloss die Augen. Der Brustkorb hob und senkte sich schneller als üblich und die Anspannung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Vorsichtig ließ ich mich auf der Bettkante nieder. „Bist du böse auf mich?“
Seine kalte Hand suchte nach meiner und fand sie. „Du bist ein Idiot, wenn du das wirklich denkst.“
„An deiner Art, wie du mir etwas Nettes sagen kannst, sollten wir noch arbeiten“, lächelte ich unwillkürlich.
„Du könntest damit anfangen und dich an mich kuscheln.“ Er rückte ein Stück zur Seite, kam aber nicht sonderlich weit, da mein Bett nur einen Meter breit war.
„Und wie soll das deiner Ausdrucksweise helfen?“, gab ich skeptisch zurück.
Er warf mir einen genervten Blick zu und klopfte ungeduldig auf die Matratze. Also fügte ich mich und kuschelte mich an seinen zittrigen Körper. Mit der Hand auf seiner Brust spürte ich den wummernden Herzschlag.
„Schön, dass du bei mir bist“, sagte er leise. „Besser?“
„Viel besser. Aber ich habe vorhin etwas gesagt und du hast nicht darauf reagiert.“
„Was meinst du?“
„Ich hab gesagt dass ich dich liebe.“
„Ach das meinst du! Ja, ich weiß.“ Er grinste mich unverschämt an und aus Rache kniff ich ihm in die Hüfte.
„Aua!“, jammerte er übertrieben theatralisch. „Ich liebe dich auch, mehr als jemals jemanden zuvor.“
So einen Satz hatte ich nicht erwartet und war mehr als positiv überrascht. „Wow, danke.“
„War das jetzt gut genug?“ Seine Hand spielte an meiner Jeans herum und öffnete den obersten Knopf. Dann folgte der Reißverschluss. Ein wohliges Stöhnen entrann meiner Kehle. Innerhalb von wenigen Augenblicken hatte er meinen Schwanz aus dem Gefängnis befreit und ich schloss die Augen, bis ich seine warme, feuchte Hand…
‚Gestern hatte seine Hand noch keine Zähne’, dachte ich.
Ungläubig riss ich die Augen auf und sah eindeutig seine Zunge, die sich an dem rapide verhärtenden Schaft bemerkbar machte.
„Was tust du da?“, stöhnte ich.
„Etwas, dass ich erst vor Kurzem gerne getan hätte. Aber jetzt bist du ja wach.“
War er wirklich schon so weit? Das intensive Gefühl in meinen Lenden wischte die vorsichtigen Bedenken hinfort, denn ein Paar warmer Lippen schloss sich fordernd um meine blanke Spitze und fing an zu saugen, während eine, nun deutlich wärmere Hand, zärtlich meine Hoden knetete. Mit der Zunge stahl er den ersten Lusttropfen von meiner Eichel und er leckte sich vorsichtig über die Lippen.
„So schmeckt das also. Lecker“, grinste er.
Zu einer klaren Antwort war ich längst nicht mehr fähig. Meine Zweifel, ob er sich wirklich jemals auf mich einlassen könnte, waren wie ‚weggeblasen’, im wahrsten Sinne des Wortes. Es war kaum zu glauben, dass er es heute zum ersten Mal machte. Die Art und Weise, wie er seine Zähne vorsichtig an der empfindlichen Haut spielen ließ, war mehr als gekonnt.
Kaum stülpte sich sein Rachen wieder über die gesamte Länge, da setzte auch mein Kopf wieder ein. Ich stand kurz vor dem Höhepunkt und gab ein warnendes Knurren von mir. Meine Hände wollten seinen Kopf wegziehen, doch er wischte sie zur Seite. Hilflos gab ich mich dem unaufhaltsamen Höhepunkt hin. Zum einen genoss ich das irre Gefühl in mir, welches befreiender als alles andere zuvor war und zum anderen bekam ich Angst, dass er sich an der Stelle maßlos überforderte.
Seine starken Hände hielten meine Hüfte umklammert und er zog mich immer näher an sich heran. Während es in Wellen aus mir heraus floss, sah er mir tief in die Augen und ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkel nahm mir die Angst. Es gefiel ihm.
Er leckte sich erneut über die Lippen und sah mich reumütig an.
„Was ist mit dir? Bereust du es?“ Ein Teil meiner Furcht kehrte zurück.
„Ja, ich bereue einiges, aber nicht dieses hier.“
Die Wärme in seiner Stimme bereitete mir eine wohlige Gänsehaut. „Und was bereust du im Moment?“
„Das wir… .“ Er stand auf und legte sich halb auf mich, bevor unsere Lippen zu einem innigen Kuss verschmolzen. „Das wir uns danach nie geküsst haben“, beendete er seinen Satz, nachdem er sich wieder von mir gelöst hatte.
Er streifte sich das Shirt ab und legte sich seitlich neben mich. Die Schwellung seines Armes war zurückgegangen und hatte ein Muster bunter Flecken zurückgelassen. Vorsichtig fuhr ich mit dem Finger über den Erguss und er stöhnte leicht auf. Es tat immer noch weh. Dennoch löste er die Knöpfe meines leichten gelben Sommerhemdes und streifte es über meine Schultern. Ich half ihm dabei und kurz darauf lag auch dieses am Boden.
„Fabi, ich möchte mit dir schlafen, richtig mit dir schlafen. Wäre das okay für dich?“
Als Antwort nickte ich ihm lächelnd zu und reichte ihm das Gleitgel aus der Schublade neben dem Bett. Er nahm die kühle Tube an sich und rieb sie einen Moment zwischen seinen Händen, bis er einen ordentlichen Klacks auf seine Finger lud, um es dort weiter anzuwärmen. Mit seinem Finger platzierte er das angewärmte Zeug auf und in meinem Po, bevor er sich auch seine eigene Erektion einrieb. Ich schmiegte meinen Rücken an seine Brust, damit der beeinträchtigte Arm locker über mir liegen konnte. Mit der anderen Hand dirigierte ich ihn näher an sein Ziel.
Da dieses nicht mein erster Analverkehr war, es gab ja auch Kerle vor Patrick, ging ich mit der nötigen Entspannung an die Sache heran. Allerdings war er der Erste, der ohne Gummi ran durfte. Patrick drang nahezu problemlos ein, blieb aber übervorsichtig.
„Mach ruhig weiter, ich melde mich schon, wenn es zu heftig wird.“
Er schob sich ein Stück tiefer hinein und ein lustvolles Stöhnen entfuhr mir, als die breite Spitze über meine Prostata schrammte.
„Tut das weh?“ Er hielt unsicher inne,
„Um Gottes Willen, mach weiter!“
Er überwand die letzten fehlenden Zentimeter und setzte zu gleichmäßigen Stößen an. Es dauerte auch nicht sehr lang, bis sein Körper hinter mir zu zucken anfing und ein unterdrücktes Stöhnen an mein Ohr drang. Patrick sagte nichts und versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Ich kuschelte mich etwas dichter heran und genoss das ausgefüllte Gefühl.
„Willst du … noch fertig machen?“
Langsam drehte ich meinen Kopf zu ihm und betrachtete das, vor Verlegenheit, gerötete Gesicht.
„Ich glaube, du würdest lieber reden?“, fragte ich ihn lächelnd.
Ein leichtes Nicken war die Antwort. „Hab ich dir wirklich nicht wehgetan?“
„Ganz im Gegenteil. Du warst wirklich toll, beide Male.“
Ein weiteres, unerwartet scheues, Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Es war so anders als alles zuvor, viel schöner.“ Mühsam unterdrückte er ein Gähnen.
„Wollen wir noch schnell duschen und dann schlafen?“
Er machte ein zustimmendes Geräusch und wir huschten ins Bad.
Patrick
Fabian lag bereits schlafend an meiner Seite, geschafft von der langen Fahrt und unserem ersten Mal. Meine Gedanken kreisten ausnahmslos um die letzten zwei Stunden, die seither vergangen waren. Sex mit ihm war mit nichts anderem zu vergleichen und er hatte die trüben Erinnerungen an die Diskussion davor restlos verdrängt.
Doch nun waren diese Gedanken wieder da. Die Möglichkeit, der Bruder von diesem Thomas zu sein, war so absurd, dass es schon beinahe wieder einleuchtend war. Dann wäre auch diese nagende Frage, warum meine wirklichen Eltern mich weggaben, plausibel beantwortet. Aber all dies konnte auch weiterhin ein gewaltiger Zufall sein. Es gab ein totes Kind, wenn auch nur die Sterbeurkunde. Und Urkunden mussten nicht zwangsweise echt sein.
Ich drängte all diese Gedanken aus meinem Kopf und lauschte den ruhigen Atemzügen meines Freundes, dessen Lippen, vom roten Licht des Weckers beschienen, zu einem Lächeln verzogen waren. Mit diesem Bild vor Augen schlief ich dann ebenfalls ein.
***
Gegen neun Uhr kitzelte mich das Sonnenlicht wach und ich erlebte eine ungewohnte Situation: Fabian war nicht mehr bei mir und ich knurrte frustriert. Sein kuschelig-warmer Körper fehlte mir und ich verstand, wie er sich in den letzten Tagen gefühlt haben musste, wenn ich morgens weg war. Ein Punkt, der sich zukünftig ändern würde.
Der Duft von Brötchen und Kaffee lag in der Luft und ich zog mich vorsichtshalber an, bevor ich am Ende seinen Eltern begegnete.
In eine Zeitung vertieft saß Fabian am Küchentisch. Auf der Arbeitsplatte stand ein Tablett mit Brötchen, zwei Kaffeetassen und frischem Orangensaft. Ich räusperte mich und er sah auf.
„Guten Morgen, du bist ja schon wach!“
„Ja, es war so einsam im Bett“, entgegnete ich mit einem gespielten Vorwurf.
Sein Blick glitt zu einer kleinen Küchenuhr. „In zwei Minuten sind die Eier fertig, dann hätte ich dich mit Frühstück geweckt. Wie geht es dir?“
„Viel besser. Und dir?“
Er lächelte. „Es war noch nie besser. Von so einer Nacht konnte ich bisher nur träumen. Tut mir übrigens leid, dass ich nach der Dusche so schnell eingeschlafen bin, aber es ging nicht mehr anders.“
„Kein Problem.“ Ich nahm mir eine Tasse vom Tablett, der Kaffee war noch heiß. „Wo sind deine Eltern?“
„Papa ist arbeiten und Mama hat eine Nachricht hinterlassen, sie müsse noch etwas erledigen und das es spät werden könnte. Der Tag gehört also nur uns allein. Wir könnten zum Strand, dass Wetter ist vielversprechend.“
„In der Sonne brutzeln und im Wasser planschen?“
„Nur wenn du willst. Wir können natürlich auch was anderes machen“, lenkte er ein, weil er mich scheinbar falsch verstanden hatte.
„Nein, Sonne und Meer ist perfekt. Dafür sind wir ja eigentlich auch hergekommen.“ Fabian strahlte gleich noch ein Stück mehr.
Das Frühstück ließen wir uns in der Küche schmecken und mein Kleiner räumte blitzschnell die Reste weg, bevor er sich einen gepackten Rucksack schnappte. „Ich hab schon Handtücher und Badesachen eingepackt, wir können also gleich los.“
Gesagt, getan, keine zwanzig Minuten später erreichten wir den Strand. Fabian räumte den Rucksack aus und legte die Badehosen auf die Tücher, zwei rote Hosen im Retrolook.
„Und wo ziehen wir uns um?“ Zur Antwort streifte mein Kleiner seine Klamotten ab und saß kurz nackt, für alle sichtbar, am Strand, bis die neue Hose ihren angestammten Platz fand.
„Ganz einfach, macht hier fast jeder.“
Ich ließ mein Shirt an und zog es über den Schritt, bevor ich mich meiner Hose entledigte und etwas verkrampft die Badeshort überzog, die die richtigen Stellen auffällig betonte.
„Nicht so schüchtern, nackt steht dir echt gut“, grinste er mich an. „Oder duschst du nach dem Training mit Klamotten?“
„Blödmann“, gab ich zurück und streifte mir das Shirt ab. Mein verkrampfter Versuch, mich umzuziehen, hatte tatsächlich mehr Aufmerksamkeit erregt als Fabians Klamottentausch.
„Entspann dich ein wenig, genieße die Sonne und lausche dem Meer, dass hilft wirklich.“
Leicht verstimmt legte ich mich auf die Decke und schloss die Augen, aber wirkliche Entspannung wollte nicht aufkommen. Fabian ließ sich neben mir auf das Tuch fallen und ich spürte sein Bein leicht an meinem.
„Hörst du wie die Wellen leicht gegen den Strand laufen? Gleichmäßig, wie ein Pulsschlag. Wenn du genau aufpasst, dann hörst du wie sich der Kamm kräuselt und in das leise Rauschen übergeht, wenn sie gekippt ist. Das Wasser läuft leise am Sand hinauf und noch bevor es zurückfließt legt sich die nächste Welle darüber. Für einen kurzen Moment berühren sie sich, wälzen sich über den Strand und liebkosen sich, wie flüchtige Liebhaber.“
Seine Stimme hatte beinahe einen hypnotischen Klang und seine Worte entspannten mich tatsächlich. Mein Kopf befreite sich von den Problemen der letzten Woche und ich hörte nur noch die rauschenden Wellen und seine sanfte Stimme, während seine Hände mir sanft Sonnencreme in die Haut massierte.
Nach einigen Minuten hatte ich das Gefühl, den leichten Aufprall der Wellen spüren zu können und Fabians Liebe zu dieser Urgewalt schwappte herüber. Ich hätte ewig hier bleiben können. Irgendwann schlief ich ein.
***
Mein Hals fühlte sich völlig ausgetrocknet an und ich wachte auf. Ich musste wohl eine ganze Weile geschlafen haben und lag in meinem eigenen Saft. Mir war wahnsinnig heiß.
„Heidelberg ist wirklich sehr schön, aber mit der Heimat ist es nicht vergleichbar.“ Fabians leise Stimme hob sich nur leicht vom Meeresrauschen ab. „Aber ich habe ihn und den gibt es eben nur dort.“
„Ist es ihm auch wirklich so ernst wie dir?“ Die Stimme war männlich und mir völlig unbekannt.
„Da bin ich mir sicher“, kam es sehr zuversichtlich von meinem Freund.
Langsam richtete ich mich auf und öffnete die Augen. Neben Fabian saß ein Typ in meinem Alter, ziemlich attraktiv, wie ich mir eingestehen musste.
„Hey, du bist ja wach“, lächelte Fabian mich an. „Stefan, das ist Patrick.“
Dieser Stefan ließ seine Zähne aufblitzen und hielt mir die Hand hin. „Hi, schön dich kennen zu lernen.“
„Er arbeitet für meinen Vater, einer seiner Fahrlehrer“, erklärte mein Kleiner.
„Ich muss dann auch mal wieder weiter, meine Frau ist mit unserem Knirps ganz allein und der ist gerade in einer anstrengenden Phase. Ich wünsch euch was. Und Fabian, melde dich ruhig mal zwischendurch.“
„Geht klar, Gruß an Carmen und Pascal.“
Stefan verschwand in Richtung Promenade.
„Hast du eigentlich was zum Trinken dabei?“
Fabian nickte und gab mir eine erwärmte Flasche Wasser. „Wir sollten uns abkühlen gehen.“
Er stand auf und sein schweißnasser Körper glänzte in der Sonne. Auffordernd streckte er mir seine Hand entgegen. Wir alberten eine ganze Weile im kalten Wasser herum, trugen wilde Wasserschlachten aus und übten uns im Ringkampf. Selten hatte ich soviel Spaß gehabt. Fabian bereicherte mein Leben in unglaublich vielen Punkten.
Nach der anstrengenden Schlacht, die wegen dem engen Körperkontakt glücklicherweise im eiskalten Meer stattfand, legten wir uns zum Trocknen wieder auf unseren Platz. Überglücklich zog ich seinen kalten Körper heran und küsste ihn spontan, ohne mir Gedanken über mögliche Zuschauer zu machen.
Gegen 16:00 Uhr rafften wir unsere Klamotten zusammen, denn der Hunger zog uns in sein Elternhaus. Auf ein weiteres Umziehen am Strand verzichteten wir.
„Und was hast du jetzt vor?“ Fabian hatte meine Hand genommen und sah mich ernst an, während wir zu ihm Heim liefen.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht sollten wir uns einfach mal mit Thomas Eltern treffen, auch wenn ich nicht glaube, dass es was hilft.“ Es war immerhin eine kleine Spur auf dem Weg zu meiner Vergangenheit. Ich versprach mir nicht allzu viel davon, allein schon, um nicht enttäuscht zu werden.
„Gute Idee, ich hab da auch schon dran gedacht. Wenn Marlies und Robert das überhaupt möchten, dann können wir ja morgen nach Lübeck fahren.“
„Gerne, es kommt auf einen Versuch an.“
Wir erreichten das Haus nur kurze Zeit später. Ein kleiner roter Mazda parkte vor dem Haus.
„Mama ist zurück.“ Heidi war durch das offene Küchenfenster zu sehen und huschte geschäftig hin und her. Wie auf Kommando knurrte mein Magen und Fabian lachte.
„Die Seeluft macht ganz schön hungrig, was?“
„Das Toben im Wasser mit überdrehten Studenten aber auch“, konterte ich.
Plötzlich war sein Mund ganz nah an meinem Ohr. „Ich würde auch ganz gerne wieder in meinem Zimmer mit dir toben, ohne Zuschauer und ohne Badehose“, flüsterte er.
„Kleiner Nimmersatt“, raunte ich zurück und spürte die aufkommende Lust. „Aber die Idee ist sehr gut.“ Wir küssten uns leidenschaftlich, ein Stück abseits vom Sichtbereich der Küche.
Im Haus begaben wir uns gleich in die Kochstube, wo Heidi erschrocken zusammenzuckte, da sie von unserer Rückkehr nichts mitbekommen hatte.
„Hallo Mama. Was hast du denn vor? Das sind ja Unmengen.“
„Das ist eine Überraschung, Schatz. Hallo Patrick.“ Sie lächelte mich an und es wirkte deutlich weniger verkrampft als am Vortag.
„Hallo Heidi.“
Sie rührte weiter im Topf herum.
„Mama, wir wollen morgen eventuell nach Lübeck.“
Heidi hielt inne. „Was wollt ihr denn da?“
„Marlies und Rob besuchen. Es ist nur eine kleine Spur, aber wir sollten ihr nachgehen.“
„Spur?“ Fabians Mutter war sichtbar irritiert. Es wurde Zeit für eine Erklärung.
„Heidi, das Gespräch gestern hatte einen bestimmten Hintergrund. Es geht nicht nur um diese Ähnlichkeit. Wir haben erst diese Woche erfahren, dass meine Eltern nicht meine Eltern sind. Meine Mutter behauptet, dass meine Geburtsurkunde gefälscht ist. Meinen Vater kann ich dazu im Moment nicht befragen, er sitzt in Untersuchungshaft.“
Heidemarie wurde blass. „Im Gefängnis?“
„Ja“, antwortete ich zögerlich. „Er wollte mich umbringen. Meine Ex hatte ein Foto geschossen, wo ich Fabian im Arm hielt. Das war noch bevor wir wirklich zusammen waren. Und das hat ihm gereicht.“ Bei dem Gedanken, wie knapp ich davongekommen war, bildete sich ein dicker Kloß im Hals.
Heidi sah mich aus schreckensgeweiteten Augen an und Fabian sprach weiter. „Patricks Geburtstag ist ein Tag nach Holgers Tod. Es mag ein Zufall sein, aber wir wollen dem nachgehen.“
„Oh mein Gott.“ Heidi war durch die Informationsflut überfordert. Bei der Mordattacke von Heinrich schien es ihr schon zuviel zu werden, aber die Anhäufung der Zufälle war zuviel.
„Mama, alles okay?“ Fabian war besorgt.
„Ich glaube das alles nicht. Was für ein Dreckskerl! Deswegen einen Menschen zu töten und dann aus einem Verdacht heraus? Wie kann …“, sie seufzte. „Du wurdest also am vierten April ‚geboren’? Ein ziemlich großer Zufall.“ Sie rührte gedankenverloren im Topf. „Den Weg nach Lübeck könnt ihr euch sparen, die beiden machen Urlaub auf dem Campingplatz. Wir haben sie für heute zum Essen eingeladen. Das ist die Überraschung. Ich muss Marlies anrufen.“ Schnurstracks eilte sie aus der Küche.
Erschöpft ließ ich mich auf einen Stuhl sinken, mein Herz klopfte bis zum Hals. Fabian setzte sich auf meinen Schoß und schlang seine Arme um meinen Hals. „Hey, ganz ruhig, ich bin bei dir.“ Seine Lippen lagen an meinem Hals und ich spürte die sanften Küsse auf meiner Haut. Langsam normalisierte sich mein Puls wieder.
Heidi kam mit dem Telefon am Ohr zurück. „Gut, dann bis gleich. Ja, mache ich. Tschüß.“ Sie legte das Gerät auf dem Küchentisch ab und sah uns unschlüssig an. „Ich habe sie vorgewarnt und ich soll euch beide ganz lieb grüßen. Marlies ist ziemlich aufgeregt, auch wenn es ein Fehlalarm sein sollte. Normalerweise bleiben Tote tot, aber wer weiß was unsere feine Regierung damals für Schweinereien abgezogen hat.“
In dem Punkt musste ich ihr Recht geben. Über die DDR hatte man schon einiges gehört. Und genau dieser Gedanke weckte wieder etwas mehr Hoffnung und gleichzeitig die Angst, dass diese Spur eine Sackgasse war. Fabian musste das gespürt haben und schmiegte sich gleich wieder fester an mich heran.
Fabian
Die Stimmung war gespannt und Patrick war ein nervöses Wrack. Sein Gesicht wirkte bleich und eingefallen. Also blieb ich auf seinem Schoß sitzen und streichelte seinen Nacken. Zum Dank erntete ich ein liebevolles Lächeln, doch seine Augen starrten auf einen Punkt an der Wand.
Minute um Minute verstrich und plötzlich hörten wir ein Auto im Hof. Patrick wurde unruhig und Mama stürmte zum Fenster.
„Es ist Anton“, gab sie Entwarnung und mein Schatz sackte wieder in sich zusammen.
„Möchtet ihr ihm das erzählen, oder soll ich?“ Mama sah uns fragend an, aber Patrick sagte nichts.
„Soll sie es ihm sagen, Großer?“ Er nickte leicht und meine Mutter verschwand aus der Küche. Nach weiteren fünf Minuten betraten beide den Raum. Paps schaute betreten aus der Wäsche.
Kurz darauf ertönte wieder das knirschende Geräusch von Reifen auf Kies. Mama führte uns ins Wohnzimmer und Papa wartete an der Tür. Aus dem Flur drang leises Gemurmel zu uns herein, während Patrick weiterhin apathisch auf den Boden starrte. Es war eigenartig, ihn so zu sehen. Ich hatte ihn als willensstark und selbstbewusst kennengelernt, er war groß und wirklich sehr athletisch gebaut. Doch nun saß er hier wie ein verängstigtes Kind und von seiner körperlichen Kraft war nichts zu sehen.
Mama erhob sich und ging zur Zimmertür. Im Flur stand Marlies und klammerte sich an Robert fest. Ihre Blicke suchten nach Patrick und sie musterte ihn nervös aus der Entfernung. Viel war von seiner gekrümmten Gestalt bestimmt nicht zu sehen. Dann betraten sie endlich den Raum.
„Hi“, rief ich leise und Robert nickte mir zu, den Blick aber gebannt auf Patrick gerichtet.
„Großer, sie sind da.“ Als ich nach seiner Hand griff blickte er auf. Seine Miene war schwer zu deuten. Im direkten Vergleich fiel mir die Ähnlichkeit zu Robert auf.
Marlies sah ihm zum ersten Mal ins Gesicht und ihre Augen weiteten sich. „Oh mein Gott“, flüsterte sie.
„Rob, Marlies, dass ist Patrick“, machte ich sie bekannt.
Der Vater meines Jugendfreundes machte ein paar Schritte auf uns zu und streckte seine Hand aus. „Freut mich dich kennen zu lernen, Patrick“, sagte er mit wackeliger Stimme.
Mein Freund griff unsicher nach der Hand. „Gleichfalls.“
„Heidi hat uns schon alles erzählt. Ich… ich weiß nicht was ich sagen soll, aber ich könnte schwören… aber wie kann das möglich sein?“ Robert war nicht weniger nervös als wir alle.
Patrick klammerte sich an der Hand fest, ihm standen Tränen in den Augen. Er schluckte schwer und wollte offenbar etwas sagen, doch er blieb stumm.
Mir kam eine Idee, wie wir vielleicht die Spur noch erweitern konnten. „Kann die Sterbeurkunde gefälscht sein? Habt ihr mit dem damaligen Arzt gesprochen?“
„Nein, wir hatten keinen Zweifel an der Urkunde. Wir wussten ja, dass die Kinder in Heime oder Pflegefamilien gesteckt wurden. Aber viele Familien wurden nach der Wende wieder vereint und es gab keinen Grund der Urkunde nicht zu glauben.“
Zwischenzeitlich hatte Patrick seine Hand wieder sinken lassen und er sah Robert an. „Dann müssen wir diesen Arzt finden und fragen. Kennen… erinnerst du dich an den Namen?“
Marlies trat einen Schritt vor. „Den Namen werde ich nie vergessen. Die Urkunde wurde von Dr. Franz Billmeier unterzeichnet.“
Ich zuckte vor Schreck zusammen und Erkenntnis glomm in Patricks Augen auf. „Billmeier?“, flüsterte er.
„Ihr kennt ihn?“ Robert hielt seine Frau fest im Arm und Patrick nickte.
„Besser als mir lieb ist.“ Mein Freund stand auf. „Aber in diesem Fall… ich glaube nicht das euer Sohn gestorben ist. Er wurde nach Heidelberg geschleust und“, Patrick kämpfte schwer mit seiner Fassung, die ich schon längst verloren hatte. Als der Name des Arztes fiel, da war mir bereits alles klar. „Und steht jetzt vor euch.“
Die folgenden Minuten waren kaum zu beschreiben. Patrick und seine leiblichen Eltern standen im Wohnzimmer, hielten sich in den Armen und weinten hemmungslos.
Meine Eltern hatten sich in die Küche zurückgezogen, aber auch in ihren Augen stand das Wasser. Die Malers hatten so lange unter dem Verlust ihrer beiden Söhne leiden müssen, doch nun hatten sie einen zurück. Und ich war überglücklich, hatte ich mich doch tatsächlich in Tommies Bruder verliebt.
***
In den folgenden Monaten normalisierte sich unser Leben stetig. Patrick und ich lebten unsere Liebe in jeder Beziehung aus. Seine körperliche Scheu gehörte sehr bald der Vergangenheit an. Marlies und Robert konnten sich nach längerer Suche, beruflich im Heidelberger Umland neu orientieren.
Dadurch konnten wir uns, sehr zur Freude von Herr Kramer, auch wieder ganz auf unsere Arbeit in der Agentur und ich auf mein Studium konzentrieren.
Mein Freund fand in den beiden eine wertvolle Unterstützung und es entwickelte sich eine harmonische Familienbeziehung. Gemeinsam brachten wir auch Billmeier ins Gefängnis, der mit Heinrich Reder zusammen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und seine Zulassung verlor. Seine Ziehmutter wurde in ein Pflegeheim verlegt.
Im Laufe der Zeit freundete ich mich sogar mit Tini an, die keine weiteren Versuche mehr unternahm, um Patrick zurückzugewinnen. Sie hatte sich damit abgefunden und verstand sich auch mit den Malers sehr gut.
Etwa sieben Monate später (Patrick)
„Gut, dann haben wir alles. Legt los!“ Ich beendete das Meeting und wir machten uns an unser neues Projekt. Fabian wartete bis alle anderen verschwunden waren und gab mir einen Kuss. Sofort erwachte in mir die Lust auf mehr, aber dazu blieb am Abend noch ausreichend Zeit.
Plötzlich stürmte Moni in den Besprechungsraum. „Patrick, deine Eltern haben angerufen, ihr sollt sofort ins Krankenhaus kommen. Es ist soweit!“
„Ach du Schande. Okay, Fabi, geh ans Auto, ich sag Kramer Bescheid!“
„Schon erledigt, ihr habt grünes Licht“, antwortete meine Kollegin sofort.
„Danke, bis später!“ Eilig stürmten wir zum Auto und steuerten auf das Krankenhaus zu.
„Bist du sehr aufgeregt?“ Fabians Hand glitt, wie schon so oft, in meine eigene und nahm mir die Anspannung. Natürlich war ich aufgeregt, mein erstes und definitiv einziges Kind kam zur Welt.
Mein Vater, Robert, wartete bereits im Eingangsbereich und rauchte eine Zigarette. Als erstes nahm er mich in den Arm, eine Geste, die mir anfangs sehr fremd war. Aber ich gewöhnte mich schnell daran. „Herzlichen Glückwunsch, du hast einen Sohn!“ In seiner Stimme schwang großväterlicher Stolz mit.
Er führte uns in das Krankenzimmer, wo meine Mutter alleine wartete. Auch hier wiederholte sich die Umarmung mit den Glückwünschen. „Christine wird gleich gebracht, die Geburt ist aber gut verlaufen, sehr schnell.“
Wenige Minuten später wurde Tini samt Bett ins Zimmer gebracht, gefolgt von einer Schwester mit einem rollenden Kinderbett.
„Hi“, begrüßte sie uns müde.
„Hallo, du Mama.“
Fabian beugte sich über das kleine Bettchen und lächelte selig. „Süß, der Kleine. Hast du dich eigentlich schon für einen Namen entschieden?“
„Ja, habe ich.“ Sie musterte meine Eltern auffällig lange, bevor sie uns antwortete. „Wenn ihr nichts dagegen habt, dann soll euer Enkel Thomas heißen.“
Die beiden nickten, zu Tränen gerührt. Tini sah nun auch zu Fabian und mir. „Und was denkt ihr?“
Ich nickte ihr sprachlos zu. Thomas war perfekt. Mein Freund streichelte über den kleinen Kopf. „Hi Tommy, willkommen auf der Erde.“
Ende
„Oh verdammt, ist das gut“, keuchte ich und gab dem Höhepunkt nach.
Kurz darauf ließen mich diese, fast perfekten, Lippen frei.
Fabian erhob sich und sah mich flehend aus seinen haselnussfarbenen Augen an, die Hand lag an seinem Gürtel. Die hellbraunen Haare waren von meinen Händen zerzaust und der schlanke Läuferkörper war unsicher angespannt. Sofort kehrte mein Ärger zurück.
„Was soll das“, blaffte ich ihn an.
„Ich hab gehofft, ich dürfte mich neben dir erleichtern, nur dieses eine Mal. Bitte, Patrick.“
„Wie oft eigentlich noch? Ich hab keinen Bock dir zu zuschauen, wenn du an dir rumspielst. Geh ins Bad, oder verpiss dich nach Hause, verstanden?“
Er stand wieder kurz vor einem diesen Heulanfälle und sah mich traurig an.
„Okay, dann mach dich vom Acker, ich melde mich wieder bei dir.“
Mir war schon klar, dass ich ihn damit verletzte, aber er wollte es doch so. Unsere Treffen fanden schon seit einem halben Jahr regelmäßig statt, seit unserer Betriebsweihnachtsfeier. Er fing Mitte letzten Jahres bei uns an, um sich etwas zum Studium hinzu zu verdienen, obwohl ihm seine Eltern das meiste finanzierten.
Ich merkte schon relativ früh, dass er sich gerne in meiner Nähe aufhielt, tat es anfänglich aber noch als Zufall ab. Doch als er Tini, meine Freundin, und mich spätabends in meinem Büro beim Sex erwischte, da sah ich seine Tränen und wusste, dass da mehr war. Fast ein halbes Jahr beobachtete ich ihn, testete seine Reaktionen auf meine Nähe und war mir sehr sicher, dass er sich in mich verliebt hatte.
Meine unerklärliche Neugierde darauf, wie sich seine Lippen anfühlen würden, wuchs. Auf der Feier trank ich ein wenig über den Durst und im Rausch kam mir eine Idee. Bevor ich mich völlig abschoss, fragte ich Fabian, ob er mich nach Hause fahren würde. Er war, erwartungsgemäß, sofort dazu bereit. Bei mir daheim erzählte ich ihm von meiner Neugierde und war eigentlich davon überzeugt, dass er nicht widerstehen können würde.
Erst sah er mich ungläubig an, ließ sich aber darauf ein. Nach dem, zugegeben genialen, Höhepunkt machte sich bei mir die Ernüchterung breit. Ich hatte einen Homo an mein bestes Stück gelassen und fand es gut. Er machte Anstalten sich zu entkleiden und ich bat ihn zu gehen. Er zögerte einen Moment und warf mir einen bittenden Blick zu. Ich forderte ihn erneut auf zu verschwinden und diesmal tat er es, wortlos und sichtbar traurig.
Es blieb nicht bei dem einen Mal, dafür war es zu geil. Ein Wort von mir genügte und er war immer wieder zur Stelle. Er musste wissen, dass es mir nur um das Eine ging, um das Gefühl seiner begnadeten Lippen.
Fabian erinnerte mich ein wenig an meine Mutter. Mein Vater war der uneingeschränkte Herr im Haus und sie hatte nichts zu melden, ertrug seine Affären und wandte sich dem Alkohol zu. Gefühle hatten in seinen Augen keine Berechtigung, denn sie lenkten nur von den wahren Zielen ab. Ich war ein gelehriger Schüler und Fabian zählte für mich nicht direkt als Mann.
Tini war ganz anders als meine Mutter, ein dominanter Kontrollfreak und das führte oft zu Streitereien. Trotzdem blieb ich mit ihr zusammen. Mein Vater zeigte seine Abneigung ihr gegenüber ohne Scheu. Sie hassten sich gegenseitig.
Ich stand auf und zog kommentarlos meine Hose hoch. Fabian stand noch immer am selben Fleck.
„Sag mal, bist du taub? Du kennst das Spiel. Wie oft denn noch? Ich steh nicht auf Kerle, sei doch froh, dass ich dir das hier manchmal erlaube. Es ist gut, okay, aber deswegen schulde ich dir nichts.“
Seufzend schloss er die Augen und atmete schwer aus. „Okay, ich warte auf deinen Anruf. Bis dann.“
Traurig trottete er zur Tür und schloss sie behutsam hinter sich. Kurze Zeit später sah ich ihn durch das Fenster, als er mit hängenden Schultern das Grundstück verließ.
Das Hochgefühl des Orgasmus hatte völlig nachgelassen und war meiner Wut gewichen. Dieser Schwachkopf wollte es einfach nicht kapieren. War es etwa meine Schuld, dass er sich in mich verliebt hatte? Ich hatte ihm nie Hoffnung gemacht. Er durfte lediglich manchmal an mir rumlutschen, weil er es wirklich verdammt gut konnte.
Ich ging zum Barfach, schnappte mir den guten Single-Malt und spülte meinen Ärger mit einem halbvollen Glas herunter. Nach dem dritten Nachschlag tat er mir plötzlich ein wenig Leid.
„Er hat selber Schuld“, murmelte ich und griff zum Telefon.
„Was willst du“, kam es scharf aus dem Hörer.
„Tini, der Streit tut mir Leid. Kannst du herkommen?“
„Hast du getrunken?“
„Ja, aber nur ein bisschen. Bitte, Tini, ich brauch dich bei mir.“
Meine Freundin seufzte hörbar. „Okay, ich bin in einer halben Stunde bei dir. Gott, ich weiß nicht, warum ich das tue.“
„Weil du mich liebst“, schlug ich ihr vor.
„Vermutlich. Also bis gleich.“ Es knackte in der Leitung und ich lauschte noch dem Besetztton, bevor ich mich in die Dusche schwang und Fabians Sabber, sowie den Duft seines Aftershaves von mir wusch.
Ich trocknete mich gerade ab, als die Tür geräuschvoll zuschlug und Tinis Absätze auf dem Laminat im Flur klapperten.
„Pat?“ Ihre Stimme scholl laut durch die Wohnung.
„Ich bin im Bad, Moment“, rief ich zurück und band mir schnell das große Handtuch um die Hüfte.
Dann stand sie auch schon in der Tür und betrachtete mich eingehend.
„Netter Aufzug. Sag mal, brauchst du mich, oder brauchst du Sex?“
„Beides. Das eine geht nicht ohne das andere.“
Der strenge Zug um ihre Augen entspannte sich. „Das will ich auch schwer hoffen. Du würdest es nicht überleben, wenn du mich mit irgendeiner anderen Schnepfe betrügst.“
„Würde mir nie einfallen, du bist meine einzige Schnepfe, Ehrenwort.“
„Na danke für das Kompliment“, antwortete sie in einem gespielt säuerlichen Tonfall.
In einer provokanten Haltung bewegte sie sich auf mich zu und ich drehte mich mit dem Rücken zum Waschbecken, die Hände am Rand abgestützt.
„Du hast mich eigentlich nicht verdient“, säuselte sie.
„Vermutlich nicht.“
Dann stand sie vor mir und öffnete das Handtuch, während meine Hand unter ihre Bluse glitt und einen der festen Hügel umfasste. Lust flackerte in ihren blauen Augen und sie warf lässig das rotblonde Haar über die Schulter.
„Du brauchst heute wohl Starthilfe.“ Ihr Blick ruhte auf meinem schlaffen Schwanz.
„Es war ein harter Tag, er wird rechtzeitig artig sein.“
Sie wollte nicht warten und ging auf die Knie. Einen Augenblick später glitten ihre vollen Lippen über mich und ich schloss die Augen. Aber es passte nicht, es war ein gieriges Rumgenuckel und mein Kleiner rührte sich nicht.
Fabian war leidenschaftlicher und kümmerte sich um mein bestes Stück, als ob es ein wertvoller Schatz sei, mit völliger Hingabe. Die fast perfekten Lippen, nur der Körper war der falsche. Der Gedanke an seine ‚Behandlung’ brachte tatsächlich Leben in mein schlaffes Teil.
„Na also, geht doch!“ Sie grinste mich von unten an und wirkte so, als ob sie einen Wettkampf gewonnen hätte, so triumphierend. Damit machte sie gleich wieder alles kaputt, die Stimmung war hinüber.
Frustriert knurrend machte sie sich gleich wieder ans Werk. Das wilde Gezerre und Gelutsche fing an weh zu tun.
„Verdammt, Tini, verrate mir bitte, was du da tust!“ Ich griff unter ihre Arme und zog sie nach oben.
„Ich will mir holen, was du versprochen hast. Was denkst du denn?“
„Ich hab dir nichts versprochen.“
„Und warum hast du dann angerufen? Ich dachte du willst Versöhnung feiern.“
„ Was ist, wenn ich einfach nur deine Gesellschaft brauche?“
Jetzt sah sie eindeutig wütend aus. „Moment mal, Freundchen. Du hast mich neulich weggeschickt, ich würde dir zu dicht auf die Pelle rücken. Du wolltest mal ‚frei durchatmen’. Und jetzt kommst du mit so einem Mist. Mit meinem Dildo hatte ich letzte Nacht mehr Spaß als mit dir die ganze letzte Woche über. Der würde vermutlich sogar mit mir reden, wenn er könnte. Ganz im Gegensatz zu dir.“
„Du hast echt nen Knall. Du willst reden? Dann schiess los “ Ihre Laune war ansteckend.
Sie rückte ihre Bluse zurecht. „Nein, danke, kein Bedarf. Ruf mich an, wenn du wieder bei Verstand bist.“
Völlig perplex blieb ich am Waschbecken stehen, bis die Wohnungstür laut zuknallte. Ich rannte hinterher und riss die Tür auf.
„Dann fick doch deinen verdammten Dildo!“ Meine Stimme hallte laut durch das Treppenhaus.
„Wichser“, scholl es von unten. Die Tür gegenüber öffnete sich und die alte Mohrbeck, meine Nachbarin, sah aus zusammengekniffenen Augen zu mir. Da wurde mir bewusst, dass ich noch immer nackt war und ihr Blick versprühte wütende Entrüstung.
„Na du alte Vettel, noch nie nen Schwanz gesehen?“ Meine zugegebenermaßen unbedachte Aussage brachte bei ihr das Fass zum Überlaufen.
„Das wird ein Nachspiel haben, Herr Reder. So nicht. Ich werde mich offiziell beim Vermieter beschweren.“ Mit diesen Worten verschwand sie in ihrer Wohnung und knallte die Tür zu. Ich sah eine Bewegung an ihrem Spion und streckte den Mittelfinger in ihre Richtung. Sie schnappte entrüstet nach Luft, ich hörte das angestrengte Rasseln ihres Atems. „Ein Nachspiel!“, hallte es gedämpft.
Wütend ging ich in meine Wohnung und warf nun meinerseits die Tür ins Schloss.
Beiläufig betrachtete ich mein Handy und fand eine neue Kurznachricht. Jochen, mein befreundeter Arbeitskollege, war auf dem Weg ins Fitnessstudio und hatte keine Lust allein zu trainieren. Erst wollte ich absagen, entschied mich aber dagegen. Der Tapetenwechsel war bitter nötig.
Etwas später…
„Echt toll, dass du noch vorbeigekommen bist.“
„Kein Ding, ich musste sowieso mal raus. Tini macht nur noch Stress. Erst beschwert sie sich, dass ich auf Abstand gehe und dann brauch ich ihre Gesellschaft und sie flippt aus, weil ich nicht mit ihr poppen will.“
„Man, ich kann es nicht mehr hören. Warum macht ihr nicht einfach Schluss. Ihr schafft nicht mal fünf Minuten Frieden zu halten, außer ihr vögelt euch das Hirn raus.“
„Weil der letzte Teil gut ist?“
Er schmetterte den Einwurf mit einer wegwerfenden Geste ab. „Das kann es doch wohl nicht sein?“
Ich stoppte das Fahrrad-Ergometer und wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Wenn sie nicht so zickig wäre, dann hätten wir es leichter.“
Jochen hob eine Augenbraue an. „Mal ganz im Ernst, du stehst ihr in Zickigkeit… – pardon, im machohaften Verhalten – in nichts nach.“
„Willst du alleine trainieren?“
„Genau das meine ich. Absolut nicht kritikfähig. Vor ein paar Monaten warst du noch zur Einsicht fähig. Was passiert bloß mit dir?“
„Tut mir Leid, ich bin wegen vorhin noch durch den Wind. Und ich bin sehr wohl kritikfähig.“
„Schon gut. Hauptsache du glaubst daran. Themenwechsel, okay? Ich mach den Anfang am Rudergerät.“
„Alles klar, dann geh ich zum Butterfly, wir können ja danach wechseln.“
Ich hockte mich auf die gepolsterte Bank, lehnte meinen Rücken an und legte die Unterarme an die Schaumstoffwülste. Dann ging es los. Die zwanzig Kilo waren mir zu wenig und ich steckte den Stift an den Gewichten auf glatte vierzig um. Nach drei Blöcken, mit jeweils dreißig Zügen, machte ich eine Pause.
Mein Blick schweifte durch das Center und blieb in einer der hinteren Ecken hängen, bei den Laufbändern, wo Fabian sich gerade verausgabte. Er starrte verbissen geradeaus und nahm keine Notiz von uns.
„Na, machst du schon schlapp?“ Jochen grinste mich hämisch an.
„3,6 Tonnen sind doch genug für den Anfang.“
„Du angeberischer Mathematiker. Okay, lass uns tauschen.“
Ich starrte weiterhin zu den Laufbändern.
„Erde an Patrick, ich sagte tauschen. Was ist denn los?“
„Schau mal, die Schwuchtel ist da.“
Sein Blick folgte meinem und er zuckte mit den Schultern.
„Na und? Lass ihn in Ruhe, er tut dir ja nichts.“
‚Wenn du wüsstest’, dachte ich.
„Du wirst doch wohl Manns genug sein und dich nicht von ihm bedroht fühlen, oder?“
„Bedroht? Bist du irre? Ich kann ihn einfach nicht leiden.“ In dem Moment blickte Fabian in unsere Richtung und seine Haut verlor sämtliche Farbe. Selbst aus der Entfernung konnte ich seinen verletzten Gesichtsausdruck wahrnehmen. Ich sah ihn kampflustig an und er verlor den Laufrhythmus. Unbeholfen stolperte er und fiel beinahe vom Band.
Eine Hand zog an meinem Kinn und Jochen stand mir gegenüber. „Schön, dass es dich amüsiert, wie er sich fast ziemlich weh getan hätte. Du gehst rudern, dann musst du ihn ja nicht ansehen.“
„Schon gut. Okay, Gerätetausch.“ Ich sah noch einmal kurz in die Ecke und Fabian war verschwunden.
Eine gute Stunde später standen wir ausgelaugt unter der Dusche. Das heiße Wasser rieselte wohltuend über meinen Körper. Als ich zum Shampoo greifen wollte bemerkte ich, dass Jochen mich musterte. Ich quittierte dieses mit einer neuen Portion Gereiztheit.
„Was ist?“
„Du benimmst dich in letzter Zeit ziemlich merkwürdig. Sogar für deine Verhältnisse.“
„Und deshalb glotzt du so?“
Sein Mund klappte kurz auf, aber er schloss ihn kopfschüttelnd wieder.
„Ja natürlich. Ich bin, wie alle Kerle die dich anschauen, von deinem Anblick schwul geworden und hinter dir her. Jeder Mann will dich. Vielleicht hab ich dich aber auch angeschaut, weil du ein Gesicht machst, als ob du jemanden umbringen willst.“
„Tut mir ja Leid, dass ich nicht lachend durch die Gegend renne. Der alte Kramer kontrolliert jeden meiner Schritte auf der Arbeit, Tini benimmt sich total abartig und ständig hängt die Schwuchtel hier rum.“
„Ja klar, die Anderen wieder. Das mit dem Kramer ist doch deine Schuld. Es ist ne Tatsache, dass du mit deinem Kram nicht nachkommst. Christine verstehe ich auch, wenn du bei ihr genau so bist wie die letzten Tage. Und dieser Fabian war schon vor dir hier. Ich kapier echt nicht, was dein Problem mit ihm ist. Ich steh auch nicht auf den Kram, den er mit seinen Typen macht, kenne aber meinen Platz sehr genau und muss mich deswegen nicht bedroht fühlen.“
„Und ich etwa nicht? Pass bloß auf, was du sagst.“
Innerlich kochte ich , aber auch Jochen schien die Geduld zu verlieren. Er war im Unrecht. Sich von einem Kerl einen blasen zu lassen macht schließlich nicht schwul, der Junge war einfach nur gut.
„Pat, ich hab keinen Bock auf diesen Scheiß. Mir ist es völlig egal, ob du nun hetero, schwul oder sonst was bist. Es kommt auf das Menschliche an und du gehst mir langsam sehr auf die Nerven.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich gehe gleich noch ein Bier trinken. Wenn du deine homophobe Kacke stecken lässt, dann darfst du mitkommen… Chef.“
„Ich werds versuchen.“
„Du lässt es. Basta. Oder geh gleich heim.“
Wir gingen natürlich noch in die Kneipe und aus einem Bier wurden drei. Der Alkohol lockerte und entspannte mich ein wenig.
„Jo, dass vorhin tut mir Leid. Ich steh einfach etwas unter Stress. Das geht wieder vorbei und wegen dem Kleinen reiß ich mich zusammen.“
Innerlich zuckte ich zusammen, wegen dem was mir da gerade rausgerutscht war. Hoffentlich hatte Jochen es nicht bemerkt.
„Der Kleine? Hat er jetzt Karriere gemacht?“ Natürlich hatte er es bemerkt.
„Die Schwuchtel, meine ich. Liegt wohl am Bier, ich kann nicht mehr klar denken.“
„Natürlich, war ja klar.“ Jochen schien nicht wirklich überzeugt.
Wir schwiegen uns eine Weile an, tranken aus und bezahlten.
„Bis morgen früh“, verabschiedete ich mich.
Jochen lachte auf. „Nein, danke. Samstags schlafe ich lieber aus.“
„Oh verdammt, stimmt ja. Bis Montag dann.“
Vor der Tür trennten sich unsere Wege. Vielleicht hatte mein Freund Recht und ich sollte etwas netter zu Fabian sein. Aber würde er das nicht falsch verstehen? Eigentlich war alles völlig okay. Ich hatte meinen Spaß und er bekam, was er wollte. Dann erinnerte ich mich an die Situation im Bad, als Tini vor mir kniete und ich dabei an ihn denken musste.
„Ach Schwachsinn“, murmelte ich. Das konnte nur passieren, weil meine Freundin so grob war.
Bald darauf war ich daheim und fiel in einen unruhigen Schlaf. Ich träumte von den fast perfekten Lippen.
—
„…fünf Kilometer Stau, die Bergungsarbeiten sind fast abgeschlossen. Ansonsten sind die Straßen frei, fahren sie vorsichtig.“
Ich tastete nach dem Radiowecker und hatte wohl vergessen ihn auszuschalten. Meine Beine kämpften sich aus dem Bett. Ich dackelte in die Küche und machte mir Kaffee. Die Zeiger der Wanduhr bildeten fast eine senkrechte Linie, noch eine Minute bis sechs Uhr.
Mit dem Rücken zur Arbeitsplatte wartete ich auf meinen Koffeindrink.
Eine Stunde später, in einer kleinen Studentenwohnung
Fabian wälzte sich unruhig im Bett herum, bis ihn sein Handy aus dem Schlaf erlöste.
„Ja?“ Seine Stimme klang noch völlig verschlafen.
„Hallo Schatz. Hab ich dich geweckt?“
„Ja, ist aber okay, Mama.“
„Ich wollte nur sicher gehen, dass du deinen Zug nicht verpasst. Oma freut sich schon auf dich, schließlich hat sie dich schon zwei Jahre nicht mehr gesehen. Und … Thomas Eltern kommen auch, sie freuen sich ebenfalls sehr darauf.“
Thomas … Fabian schluckte schwer. Thomas war sein bester Freund und die erste große heimliche Liebe. Mittlerweile war dieser schon seit vier Jahren tot.
Fabian wollte ihm eines Abends von seinen Gefühlen erzählen und trank sich deshalb Mut an. Doch dann wurde es zuviel und er schlief, vom Alkohol völlig hinüber, noch in der Kneipe ein. Thomas brachte ihn noch nach Hause und verschwand. Am nächsten Morgen waren sie zum Joggen verabredet, doch Fabian verschlief in seinem Rausch und so machte sich Thomas, mit einem mp3-Player bewaffnet, allein auf den Weg. Als er dann am frühen Morgen die verlassene Landstraße überquerte, hörte er das Auto nicht, welches sich schnell näherte. Der Fahrer selbst war völlig übermüdet und bemerkte den Läufer nicht, wie er es später bei der Polizei zu Protokoll gab.
Der Notarzt konnte nur noch den Tod des Jungen feststellen. Damals brach für den ehemals selbstbewussten Fabian eine Welt zusammen.
Danach entschied er sich zu einem großen Schritt und outete sich in der Schule. Sein Versteckspiel und die Angst hatten ihm einen hohen Preis abverlangt. Wäre er früher schon ehrlich gewesen, dann hätte Thomas nicht sterben müssen, befand er für sich selbst.
Dabei hatte er großes Glück. Die wenigen Mobber wurden von seinen Freunden in Schach gehalten.
Thomas Eltern entdeckten bald darauf das Tagebuch ihres Sohnes und fanden heraus, dass er ebenfalls viel für Fabian empfand. Das versetzte Fabian einen weiteren Schlag. Sie beide hätten jetzt glücklich und zusammen sein können. Doch er hatte es verbockt und somit einen tödlichen Fehler begangen .
Später begegnete er Patrick. Er hätte ein Bruder von Thomas sein können. Dasselbe dunkelblau strahlte aus seinen Augen, die gleichen schwarzen Haare fielen ihnen strähnig ins Gesicht und beide waren sie ein gutes Stück größer als er, der sich mit einem Meter neunundsiebzig eher klein fand. Beide hatten zudem eine ähnlich athletisch-kraftvolle Statur. Gut, er war 27 Jahre alt und Thomas wäre jetzt, so wie Fabian auch, 22.
Er dachte, er hätte nach der Sache mit Tommy eine zweite Chance bekommen. Doch so ähnlich sie auch aussahen, so unterschiedlich war ihr Charakter. Wie sehr vermisste Fabian die freundschaftlichen Umarmungen von damals! Patrick reichte ihm, im Normalfall, nicht einmal die Hand. Aber Fabian dachte, er sei nur unsicher und hoffte, dass sein Schwarm bald zu seinen Gefühlen stehen würde. Patrick hatte ihm während der vielen Treffen schon zärtliche Blicke zugeworfen.
„Fabian? Was ist mit Dir? Bist du eingeschlafen?“
„Nein, ich hab nur gerade an damals gedacht. Ich vermisse ihn.“
„Das weiß ich doch, mein Schatz. Also, bitte mach dich fertig, der Zug wartet nicht. Dann bist du bald bei uns.“
Er war hin und her gerissen. Was wäre denn, wenn Patrick ihn brauchte?
„Mama … ich kann nicht. Es geht im Moment einfach nicht.“
„Das kannst du uns nicht antun! Es ist doch schon alles geregelt!“
Er überlegte schnell eine passende Ausrede. „Mein Chef, Patrick … er braucht eine Änderung für ein Programm, es soll am Montag fertig sein und ich kann es nur hier am PC machen. Es ist wirklich wichtig.“ Die Lüge bereitete ihm Gewissensbisse.
Seine Mutter wurde hellhörig. „So, dieser Patrick mal wieder. Er ist dir wohl auch sehr wichtig, oder?“
„Er braucht mich…“ Diesmal war es nicht einmal gelogen.
„Die Anderen werden ziemlich enttäuscht sein.“
„Ich mach es wieder gut, ehrlich. Es ist nur etwas unglücklich gelaufen. Mama, die Firma ist echt toll und wenn ich mich gut anstelle, dann hab ich vielleicht eine Chance auf Arbeit, wenn das Studium vorbei ist. Das ist eine riesige Möglichkeit für mich.“
Sie seufzte. „Aber warum gerade Heidelberg. Du könntest hier oben auch gute Arbeit finden, wärst wieder bei Freunden und bei uns. Vermisst du das Meer denn nicht?“
Sie hatte ja Recht. Aber Patrick war nun mal hier und nicht im Norden.
„Lass uns bitte ein anderes Mal darüber reden. Ich hab dich lieb, Mama.“
„Ich liebe dich auch. Und viele Grüße von Papa.“
Sie beendeten das Gespräch. Fabian vergrub sich das Wochenende über in seinen Büchern, nahm sein Handy mit zum Joggen und wartete, wie schon so oft im letzten halben Jahr, auf einen Anruf von Patrick. Vergebens.
Montag
Ich hatte das Wochenende überstanden. Von Tini sah und hörte ich nichts und war versucht mich bei Fabian zu melden. Aber stattdessen kümmerte ich mich um die vernachlässigte Arbeit.
Der alte Kramer schien vorerst wieder besänftigt, zumindest lobte er den Einsatz.
Von Fabian war noch keine Spur zu sehen, doch dann erinnerte ich mich, dass er montags Vorlesungen hatte und erst später in die Firma kam. Vielleicht würde ich ihn später noch für den Abend zu mir einladen.
Dann klopfte es an meiner Tür und Jochen trat ein.
„Na, Chef, alles klar mit dir?“
Ich brummte abfällig. „Ich hab am Wochenende gearbeitet und wäre jetzt eigentlich lieber daheim. Aber ich erwarte noch ein paar Mails von den Kunden.“
„Verstehe. Und was gibt’s Neues von deiner Freundin?“
„Funkstille. Ich soll mich melden, wenn ich wieder bei Verstand bin.“
„Du wirkst eigentlich ganz normal, zumindest jetzt.“ Ein spöttisches Grinsen zierte Jochens Gesicht.
„Das kann sich auch ganz schnell wieder ändern, wenn du mir auf den Keks gehen willst. Ich hab gerade einfach keinen Bock auf sie. Wie du schon sagtest, nach fünf Minuten gibt es wieder Stress und ich will gerade nicht mit ihr schlafen.“
„Das ist natürlich ein ernsthaftes Problem. Bist du krank?“
Ich hob drohend meinen Locher und nahm eine Wurfstellung ein.
„Schon gut, schon gut. Es geht mich nix an.“ Er nahm mich natürlich nicht ernst, das Grinsen war kein bisschen weniger spöttisch.
„Hast du ne Ahnung wann die PC-Husche kommt? Ich hätte da noch ein paar Änderungswünsche für das Programm.“
Das Grinsen verschwand aus Jochens Gesicht. „Die Husche hat auch einen Namen! Fabian hat sich für heute krank gemeldet. Die Mail hast du auch bekommen.“
„Sorry, ich hab meinen guten Vorsatz wieder verdrängt. Na hoffentlich ist er morgen wieder fit.“ Soviel zu meiner Einladung für den Abend.
„Deine Fürsorge rührt mich zu Tränen. Wir haben auch noch andere Programmierer, die das bestimmt erledigen können.“
„Schon, aber …“ Mir fiel dazu nichts ein, er hatte ja Recht und eigentlich ging es mir auch nicht um das Programm. Das konnte ich Jochen natürlich nicht sagen.
„ Schon klar, die anderen kannst du nicht runterputzen. Patrick, das ist langsam echt erbärmlich.“
„Moment! Das ist es nicht. Er arbeitet mit am schnellsten und hat teilweise auch gute Ideen gehabt. Wenigstens das kann ich ihm zugute halten.“
Ich konnte es kaum fassen, dass ich jetzt mit Jochen über meinen Vorwand stritt, oder mir seinen Ton gefallen ließ. Aber wir waren schon seit Ewigkeiten befreundet und aus seiner Sicht erschienen seine Bemerkungen richtig.
„Das sind ja mal ganz neue Töne. Aber mir brauchst du das nicht sagen, denn die meisten hier wissen bereits, dass der Junge gut ist. Und was er nach Feierabend in seinem Schlafzimmer macht, sollte uns nicht stören. Es gehört nicht hierher. Es wäre schön, wenn auch du das endlich mal beherzigen würdest.“
„Jawohl, Herr Anwalt.“ Ich kassierte einen verärgerten Blick. „Was wolltest du eigentlich hier?“
Jochen wedelte mit einem Umschlag vor meiner Nase. „Hatte ich jetzt fast vergessen. Hier, für dich. Die Brauerei hat das Angebot angenommen, die Kampagne kann starten.“
„Yes! Endlich. Das sind mal gute Nachrichten.“
„Allerdings. Und nicht vergessen, Fabian hat auch daran mitgewirkt.“
„Oh klasse. Schick ihm doch einen Blumenstrauß, okay?“
Jochen schmiss mir wortlos den Umschlag auf den Tisch und eilte aus meinem Büro. Das Knallen der Tür war vermutlich im ganzen Trakt zu hören.
Ich wusste einfach nicht, warum ich immer wieder in diese Kerbe hauen musste. Jochen hätte von dem kleinen Sex-Arrangement kein Wort geglaubt, selbst wenn es ein Beweisfoto gegeben hätte. Aber von wem sollte er es auch erfahren? Fabian hielt die Klappe und ich würde garantiert kein Wort darüber verlieren.
Die nächsten Stunden wurden sehr arbeitsintensiv, ich schickte einige Dateien an unsere Vertragsdruckerei, telefonierte mit ein paar Aufnahmestudios wegen der Radiospots und kümmerte mich um meine Post. Die Woche begann glücklicherweise erfolgreich.
Zwischenzeitlich versuchte ich Fabian zu erreichen, aber niemand nahm ab. Eine halbe Stunde vor Feierabend versuchte ich es noch mal und er ging dran. Aber er antwortete nicht.
„Fabian? Hörst du mich?“
Außer einem leisen Schluchzen war nichts zu hören. Aus irgendeinem Grund gefiel mir das nicht und ich rief seine Personaldatei auf, um mir die Adresse rauszusuchen. Er hatte sie mir zwar mal aufgeschrieben, doch der Zettel verschwand damals im Papierkorb.
Ich war gerade fertig, da kam Jochen wieder zu mir ins Büro.
„Wenn du dich wieder gefangen hast, dann können wir ins Studio gehen. Ich hab heute Auslauf bekommen.“
„Vielleicht später, hab noch was zu erledigen.“
Er blickte zufällig auf den Monitor und sah die Akte, bevor ich sie wegklicken konnte.
„Was zur Hölle hast du vor?“
„Ich werde ihn besuchen und mal schauen wie es ihm geht. Du hattest nicht ganz Unrecht.“
„Soll ich mitkommen?“ Jochen traute mir offensichtlich nicht.
„Keine Sorge, ich schaff das schon, ohne auf ihm rumzuhacken. Ich sollte mich wirklich bei ihm entschuldigen.“ ‚Und vielleicht noch etwas Spaß haben’, fügte ich in Gedanken hinzu.
Jochen wirkte immer noch nicht überzeugt.
„Hör zu, ja, er arbeitet toll mit, ist kreativ und hat offensichtlich mit niemandem sonst ein Problem. Das mit dem Blumenstrauß war zwar zynisch gemeint, aber insgesamt gesehen hast du Recht. Er scheint was auf meine Meinung zu geben.“
„Und ich hab keine Ahnung warum. An seiner Stelle würde ich dich mit dem Arsch nicht angucken.“
Mir lag eine spitze Erwiderung auf der Zunge, aber Jochen ahnte das und griff ein.
„Das war die falsche Formulierung, sag jetzt bloss nichts über seinen Arsch.“
„Okay. Wir treffen uns später, ich werde nicht lange brauchen.“
Jochen verabschiedete sich und ging. Auch ich schnappte mir den Autoschlüssel und fuhr zu Fabians Adresse. Die Ecke kannte ich noch gut aus meiner eigenen Studentenzeit.
Nach fünfzehn Minuten Fahrt parkte ich den Wagen vor dem alten Wohnblock. Ich suchte seinen Namen auf der riesigen Tafel und fand ihn bald, inklusive Etage und Wohnungsnummer. Die Eingangstür stand offen und ich fuhr direkt mit dem Aufzug in den sechsten Stock. Kurz darauf hatte ich seine Wohnung gefunden und schellte.
Niemand rührte sich und ich klopfte zusätzlich noch an.
„Ja?“ Ich hörte seine matte Stimme nur schwach durch die Tür.
„Ich bin es, Patrick.“
„Ich … es tut mir Leid, ich kann heute nicht.“
Hatte er mich gerade abgewiesen? Ich war überrascht.
„Lass mich rein und dann sehen wir weiter“, forderte ich.
Eine Kette glitt schleppend durch eine Schiene und dann öffnete er langsam die Tür. Er sah mich aus roten Augen an und ging träge zur kleinen Wohnstube.
„Bitte, setz dich doch. Ich … bin gleich bei dir. Möchtest du vorher etwas zu trinken?“
Ich war geschockt. Er hatte dicke Ringe unter den rot geheulten Augen, war blass und seine Körperhaltung glich der eines alten Mannes. Ich verschwendete keinen Gedanken an unser Spielchen.
„Etwas zu trinken wäre toll“, antwortete ich ihm. „Das andere lassen wir besser ausfallen.“
Er sah mich einen Moment lang ausdruckslos an und schlich in die Küche. Bald kam er mit zwei Wassergläsern zurück, stellte sie auf den Tisch und machte sich gleich an meiner Hose zu schaffen.
Meine Hand schloss sich um seine und stoppte ihn.
„Es ist mein Ernst, lass das.“
„Bin ich dir dafür auch nicht mehr gut genug?“ Tränen liefen über sein Gesicht und eine Welle von Gefühlen überschwemmte mich. Zorn darüber, dass er sich so gehen ließ, völlig verweichlicht, und dann auch Mitleid. Plötzlich wollte ich ihn beschützen.
„Das ist es nicht. Aber sieh dich an, schau in den Spiegel. Ich kam zwar auch mit dem Vorsatz her, aber es geht nicht. Das bring ich nicht.“
Er kniete weiter vor mir und weinte immer stärker. Sein Körper zitterte und ich war mit der Situation völlig überfordert. ‚Was würde mein Vater jetzt tun’, fragte ich mich. Klar, er hätte ihm jetzt die flache Hand ins Gesicht geschlagen und so was wie ‚reiß dich zusammen’ gesagt.
Dieser Gedanke funktionierte für mich aber gerade überhaupt nicht.
„Also, Fabian… bitte hör auf damit.“ Seine Reaktion war das genaue Gegenteil meiner Bitte. Er schluchzte noch stärker. Seine Hand lag regungslos um meinen Hosenbund geklammert und meine immer noch auf seiner. Ansonsten mied er jeden weiteren Körperkontakt, so wie ich es immer von ihm verlangte.
„Scheiße, was soll ich nur tun?“ Meine Stimme war nur ein Flüstern, aber irgendwie hörte er es und sah mir in die Augen. Er zog seine Hand zurück und damit gab es keinen Berührungspunkt mehr.
Ich wollte aufstehen und gehen, doch meine Beine verweigerten mir den Gehorsam. Ich saß einfach nur da und starrte das Häufchen Elend an.
„Bin ich denn so abartig für dich? Ich hab dich am Freitag beim Trainieren gehört. Warum tust du mir so weh? Warum holst du mich trotzdem immer wieder zu dir?“ Seine Augen starrten auf den Boden.
„Ich weiß es nicht. Es gefällt mir, wie du es tust.“ Die erste Frage konnte ich nicht beantworten. „Warum sagst du nicht einfach nein?“
Er schwieg für einen Moment. „Ich weiß nicht, ob du es verstehen würdest. Ob du weißt, wie es ist, wenn man plötzlich alles Wichtige im Leben verliert.“
Fabian hatte Recht, so etwas kannte ich nicht. Er verlor kein weiteres Wort darüber. Offensichtlich wollte er mir seine Geschichte nicht erzählen und ich wusste nicht, ob ich sie hören wollte.
„Setz dich, bitte.“ Meine Hand klopfte auffordernd auf das Sofa und er sah mich ungläubig an. „Ich meine es ernst, setz dich zu mir.“
Er stand schwankend auf und ich streckte ihm die Hand entgegen, an der er sich hochzog. Dann ließ er sich langsam auf die Sitzfläche gleiten. Mein Arm legte sich reflexartig um seine Schultern und ich zog ihn näher an mich heran. Das überraschte mich selber ein wenig.
Er presste sich dicht an mich heran und ich spürte die warme, weiche Haut seiner Wange an meinem Hals. Ich verkrampfte zwar ein wenig, stieß ihn aber nicht weg, was mein erster Impuls gewesen wäre.
„Ich hoffe einfach, dass du mir eine Chance gibst, irgendwann. Ich hoffe es jeden Tag. Deswegen sage ich nicht nein.“
„Aber warum sollte es Hoffnung geben? Du bist ein Kerl und ich …“
„Und du bist nicht schwul, ich weiß. Du machst es mir ja auch immer wieder sehr deutlich. Aber warum lässt du dich von mir befriedigen? Deine Freundin macht es doch auch. War ja damals nicht zu übersehen.“
„Weil sie…“ Gute Frage. „Ich möchte nicht darüber reden.“
Mir tat mittlerweile der Nacken vor Anspannung weh und Fabian schien meine Gedanken zu erraten.
„Entspann dich doch ein bisschen, ich werde auch nichts machen. Das hier reicht mir völlig, es ist sehr schön mit dir. Und du riechst gut.“ Er seufzte.
Ich empfand den Geruch seiner Haare auch als ganz angenehm. Mir fiel erstmals sein eigener Duft auf, der sonst von dem süß-herben Aftershave überdeckt wurde.
Langsam ließ ich die Schultern sinken und lockerte mich ein wenig. Die Situation fing an mich zu erregen, aber dann hörte ich nur noch ein leises, gleichmäßiges Atmen. Fabian war eingeschlafen.
Ich wand mich unter ihm hervor und ließ ihn in eine liegende Position gleiten, zog meinen Arm unter seiner Schulter weg und war mit meinem Gesicht plötzlich ganz nah an seinem. Meine Lippen schwebten über seiner Wange.
Ich konnte es nicht und stand auf. Jochen wartete schon.
***
Mein Kollege legte die Hantel zurück in die Halterung. „Und wie war es?“
„Wir haben es überlebt.“
„Ich wollte eigentlich wissen, wie es ihm geht.“
„Besser, denke ich. Vielleicht ist er ja morgen wieder bei der Arbeit.“
„Nur nicht zu informativ sein. Hast du dich wenigstens benommen?“
Ich stand von der Aufwärmmatte auf und streckte mich. „Ja, ich habe mich benommen. Du wärst überrascht, wie nett ich sein kann.“
„Allerdings. Besonders dann, wenn es um ihn geht.“
„Man könnte ja meinen, du hältst mich für ein Monster. Er ist eigentlich ganz okay, nur definitiv zu weich.“
„No comment, harter Mann.“ Er legte ein paar weitere Gewichte auf die Hantel. „Dann zeig mal, wie hart du wirklich bist.“
Einige Stunden später
Fabian wachte etwas desorientiert auf, erkannte aber, trotz der Dunkelheit, sofort sein Wohnzimmer. Er erinnerte sich, wie er in Patricks Armen eingeschlafen war und kurz wach wurde, als ihn dieser sanft auf die Couch legte. Ihm war so, als hätte er kurz den Atem des Älteren auf seinem Gesicht gespürt.
Ein neues Gefühl von Hoffnung und wohlige Wärme machten sich in ihm breit. So gut hatte er ihn noch nie behandelt. Und er war dankbar, dass Patrick nicht auf seinen üblichen ‚Spaß’ bestanden hatte. Die Umarmung erinnerte den Studenten an Thomas, der ihm immer dasselbe Gefühl von Geborgenheit gegeben hatte.
Fabian ging in sein Schlafzimmer und schlief noch ein paar Stunden, so gut wie schon lange nicht mehr.
Dienstags hatte er keine Vorlesungen und war in der Firma fest eingeplant… und verschlief um eine gute Stunde. Hastig duschte er sich, suchte frische Klamotten aus dem Schrank und schwang sich auf sein Fahrrad.
„Geht es Ihnen wieder besser?“ Der alte Kramer fing ihn am Empfang ab.
„Danke, ja. Ich bin nur noch etwas müde und hab leider verschlafen.“
„Macht nichts, das kommt bei Ihnen selten vor. Und herzlichen Glückwunsch, auch Sie haben zum Erfolg der Brauerei-Kampagne beigetragen.“
„Wirklich? Das sind ja gute Nachrichten.“
„Weiter so.“ Kramer klopfte Fabian anerkennend auf die Schulter und marschierte ab.
Patrick kam kurz danach aus dem Kopierraum und sah Fabian missgelaunt an, bevor dieser sich in sein Büro zurückzog. Er verstand die Welt nicht mehr. Bis zur Mittagspause trafen sie sich noch einige Male, doch Patrick würdigte ihn keines Blickes.
Die gute Laune des Studenten war wie weggeblasen.
Ein paar Stunden früher
Beschwingt betrat ich das Büro, selbst der leichte Muskelkater konnte meine Stimmung nicht trüben. Der Besuch am Vorabend war richtig, das war mir nun völlig bewusst.
Die Emails waren schnell abgearbeitet und ich besorgte mir einen Kaffee in der Kantine, wo Jochen und ich noch ein paar Worte wechselten. Er machte sich über meinen Muskelkater lustig, weil ich seine Herausforderungen mit mehr Gewichten stur angenommen hatte.
Ich saß gerade wieder am Platz, als mein Telefon klingelte.
„Kramer und Partner, Patrick Reder.“ Meine Stimme versprühte gute Laune.
„Schön, dass du so fröhlich bist. Mal sehen, wie du gleich reagierst.“
„Tini, was gibt es?“
„Okay, kurz und schmerzlos also. Herzlichen Glückwunsch, Papa.“
Mir fiel vor Schreck der Hörer runter. Mit zittrigen Fingern nahm ich ihn wieder auf.
„Verarsch mich nicht.“
„Ich bin im zweiten Monat.“
„Das kann nicht sein. Du nimmst die Pille!“ Ich war schockiert, aber absolut nicht positiv.
„Tja mein Schatz, vielleicht hab ich sie auch mal zu spät eingenommen, keine Ahnung. Jedenfalls ist es passiert.“
„Das gibt es nicht … aber der zweite Monat ist gut, sehr gut. Mach doch am Besten gleich einen Termin für den Abbruch.“
„Vergiss es. Patrick, ich bin fast dreißig und ich wollte irgendwann ein Kind mit dir. Dann kommt es eben jetzt. Wir hätten endlich unsere eigene kleine Familie. Es würde unserer Beziehung gut tun.“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage. Christine, ich weiß ja nicht einmal, ob es mit uns überhaupt noch Sinn macht. Wir sind ständig am Streiten. Was wollen wir da mit einem Kind?“
„Du bist ein egozentrisches Arschloch. Natürlich läuft es gerade nicht besonders, aber ich weiß wenigstens, dass ich dich will!“
„Lass uns das Thema verschieben, wir reden heute Abend darüber, oder die Tage.“
„Ja klar, verschieben, oder totschweigen. Du bist deinem Vater so was von ähnlich. Wenn man etwas nicht beachtet, dann existiert es auch nicht und euer Wort ist Gesetz, was? Aber es geht hier nicht nur um uns beide.“
„Doch, genau darum geht es. Ich will kein Kind und es ist dir egal. Es kümmert dich einen Dreck, was ich möchte.“
„Arschloch!“ Sie brüllte dieses letzte Wort so laut, dass es mir in den Ohren wehtat. Dann war die Leitung tot.
Wütend schnappte ich mir ein paar Unterlagen und lief zum Kopierraum. Das Gerät zog Seite um Seite ein, begleitet von einem monotonen Surren. Die Kopien rutschten in die Sortierfächer und der Vorgang war beendet. Auf dem Weg ins Büro hätte ich Kramer fast noch über den Haufen gerannt.
Und dann sah ich Fabian am Empfang, wie er mich entdeckte und anstrahlte. Ich bedachte ihn mit einem gereizten Blick und verschloss wortlos meine Tür.
Wir trafen uns im Laufe des Vormittags noch einige Male, aber ich war nicht in der Lage ihn anzusehen.
Der ganze Tag war wie verhext. Die Sache mit der Schwangerschaft hatte mich total aus der Bahn geworfen. Sollte ich trotzdem Schluss machen? Ich verabredete mich für den Abend bei meinen Eltern, zum Essen.
Zu allem Überfluss streikte dann mein PC und ich stiefelte zur EDV. Fabian tippte gerade ein paar Zeilen in seinen Computer und Mario, der Administrator, schraubte an einem Drucker herum.
„Schw… Fabian, kommst du bitte mal? Ich habe ein Problem am PC.“
Er hatte natürlich gemerkt, dass mir beinahe mein übliches ‚Schwuchtel’ über die Lippen gerutscht wäre. Dementsprechend schlich sich, trotz der Verbesserung, der traurige Ausdruck zurück in seine Augen.
Wortlos folgte er mir ins Büro.
„Es tut mir Leid. Das war keine Absicht.“ Ich meinte es wirklich ernst.
„Wieso, es ist doch alles wieder beim Alten. Gestern, das war ein Versehen.“ Die Verbitterung in seiner Stimme tat mir weh.
„Nein, war es nicht. Ich will mich doch entschuldigen. Der Tag war beschissen.“
„Und dann lässt du es an mir aus, bitte, lass es einfach.“
„Jetzt hör mir mal zu. Ich weiß selber, dass ich mich falsch verhalten habe. Heute hat meine Freundin angerufen und mir erzählt, dass ich Vater werde. Ich will dieses Kind nicht und sie will nicht abtreiben. Wir haben immer verhütet, es darf gar nicht sein.“
„Na herzlichen Glückwunsch.“ Seine Augen glänzten feucht und er wischte sich kurz mit dem Handrücken durchs Gesicht. „Warum erzählst du das ausgerechnet mir? Ich weiß auch so, dass ihr miteinander schlaft und es tut auch so schon weh genug. Sie bekommt das, was ich gern hätte. Ich gebe mich mit dem zufrieden, was du mir anbietest, nur allein um wenigstens einen Teil meiner Wünsche erfüllt zu bekommen.“
Er rieb sich wieder durch das Gesicht, während er sich durch die Menüs im Programm klickte, auf der Suche nach dem Fehler.
„Tut mir Leid, ich wollte dich nicht anschnauzen. Das gestern Abend war wunderschön für mich. Und es hat dich auch nicht umgebracht. Okay, ich werde vielleicht nie das bekommen, was ich mir am meisten wünsche, mag sein, aber ich hab mich richtig geborgen gefühlt und nicht wie dein Spielzeug.“
„Ich fand es auch … nicht unangenehm.“
„Bei dir können sogar Komplimente wie eine Beleidigung klingen.“
„Fabian, ich … es war schön, irgendwie. Aber es ist falsch.“
„Und das andere ist dann richtig?“
Ich wusste keine Antwort darauf.
„Wenn du es geschehen lässt und dich keinem Gefühl verpflichten musst, dann ist es okay. Sobald du etwas geben sollst, dann ist es wieder falsch. Oder sehe ich das jetzt nicht richtig?“
„Sollen wir es lassen?“ Ich fühlte mich gerade richtig schlecht. Bisher hatte ich immer geglaubt, er bekäme genau das, was er wollte. Schwule blasen sich eben gerne einen, mehr braucht es nicht.
„Ist das dein einziger Gedanke dazu? Ich habe mir schon öfters gewünscht, du würdest mich einfach in Ruhe lassen.“ Sein Gesicht drückte traurige Verbitterung aus. „Ich komm einfach nicht von dir los.“
„Fabian, wieso liebst du mich, trotz alledem?“
Er seufzte. „Dein PC läuft wieder. Darf ich gehen?“
„Ja, natürlich. Danke.“
Als er an mir vorbei wollte, griff ich nach seinem Arm, zog ihn an mich ran und umarmte ihn. Seine Arme hingen kraftlos an der Seite herunter und er erwiderte es nicht.
„Tu das bitte nicht, wenn du es nicht ernst meinst. Lassen wir es so, wie es ist. Dann weiß ich wenigstens, woran ich bin.“ Seiner Stimme fehlte jeder Ausdruck und ich ließ ihn wieder los.
„Vielleicht hast du Recht.“ Ich war mir im Moment überhaupt nicht sicher.
„Gut.“ Er verschwand mit gesenktem Kopf. Warum kümmerten mich plötzlich seine Gefühle? Alles veränderte sich dadurch und machte es komplizierter. Oder war es schon immer so kompliziert und ich hatte es mir nur einfach gemacht?
Als ich später bei meinen Eltern eintraf, hatte sich meine Stimmung nicht gerade verbessert. Antonia, das Dienstmädchen, öffnete die Tür und ließ mich herein. Meine Mutter lag schlafend auf der Couch, ein leeres Cognac-Glas stand auf dem Tisch.
Mein Vater saß im Esszimmer am Ende des Tisches und zog an seiner Pfeife. Der schwere Duft seines Tabaks hing im Raum.
„Hallo Vater.“ Ich begrüßte ihn, wie üblich, mit einem Kopfnicken und setzte mich an das andere Kopfende.
„Hallo Patrick. Welch seltene Ehre.“ Sein Blick glitt an mir vorbei, direkt auf Antonia, die ihren kurvigen Körper gerade streckte, um an die Teller im oberen Regal des Schranks zu kommen. Sie war in meinem Alter und es war ein offenes Geheimnis, dass sie des Öfteren bei meinem Vater ‚nächtigte’.
„Was ist denn mit dir los? Du siehst aus wie sieben Tage Regenwetter.“ Jetzt lagen seine Augen forschend auf mir.
„Christine ist schwanger.“ Er hasste es, wenn man ewig um den heißen Brei redete.
„Das fehlt ja noch. Ich war schon immer gegen diese Kratzbürste.“
„Es hätte mit jeder anderen passieren können.“
„Ist es aber nicht. Du hast doch hoffentlich mit ihr über die Abtreibung gesprochen.“ Das war eindeutig nicht als Frage gemeint. Keine Spur von Opafreuden, das wäre ja zu gefühlsbetont.
„Natürlich. Sie will nicht.“
Er donnerte mit der Faust auf den Tisch. „Was für eine Art Mann bist du eigentlich? Sie will nicht? Wen interessiert das denn?“
„Vater, sie ist eben nicht wie Mama.“
„Genau das ist euer Problem.“
Er klopfte die Pfeife aus und füllte sie mit frischem Kraut. Die Flamme seines Streichholzes zuckte dem Kopf entgegen, als der alte Herr am Mundstück zog.
„Regel das.“ Dies war ein eindeutiger Befehl und ich nickte pflichtschuldig.
„Es gibt da noch etwas. Ein Mitarbeiter in der Firma ist in mich … verliebt.“ Mir war nicht ganz klar, warum ich gerade dieses Thema ansprach. Vielleicht lag es an der Sehnsucht nach Nähe und Verständnis, die mich fest in ihren Klauen hielt. Meine Gefühlswelt lag in Trümmern. Aber mein Vater erwies sich, wie immer, als der falsche Ansprechpartner für so was. Ich hätte es besser wissen müssen.
„Nirgends ist man vor diesen Perversen sicher. Aber du wirst ihm die Flausen sicherlich austreiben, wie es sich für einen Mann gehört.“ Wieder der Befehlston. Wenn es nach ihm ginge, dann müsste ich Fabian vermutlich auspeitschen, bis er sich freiwillig auf eine Frau wirft oder ‚seinem Elend’ ein Ende setzte.
„Ich kümmere mich darum.“
Antonia erlöste mich von dem Gespräch, indem sie die dampfenden Teller mit Braten und Kartoffeln vor uns absetzte und mir ein Bier brachte. Mein Vater begnügte sich mit seinem teuren Whiskey.
Ich wusste nicht mehr, warum ich eigentlich herkommen wollte. Von meinen Eltern hatte ich keine vernünftigen Ratschläge zu erwarten. Dass mein Vater für eine Trennung war, hätte ich auch so gewusst. Es wunderte mich fast schon, dass ich überhaupt auf der Welt war. Aber Mamas Schwangerschaft war eine gesellschaftliche Entscheidung.
Wäre Tini ein braves Frauchen ohne Ambitionen, dann hätte er mir jetzt eine Zigarre gereicht und die Zukunft meines Kindes verplant.
Aber ich wollte kein Vater sein. Nicht so wie er, doch würde ich es anders machen können? Ich kannte nur dieses Leben.
Mir fehlte jedes bisschen Appetit und würgte mir den halben Inhalt des Tellers hinein, bis ich ihn zur Seite schob. Antonia räumte ihn gleich weg.
„Schmeckt es dir nicht?“
„Doch, Vater. Aber ich hatte nicht viel Hunger.“
Ich beobachtete ihn, wie er sich wortlos Bissen um Bissen in den Mund schob, sorgfältig kaute und hin und wieder mit einem Schluck Whiskey nachspülte. Sein Hausmädchen füllte das Glas immer wieder auf. ‚Wie gut er sie doch erzogen hat’, dachte ich in einem Anflug von Zynismus.
Ich konnte eigentlich nur dankbar sein, nicht als Mädchen geboren worden zu sein.
„Gut, ich denke, du hast dich noch um einiges zu kümmern. Viel Erfolg dabei.“ Er zündete sich wieder sein Pfeifchen an und damit war meine Anwesenheit nicht länger erwünscht.
„Natürlich. Einen schönen Abend noch.“
Zügig verließ ich das Haus, setzte mich in das Auto und brüllte meinen Frust raus. „Du bornierter alter Mann. Dämlicher Tyrann!“
Da meine Stimmung nicht noch weiter sinken konnte, nahm ich mein Handy und tippte Tinis Nummer ein.
Als sie abnahm, wartete ich ihre Meldung nicht ab und legte gleich los. „Wir sollten uns gleich treffen, wir haben was zu besprechen.“
„Patrick?“ Die irritierte Stimme am Telefon gehörte nicht meiner zukünftigen Ex, es war Fabian. Ich starrte auf das Display und erschrak. Unterbewusst hatte ich seine Nummer gewählt.
„Oh, Fabian… das ist jetzt wirklich unangenehm. Eigentlich wollte ich Tini anrufen.“ Ich rechnete schon damit, ihn erneut zu verletzen. Doch das wollte ich nach all unseren Erfahrungen miteinander vermeiden. Daher schlug ich einen versöhnlichen Ton an.
„Verstehe. Ich wünsche euch viel Spaß.“
Der Klang seiner Stimme verriet mir, dass ich recht gehabt hatte und war erleichtert, nicht gleich losgebollert zu haben. Dennoch fühlte ich mich prompt schuldig und wollte nicht, dass er alles in den falschen Hals bekam.
„Fabian warte, leg nicht auf. Ich will dich nicht quälen. Es geht bei ihr auch nicht um Sex. Ich will mich mit ihr treffen um Schluss zu machen.“ Bevor er sich wieder unnötig Hoffnungen machen konnte fügte ich noch ein „Es hat nichts mit dir zu tun“ an.
„Warum auch. Als ob du wegen einem Kerl wie mir mit ihr Schluß machen würdest.“
Sein zynischer Tonfall kam nicht ganz überzeugend rüber. Mein widersprüchliches Verhalten musste etwas in ihm verändert haben. Es war offensichtlich, dass er angefangen hatte zu kämpfen und er wurde zusehends mutiger, aber durch die ständigen Misserfolge auch frustrierter. Eines wurde mir jedenfalls klar, er wollte sich nicht mehr alles widerstandslos gefallen lassen.
„Hör bitte auf damit. Ich möchte dir entgegen kommen, soweit es möglich ist. Es ist nur nicht so einfach. Du hast ein ziemliches Chaos in meinem Kopf ausgelöst und ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Das passiert nicht erst seit gestern. Seit Weihnachten entgleitet mir alles, ich verliere die Kontrolle über mein Leben. Und das liegt alles an unserem ‚Arrangement’.“
„Hast du jemals versucht die Kontrolle freiwillig zu verlieren, abzugeben?“
„Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Hast du jemals versucht zu leben?“
„Was denkst du denn, was ich hier tue?“
„Du läufst irgendwelchen Zwängen nach. Aber wann warst du wirklich glücklich, wann hast du richtig gelebt? Andere, die das Leben lieben, werden aus dieser Welt gerissen. Und du wirfst alles weit von dir. Alles was ich bei dir sehe ist Wut und Trostlosigkeit.“ Seine Stimme klang mittlerweile wieder eindeutig verheult. Und irgendwo, tief in mir, gab es einen Teil, der ihm zustimmte.
„Fabian, kommst du bitte zu mir? Ich bin fast daheim.“
„Wenn du willst… ich bin auf dem Weg.“
„Danke, bis gleich.“ Ich drückte das Gespräch weg und fuhr auf meinen Parkplatz. Ein Umschlag ragte aus dem Briefkasten. Der Absender war mir bekannt, es war der Vermieter und ich ahnte Fürchterliches. Dies war das angekündigte Nachspiel, eine Abmahnung und die Androhung einer Anzeige, wenn ich mich nochmals einer Mieterin oder einem Mieter gegenüber ungebührlich und beleidigend verhalten würde.
Ich beruhigte meine Nerven mit einem einfachen Single-Malt und hockte mich auf die Couch.
Bald darauf durchbrach die Klingel für einen Moment die Stille. Ich schleppte mich zum Öffner, ließ die Tür einen Spalt offen und ging wieder zur Couch. Fabian kam auf leisen Sohlen herein und blieb unschlüssig vor mir stehen.
„Möchtest du es gleich hier?“
Die Kälte in seiner Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken, aber der Kampf um seine Fassung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ich war mir fast sicher, dass er um die Wirkung seiner Worte bescheid wusste und das er mir einen schmerzhaften Stich verpassen wollte.
„Du musst mich doch eigentlich hassen, oder?“
„Es wäre vermutlich einfacher.“ Seine Worte taten mir weh, auch wenn ich diese Antwort erwartet hatte.
„Ich habe dich aber nicht deswegen hergebeten.“ Mühsam unterdrückte ich den schmerzhaften Kloß im Hals. Der Abend mit meinem Vater hatte mir doch stärker zugesetzt.
„Wozu denn? Ich dachte, wir hätten uns heute darauf geeinigt.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, dein Wortlaut war etwas anders, hör mir bitte erst zu. Du hast am Telefon einige Dinge gesagt, über die ich nachdenken musste und du hast in einigen Punkten Recht gehabt.“ Ich machte eine kleine Pause, aber er sagte keinen Ton. „Was hast du gemeint, als du das mit ‚aus dem Leben gerissen’ gesagt hast?“
Er wurde ein wenig blasser. „Das ist mir so raus gerutscht. Ich möchte nicht darüber reden.“
„Ich verstehe, warum du mir nicht vertraust.“
„Das ist es nicht. Zumindest nicht nur.“
Er stand mit verschränkten Armen vor mir und sah mich unsicher an. Plötzlich wurden mir meine schlechten Manieren bewusst. „Bitte, setz dich. Möchtest du auch ein Glas?“ Ich deutete auf den Malt. Fabian nickte schüchtern und setzte sich, mit etwas Abstand, neben mich.
Er nahm das Glas und nippte vorsichtig an dem Getränk. Dann verzog er das Gesicht und hustete heftig. Ich fing herzhaft an zu lachen.
„Na vielen Dank auch, lach mich ruhig aus.“ Und etwas sanfter fügte er hinzu. „Ich hab dich jetzt zum ersten Mal lachen sehen.“
„Sorry“, antwortete ich glucksend, „aber du hast auch zu komisch ausgesehen.“
„Nein, es ist okay. Das hab ich vorhin gemeint. Du hast deine Kontrolle abgegeben und deinen Gefühlen freien Lauf gelassen.“
„Eigentlich bist du zu gut zu mir.“
„Das gleicht es dann wohl aus.“ Sein trauriger Blick weckte keinen Ärger in mir, so wie es sonst immer der Fall war.
„Mein Verhalten war alles andere als fair“, gab ich zerknirscht zu. „Tini hat mich ein ‚egozentrisches Arschloch’ genannt. Und vermutlich hat sie Recht.“
Fabian widersprach nicht.
Ich rückte ein Stückchen näher an ihn heran und er wich wieder ein Stück zurück. „Bitte spiel nicht mit mir. Ich halte es nicht mehr aus.“
„Das tue ich nicht. Aber ich weiß auch nicht, wo das alles hinführen soll.“
„Und was erwartest du von mir?“ Fabian rückte nun selber ein paar Zentimeter in meine Richtung.
„Zunächst einmal… habe ich nicht das Recht etwas von dir zu erwarten, aber ich würde dir gerne ein Freund sein, ein Neustart für uns. Ganz ehrlich, ich kriegs nicht mehr hin, mich von dir bedienen zu lassen. Nicht mehr seit neulich bei dir. Mir war nicht klar, was ich dir damit angetan habe, fühlte mich als der Gönner, der dir noch einen Gefallen tut. Dabei hätte ich es besser wissen müssen. Ich kann ein ziemlicher Ignorant sein.“
Sein Gesichtsausdruck wandelte sich in ein freudiges Erstaunen.
„Mein Vater hat es mir anders vorgelebt. Frauen haben zu gehorchen und die widerwärtigen Perversen brauchen nicht mehr als einen Schwanz. Er hasst Schwule und verachtet Frauen. Eigentlich hasst er alle Menschen.“
„Oh man, was für ein Mensch.“
„Das kannst du wohl laut sagen. Und ich war bisher nicht viel anders.“ Ich seufzte resignierend.
„Aber du kannst ausbrechen. Du musst so nicht sein.“
„Ach Fabian, ich bin so schon mein ganzes Leben. Es ist nicht so einfach. Selbst dieses Gespräch … ich würde es jetzt schon gerne rückgängig machen.“
„Aber du kannst doch nicht dein ganzes Leben lang die Menschen von dir stoßen, daran muss man doch kaputt gehen.“
„Man gewöhnt sich daran.“ Ich spürte seinen Arm, wie er sich um mich legte und kämpfte gegen den üblichen Reflex an. Der größte Teil von mir wollte aufspringen und ihn anbrüllen. Doch dann verschwand der Arm wieder. Wie so oft, in letzter Zeit, fühlte ich mich schuldig.
„Soll ich gehen?“
„Es wäre vermutlich vernünftiger, aber nein, meinetwegen nicht.“
Fabian gähnte unterdrückt. „Okay.“
„Bist du sehr müde?“ Mein Blick fiel auf die Uhr, wir hatten fast Mitternacht.
„Es geht.“ Er war ein schlechter Lügner.
Meine nachfolgenden Worte konnte ich selber nicht glauben. „Also, es ist jetzt vielleicht etwas seltsam, aber du kannst gerne hier bleiben. Ich bin auch ziemlich geschafft, wäre aber nur ungern allein. Wenn du deine Finger beherrschen kannst, dann darfst du mit zu mir.“
„Du verarscht mich doch.“ Er strömte ein verständliches Misstrauen aus.
„Ich fürchte nicht. Sag ja oder lass es, aber entscheide dich, bevor ich meine Meinung wieder ändere. Bitte.“
„In Selbstbeherrschung hab ich Übung.“ Es hörte sich vorwurfsvoll an, aber ich wusste, dass er es nicht so gemeint hatte.
Ich suchte ihm eine Zahnbürste heraus und schickte ihn ins Bad. Danach machte ich mich selber frisch und dann kam die nächste Hürde. Wir standen ziemlich verkrampft vor meinem Bett. Der Raum war immer noch ziemlich warm vom Tag.
„Hast du vielleicht ein Shirt für die Nacht? Meine Sachen sind frisch aus dem Schrank, die könnte ich auch morgen noch anziehen.“
Ich räusperte mich. „Ähm, ja, schon. Aber es ist doch ziemlich warm. Also … es macht mir nichts aus, wenn du es einfach weglässt. Ich würde auch lieber darauf verzichten.“
„Oh Gott, ich werde sterben, ganz bestimmt.“ Er wurde sichtlich nervös.
Ich machte den Anfang, legte Shirt und Jeans auf die Wäschekiste und kroch unter die Decke. Seine Augen folgten mir stumm.
„Na los, ich beiße nicht.“
„Ja, leider“, brummte er leise. Er streifte sich das Hemd umständlich über den Kopf, dann folgte die Hose. Ich war mir nicht sicher, doch die Wölbung in den leichten Shorts schien zuzunehmen. Es war mir zwar etwas unangenehm, aber ich betrachtete auch seinen Körper etwas genauer. Er war wirklich gut in Form. Er bemerkte meine Blicke und hielt sich schüchtern die Hände vor den Schritt.
„Sorry, aber das kann ich wirklich nicht steuern.“
„Kein Ding, denke ich. Immerhin… naja, du kennst meinen ja auch schon recht gut.“
Der Kleine nickte und kroch ebenfalls unter die Decke. Er lag, steif wie ein Brett, auf dem Rücken und starrte an die Decke. Irgendwie brachte mich das wieder zum Lachen.
„Okay, also folgendes: wie du schon angemerkt hast, die Sache in deiner Wohnung hat mich nicht umgebracht. Das wäre eventuell okay.“
„Aber ich hab kaum was an.“
„Das betrifft uns beide.“
„Ja, aber du würdest mich auf deiner Haut spüren.“
„Fabian, komm einfach mal näher.“
Er wuchtete sich wieder hoch und robbte näher an meine Seite. Dabei schob ich meinen Arm ein Stück vor, damit er seinen Kopf darauf legen konnte.
„Ist doch gar nicht so schlimm“, sagte ich mehr zu mir selbst. Seine Haut lag weich an meiner. Fast noch weicher als Tini. Und auch wärmer.
Fabian machte es sich in der Nähe meiner Schulter bequem. „Danke“, flüsterte er leise und plötzlich spürte ich seine Lippen auf meiner Wange, als er mir einen hauchzarten und unschuldigen Kuss gab.
Ich tastete nach der Lampe und löschte das Licht. Meine Augen wurden erstaunlich schnell schwerer und ich war kurz vorm einschlafen, als plötzlich die Schlafzimmertür mit einem Knall an die Wand schlug und das Deckenlicht aufflammte.
„Ich lass mir das nicht mehr von dir gefallen! Wir reden jetzt! Ich habe ein verdammtes Recht dar… Was ist denn hier los?“
Fabian zuckte zusammen und presste sich erschrocken an mich, während Tini uns zornig anfunkelte.
„Es ist garantiert nicht so wie es aussieht. Fabian, vielleicht solltest du jetzt doch gehen.“
„Fabian? Etwa der Fabian? Du hast dich letztens nicht so angehört, als ob ihr die besten Freunde wärt. Ich glaub’s ja nicht! Der Vater meines Kindes mit einer Schwuchtel im Bett.“
„Jetzt ist aber gut! Wir sind Freunde, nichts weiter. Und wir fühlen uns momentan beide nicht besonders.“ Ich drehte mich zu Fabian um, der immer noch völlig verängstigt an mir hing. „Bitte geh, es wäre besser.“
Tini griff nach seinen Klamotten und warf sie auf ihn. „Verschwinde und lass die Finger von meinem Freund!“
Verdammt, ich konnte jetzt nicht einmal Schluss machen, sie würde sofort die falschen Schlüsse ziehen.
„Er hat mich überhaupt nicht angefasst. Zumindest nicht so wie du denkst.“ Ich stand auf und zog die Furie aus dem Schlafzimmer. „Zieh dich in Ruhe an, ich kümmere mich um sie.“
Sein Gesicht sagte ganz deutlich, dass er gerade nichts mehr verstand. Ich machte eine unauffällige ‚ich ruf dich an’ -Geste, indem ich mit Daumen und dem kleinen Finger einen Hörer simulierte. Fabian nickte apathisch und ich ließ ihn erstmal alleine.
„Es ist überhaupt nichts passiert. Wie du siehst, wir waren nicht nackt.“
Christine tigerte auf und ab und sie warf Fabian einen bösen Blick zu, als er sich wortlos an uns vorbei schlich. Ansonsten sagte sie aber nichts.
„Nicht nackt, na toll. Hast du eine Ahnung, wie das eben ausgesehen hat?“
„Jedenfalls anders als es war. Hör zu, wir hatten beide etwas Gesellschaft nötig.“
„Du hättest auch mich anrufen können.“
„Ja natürlich. Und was wäre passiert? Wir hätten uns wieder gestritten, genau wie jetzt.“
Sie legte ihre Hand auf meine Brust. „Wir hätten auch was anderes tun können.“
„Sorry, aber genau danach steht mir momentan überhaupt nicht der Sinn. Ich bin keine Maschine, die mal eben alles ausblenden kann. Zurzeit läuft einfach zuviel schief.“
„Und an wem liegt das?“
„Klar, ich hab natürlich alleine Schuld. Sei doch ehrlich, zwischen uns läuft es schon lange nicht mehr richtig.“
„Willst du mir damit etwas Bestimmtes sagen?“ Ihre Stimme bekam einen lauernden Unterton.
„Wir sollten uns eine Weile nicht sehen und unsere Beziehung gründlich überdenken.“
„Verstehe. Ganz wie du willst. Ich wünsche dir eine grauenhafte Nacht. Und noch etwas: ich werde das Kind bekommen. Es ist mir egal, was du sagst. Bis dann.“
Mir fehlte die Lust noch etwas zu erwidern und ich ließ sie ziehen. Wie von ihr gewünscht wurde meine Nacht grauenhaft und ich hoffte, sie zog wirklich nicht die falschen Schlüsse.
***
Fabian schwebte im siebten Himmel. Die Grenzen waren zwar gezogen, aber er konnte gut damit leben. Es war weit mehr, als er von Patrick noch erwartet hätte. Die Geschichte über den Vater erklärte dazu noch einiges mehr. ‚Was für ein grausamer und kalter Mann’, dachte er.
Und jetzt lag er hier, dicht an seinen Schwarm angekuschelt, den Kopf auf die Schulter gebettet und Patricks Stimme hatte einen zärtlichen Klang angenommen. Ein übermächtiges Verlangen überkam ihn, und er drückte dem Dunkelhaarigen einen vorsichtigen Kuss auf die Wange.
Doch dann, nur wenige Minuten nach dem Verlöschen des Lichtes, entwickelte sich um ihn herum ein Albtraum. Patricks Freundin brüllte wie eine Furie und Fabian fühlte sich mit einem Schlag elend. Hatte er das Leben seines Freundes noch tiefer ins Chaos gestürzt?
Der studierte Betriebswirt warf ihn, wie schon so oft, aus seiner Wohnung. Zwar mit sanfter Stimme, aber in den Augen lag eine unmissverständliche Bestimmtheit. Wenigstens konnte er die Wohnung unbehelligt verlassen.
Er hoffte nur, dass dies nicht der letzte Abend in dieser Form war, dass ihm seine Träume wieder entrissen wurden.
Vor lauter Grübelei stand er plötzlich vor seinem Wohnhaus und fiel bald darauf in einen unruhigen Schlaf.
Guten Morgen, liebe Sorgen
Der Wecker beendete den Horror dieser Nacht. Im Traum schlug mein Vater immer wieder auf mich ein, während Tini lachend zusah und sich einen Cognac nach dem anderen gönnte. Noch schlimmer war Fabians Anblick, der regungslos, mit blutenden Wunden übersät, neben mir auf dem Boden lag.
Ich schaffte es gerade noch zur Toilette und übergab mich. Würde sie meinem Vater davon erzählen? Hätte sie überhaupt was davon? Es würde an ihrer ‚Beziehung’ zu ihm nichts ändern.
Und warum kümmerte mich das eigentlich? Ich war nicht von meinem Vater abhängig, stand auf eigenen Beinen im Leben. Er war mir nie eine Stütze, hatte nichts gegen mich in der Hand. Ein weiterer Schwall Magensaft ergoss sich in die weiße Keramikschüssel. Ich betätigte die Spülung und putzte mir die Zähne. Dabei betrachtete ich die zweite Zahnbürste, die Fabian gestern benutzt hatte. Ihn raus zu werfen, den einzigen Menschen, der mir alle Fehler immer wieder verzeihen konnte, tat weher als gedacht. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was ich ihm mit meinem Verhalten alles angetan hatte.
Doch nun musste ich erst einmal den Schaden begrenzen und rief Tini an.
„Was willst du“, blaffte sie ins Telefon.
„Es tut mir Leid. Es hätte gestern nicht so laufen müssen.“
„Eine Entschuldigung, von dir? Wie auch immer, sie kommt ein wenig spät.“
„Aber versteh mich doch, es ist so vieles anders zwischen uns. Wir sind schon zu lange dicht am Abgrund.“
Sie schnaufte verärgert. „Du hast dich verändert, nicht ich. Und ich komme damit auch nicht mehr zurecht . Ich erwarte aber, dass du dich um das Kind kümmern wirst.“
„Tini, ich… bitte sag meinem Vater nichts von gestern.“
Sie lachte düster. „Du bist ein erbärmlicher Angsthase. Vielleicht tue ich es nicht, das liegt ganz an dir.“
„Willst du mich etwa erpressen?“ Ich war fassungslos.
„Ich möchte nur, dass du an gewisse Prioritäten denkst.“ Die neue Kälte in ihrer Stimme ließ mich frieren.
„Das glaube ich jetzt nicht.“
„Das hast du dir selber zu zuschreiben. Ich hab dich wirklich geliebt. Und jetzt halte ich dich an den Eiern, Patrick Reder.“
Sie legte auf.
Eine gute Stunde später hockte ich erschöpft im Büro und dachte über mein Leben nach, welches sich langsam in einen Scherbenhaufen verwandelte. Und das alles erst seit Fabian.
Wie auf ein Stichwort klopfte es zaghaft an der Tür und Fabian trat ein.
„Was willst du?“ Meine Stimme klang härter als gewollt und der Arme fuhr erschrocken zusammen. Wortlos drehte er sich um und schloss die Tür hinter sich.
„Oh verdammt…“ Ich sprang auf und rannte hinterher. „Tut mir Leid, bitte komm rüber.“
Er folgte mir zögerlich in mein Reich und ich erzählte ihm alles, vom Traum bis zum Telefonat.
„Und was willst du jetzt machen?“ Er hockte auf der Schreibtischkante und sah mich mitleidig an.
„Ich weiß es nicht, verdammt. Eigentlich müsste es mir egal sein, ob sie mit ihm darüber spricht. Zudem ist ja auch nichts zwischen uns gelaufen. Aber das weiß er ja nicht. Alleine die Tatsache, dass einer wie du in meinem Bett lag reicht schon, damit er ausflippt.“
„Einer wie ich…“
Ich griff nach seiner Hand. „Verzeih mir, ich hab es nicht böse gemeint.“
„Schon gut. Aber warum ist es dir denn nicht egal, was er sagt?“
„Keine Ahnung. Ich weiß eben auch nicht, was er dann macht. Er war nie besonders zimperlich, wenn es um ‚wichtige, erzieherische Maßnahmen’ ging. Seit ich weiß, wie weh eine Reitgerte tun kann, verzichte ich freiwillig auf Pferdesport.“
„Oh mein Gott. Und wann hat er so was gemacht?“
„Bei schweren Verfehlungen. Widerworte, zum Beispiel. Aber es war auch der Grund, warum ich mit Krafttraining angefangen habe. Durch die härteren Muskeln war der Schmerz nicht mehr ganz so stark.“
„Das hab ich nicht gewusst.“
„Ach Fabian, wie auch. Davon hab ich selbst Tini noch nie etwas erzählt. Und jetzt müssen wir schauen, wie es weitergeht. Bei mir ist es für uns derzeit nicht sicher. Tut mir Leid, aber wir können uns eine Weile nicht sehen.“
Er sprang auf. „Ich habe auch eine Wohnung. Sie weiß nicht, wo ich lebe.“
„Fabian, das weiß ich doch. Aber sie wird es rauskriegen, wenn sie muss. Was passiert wohl, wenn sie mich überhaupt nicht mehr bei mir antrifft? Sie wird suchen, Rückschlüsse ziehen.“
„Ich verstehe, du willst ihr nachgeben.“
„Verdammt, nein, ich will uns beide schützen.“
„Okay. Du, Patrick, ich muss noch einiges erledigen. Vielleicht sehen wir uns ja heute Abend im Studio, wenn wir es irgendwie einrichten können.“
„Vielleicht. Glaub mir bitte, es tut mir Leid.“
Er nickte leicht und verschwand wieder in seiner Abteilung. Wir sahen uns einige Stunden nicht mehr, er ging mir aus dem Weg. Und als ich dachte, es könne nicht mehr schlimmer werden, da klingelte mein Handy.
„Christine, was willst du?“
„Hallooooo Schaaaatzi!“ Sie lallte ein wenig.
„Dein Kind scheint dir ja sehr wichtig zu sein, wenn du trinkst.“
„Och, nur ein kleines bisschen. Aber warum ich anrufe, du kommst heute Abend zu mir.“
Mein Hals schnürte sich zu. „Ich kann nicht.“
„Prioritäten!“ Sie betonte das Wort in einem merkwürdigen Singsang.
„Okay… ich komme um sechs Uhr.“
„Perrrrfekt, um sex Uhr.“ Sie imitierte dabei ein wenig das katzenhafte Schnurren von Halle Berry, aus dem Film ‚Catwoman’ und kicherte.
Fabian trat mir weiterhin nicht unter die Augen und nach Feierabend ging ich in die EDV.
„Mario, wo ist Fabian?“
„Der ist schon vor einer Stunde verschwunden, zur Nachmittagsvorlesung. Es ist schließlich Mittwoch.“
„Oh, das hatte ich vergessen. Dann einen schönen Feierabend.“
„Dir auch, bis morgen.“
Ohne Umwege ging ich zum Auto und fuhr zu Christine, damit ich es endlich hinter mir hatte.
Sie erwartete mich bereits und öffnete die Tür. Bei ihrem Anblick war sofort klar, was sie von mir wollte. Sie trug einen Morgenmantel aus schwarzer Seide und darunter ein halbtransparentes schwarzes Negligee. Die langen Nylonstrümpfe endeten in einer breiten Borte im oberen Drittel ihrer Oberschenkel, nur noch von den Strapsgurten gehalten. Früher hätte mich dieser Anblick rasend vor Lust gemacht, nun wollte ich mich lieber übergeben.
Sie packte meine Krawatte, zog mich durch die Wohnung ins Wohnzimmer und stieß mich unsanft auf die Couch. Dann hockte sie sich breitbeinig über meinen Schoß und presste mir die üppigen, gepushten Brüste ins Gesicht.
„Ich kann das nicht. So funktioniert es nicht.“ Ich zog meine Nase aus dem Dekolleté, um nicht darin zu ersticken.
„Wieso, stehst du nicht mehr auf meine Muschi?“ Sie lachte hämisch und stand auf. Am TV Schrank öffnete sie mit einem Rascheln eine Pappschachtel und warf mir einen silbrigen Tablettenblister zu. In dem Blister befanden sich blaue, rautenförmige Pillen.
„Dann nimm halt die, das Viagra wird schon helfen. Und wenn du noch eine andere Stimulation brauchst, ich war für dich in der Videothek. Welchen Film möchtest du sehen? Lass mal schauen. ‚Rasierte Kätzchen im Schwesternheim’ oder ‚Kolbenfresser im Jungeninternat’. Was darf es sein?“ Sie kam mit wiegenden Hüften auf mich zu. „Oder du beweist mir ohne all dieses, dass du noch ein Mann bist.“
Ich warf die Tabletten auf den Boden. „Darf ich noch kurz duschen? Es war ein langer Tag.“
„Sicher doch. Aber zieh dich hier aus, den Teil möchte ich nicht verpassen.“
Ich lockerte die Krawatte und zog mein Hemd aus. Die Situation war mir unangenehm. Ihre Augen verfolgten gierig jede Bewegung, als ich erst die Schuhe, Strümpfe, die Jeans und am Ende die Shorts fallen ließ.
„Du bist vielleicht ein charakterloser Penner, aber du siehst verboten gut aus.“
Auf der Demütigungsskala von null bis hundert war ich mittlerweile auf -10 angelangt. Aber es war egal, die Sache würde ich schon durchziehen, vielleicht war dann wenigstens Fabian aus der Schusslinie.
Die Dusche brachte keine Entspannung. Dieses miese Gefühl klebte wie Teer an mir. Tini räkelte sich bereits auf dem Bett und erwartete mich, meine Klamotten hatte sie ordentlich auf die Sofalehne gelegt.
„Wir können dann anfangen.“
„Ach, du bist heute aber wieder romantisch. Küss mich gefälligst.“
Ich ließ mein Handtuch fallen und legte mich neben sie. Mit geschlossenen Augen näherte ich mich ihren, zu einem siegessicheren Grinsen verzogenen, Lippen.
Ihre Zunge schob sich gierig in meinen Mund und ich konzentrierte mich auf das Bild von Fabian. Wie er wohl küssen würde? Er war in allem so sanft und zärtlich. Ihre fordernden Hände glitten über meinen Rücken. Wie würden sich wohl seine warmen Finger anfühlen?
Es funktionierte, mein kleiner Freund erwachte zum Leben. ‚Bloß die Augen geschlossen lassen’, dachte ich mir. Sein sanftes Lächeln schwebte vor mir.
Tini und ich schliefen miteinander. Was ich nicht bemerkte war, dass sie mein Handy unter dem Kopfkissen bereithielt. Zielsicher wählte sie Fabians Nummer aus der Kontaktliste und legte das Gerät auf den Nachttisch. Danach füllte das Geräusch ihrer lustvollen Schreie und mein leises Stöhnen den Raum. Fabians Bild vor mir wurde immer plastischer und ich näherte mich dem Höhepunkt. Mit einem gekeuchten ‚Ich liebe dich’ entlud ich mich. In dem Moment verdunkelte sich das Display meines Mobiltelefons, Fabian hatte aufgelegt.
„Die Erkenntnis kommt ein wenig zu spät.“ Sie grinste mich süffisant an. „Aber das war heute tatsächlich eine ganz brauchbare Nummer. Schade, dass du dich sonst nicht so angestrengt hast.“
Der Traum von Fabian zerplatzte wie eine Seifenblase und machte meinen Blick frei für die Wirklichkeit. Und die lag in der Gestalt einer rotblonden Teufelin vor mir. Sie sah beiläufig zur Seite und ich bemerkte mein Telefon. Hastig griff ich danach und, aus einer spontanen Eingebung heraus, klickte ich mich in die Anruflisten. Das letzte Gespräch war Fabian, vor kurzer Zeit und lang genug.
„Was hast du getan?“
„Eigentlich nichts, wieso? Ihr seid doch nur Freunde, was macht es da schon wenn er weiß, zu wem du wirklich gehörst. Und das, mein Lieber, dürfte er reichlich mitbekommen haben.“
Ich sprang aus dem Bett und rannte zu meinen Klamotten, ich musste hier raus.
„Wer hat dir erlaubt zu gehen?“ Sie schmiegte sich nackt an den Türrahmen und genoss ihren Triumph sichtlich.
„Was willst du denn noch von mir? Liebevoll rumkuscheln?“
„Nein, mein Süßer. Ich will deine offensichtliche Abscheu vor dir selbst auskosten. Du bereust es noch, mir das Herz gebrochen zu haben.“
Meine Augen wurden feucht, Tränen sammelten sich und brannten sich ihren Weg nach unten. Ich hatte seit zwanzig Jahren nicht mehr geweint und es erschütterte mich.
„So, ich glaube das reicht mir für heute. Du darfst gehen.“ Sie drehte sich um und verschwand im Schlafzimmer, ließ mich weinend im Wohnzimmer zurück. Fabian würde mich hassen.
***
Fabian kam völlig fertig vom Training nach Hause, bitter enttäuscht, dass Patrick verschwunden blieb. Jochen, der diesmal alleine dort war, wusste auch nichts Genaues. Er vermutete, dass es Stress mit der Freundin gab.
Nach einer kurzen Dusche fiel er ins Bett und wälzte sich unruhig herum. Nach einer schier endlosen Zeit klingelte sein Telefon und er sah Patricks Nummer. Sofort verbesserte sich die Laune des Studenten, sein Angebeteter hielt Wort.
„Hi Patrick!“
Er bekam keine Antwort und hörte nur die erregten Laute einer Frau, die Stimme hörte sich sehr nach Christine an. Und im Hintergrund, ganz unverkennbar, dass wohlige Stöhnen von Patrick. Fassungslos hielt er den Hörer an Ohr. Die Geräusche wurden immer lauter, bis er Patricks Höhepunkt eindeutig identifizierte.
„Ich liebe dich!“ Fabian schmetterte das Telefon enttäuscht gegen die Wand, wo es in tausend Stücke zerfiel und brach schluchzend zusammen.
Nach schier endlosen Stunden, der Wecker zeigte 10 Uhr an, raffte er sich völlig übernächtigt auf und verließ, nach einer notdürftigen Dusche, seine Wohnung. Er wollte Patrick zur Rede stellen und fuhr mit dem Rad zur Firma, auf eine Vorlesung hätte er sich jetzt nicht konzentrieren können.
Monika Herzgold, die Empfangsdame, musterte ihn mit einem besorgten Blick.
„Hallo Fabian, du siehst ja grauenhaft aus.“
„Ist Patrick in seinem Büro?“
„Hat er damit zu tun? Ich werde mit Kramer reden, so geht es nicht weiter. Aber ich dachte, ihr hättet euch ein wenig angefreundet?“
„Es hat nicht mit der Arbeit zu tun. Ich muss mit ihm reden.“
„Das tut mir Leid, aber er ist noch nicht aufgetaucht. Wir erreichen ihn auch nicht.“
„Monika, bitte lass Kramer aus dem Spiel, es ist nicht so wie du denkst.“
Er drehte sich um und schnappte sich sein Fahrrad. Im Rekordtempo fuhr er zu seinem nächsten Ziel und wurde fündig. Patricks Auto stand, schief eingeparkt, vor dem Haus. Er klingelte an der Tür und bekam keine Reaktion. Die Haustür stand offen und er stürmte die Stufen hinauf und klopfte wild an der Haustür.
„Was machen Sie da?“
Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine ältere Dame in der offenen Haustür. „Ich möchte zu Patrick.“
„Da wünsche ich ihnen viel Glück, er ist heute Nacht stockbesoffen die Treppe raufgestolpert. Ein Lärm war das. Es würde mich wundern, wenn er jetzt schon wach wäre. Dieser Kerl macht nichts als Ärger, aber ich werde mich beim Vermieter beschweren. Er ist untragbar für dieses Haus. Vor ein paar Tagen stand er nackt im Treppenhaus und hat mich unflätig beschimpft. Können Sie sich das vorstellen? Mich hat er beschimpft und ungeniert mit seinem … seinem … Ding vor mir rumgewackelt. Es ist die Höhe! Dieser Mensch hat keinen Anstand, keine Manieren. Er ist ein ungehobelter Mensch.“
Fabian starrte die alte Frau fassungslos an und wünschte ihr einen spontanen Herzinfarkt.
„Äh, Frau …“, er schaute auf ihr Klingelschild, „Frau Mohrbeck, ich habe Sie verstanden, er ist ein unmöglicher Mensch, aber es interessiert mich wirklich gerade überhaupt nicht. Sie haben keine Ahnung, in was für einer Situation er steckt. Ihnen steht kein Urteil zu.“
„Unverschämtheit. Aber richten Sie ihm aus, dass ich den Vermieter informieren werde.“ Sie schloss die Tür hinter sich und Fabian atmete erleichtert aus. ‚Was für ein Besen’, dachte er.
Dann wurde ihm bewusst, dass er wieder Partei für ihn ergriffen hatte, trotz der gemeinen Aktion am Telefon.
Er klopfte weiter an die Tür. „Patrick, mach bitte auf!“ Er bekam keine Reaktion und war ratlos.
Das Verhalten passte einfach nicht. Der Ärger über ‚seine Tini’ wirkte so echt, er brauchte die Nähe, hatte den einseitigen Sex verweigert und das zwei Mal in Folge. Dann all die Dinge über den herzlosen Vater, die Patrick erzählt hatte. Der Mann war offen wie nie zuvor und verströmte soviel Gefühl dabei. Das mit dem ‚Telefonat’ passte einfach nicht zusammen.
Geknickt verließ er das Haus und besorgte sich unterwegs, für eine beträchtliche Summe, ein neues Handy ohne Sim-Lock. Zurück in der eigenen Wohnung fischte er seine Karte aus den Trümmern und räumte die Wohnung auf.
Nach dem Einschalten zeigte sein Telefon auch prompt eine neue Kurznachricht an. Er tat sich schwer den, vor Fehlern strotzenden, Text zu entziffern.
Die Grundaussage war, dass alles anders war, als Fabian denken würde und das Patrick sich schämen würde. Die Nachricht wurde offensichtlich unter großem Alkoholeinfluss geschrieben, denn auch ein T9-Wörterbuch hatte seine Grenzen. Zumindest da hatte die Mohrbeck nicht übertrieben.
Er wählte die Nummer der Firma.
„Kramer und Partner, mein Name ist Monika Herzgold.“
„Monika, hier ist Fabian. Patrick hat sich wohl den Magen verdorben und kommt kaum aus dem Bad. Ich war eben bei ihm und besorge etwas aus der Apotheke.“
„Verstehe. Danke für den Anruf, Herr Kramer ist ziemlich sauer gewesen. Ich werde es ihm gleich mitteilen. Richte ihm bitte gute Besserung aus.“
„Mache ich, danke. Bis morgen.“
Er schwang sich ein weiteres Mal auf das Rad und fuhr zurück zu Patricks Wohnung. Er stürmte durch die offene Haustür und hielt atemlos den Finger auf den Klingelknopf. Nach ungefähr zehn Minuten hörte er etwas aus dem Inneren, irgendwas fiel mit einem Klirren um und schlurfende Schritte näherten sich der Tür. Der Türspion verdunkelte sich kurz und die Tür ging auf.
Fabian wich erschrocken zurück und Übelkeit stieg in ihm auf. Patrick blickte ihm aus glasigen Augen entgegen und stank wie eine ganze Kneipe. Das weiße T-Shirt war von Erbrochenem ganz fleckig und er hielt eine halbvolle Flasche in der Hand, seinen geliebten Single-Malt. Der Student riss sich zusammen und schob ihn in die Wohnung zurück. Hier sah es auch nicht besser aus. Auf dem Couchtisch standen zwei leere Whiskeyflaschen und eine weitere war gegen den Sessel gerollt. Überall fand er Pfützen aus Magensaft. Der Gestank war widerlich.
„Was ist nur mit dir passiert?“
Patrick versuchte ihn anzusehen, verlor aber ständig den Blickkontakt. „Prost, auf den tollen Abend!“ Er versuchte die Flasche an den Mund zu setzen, verfehlte aber. Fabian riss ihm den Alkohol aus der Hand.
„Willst du dich totsaufen? Man, lass das Zeug weg!“
„Gibs her!“ Patrick taumelte schwankend nach vorne, verfehlte aber die Flasche. Dann sank er vor Fabian auf die Knie und heulte hemmungslos. Er fiel mit dem Kopf nach vorne und umklammerte den Studenten am Oberschenkel, welcher sich absolut hilflos fühlte.
„Erzählst du mir was passiert ist?“
„Ich bin erbärmlich. Sie hat mich erpresst und ich hab mit dir…“, er kicherte zwischen zwei Schluchzern, „mit ihr geschlafen. Ich hab aber dabei an dich gedacht. Geh, lass mich allein, ich bin Dreck.“
Fabian streichelte ihm sanft über den Kopf. „Das bist du nicht und ich lass dich jetzt garantiert nicht alleine.“ Beherzt zog er den Betrunkenen hoch und stütze ihn auf dem Weg ins Badezimmer. Patrick stolperte immer wieder und er hatte alle Mühe ihn aufrecht zu halten. Im Bad streifte er ihm, ohne jede Gegenwehr, die versifften Klamotten ab, ließ in vorsichtig zu Boden gleiten und stellte das Wasser in der Wanne auf eine angenehme Temperatur ein.
„Hey, nicht einschlafen, dass kannst du gleich machen. Hast du irgendwo Aspirin?“
Patrick deutete auf den Spiegelschrank und kicherte wieder. „Ich hab ja nix an.“
„Du gehst gleich in die Wanne.“ Er griff nach der Tablettenschachtel und flitzte in die Küche. Kurz darauf kehrte er mit einem Glas Wasser zurück, in dem sich zwei der Tabletten auflösten. „Hier, trink das.“
Nach einem schnellen Bad wickelte Fabian seinen ‚Patienten’ in ein frisches Handtuch und führte ihn, an den ekelhaften Pfützen vorbei, ins Schlafzimmer. Patrick schlief sofort ein und der Student kümmerte sich schnell die kleinen Unfälle in der Wohnung. Vorsichtshalber schloss er die Wohnungstür ab und ließ den Schlüssel, leicht schräg gestellt, im Schloss stecken. Dann ging er zurück zum Bett und legte sich vorsichtig daneben, damit er schneller reagieren konnte, für den Fall der Fälle.
Doch die furchtbare Nacht forderte ihren Tribut und Fabian schlief ebenfalls ein.
***
Hinter meinen Schläfen pochte es heftig und ich spürte einen starken Druck auf meiner Brust. Ich erinnerte mich nur noch an den Besuch in der Kneipe, nach dem Desaster bei Tini. Ich hatte aber keine Ahnung, wann oder wie ich da wieder raus gekommen war.
Vorsichtig öffnete ich meine Augen und konnte nur verschwommen sehen. Bilder von Fabian blitzen in einer nicht greifbaren Geschwindigkeit durch meinen Kopf. Plötzlich verschwand der Druck auf der Brust und wanderte zum Bauch. Mein Blick gewann langsam an Klarheit und ich erspähte einen Arm, der quer über mir lag. Einen Männerarm und ich war, bis auf ein Handtuch, nackt.
Mit großer Anstrengung drehte ich meinen Kopf zur Seite und Fabians Gesicht schälte sich aus den schemenhaften Blickfetzen. Innerlich atmete ich auf, denn für einen Moment war ich unsicher, ob ich in der Kneipe nicht einen Fehler gemacht hatte. Hinter dem Schlafenden sah ich den Wecker und zuckte erschrocken zusammen. Die Ziffern wechselten gerade von 19:59 auf 20 Uhr. Ich versuchte mich aufzurichten, aber der Kopfschmerz zog mich zurück auf das Kissen.
„Wie geht es dir?“ Ich hörte seine verschlafene Stimme wie durch Watte.
„Frag nicht…“ Das Sprechen fiel mir schwer, der Hals war völlig ausgetrocknet.
„Ich hab dich in der Firma krank gemeldet. Magen verdorben“, nuschelte er.
„Danke.“ Plötzlich erinnerte ich mich an den Vorabend und rückte, trotz der Schmerzen, von ihm weg.
„Warum tust du das alles? Ich habe gestern mit ihr geschlafen und … das Telefon…“ Er legte seine Fingerspitzen auf meinen Mund.
„Ich weiß. Gestern hab ich dich dafür gehasst, aber irgendwo hab ich es auch nicht geglaubt. Du hast mir vorhin, im Vollrausch, alles erzählt und ich glaube nicht, dass du zur Lüge fähig warst.“
„Alles? Was denn alles?“
„Sie hat dich erpresst, vermutlich mit deinem Vater. Und du sagtest … du hättest an mich gedacht.“
Ein paar vereinzelte Tränen liefen über sein Gesicht und ich bemerkte sie, als sich die salzige Flüssigkeit einen Weg über meinen Arm suchte.
„Ich hab gedacht, dass dein ‚ich liebe dich’ für sie bestimmt war.“
„Nein. Schon lange nicht mehr.“
Die nächste Frage konnte ich schon erahnen.
„Heißt das, du liebst mich?“
Die Antwort auf diese Frage hingegen war deutlich schwieriger. Bevor ich jedoch darauf eingehen konnte stand Fabian auf und kam mit einer Flasche Wasser zurück, die er mir wortlos in die Hand drückte. Ich leerte sie in einem Zug.
„Komm bitte wieder ins Bett.“ Ich wartete einen Moment, bis er seinen Körper wieder an mich schmiegte.
„Ich weiß es nicht, Fabian. Es ist nicht so einfach. Okay, ja, ich habe dabei an dich gedacht, an deine vorsichtige und zärtliche Art. An die warmherzigen Blicke, die du mir, trotz meines Verhaltens schenkst. Ich … mag dich wirklich sehr und weiß nicht, warum sich plötzlich alles verändert hat. Aber die Frage ist eigentlich eher: warum tu ich das? Ist es deinetwegen, oder einfach nur weil du gut zu mir bist.“
„Das macht für mich keinen Unterschied“, warf er ein.
„Aber für mich. Du hast es verdient, dass es deinetwegen ist. Ich kann mir nur schwer vorstellen dich so zu berühren, wie du es bei mir tust. Und dann… ist da noch Tini. Sie hat mich in der Hand und Abende wie gestern werden sich vermutlich wiederholen.“
„Und du willst dich lieber über Jahre hinweg danach halb tot saufen? Es steht alles auf dem Spiel. Nicht nur dein eigenes Glück. Auch die Arbeit. Wie willst du so was auf Dauer erklären? Irgendwann wachst du auf und hast Nichts. Du wirst alles verlieren.“
Er hatte Recht, darüber konnte ich bisher noch nicht nachdenken. Einen Punkt hatte er jedoch ausgelassen.
„Und was ist mit dir? Wie würdest du damit zurechtkommen?“
„Ich hab mich an die Rolle der zweiten oder dritten Geige gewöhnt.“
„Genau das meinte ich, du hast mehr verdient. Es wäre besser, wir würden etwas Abstand zwischen uns bringen. Ich will nicht dein Leben auch noch ruinieren.“
„Du bist ein feiger Wichser, weißt du das? Du wirfst lieber dein Leben und deine Zukunft weg, nur damit dein Vater nicht erfährt, dass du Gefühle hast und es genießt, wenn ich in deinem Arm liege? Aus Angst davor, was er dann über dich denkt? Angst davor, was er mit dir anstellt? Als ob du dich nicht wehren könntest, sieh dich doch an!“ Eine Mischung aus Wut und Trauer lag in seiner Stimme. „Du hast keine Ahnung was man verlieren kann, aus einer falschen Angst heraus. Angst vor Klarheit.“
Mir fiel darauf keine Antwort ein und Fabian erzählte mir die Geschichte von ihm und Thomas. Er tat sich schwer damit und ich zog ihn dicht zu mir, wofür er mir ein dankbares Lächeln schenkte. Als er fertig war, da wurde ich unsicher.
„Du liebst mich also, weil ich ihm so ähnlich sehe?“
„Ja. Nein, anfänglich mit Sicherheit, aber ich hab schnell gemerkt, dass du nicht Tommy bist. Bisher wart ihr wie Tag und Nacht. Doch du bist so voll von Widersprüchen und ich habe gehofft, dass ich irgendwann zu deinem wahren Ich durchkommen würde. Weißt du, wir haben nur begrenzte Chancen wirklich glücklich zu werden und man darf sie nicht einfach verstreichen lassen.“
„Und du verschwendest deine Chancen an mir.“
Sein liebevolles Lächeln jagte mir eine Gänsehaut über den gesamten Körper.
„Das sehe ich nicht so. Sieh uns an, wir erzählen uns gegenseitig Dinge, über die wir sonst schweigen. Du lässt mich an dich heran. Und so was machst du nicht leichtfertig.“
Ich konnte ihm nicht widersprechen und drehte den Kopf so, dass ich ihm in die Augen schauen konnte. Seine Lippen lagen nur wenige Zentimeter von meinen entfernt und ich zauberte spontan einen leichten Kuss darauf. Es fühlte sich ganz gut an und seine Zähne blitzten auf, als sich seine Mundwinkel nach oben zogen.
Er legte die Finger auf mein Gesicht und streichelte mich sanft in den Schlaf, einen viel besseren Schlaf.
***
Der Wecker holte mich aus einer erholsamen und albtraumlosen Nachtruhe. Ein warmer Luftzug strich regelmäßig über meine Brust, er hatte sich halb auf mich gelegt und der Kopf ruhte unterhalb meines Kinns.
„Hey, wir müssen aufstehen“, flüsterte ich leise und rüttelte vorsichtig an seiner Schulter.
„Nur noch fünf Minuten, Mama.“
Ich lachte. „Die bin ich garantiert nicht.“
Er schoss senkrecht in die Höhe, als er merkte, wo er war, und wie er auf mir lag.
„Tut mir Leid, ich hab das nicht mit Absicht gemacht!“
„Hey, keine Angst, Kleiner. Es war … nicht unangenehm“, grinste ich ihn an.
Seine Hand klatschte leicht auf meine Brust. „Blödmann“, antwortete er, mit einem leicht tadelnden Unterton. Sein Gesicht wurde aber sofort wieder ernster. „Wie geht es jetzt weiter?“
„Erstmal aufstehen, Frühstück, Kaffee und dann fahr ich dich heim. Mit den Klamotten kannst du nicht zur Arbeit. Über alles andere kümmern wir uns später. Du hast aber Recht, es muss sich einiges ändern.“
Er nickte zustimmend und dann machten wir uns fertig. Mit einem Schmunzeln registrierte ich meine verrammelte Wohnungstür, er hatte wirklich an alles gedacht. Das Müsli brachte meine Energie zurück und bald schon wartete ich vor seinem Haus, wo er sich blitzschnell umzog. Ich war ihm unglaublich dankbar für alles, dass er sogar die Spuren meines Alkoholgenusses beseitigt hatte. Es musste viel Überwindung gekostet haben. Aber er blieb bei mir, war für mich da, trotz dieses absoluten Tiefpunktes. Tini wäre vermutlich nach Hause verschwunden, hätte mich irgendwann geweckt und zur Sau gemacht. Dann hätte sie mir einen Wischlappen in die Hand gedrückt und mich zum Großputz gezwungen.
Meine Meinung über den Studenten hatte sich gründlich geändert. Er war nicht unmännlich, eher im Gegenteil. Und ich hatte kein Recht, ihn für meine Zwecke zu benutzen. Innerhalb weniger Tage war mein Weltbild aus den Fugen geraten und ich hatte absolut keine Erklärung dafür, warum sich meine Einstellung ihm gegenüber verändert hatte. Ich hatte ihn schon so oft verletzt gesehen und es interessierte mich nicht, bis zu meinem ersten Besuch bei ihm. Es war, als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte.
Fabian kam aus der Haustür gestürmt und wäre beinahe noch über die Stufen gestolpert.
„Sorry, es ging nicht schneller.“
„Nur keine Hektik, wir liegen gut im Plan. Du hättest dir ruhig noch Zeit lassen können, dann säße dein Shirt nicht auf links“, grinste ich ihn an.
„Oh, stimmt.“ Er griff nach dem Saum und hielt inne. „Stört es dich, wenn ich kurz …“
„Jetzt mach hin, wir haben schon mit weniger Bekleidung gekuschelt.“
Er zog sich eilig den Stoff über den Kopf und wendete es. Ich betrachtete die Haut, die sich so weich auf mir angefühlt hatte.
„Warte!“
Er ließ das Shirt sinken und sah mich fragend an. Meine Finger näherten sich der glatten Haut. „Darf ich?“
Fabian nickte schüchtern. Vorsichtig strich ich über seinen seitlichen Brustkorb und spürte die samtigen, fast unsichtbaren Härchen. Er hielt den Atem an und bekam eine Gänsehaut. Verlegen legte er seine Hände in den Schritt.
„Das ist jetzt keine besonders gute Idee.“
Ich zog meine Hand zurück und nickte. „Wahrscheinlich. Aber weißt du was? Es fühlte sich …“
„Nicht unangenehm an?“, schlug er vor.
„Ich dachte eher an ‚gut’.“ Fabian strahlte über das ganze Gesicht und zog sich wieder an. „Es hat mir auch gefallen.“
***
„Morgen ihr zwei. Geht es dir wieder besser?“
„Morgen Moni, danke, ja, ich hatte eine ausgezeichnete Krankenschwester.“ Dabei zeigte ich auf Fabian.
„Es überrascht mich, dass ihr euch plötzlich so gut versteht.“
„Wir machen alle Fehler, manchmal. Aber selbst ich bin lernfähig und er ist ein wertvoller Teil des Teams.“
Wir trennten uns und machten uns an die Arbeit. „Bis nachher, Fabian. Heute Abend reden wir weiter, okay?“
„Gerne, bis später.“
Monika kam kurze Zeit später in mein Büro.
„Er hat ganz schön was für dich übrig.“
„Ich weiß. Vielleicht war genau das mein Problem. Aber wir haben uns ganz gut arrangiert.“
„Ich hoffe es. Du bist nicht weit von einer Beschwerde beim Betriebsrat entfernt. Also bitte, reiß dich weiter zusammen. Und das hast du nicht von mir.“
„Moni, es ist wirklich vorbei. Ich mag ihn und bin für seine Hilfe gestern dankbar. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.“ Mir war gar nicht bewusst, was mein Verhalten alles ausgelöst hatte. Meine Zukunft stand definitiv an einer steilen Klippe.
„Das hoffe ich.“ Ihr tragbares Telefon klingelte. „Ich muss wieder, bis später.“
Den Rest des Vormittags verbrachte ich mit der Durchsicht von einigen Präsentationen und nahm, wenn nötig, ein paar Korrekturen vor. Unsere Druckerei meldete einen Maschinendefekt, aber sie würden es fast pünktlich schaffen. Verzögerungen waren bei uns mit eingeplant, von daher gab es deswegen kein Problem.
Mein Handy machte sich bemerkbar, der Akku war fast leer. Mir fiel ein, dass ich es seit dem Abend bei Tini nicht mehr in der Hand hatte. Dementsprechend sah es auch auf dem Display aus. Diverse Nachrichten von der Firma, Jochen und Christine.
„Oh verdammt“, entfuhr es mir. Flugs erschien ihre Nummer im Firmentelefon. Ich atmete einmal kräftig durch und drückte den Wählknopf.
„Höchste Eisenbahn, Herr Reder. Ich dachte schon, du würdest deine Prioritäten vernachlässigen.“ Ich hatte ein Monster aus ihr gemacht.
„Meine Priorität ist momentan die Arbeit, ich hab mir in letzter Zeit zuviel negatives geleistet.“
„Dein Job ist mir total egal. Du bist mir was schuldig.“
Ich blendete alle Emotionen aus und blieb kalt. „Schön. Aber ohne Arbeit hab ich nur sehr wenig Geld. Kennst du jemanden, der dir sonst noch Unterhalt für das Kind zahlen würde?“
Sie überlegte kurz. „Vielleicht dein Vater?“
„Du bist ihm scheißegal. Erzähl es ihm und er wird mit Freude versuchen mich fertig zu machen, aber du bist für ihn weniger Wert als der Dreck unter seinen Schuhen. Er gibt dir höchstens Geld für eine Abtreibung. Weißt du, er will diesen Enkel nicht. Und er ist weder dir, noch mir gegenüber verpflichtet.“
Tini antwortete nicht darauf.
„Übrigens, ich weiß nicht, was du mit dem Telefon bezweckt hast, aber es ging schief. Fabian und ich haben uns darüber unterhalten.“
„Seit wann hast du eigentlich Eier in der Hose?“ Eine berechtigte Frage, fand ich.
„Prioritäten. Wenigstens damit hattest du Recht.“
„Prioritäten also. Was läuft zwischen dir und der Schwuchtel?“
„Nichts. Ich bin nicht … schwul. Aber er ist einer der nettesten Menschen, die ich kenne. Und er erpresst mich auch nicht zum Sex.“ Warum hatte ich gezögert?
„Das kannst du mir nachher beweisen, dass du nicht schwul bist.“
„Nein, Christine. Geh zu meinem Vater. Er wird dich wahrscheinlich nur für eine rachsüchtige Zicke halten, aber es ist vorbei, du hast mich das letzte Mal gedemütigt.“
„Dafür wirst du bluten, ich press dich bis auf den letzten Cent aus!“
„Nur zu, im Ausbluten hab ich Übung. Und mach dir keine Sorgen, das Kind bekommt was ihm zusteht.“ Ich beendete das Gespräch mit gewaltigem Herzklopfen und konnte meine Worte kaum glauben. Fabian musste davon erfahren und ich ging in die Küche, um uns mit Kaffee zu versorgen.
Zu meiner Überraschung waren Jochen und er auch da.
„Man Patrick, geht es dir wieder gut? Ich hab gestern zigmal versucht dich zu erreichen.“
„Alles in Butter. Ich war in guten Händen.“
„Hast du dich etwa mit Tini versöhnt?“ Sein überraschter Gesichtsausdruck sollte sich bald noch verstärken.
„Ich sagte ‚in guten Händen’. Darf ich dir einen talentierten Pfleger und künftigen Informatiker vorstellen?“ Meine Hand deutete auf Fabian, welcher leicht errötete.
Jochens Tasse glitt ihm aus der Hand und das glasierte Tongefäß zersplitterte am Boden.
„Ha-hast du Fieber?“
Ich lachte. „Nein, mir geht es gut. Fabian, ich wollte eigentlich auch zu dir. Es ist aus, Tini ist Geschichte.“
Der Kleine umarmte mich zaghaft und ich spürte kurz seine Wange an meiner. „Oh man, ich freu mich für dich.“
Jochen hockte am Boden, fegte die Scherben zusammen und starrte uns fassungslos an.
„Was guckst du so? Du hast doch selber immer darauf gepocht, dass ich ihn besser behandeln soll. Ein schwuler Freund ist überhaupt nicht so übel.“ Im Gegensatz zu meinen Worten, wie mir Fabians angespannte Körperhaltung verriet, bevor er sich von mir löste.
„Sorry, ich hab’s nicht so gemeint. Jetzt guck nicht so, du kennst mich doch.“
Jochens Augen schienen aus den Höhlen fallen zu wollen.
„Äh, du hast Tini wirklich verlassen?“ Mein Kollege wollte von der für ihn merkwürdigen Situation ablenken.
„Ja. Auch wenn sie schwanger ist, den Entschluss hatte ich schon länger gefasst. Aber es sind einige Dinge passiert, die mir in Bezug auf sie die Augen geöffnet haben. Und Fabian war nicht ganz unbeteiligt. Er war da, als ich ganz unten war. Ein echter Freund. Also, trotz meines fiesen Verhaltens.“
„Ich erkenne dich ja gar nicht wieder.“
„Vermisst du den alten Patrick etwa?“
„Nicht direkt… okay, ich muss das jetzt erstmal verarbeiten. Sag mal, seid ihr beiden jetzt…“
„Nein“, kam es zeitgleich von Fabian und mir.
„Ja, dann mach ich mich mal wieder ans Werk. Wir sehen uns dann spätestens im Studio, oder?“
„Von mir aus geht es klar. Fabi?“
Jochen grinste über die Kurzform und der Angesprochene wurde wieder rot. „Ich würde gerne, aber ich muss heute unbedingt was für die Uni machen. Das kam in den letzten Tagen etwas kurz.“
„Sorry dafür, meine Schuld.“ Ich drückte ihn kurz, betont kumpelhaft.
„Ach quatsch, ich hab es ja gerne gemacht.“
Mein älterer Kollege hatte die Küche kurz nach der Umarmung verlassen. „Wenn du möchtest kannst du auch gerne bei mir lernen. Meine Wohnung ist ja wieder sicher und das mit dem Schlüssel in der Tür… eine einfache und geniale Idee.“
„Wenn du das wirklich willst, gerne. Ich mag deine Wohnung. Nur die Nachbarn… was hast du da eigentlich für einen Besen am Hals? Was die für Stories erzählt. Du hättest mit deinem ‚Ding’ vor ihr rumgewedelt und so was. Jetzt will sie sich bei dem Vermieter beschweren, weil du im Vollrausch so laut warst.“
„Oh Gott, nicht die Mohrbeck wieder. Ich hab wegen ihr schon eine formelle Abmahnung bekommen. Und… die Geschichte stimmt, in einem gewissen Umfang. Es passierte nach einem Streit mit Tini, nachdem du am Freitag verschwunden warst.“
„Ist dir mal aufgefallen, dass alles Negative irgendwie mit ihr zu tun hatte? Zumindest die zwei Dinge mit deiner Nachbarin.“
„Sie war einfach nicht die Richtige für mich und wir hätten schon vor Ewigkeiten die Sache beenden sollen. Es ist ja nicht alles nur ihre Schuld. Du weißt am Besten, wie falsch ich mich verhalten kann.“
Fabian nickte betreten. Die Erinnerungen an mich waren sicherlich nicht die Allerbesten. Dann stahl sich ein spitzbübisches Lächeln in sein Gesicht. „Seitdem wir miteinander reden kommen aber ständig mehr deiner besseren Seiten ans Licht.“
„Ich weiß, danke.“ Ein Teil in mir wollte ihn küssen, aber die falsche Seite behielt die Oberhand und ich klopfte ihm auf die Schulter. „Wir sollten jetzt wirklich wieder arbeiten.“ Ich erntete ein Nicken, von einem mutlosen Seufzer begleitet. Mit jeweils einer frischen Tasse Kaffee gingen wir getrennte Wege.
Der restliche Arbeitstag verging schnell und ohne besondere Ereignisse. Fabian hielt ein wenig Abstand und wir begegneten uns nur wenige Male zufällig auf dem Flur. Ich hätte ihn gerne etwas aufgemuntert, aber seine Reaktionen weckten eine unerklärliche Abwehrhaltung bei mir. Er musste doch verstehen, dass ich in der Öffentlichkeit nicht ganz so ungezwungen sein konnte.
Jochen redete beim Training auch nicht lange um den heißen Brei.
„Was geht da bei euch eigentlich ab? Das heute war wie eine Szene aus einem Paralleluniversum.“
„Es geht gar nichts ab. Ich versuche mich nur mit ihm anzufreunden.“ Meine Antwort kam etwas barscher als beabsichtigt.
„Jetzt bleib doch ruhig. Ich finde es ja auch wirklich nicht schlecht. Aber ich hab mal eine Frage dazu. Ist dir aufgefallen, wie er dich ansieht?“
Ich konnte es mir denken, hielt es aber für klüger, den Unwissenden zu mimen. „Wie denn?“
„Er himmelt dich an. Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist er bis über beide Ohren in dich verschossen. Er muss wohl Masochist sein.“
„Als ob du wüsstest wie er tickt.“
„Du etwa? Ich kenne kaum jemanden, der emotional so kurzsichtig ist wie du.“
„Danke für die Blumen. Du hast allerdings Recht, ich hab in der Zeit mit Tini ziemlich alles runter gefahren. Die Beziehung hat uns beiden nur geschadet.“ Über den Zwischenfall verlor ich allerdings kein Wort. Wäre das mit dem Telefon nicht gewesen, dann hätte auch Fabian nie davon erfahren.
„Gut, den Befreiungseffekt konnte ich heute deutlich beobachten. Aber das eigentliche Problem ist Fabian. Schlimm genug, dass er sich ausgerechnet in dich verliebt, aber diese Form von Nähe zu dir macht es ihm auch nicht einfacher.“
Und wieder traf Jochen ins Schwarze. Es war egoistisch von mir, ihn als Seelentröster zu benutzen, ihn so dicht heran zulassen und ihm trotzdem etwas Wesentliches zu verwehren. „Er ist mir irgendwie schon ans Herz gewachsen.“
„Aber du kannst ihm nicht geben was er von dir möchte. Du bist bisher nur selten den Mittelweg gegangen, immer nur Hopp oder Top, wenn man von Tini mal absieht. Aber Fabian ist nicht Tini, nicht mal im Ansatz weiblich.“
„Und was soll ich machen, ihn links liegen lassen?“ Für einen Moment wollte ich ‚Schluss machen’ sagen.
„Ich werde dir bestimmt nicht sagen was du tun sollst, du bist alt genug. Ich möchte nur, dass du über dein Handeln nachdenkst.“ Er grinste frech. „Du kannst natürlich sein fester Freund werden, dann ist er auch glücklich.“
„Schwachsinn. Lass uns weitermachen, wir sind ja nicht zum labern hergekommen.“ Jochens spaßhafter Vorschlag kam mir längst nicht so falsch vor, wie ich ihm Glauben machen wollte. Er selber bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick. Ehe ich reagieren konnte, schlang er seine Arme um mich und klopfte mir auf den Rücken. Ich schob ihn unwirsch weg.
„Was soll der Mist?“
„Interessant.“ Mehr sagte er nicht.
***
Wie heißt es so schön, was hoch fliegt, muss auch wieder runterkommen. So ging es auch meiner Laune. Daheim kochte ich eine Kleinigkeit und wartete dabei auf Fabian, der eigentlich jeden Moment eintreffen sollte.
Wir setzten uns an den Esstisch und seine anfänglich gute Stimmung verblasste zusehends. Ich konnte einfach nicht mit ihm reden, zuviel ging mir durch den Kopf.
„Möchtest du heute lieber allein sein?“ Der ängstliche Ton riss mich aus den Gedanken und brachte erneut Schuldgefühle hoch.
„Nein, tut mir Leid. Es sind noch so viele Dinge, die ich verarbeiten und einsortieren muss. Wie geht es mit dem Lernen voran?“
„Ich hab heute einiges geschafft. Den Fehltag konnte ich nachholen.“
„Und das nur wegen mir. Kann ich das wieder gutmachen?“
Er druckste verlegen herum. „Naja… ich würde mich einfach gerne an dich kuscheln, wenn du möchtest.“ Das Gespräch mit Jochen kroch durch die Erinnerung und verstärkte die Gewissensbisse ein wenig. Es war wieder nur ein kleines Häppchen, mit dem er sich abspeisen ließ.
„Es ist das Mindeste, was ich tun kann. Gerne. Ich bin sowieso ziemlich erledigt.“
Und so lagen wir bald, nach der abendlichen Hygiene, im Bett. Er schmiegte sich Wärme suchend an mich. „Fabian, ich …“
„Psscht, schon gut. Ich weiß was du sagen willst.“
„Aha?“
„Du machst dir Gedanken, weil ich nicht mehr von dir bekommen kann. Das steht dir eindeutig ins Gesicht geschrieben.“
„Oh“, war meine nicht besonders intelligente Antwort.
Er drehte sich auf die Seite, damit er mich anschauen konnte und legte seinen Kopf auf meine Schulter. Sein Arm schob sich vorsichtig über mich und blieb quer über dem Bauch liegen. „Ist das noch okay für dich?“
„Du hättest es gemerkt, wenn nicht.“ Die Hitze im Schlafzimmer war zwar an der Grenze zum Unerträglichen, aber seine Körperwärme störte mich nicht. Sein Atem strich kühlend über meine Brust und es kribbelte allmählich zwischen meinen Beinen. Das Ganze blieb natürlich nicht unbemerkt.
„Pat… darf ich mich darum kümmern?“ Seine Stimme war etwas heiserer als vorher. Ich war hin und her gerissen. Einerseits vermisste ich dieses Gefühl der zarten Lippen, aber der Kopf sprach sich dagegen aus. ‚Unfair’, echote es hinter meiner Stirn.
„Ich weiß nicht… bist du dir sicher?“
„Ja, bin ich. Mir fehlt dein Geschmack, du schmeckst sehr gut.“
Der raue Unterton in der Stimme wirkte sehr erregend und so ein ‚Kompliment’ bekam man ja auch nicht häufig. „Okay. Er gehört ganz dir.“
Sein nackter Oberkörper löste sich von meiner Seite und hinterließ ein leeres Gefühl. Die Luft wirkte plötzlich kühl und ich fröstelte ein wenig. Doch dann streiften zwei Hände geschickt meine Shorts ab und eine warme Hand legte sich zart um mein bestes Stück, spielte damit. Ich schloss meine Augen und genoss es einfach. Ich spürte, mit einiger Überraschung, seine Lippen auf meinem Bauch, die sich mit sanften Küssen ihren Weg nach unten suchten. Das hatte er bisher noch nie gemacht. Gut, ich hatte es ihm auch verboten, es überschritt eine bisher unsichtbare Grenze. Aber heute gefiel es mir.
Fabian ließ sich viel Zeit und ich wand mich unter ihm. Zwischendurch schenkte er mir liebevolle Blicke, die ich unbewusst erwiderte. Trotz des wippenden Kopfes strahlte er eine unglaubliche Sinnlichkeit aus und ich ließ es zu, dass er mit einer Hand über meinen Oberkörper streichelte.
Das Kribbeln in den Leisten nahm zu und ich schloss genießerisch die Augen. Die Welle des Höhepunkts schlug über mir zusammen. Als ich die Augen wieder öffnete, da wischte er sich gerade mit dem Handrücken über den Mundwinkel und sah mich entschuldigend an. „Du hattest ganz schön was angestaut, es war ein wenig viel auf einmal.“
Mein Atem beruhigte sich allmählich wieder. „Hör bitte auf dich zu entschuldigen. Es war toll.“
„Danke. Äh, Patrick, ich verschwinde mal eben.“ Der Kleine erhob sich umständlich vom Bett und versuchte seine Erregung vor mir zu verbergen.
„Stopp!“
„Du willst mich jetzt nicht rauswerfen, oder?“ Der Grad an aufkeimender Panik in seinen Augen stieg exponentiell an.
„Nein, wirklich nicht.“ Ich klopfte mit der Hand auf das Bett. „Zieh das Ding aus. Ich werde es schon überleben, wenn du es hier machst.“
„Kein Scherz?“ Seine Erregung nahm sichtbar zu.
„Kein Scherz, Indianerehrenwort.“
Ich rückte ein wenig zur Seite und breitete meinen Arm aus, damit er sich drauflegen konnte. Er streifte sich gedankenschnell den Slip ab, wohl aus Angst, ich würde von meinem Ehrenwort zurücktreten. Sein Körper glühte förmlich und sein Schwanz stach ein beachtliches Stück in die Höhe. Ich zog ihn dicht an mich heran, damit er etwas von meiner Nähe spüren konnte und beobachtete, wie er sich selber zum Höhepunkt brachte. Der Anblick löste widersprüchliche Gefühle in mir aus, ließ mich aber nicht völlig kalt.
Wie ferngesteuert fasste ich um ihn herum und streichelte vorsichtig über seine Seite, ein Stück unter seiner Achsel.
„Oh Gott“, stöhnte er und fing an zu zucken. Mit der Hand fing er sein Sperma auf, welches sich sonst vermutlich über dem ganzen Bett verteilt hätte. Sein entspanntes Gesicht strahlte einen unglaublichen Frieden aus. Sein Kopf fiel auf die Seite und ich spürte das heftige Pochen der Halsschlagader auf meinem Arm. „Kneif mich, bitte.“
„Du träumst nicht.“ Meine Stimme klang sanft.
Ich drehte mich leicht nach hinten, fischte eine Packung Papiertücher aus dem Nachtschrank und reichte sie ihm. Er beseitigte schnell seine Spuren.
„Es war auch besser als ein Traum. Ich hätte nie daran geglaubt.“
„Ich hatte es mir auch schlimmer vorgestellt.“ Ich bereute die Wortwahl sofort. Prompt sanken seine Mundwinkel nach unten und er schloss die Augen.
„Ach Fabian, du weißt wie ich es gemeint habe. Oder?“
„Ich hoffe es.“ Bravo, ich hatte die Stimmung mal wieder gekillt. Es hätte eigentlich nicht mehr schlimmer kommen können, aber ich hätte mich besser kennen sollen.
„Ich wollte auch noch etwas mit dir besprechen. Wegen heute Mittag.“
„Und was möchtest du besprechen?“ Seine Stimme klang völlig neutral.
„Jochen war heute etwas merkwürdig und ich denke er ahnt vielleicht was. Könntest du dich in der Öffentlichkeit ein wenig zurückhalten? Sonst denkt bald jeder, wir hätten was miteinander.“
Fabian richtete sich auf und sein Gesicht verströmte eine Mischung aus Wut und Trauer.
„Ach, denken die das? Und wie nennst du das hier? War das eben ein gnädiger Gefallen von dir, oder was spielst du für ein Spiel mit mir? Tolles Timing. Ich danke dir, dass ich wenigstens mal für einen kleinen Moment glücklich sein durfte.“
„Fabian, bitte…“
„Nein! Nichts für ungut, du hast nur eben den glücklichsten Moment meines Lebens zerstört. Du wirst dich vermutlich nie ändern.“ Die Wut wich einem Schwall Tränen.
„Ich ertrag das nicht mehr. Ich weiß, dass du mehr fühlst, du zeigst es mir in jeder Sekunde und hilfst mir zu schweben. Und dann lässt du mich abstürzen. Es war alles viel einfacher, als du mich nur benutzt und beschimpft hast. Ich wusste woran ich war und hab mich nicht dieser völlig falschen, übersteigerten Hoffnung hingeben müssen.“
Fabian stand auf und sammelte seine Klamotten zusammen. Er war blitzschnell angezogen.
„Was machst du?“
„Ich gehe nach Hause. Dein Spielzeug hat keine Lust mehr.“
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und trottete zur Tür. Ich raffte schnell meine Short und ein Shirt zusammen und rannte hinterher. Er war schon zur Tür hinaus und ich griff nach dem Schlüssel, bevor ich ihm ins Treppenhaus folgte. Auf dem Gehsteig holte ich ihn ein.
„Fabian, es tut mir Leid, wirklich, aber geh nicht!“ Ich griff nach seinem Arm und zog ihn zu mir, doch er befreite sich nach einem kleinen Augenblick.
„Es tut dir jedes Mal Leid. Mir tut es auch Leid.“
Er schloss sein Fahrrad auf und ich starrte ihm noch eine Weile nach, bis das Surren des Dynamos nicht mehr zu hören war. Durch den Tränenschleier bemerkte ich auch nicht das Auto, welches auf der anderen Straßenseite parkte. Ein sehr bekanntes Auto.
Mein erster Weg führte mich zur Hausbar und ich schnappte mir die letzte Flasche Single-Malt. Doch ich trank sie nicht. Stattdessen beobachtete ich die kupferfarbene Flüssigkeit, wie sie durch den Abfluss verschwand. Die Trinkerei hatte mir noch nie Glück gebracht. Außerdem erinnerte es mich an meinen Vater. Ich wollte einfach die Nacht abwarten und mich morgen bei Fabian entschuldigen.
Er hatte Recht, ich empfand deutlich mehr als ich mir eingestehen wollte. Ich liebte ihn und das nicht erst seit gestern. Ein verblödeter, emotional verkrüppelter und gottverdammter Feigling, das alles traf auf mich zu.
***
Die Nacht endete so trostlos wie sie angefangen hatte. Die innere Leere fraß mich auf. Ich wartete bis 9 Uhr und wagte einen Anrufversuch. ‚Teilnehmer vorübergehend nicht erreichbar’, tönte mir die blecherne Frauenstimme entgegen. Ich versuchte es im halbstündigen Rhythmus und das Resultat blieb das Gleiche. Gegen 12 Uhr stand ich vor seinem Haus und lief langsam auf die Tür zu. Eine unbekannte Frau machte sich an seinem Briefkasten zu schaffen.
„Was tun Sie da?“
Sie drehte sich um. „Herr Westerkamp hat mich gebeten, in seiner Abwesenheit nach der Post zu gucken. Und wer sind Sie?“
„Fabian ist nicht da?“
„Er ist heute Morgen abgereist, zu seinen Eltern. Für ein paar Tage ans Meer.“
„Oh bitte nicht.“
„Sind Sie Patrick?“
Ich nickte erschrocken.
„Lassen Sie ihn in Ruhe.“ Sie schloss den Briefkasten und verschwand im Haus.
„Okay, das hab ich wohl verdient“, murmelte ich zu mir selbst. Die nächsten Stunden lenkte ich mich allein im Studio ab. Jochen verbrachte den Abend lieber mit seiner Frau. Als ich mich vor Müdigkeit kaum noch rühren konnte, lenkte ich den Wagen, nach einer kurzen Dusche, übervorsichtig nach Hause. Ich schaffte es nur noch bis auf mein Sofa, bevor der Erschöpfungsschlaf gnädig zuschlug.
Zerschlagen traf auch das Gefühl beim aufwachen. Aber ein Muskelkater war deutlich besser als ein Alkoholkater. Den restlichen Sonntagvormittag verbrachte ich mit nachdenken. Ich legte mir Worte zurecht, mit denen ich Fabian von meinen Gefühlen überzeugen konnte. Hoffentlich.
Die Ruhe wurde, kurz nach Mittag, durch die Schelle gestört. Dann klopfte es an der Tür. Fabian?
Ich sprintete zur Tür und riss sie auf, der Schock war unbeschreiblich. Ich sah einen langen Mantel, der einen edlen Anzug bedeckte. Faltige Hände stützten sich auf einen massiven Spazierstock. Mein Vater.
„Was machst du denn hier?“
Er reichte mir wortlos einen braunen Umschlag. Ich öffnete die Lasche und zog den Ausdruck eines Digitalphotos hervor. Der Zeitstempel passte zum Freitagabend. Es zeigte mich, spärlich bekleidet, wie ich Fabian im Arm hielt, kurz bevor er sich losriss. Um seinen Kopf hatte jemand einen roten Kreis gezeichnet und eine Linie verband den Kreis mit einem Wort: ‚Schwuchtel’. Ich sank kraftlos auf die Knie.
Die Stimme meines Vaters drang zu mir wie durch Watte. „Du kümmerst dich also um das Problem. Du bist noch jämmerlicher als dieser Perverse.“
„Er ist nicht pervers. Er ist einer der anständigsten Menschen die ich kenne.“
„Du sollst mir nicht widersprechen!“
Dieser Satz löste eine Welle von Erinnerungen aus. Widerworte sind Schmerz. Wie oft hatte er mich verprügelt, wenn ich ihm widersprach. Und es war ihm egal womit. Mal war es die Reitgerte, ein Stück Holz und alles, was in greifbarer Nähe lag. Wie damals riss ich auch nun die Arme schützend nach oben, keine Sekunde zu spät.
Ich hörte das Zischen der Gehhilfe, wie sie durch die Luft schnitt und meinen Arm traf. Der gespannte Trizeps fing die größte Wucht des hölzernen Schaftes ab. Es brannte höllisch und der Impuls ließ mich mit dem Kopf gegen die Wand stolpern. Ich stieß mich ab und im nächsten Moment steckte die metallische Spitze des Stockes in der Wand, genau da, wo kurz zuvor noch mein Kopf war. Mein Vater zerrte mit beiden Händen am Griff, bekam seine ‚Waffe’ aber nicht sofort frei. Mit aller verfügbaren Kraft schnellte ich aus der Hocke vor und mein Schädel knallte gegen sein Kinn. Der Schmerz explodierte förmlich und breitete sich wellenförmig aus. Doch der alte Herr fiel wie ein nasser Sack zu Boden.
Ich konnte noch die Mohrbeck sehen, wie sie starr in ihrer Tür stand.
„Bitte … nicht beim … Vermieter…“ Ich verlor das Bewusstsein.
***
Fabian hatte, trotz der langen Zugfahrt, in der folgenden Nacht kein Auge zubekommen und sich bis in den frühen Morgen mit seinen Eltern unterhalten. Sie wussten mittlerweile alles und waren fassungslos. Sie verstanden aber auch, dass Patrick nicht ganz der Unmensch war, den sie in ihm sehen wollten, hatten Mitleid mit seiner harten Kindheit.
„Ihr habt Recht, ich kann da nicht mehr bleiben. Seine Nähe bringt mich um und ich habe keine Kraft mehr zu warten. Ich hoffe schon so lange darauf, das er sich seine Gefühle endlich eingesteht.“
„Dein Zimmer steht immer noch frei, aber wir können auch schauen, ob wir Dir eine Wohnung in der Nähe finanzieren können, bis Du das Studium abgeschlossen hast.“ Viel mehr fiel seinem Vater dazu nicht ein.
Fabian schluchzte leise, nickte aber zustimmend.
„Schatz, wir helfen Dir, was auch immer passiert. Und Du wirst hier sicher einen netten Jungen finden, der Dir auch etwas zurückgibt. Dieser Patrick ist ein Idiot, wenn er Dich nicht zu schätzen weiß. Er hat Dich nicht verdient.“ Seine Mutter küsste ihn sanft auf die Wange und Fabian klammerte sich an ihr fest. Doch ans Verlieben wollte er im Moment absolut nicht denken.
„Gut, ich fahre morgen zurück, kündige bei Kramer und lasse mich exmatrikulieren. Dann bin ich bald wieder hier.“ Ein neuer Schwall Tränen floss über seine Wangen. Er bedauerte seinen ‚Fast-Freund’, das dieser keinen Rückhalt bei der Familie hatte. Er würde es deutlich schwerer haben.
‚Du darfst dich nicht um ihn sorgen, sonst geht es dir nie besser’, rief er sich still zur Ordnung.
Nach ein paar wenigen Stunden Schlaf entführten ihn seine Eltern an den Strand, den er wirklich sehr vermisst hatte und vergaß im warmen Sonnenlicht für ein paar Stunden den schweren Weg, der nun vor ihm lag.
***
Leise Stimmen drangen an mein Ohr. „Ich sage es ihnen doch, dieser ‚Herr’ wollte den jungen Mann umbringen.“ Das war die Mohrbeck.
Zwei schlanke Finger zogen meine Augenlieder nach oben und eine Stiftlampe blendete mich. „Okay, die Augen reagieren normal. Ansonsten haben wir noch einen starken Bluterguss am linken Oberarm, eine saftige Prellung. Wir sollten es aber noch röntgen.“
Ich blinzelte.
„Er kommt zu sich.“
Eine männliche Stimme meldete sich und ein Uniformierter schob sich in mein Blickfeld.
„Wie ist ihr Name?“
„Patrick Reder.“
„Sehr gut. Erinnern sie sich noch an etwas?“
„An alles. Mein Vater wollte mich umbringen.“
Der Polizist hielt mir das Bild vor die Nase. „Der Umschlag war an ihn adressiert. Hat der Vorfall etwas damit zu tun?“
„Ja. Ich glaube… ich bin schwul.“
Der Polizist wandte sich einem Kollegen zu. „Bringt ihn ins Krankenhaus, aber es bleibt jemand in der Nähe. Ich will ihn vernehmen, sobald er aufgewacht ist. Frau Mohrbeck, danke, dass Sie uns gerufen haben. Wir melden uns, falls noch Fragen auftauchen sollten.“ Er nahm das Bild wieder an sich. „Sollen wir Ihren Freund informieren?“
„Er ist nicht mein Freund, das hab ich gründlich versaut.“
„Tut mir Leid für Sie. Haben Sie eine Idee, wer dieses Foto gemacht haben könnte?“
„Meine Ex, möglicherweise. Wir haben uns vor kurzem getrennt. Sie ist schwanger und hat es nicht besonders gut aufgenommen.“ Ich nannte ihm Tinis Adresse und erzählte haarklein, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Die Mohrbeck stand noch in der Tür und hörte gebannt zu.
„Ich hatte ja keine Ahnung. Oh mein Gott, was sind das nur für Menschen.“
„Frau Mohrbeck, bitte gehen Sie in ihre Wohnung zurück. Und jetzt Abtransport.“
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich auf einer Trage lag und die Sanitäter trugen mich zum Rettungswagen. Die Notärztin stieg in ihr eigenes Dienstfahrzeug.
Die Röntgenbilder von Kopf und Oberarm waren unauffällig. Ich hatte wirklich nur eine extrem schmerzhafte Prellung und eine ungefährliche Beule am Kopf. Es bestand jedoch der Verdacht auf eine Gehirnerschütterung und ich musste die Nacht zur Beobachtung bleiben.
Am nächsten Morgen, nach einer weiteren Befragung durch die Polizei, wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen und bekam eine einfache Schlinge für den Arm, damit ich ihn ruhig halten konnte. Einen Krankenschein wollte ich nicht. Mein Vater hatte ohne zögern gestanden. Er wollte den missratenen Schandfleck seiner Familie beseitigen.
Des Weiteren wurde ein Durchsuchungsbefehl ausgestellt und Tinis Wohnung wurde gründlich untersucht. Sie hatte das Bild auf der Festplatte und wurde ebenfalls verhaftet. Zwei Probleme weniger, aber das letzte Problem war das schwierigste von allen.
Gegen Mittag traf ich in der Firma ein. Kramer und Monika stürmten auf mich zu.
„Wir haben es schon gehört, geht es Ihnen gut?“ Kramer wirkte besorgt.
„Es ist nur eine Prellung. Mein Vater ist in U-Haft, mit etwas Glück sehe ich ihn nie wieder.“ Nach einem kurzen Zögern ergänzte ich „Dafür habe ich den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren.“
Ohne weitere Kommentare drehte ich ihnen den Rücken zu und verschwand in meinem Büro. Ich versuchte mich auf die Emails zu konzentrieren, aber es gelang mir nicht. Irgendwann ging ich ihn die Küche und besorgte mir einen Kaffee.
Vor der Tür hörte ich plötzlich Fabians Stimme, zusammen mit Kramers.
„Ich hab es mir wirklich überlegt, Herr Kramer. Es ist das Beste und mir fehlt die Heimat.“
„Ich lasse Sie nur ungern gehen, Herr Westerkamp. Aber gut, ich nehme Ihre Kündigung an.“
Kündigung? Heimat?
„NEIN!“ Ich sprintete in den Flur.
„Fabian, bitte tu das nicht!“
Er sah mir nicht einmal mehr in die Augen.
„Es ist das Beste für uns alle. Ich kann nicht mehr.“
Kramer blickte irritiert zwischen uns hin und her.
„Fabian, bitte, denk noch mal drüber nach.“
„Das habe ich“, antwortete er mit einem unterdrückten Schluchzen. „Machs gut, Patrick.“ Er drehte sich um und lief in Richtung Ausgang
Ich sammelte allen Mut zusammen und legte alles an Kraft in die Stimme. „Fabian, ich bin schwul und, verdammt noch mal, ich liebe Dich!“ Mein Aufschrei war im ganzen Haus zu hören. Er blieb tatsächlich stehen.
„Es steht nichts mehr zwischen uns. Mein Vater sitzt im Gefängnis. Er wollte mich deinetwegen umbringen. Lass mich bitte nicht allein, ich brauche dich mehr denn je. Bitte, ich meine es ernst. Du fehlst mir.“
„Für wie lange denn? Du gibst mir immer wieder neue Hoffnung und nimmst sie mir wieder. Das übersteigt meine Kraft.“
Mit zittrigen Schritten lief ich zu ihm und drehte ihn an der Schulter herum. Sein tränenverschmierter Anblick brach mir fast das Herz. „Ich beweise es Dir“, flüsterte ich und legte meine Lippen auf seine. Mein Arm rutschte aus der Schlinge und ich umklammerte ihn, die Schmerzen ignorierend. Er verlor den Bodenkontakt und schlang nun seinerseits die Arme um mich. Ich presste ihn fest an meinen Körper, während der Kuss immer mehr an Leidenschaft gewann.
Im Hintergrund spielte leise das kleine Radio von Moni, welches einen absolut passenden Song zum Besten gab.
Well, you done done me and you bet I felt it
I tried to be chill but your so hot that I melted
I fell right through the cracks, now I’m tryin to get back
before the cool done run out I’ll be givin it my best test
and nothin’s gonna stop me but divine intervention
I reckon it’s again my turn to win some or learn some
But I won’t hesitate no more,
no more, it cannot wait
I’m yours
Well open up your mind and see like me
open up your plans and damn you’re free
look into your heart and you’ll find love love love love
listen to the music at the moment people dance and sing
Were just one big family
And it’s our godforsaken right to be loved loved loved loved loved
So, i won’t hesitate no more,
no more, it cannot wait i’m sure
there’s no need to complicate, our time is short
this is our fate
I’m yours
(*Musik & Text von Jason Mraz, Elektra Records)
Atemlos stellte ich ihn wieder ab und hielt mir den pochenden Arm. „Glaubst du mir nun?“
Der entrückte Gesichtsausdruck wandelte sich zu einem zaghaften Lächeln. Er nickte.
„Danke für die Chance. Ich werde nie wieder so einen Scheiß machen. Dafür sind deine Küsse zu gut.“
Er grinste mich an. „Ich fand es auch … nicht unangenehm.
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Fabian
„Ich fand es auch … nicht unangenehm“, hörte ich mich sagen. Patrick sah mich erst irritiert an, lachte dann aber.
„Touché, Kleiner.“
Liebevoll sah er mich an und mir wurden die Knie weich. Ein Traum begann sich zu erfüllen.
Patrick hatte mich erneut völlig in seinen Bann geschlagen, nachdem ich schon beinahe aufgegeben hatte.
„Das war also unser erster Kuss…“, flüsterte ich mit einem verträumten Lächeln.
Ungeachtet der Uhrzeit schlenderten wir unter den amüsiert bis irritiert wirkenden Blicken der Kollegen nach draußen.
„Ich glaub das gerade nicht“, lächelte Patrick.
„Frag mich mal. Damit hätte ich bei dir nicht mehr gerechnet. Gehofft ja, aber nicht erwartet.“
„Und du wolltest wirklich verschwinden?“ Schuld und Reue stand in seinen Augen. Ich nickte nur.
„Deshalb hab ich ja bei Kramer gek… Oh Mist!“ Ich riss mich von seiner Hand los und rannte zurück in die Firma.
„Moni, wo ist der Chef?“, fragte ich keuchend.
„Gerade in den Kopierraum gegangen. Und herzlichen Glückwunsch für euch Beide.“
Dankbar lächelte ich sie an und rannte in den besagten Raum. Patrick war dicht hinter mir.
„Herr Kramer, die Kündigung…“ Er unterbrach mich mit einer unwirschen Geste und ließ meinen Umschlag in den Shredder fallen. Dann lächelte er mir zu.
„Welche Kündigung, Herr Westerkamp? Hatten Sie mich nicht nach ein paar freien Tagen für Herrn Reder und Sie selbst gefragt?“
Verdattert starrte ich ihn an und er lachte. „Ich lasse Sie nur ungern gehen, Sie erinnern sich? Und nun kehrt endlich Frieden in diese Firma ein, nachdem sie beide sich ja offensichtlich…“, er machte eine kleine Kunstpause, „offensichtlich vertragen haben.“
Dann wurde er jedoch sehr ernst.
„Sie werden noch genug Schwierigkeiten bekommen, nehme ich an.“
Mit diesen Worten holte er Patrick und mich von unserer Wolke auf den Boden der Tatsachen zurück. In der Firma würde es sicherlich keine Probleme geben, aber es lag noch so viel im Argen. Immerhin war Patrick ein werdender Vater und die Mutter würde uns vermutlich nicht ewig vom Hals gehalten werden.
Und ob Patrick sich wirklich im Klaren darüber war, dass wir nun eine völlig neue Ebene unserer Beziehung zueinander erreicht hatten? Sicher würde er jetzt nicht plötzlich mit allen Einzelheiten meines Körpers zurechtkommen.
Kramer schien meine Gedanken im Ansatz zu erraten und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. „Sie schaffen das schon.“
„Danke, ich hoffe es auch.“
„Herr Reder, Sie dürfen gerne eintreten. Auch für Sie hätte ich noch ein paar ernsthafte Worte.“
Patrick schlich langsam in den Raum und sah aus wie ein geprügelter Hund. Die Euphorie unseres Kusses schien verpufft zu sein und er wirkte unsicher und irgendwie verschlossen, fast schon abweisend. Kramer wandte sich kurz von uns ab und schloss die Tür.
„Herr Kramer?“ Mein Freund – ich ließ dieses Wort in Gedanken wieder und wieder auf der Zunge zergehen – trat dem Chef etwas unsicher gegenüber. Sehr zu meiner Überraschung griff er jedoch nach meiner Hand und hielt sie eisern fest. Kramer registrierte es mit einem wohlwollenden Nicken.
„Herr Reder, um es gleich am Anfang klar zu stellen: ich habe keine Probleme mit Homosexuellen. Für sie gelten dieselben Regeln wie für alle in diesem Haus. Hier wird gearbeitet, und nichts sollte dem entgegenstehen. Und ich bin froh über diese neue Situation, dass der Betriebsfrieden nun nicht mehr gestört wird. Aber wenn sich da etwas bei Ihnen beiden anbahnen sollte, sorgen Sie bitte dafür, dass hier alles seinen geregelten Verlauf nimmt.“
Patrick fühlte sich bei dieser Ansprache nicht besonders wohl. Mir war selber nicht ganz klar, wie nah ihn sein Verhalten an den beruflichen Abgrund geführt hatte.
„Wenn Sie Probleme bekommen sollten, sei es wegen Ihrer Familie oder dieser Schwangerschaft, dann können Sie mit mir darüber reden. Ihnen ist klar, dass wir hier mit freiem Kopf arbeiten müssen, um unsere Kunden zu halten. Und wenn Sie aus privaten Gründen etwas mehr Freizeit benötigen, dann komme ich Ihnen, im Rahmen meiner Möglichkeiten, auch entgegen. Aber machen Sie den Mund auf, verstanden?“
Patrick konnte nur noch nicken. Kramer hatte uns völlig überrascht.
„Gut, meine Herren, ich möchte sie beide bis Montag nicht mehr sehen. Sie haben sicherlich noch einiges zu erledigen. Sollte ich Ihre Hilfe benötigen und davon muss ich leider ausgehen, dann regeln wir das per Email.“
„Einverstanden.“ Patricks Hand glitt aus meiner, er streckte sie Kramer hin, der sofort einschlug. „Danke, Chef.“
Mit einer wegwerfenden Geste deutete der ältere Mann auf die Tür. „Raus jetzt!“
Auf dem Weg zum Auto ergriff er wieder meine Hand. Diesen Halt hatte ich auch bitter nötig, denn meine Eltern mussten auch noch informiert werden. Sie würden mich bestimmt für geisteskrank halten. Mit Feuereifer schmiedeten sie schon Pläne für die nahe Zukunft, um mich aus meinem Elend zurück ins elterliche Nest zu holen.
Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter und glitt an meinem Gesicht aufwärts. „Geht es dir nicht gut?“ Ich schmiegte meine Wange in seine Handfläche.
„Meine Eltern denken, dass ich spätestens übermorgen nach Hause komme. Vermutlich suchen sie schon nach einer kleinen Wohnung in der Nähe.“
„Ich habe wohl denkbar schlechte Karten bei ihnen.“ Seine freie Hand zuckte unschlüssig. Er wollte mich umarmen, schreckte aber davor zurück. Ich nahm ihm die Entscheidung ab und zog sie auf meine Hüfte.
„Sie werden dich zu den Haien ins Meer werfen, ganz bestimmt.“ Nicht gerade begeistert schaute er mich an. Der Scherz war missglückt. „Oder sie geben dir eine zweite Chance, so wie ich.“
Diesmal lachte er auf. „Eine zweite Chance wie du? Es waren dutzende Chancen.“ Seine Stimme wurde wieder etwas ernster, als er meinen Gedanken von vorhin aufnahm. „Und ich hoffe, dass du mir auch weiterhin Chancen gibst. Das ist alles so neu für mich und ich werde bestimmt noch Fehler machen.“ Patrick öffnete die Autotür und ließ mich Platz nehmen, bevor er auf seine Seite ging.
„Was geht dir durch den Kopf, wenn du daran denkst mich anzufassen?“, fragte ich, als wir beide Türen geschlossen hatten.
Ein anzügliches Grinsen huschte ihm über das Gesicht. „Daran denken ist eine Sache. Es tatsächlich zu tun ist etwas anderes. Als wir … als du, ich meine, als wir… bei mir…“, er stotterte und wurde leicht rot, was bei ihm sehr ungewohnt war und irgendwie verdammt süß wirkte. Seine Hand krampfte um das Lenkrad und er atmete tief durch. „Als du neben mir lagst und … es … dir gemacht hast. Ach Fabi, hilf mir bitte.“
Ich guckte ihn mit gespieltem Entsetzen an. „Jetzt? Hier im Auto? Aber da können doch alle zugucken.“
„Du bist doof“, grinste er. „Es hat mir gefallen dich dabei anzusehen.“
„Patrick?“ Natürlich hörte ich das gerne, aber ich wollte auch nicht, dass zwischen uns eine Art Leistungsdruck aufkommt.
„Ja?“
„Bleib einfach locker. Ich bin gerne bei dir und will nicht, dass du dich zu etwas zwingst bevor du bereit bist. Deine Nähe allein bedeutet mir viel.“
Darauf antwortete er nicht, aber sein Lächeln strahlte ein wenig wärmer als vorher. Wir fuhren los und Patrick hing seinen Gedanken nach. In ihm arbeitete es sichtbar.
„Hast du Hunger?“, fragte er unvermittelt und ich nickte.
Patrick
‚Bin ich glücklich?’ Diese Frage beschäftigte mich seit der Abfahrt von der Firma. Im Prinzip war ich es, aber Fabians Verständnis verunsicherte mich wieder aufs Neue. Er steckte zurück und wollte mich meine Fehler machen lassen. Mein eigenes Verhalten beschämte mich. Hatte er nicht was Besseres als mich verdient? Natürlich brauchte ich ihn jetzt, aber es war egoistisch.
Die nähere Zukunft war beängstigend. Ein Kind war unterwegs, mein Kind. Tini würde bald wieder frei sein, sie konnte nicht wissen, was dieses Foto von Fabi und mir auslösen würde.
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich, dass mein Freund sich über den Bauch rieb und einen kurzen Blick auf die Uhr warf. Er hatte mit Sicherheit noch nichts seit seiner Abreise aus der Heimat gegessen.
„Hast du Hunger?“ Er nickte und ich steuerte den nächsten Italiener an. Ich war ganz froh über die Unterbrechung, denn mein Arm schmerzte wieder.
Die Mittagszeit war schon vorbei und so fanden wir auch gleich einen Platz. Meine Gedanken schweiften wieder zu Tini und dem Kind. Natürlich würde ich nicht mehr mit ihr zusammenkommen, damit war es vorbei. Aber sollte ich mich nicht trotzdem um das Kind kümmern?
Zusammen mit Fabian würde es schon klappen und Tini würde irgendwann bestimmt einer vernünftigen Regelung zustimmen.
„Und Sie?“ Eine Stimme mit italienischem Akzent unterbrach mich.
„Äh…“
„Für ihn das Gleiche“, sprang Fabi ein, als ich nach einer halben Minute immer noch wie vom Pferd getreten dasaß und den Kellner anstarrte, der dann genervt in Richtung Küche abzog.
„Geht es dir gut?“ Seine Augen ruhten forschend auf mir.
„Ja, doch. Was hast du eigentlich bestellt?“
„Pizza Peperoni mit doppelt Käse und ein Glas Wasser.“
Die Antwort entlockte mir ein Lächeln. „Sehr gute Wahl. Ich liebe diese Pizza.“
„Ich weiß, dass du sie gerne isst. Du hast sie schon mehrfach in die Firma bestellt.“ Er wusste schon so viel über mich und ich eigentlich nichts über ihn, von Tommi mal abgesehen und dass er liebende Eltern hatte. Diese Erkenntnis war ein weiterer Dämpfer für meine Stimmung.
„Patrick, was beschäftigt dich? Sag jetzt bitte nicht ‚Nichts’. Du musst nicht alles mit dir selber ausmachen.“
„Wo genau kommst du eigentlich her?“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ein Stückchen westlich von Rostock, ungefähr zwanzig Autominuten. Du musst unbedingt mit mir hochfahren. Die Luft dort ist himmlisch und du riechst das Meer bis zu meinen Eltern.“
„Hast du Heimweh?“
„Manchmal“, antwortete er ehrlich. „Aber hier gefällt es mir auch sehr und, viel wichtiger als das, du bist hier.“
„Wie war er?“ Ich kassierte nur einen fragenden Blick. „Thomas, wie war er so?“
„Uff. Was soll ich sagen? Ich war verliebt in ihn. Für mich war er damals perfekt. Ein verdammt guter Freund. Sein Tod hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Mein Lebensmittelpunkt war plötzlich weg.“ Er unterbrach seine Erzählung und räusperte sich. Die Erinnerung bereitete ihm noch immer Schmerzen.
Ich hob beschwichtigend die Hand. „Tut mir leid, du brauchst nicht weiterreden.“
„Schon gut, irgendwann muss ich ja damit klarkommen. Manchmal verwirrt mich eure Ähnlichkeit. Ihr würdet ohne weiteres als Brüder durchgehen.“
Seine Hand zitterte ein wenig. Ich gab mir einen Ruck und griff nach dieser. Diese Art von Liebesbekundung fiel mir noch immer etwas schwer. Fast schon automatisch suchte ich den Blick zur Tür, aus Angst, mein Vater könnte jeden Moment auftauchen. Das war natürlich ausgemachter Blödsinn und auch sonst schenkte uns Niemand besondere Beachtung.
„Aber darüber hast du vorhin nicht nachgedacht, oder?“ Seine Augen schienen bis in mein Herz zu blicken.
„Nicht nur. Ich hab über Tini nachgedacht. Beziehungsweise über mein Kind. Könntest du dir vorstellen, dass wir uns ab und an zusammen darum kümmern?“
„Ich werde dich nicht im Stich lassen“, antwortete er ausweichend. Mit dieser Frage mutete ich ihm eine Menge zu, denn es betraf eine Zeit, mit der er wenig angenehme Erinnerungen verband.
Das Essen sorgte für eine wohltuende Unterbrechung des Gesprächs, welches uns beide ziemlich heruntergezogen hatte. Schweigend aßen wir unsere Pizza. Und auch nachdem wir fertig waren, sagte keiner von uns ein Wort, bis er aufseufzte.
„Patrick, ich brauch noch etwas Zeit bei der Sache. Und die haben wir ja, naturgemäß noch über ein halbes Jahr. Das Kind ist für mich eine lebende Erinnerung an unser erstes halbes Jahr. Und außerdem… sei bitte ehrlich: warst du glücklich mit ihr, bevor du mich getroffen hast?“
„Meistens. Aber mach dir deswegen keine Vorwürfe. Es ist nicht deine Schuld. Oder glaubst du, ich hätte mich gegen meinen Willen mit dir eingelassen? Die Schuld trifft Tini und mich gleichermaßen. Du hast mir lediglich den Ausweg gezeigt. Es ist ja nicht so, dass du dich mir an den Hals geworfen und bedrängt hast.“
„Du hast dich in den letzten Tagen ganz schön verändert“, lächelte er.
„Die Angst dich zu verlieren, hat mir die Augen geöffnet.“
„Ich sollte meine Eltern anrufen. Warte bitte einen Moment“
Fabian ging kurz vor die Tür und ich winkte den Kellner zum Zahlen heran. Der Kleine stand vor der gläsernen Tür und telefonierte, heftig gestikulierend. Seinen Eltern schien die Planänderung nicht zu passen. Ich konnte es verstehen. Um meine Mutter würde ich mich auch noch kümmern müssen. Ohne meinen Vater, der sie zum Essen zwang, würde sie vermutlich nicht lange durchhalten. Es wurde Zeit, dass ich etwas gegen ihre Alkoholsucht unternahm.
Fabian kam bald zurück und wirkte mitgenommen.
„Nicht gut gelaufen?“, fragte ich.
„Nicht besonders. Sie vertrauen dir nicht.“
Das war ja zu erwarten. „Verstehe“, seufzte ich und beschloss den Kleinen aufzumuntern.
„Süßer?“
Er hob den Kopf und sah mich merkwürdig an. „Hast du eben wirklich ‚Süßer’ gesagt?“
Nickend bestätigte ich seine Frage und ein Strahlen trat erneut in seine Augen.
„Ich möchte mit dir zusammen zu meiner Mutter fahren. Sie braucht Hilfe.“
„Im Ernst? Ich soll mitkommen?“ Der ungläubige Gesichtsausdruck war unbezahlbar.
„Ja, natürlich! Du bist ein Teil meines Lebens geworden und das möchte ich ihr zeigen. Allerdings ist es zu bezweifeln, dass sie davon im Moment überhaupt etwas mit bekommt.“
Mein Student sah nun wieder richtig glücklich aus und griff nach meiner Hand. Zusammen verließen wir das Restaurant und gingen zum Auto. Je näher wir meinem Elternhaus kamen, desto angespannter wurde ich. Auch wenn mein Vater nicht dort sein konnte, die Erinnerungen an den letzten Sonntag waren übermächtig. Feucht rann mir der kalte Schweiß über die Stirn.
„Alles okay mit dir?“ Die sorgenvolle Stimme Fabians rettete mich aus den furchteinflößenden Gedanken.
„Geht schon“, antwortete ich gepresst. „Der Sonntag steckt noch in den Knochen.“ Die Todesangst, die ich bei dem Gedanken verspürte, musste ich nicht extra erwähnen. Sein mitleidiger Ausdruck sprach Bände.
Kurz darauf stoppte ich den Wagen neben meinem Elternhaus und warf an Fabian vorbei einen vorsichtigen Blick darauf.,.
„Hier?“ Erstaunt musterte er das villenartige Haus mit dem viktorianischen Bogen über der Tür, der nachträglich angebaut worden war. Mein Vater stand dort jeden Morgen und wartete auf die Zeitung. „Wow, ein schönes Haus.“
„Oberflächlich vielleicht.“ Für mich strahlte es Kälte aus. „Dann lass uns mal rein gehen.“
Fabian folgte mir zur Tür und ich betätigte die Glocke, doch niemand öffnete. Antonia hatte sich nach der Verhaftung wahrscheinlich abgesetzt.
„Komm!“ Ich griff nach der warmen Hand meines Freundes und zog ihn um das Haus herum. Ein kleines Holztor führte in den Garten, der früher sehr gut gepflegt war und nun zusehends verwilderte. Der ehemals makellose Rasen war von Unkraut überwuchert.
Ich hielt geradewegs auf die Kellertreppe zu und hoffte, dass der Schlüssel noch immer in seinem alten Versteck lag. Die alte Wandlampe im Treppengang ließ sich leicht zur Seite kippen und in einem kleinen Loch, welches sich hinter der Lampenblende befand, lag der gesuchte Gegenstand. Das alte Türschloss öffnete sich mit einem rostigen Quietschen.
Wir betraten die kleine Vorkammer, in der wir früher immer die Klamotten für die Gartenarbeit deponiert hatten. Mittlerweile war der Raum, bis auf einen einsamen Besen, leer. Die nächste Tür führte in den Vorratskeller. In den Wandregalen befanden sich dutzende Weinflaschen und auch die Whiskeyflaschen meines Vaters.
Fabian betrachtete die Flaschen eingehend. „Single-Malt?“ Die Erinnerung an meinen alkoholischen Zusammenbruch jagte ihm einen kurzen Schauer über den Rücken.
„Es ist hoffentlich das Einzige, was ich mit ihm gemeinsam habe.“ Ich zögerte einen Moment. „Hatte. Zumindest in dem Ausmaß.“
Wir verließen den muffigen Keller und betraten den eigentlichen Wohnraum. Bis auf das dumpfe Ticken der Standuhr war es still. In der Küche standen benutzte Töpfe auf dem Herd und verströmten einen ranzigen Fettgeruch. Vaters Pfeife lag an seinem Platz im Essbereich, direkt neben der Sonntagszeitung.
Vor meinem geistigen Auge sah ich ihn dort sitzen, ein Glas Whiskey vor sich stehend, den schweren Duft des Tabaks in der Luft, wie er mich mit eisiger Miene musterte. Für einen kurzen Moment wurden mir die Beine weich und Fabian war sofort stützend zur Stelle.
„Hier haben wir letzte Woche noch gesessen, als ich ihm von Tinis Schwangerschaft und … von dir erzählte. Er wollte, dass ich mich um beide Probleme ‚angemessen’ kümmere. Ausgerechnet ihm musste ich davon erzählen… es ist schwer, wenn man niemanden zum Reden hat.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
„Jetzt hast du mich und kannst mir alles erzählen. Schließlich gehörst du nun ebenfalls zu meiner Familie. Auch meine Eltern werden es noch verstehen.“ Er legte seine Hand auf meine Brust und ein warmes Gefühl gab mir neue Kraft.
„Antonia hat sich vom Acker gemacht, wie es scheint. Mutter ist vermutlich oben.“
Wir gingen leise in den Schlafbereich im ersten Stock. Der Weg führte an meinem alten Zimmer vorbei und ich öffnete die Tür.
„Hier drin bin ich aufgewachsen.“
Fabian warf einen Blick in den Raum und schüttelte den Kopf. „Sah das schon immer so aus?“ Die schmucklosen, braunen Eichenmöbel hatte ich schon mein ganzes Leben. Das schmale Bett neben dem massigen Schreibtisch wirkte verloren und die tristen weißen Wände strahlten eine sterile Kälte aus. Bilder und Poster durfte ich damals nicht aufhängen.
„Ja, es sah immer so aus. Wir hatten strenge Regeln und mich sollte nichts ablenken.“
Wortlos schloss ich die Tür und wir schlichen auf die Tür meiner Mutter zu. Die halb geöffneten Vorhänge ließen diffuses Licht durch die dichten Gardinen strömen. Die Fenster waren geschlossen, es roch nach Schweiß und Alkohol. Mutter lag im Bett und schnarchte leise. Der Cognac stand auf dem Nachtschränkchen. Ihr Anblick war erschreckend. Die Haut war fahl und das Gesicht wirkte eingefallen. Wahrscheinlich hatte sie seit einigen Tagen nichts mehr gegessen.
Sie reagierte nicht auf mein Rufen und ließ sich auch nicht wachrütteln. Fabian sah sich aufmerksam um und blieb an einem gerahmten Foto auf dem anderen Nachtschrank stehen. „Dein Vater?“ Er zeigte auf den stocksteifen Mann im Frack, in dessen Arm sich meine Mutter im altmodischen Kleid eingehakt hatte. Das Bild war bereits 30 Jahre alt.
Ich nickte und griff gleichzeitig zum Telefon. Meiner Mutter konnte ich alleine nicht mehr helfen.
Fabian
Patrick hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Das Haus war oberflächlich gesehen schön, aber es hatte keine Ausstrahlung, wenig persönliches. Sein Zimmer fand ich besonders schrecklich. Es vermittelte eine negative, fast schon depressive Atmosphäre. Die schweren Möbel waren erdrückend. Es war nicht weiter verwunderlich, wie er zu diesem schwierigen Menschen wurde und ich war froh ihm das alles verzeihen zu können.
Beim Anblick seiner Mutter stockte mir kurz der Atem. Sie sah furchtbar aus. Und dann entdeckte ich das Bild auf der anderen Bettseite. Die eine Person war eindeutig seine Mutter in jüngeren Jahren. Sie war hübsch, hatte aber keine Ähnlichkeit mit Patrick. Der Mann an ihrer Seite, der mich mit seinem strengen Blick nahezu durchbohrte, aber auch nicht.
„Dein Vater?“ Ich zeigte auf den Kerl mit dem kalten Blick und Patrick nickte nur. Es war mir schleierhaft, wie die Beiden so einen hübschen Sohn zur Welt bringen konnten.
„Guten Tag, Herr Doktor Billmeier, Patrick Reder hier. Bitte kommen Sie zum Haus meiner Eltern. Danke.“ Mein Freund steckte sein Telefon zurück in die Hosentasche.
Er bemerkte meinen fragenden Blick. „Sie braucht fachmännische Hilfe.“ Es lag nicht der Hauch einer Emotion in seiner Stimme.
„Liebst du deine Mutter?“ Eine dümmere Frage fiel mir wohl nicht ein. Der neue Ausdruck in seinem Gesicht jagte mir einen Schauer über den Rücken.
„Lieben? Weil sie nie für mich da war? Weil sie meinen Vater alles mit mir machen ließ? Sie hat mich im Stich gelassen, hat sich in den Alkohol geflüchtet. Sie bekommt professionelle Hilfe, mehr kann ich nicht für sie tun.“
Wie gerne hätte ich ihn nun in den Arm genommen, aber seine ganze Haltung schrie ‚Abstand’.
„Lass uns unten warten.“ Ohne die Frau eines weiteren Blickes zu würdigen, eilte er an mir vorbei zur Treppe.
„Patrick, bitte warte!“ Ich sprintete hinterher und legte ihm die Hand auf die Schulter, die er unwirsch abschüttelte.
„Es tut mir leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe. Die Frage war dumm.“
„Allerdings“, kam es unterkühlt zurück und er lief weiter. Sein Verhalten machte mich sauer.
„Ich hab dir das aber nicht angetan. Und du weißt wie sehr ich dich liebe.“ Diesmal blieb er stehen und wartete, bis ich aufgeholt hatte. Langsam drehte er sich zu mir um und sah mich schuldbewusst an.
„Sorry“, nuschelte er und streichelte mir flüchtig über die Wange. „Sei mir bitte nicht böse. Das Haus weckt immer meine schlimmsten Seiten. Niemand von uns hatte ein inniges Verhältnis zueinander, von meinem Vater und dem Hausmädchen mal abgesehen.“ Eine gehörige Portion Zynismus mischte sich in seine Stimme, die längst nicht mehr so kalt klang.
Dieses Mal ließ er auch meine Umarmung zu, in die er sich etwas hineinfallen ließ. Nach einem tiefen Atemzug griff er wieder nach meiner Hand und führte mich kommentarlos ins Wohnzimmer, wo wir uns nebeneinander auf die Couch setzten. Er zögerte einen Moment, schob dann aber doch seinen Arm hinter meinen Rücken und zog mich an der Hüfte dicht an sich heran. Gedankenverloren griff er nach meiner Hand und spielte mit meinen Fingern.
„Weißt du, so was hat es hier nie gegeben. Keine Nähe oder Umarmungen. ‚Emotionen behindern uns’, hat Vater immer gesagt.“
„Aber du teilst seine Meinung nicht mehr, oder?“
Statt einer Antwort küsste er mich und wirkte gleich viel befreiter. „Du färbst auf mich ab, denke ich. Kein Mensch hat mich jemals so verwirrt wie du, Fabi.“
Lächelnd kuschelte ich mich an ihn und wir saßen einige Minuten schweigend zusammen. Bis der fürchterliche Türgong mich zusammenzucken ließ. Patrick lachte leise und ging zur Tür.
„Hallo Herr Doktor. Bitte folgen Sie mir.“ Patrick führte einen weißhaarigen Mann im grauen Anzug herein.
„Fabian, bitte warte hier. Ich bin gleich wieder da.“ Er machte es bestimmt nicht mit Absicht, aber seine Stimme hatte wieder einen formell distanzierten Tonfall angenommen.
Die beiden verschwanden im oberen Stockwerk. Ungefähr zehn Minuten lang lauschte ich dem nervtötenden Ticken der Uhr, bis ich mich ein wenig in der unteren Etage umsah. Auch hier fand ich kaum persönliche Akzente. Die Möbel wirkten alt, gepflegt und schmucklos. Es kam mir vor wie im Museum.
Nirgendwo fand ich Kinderbilder von Patrick. Meine Eltern hatten eine ganze Wand mit meinen Bildern zugepflastert. Im Esszimmer, nahe dem Stuhl mit der Pfeife, hing eine Urkunde der Bundeswehr, ausgestellt auf den Namen Heinrich Reder. Es passte in das Gesamtbild seines Vaters: Zucht und Ordnung, wohin man auch sah.
Mittlerweile waren dreißig Minuten vergangen und von Patrick noch keine Spur. Unruhig setzte ich mich wieder auf das Sofa und wartete. Die trübe Atmosphäre schlug mir auf das Gemüt.
Es dauerte nicht mehr lange, da kamen teppichgedämpfte Schritte näher. Patrick sah mich entschuldigend an, blieb jedoch auf Abstand. „Ich bringe Ihnen dann ein Glas Wasser. Fabian, möchtest du auch etwas trinken?“
Ich nickte leicht und Patrick verschwand für einen Augenblick. Dieser Doktor Billmeier setzte sich auf einen der zwei Sessel und musterte mich abfällig. Vermutlich waren ihm Jeans, Shirt und Sneakers nicht gut genug.
Patrick kam mit drei Gläsern und einer Wasserflasche zurück. Nach dem Einschenken nahm er, sehr zu meiner Enttäuschung, auf dem anderen Sessel Platz. Das bedrückende Schweigen wurde lediglich von der Uhr unterbrochen. Ich hielt es nicht mehr aus.
„Was ist denn jetzt mit deiner Mutter?“
Der Doktor runzelte die Stirn und Patrick wirkte für einen Moment verärgert, als ob er nicht darüber reden wolle.
„Sie wird gleich abgeholt und in eine Klinik gebracht, zum Entzug. Alleine kommt sie nicht klar und es besteht Gefahr, dass sie am Ende noch verhungert.“
Er bemerkte meinen erschrockenen Blick über seine herzlose Wortwahl und lenkte ein. „Es ist das Beste für sie. Doktor Billmeier ist ihr behandelnder Arzt und kümmert sich um die behördlichen Schritte, falls notwendig. Herr Doktor das ist mei … ein Freund der Familie, Fabian Westerkamp.“
Innerlich zuckte ich zusammen und war sauer, blieb nach außen hin aber ruhig. Patrick sah es mir trotzdem an und warf mir einen flehenden Blick zu.
„Angenehm, schön Sie kennen zu lernen, Herr Westerkamp“, log der Arzt. Seine Stimme hatte einen spöttischen Klang.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Herr Billmeier.“ Meine Stimme klang nicht weniger spöttisch und ich genoss die Verärgerung auf dessen Gesicht, als ich seinen Titel ignorierte. Patrick tat erschrocken, aber ein winziges belustigtes Funkeln schlich durch seine Augen. Dieser Mann war ein eingebildeter Fatzke.
„Ein Freund der Familie also? Herr Reder, ich hatte bereits eine Unterredung mit Ihrem Vater. Ist er zufällig eben ‚dieser’ Freund der Familie?“ Die Abscheu in den Worten war nun offensichtlich und dieser Mensch schenkte mir einen unheilsschwangeren Blick.
„Ganz Recht, er ist es.“ Endlich erhob sich mein Freund und nahm demonstrativ neben mir Platz.
„Sie beschämen Ihre Familie. Nicht Ihr Vater gehört in das Gefängnis.“
„Das muss ich mir von Ihnen nicht sagen lassen, Herr Doktor Billmeier. Kümmern Sie sich um meine Mutter und lassen Sie mich in Ruhe!“
„Was fällt Ihnen eigentlich ein?“ Die Anspannung im Raum nahm stetig zu und mir war unwohl. Der seltsame Arzt konnte mir ja egal sein, aber wie Patrick sich plötzlich vor ihm, in voller Größe, aufbaute und unnachgiebige Autorität verströmte, hatte etwas Beängstigendes.
„Jetzt hören Sie mir gut zu, Sie Schmarotzer: Ihre Meinung über mich können Sie sich sonst wo hinstecken. Sie sind der Arzt meiner Eltern und genießen gewisse Privilegien, die Ihnen mein alter Herr mit seinem verdammten Geld verschafft hat. Sie mögen vielleicht mit meinem Vater befreundet sein, aber es gibt Ihnen nicht das Recht mich zu beleidigen! Und wenn Ihnen das hier zuviel ist, dann können wir meine Mutter auch in jede andere Klinik einliefern lassen, das ist mir scheißegal! Haben Sie mich verstanden, Billmeier?“ Die Stimme meines Freundes wurde immer leiser und lauernder.
Der Angesprochene schien in den Sessel kriechen zu wollen, peinlichst darauf bedacht, sein Gegenüber nicht mehr zu reizen. Patricks gesamte Haltung war wie die einer Raubkatze, kurz vor dem Angriffssprung. Wenn mich seine Ausstrahlung nicht so verängstigt hätte, dann hätte ich über den duckmäuserischen Arzt gelacht. Aber das Lachen blieb mir im Hals stecken.
Mein Großer bemerkte meine Anspannung und kam einen Schritt auf mich zu.
„Ihnen steht kein Urteil über uns zu. Fabian, kommst du bitte mit mir in das Esszimmer? Er kann hier warten.“
Als ich mich nicht rührte, streckte er mir die Hand entgegen. „Komm schon, bitte“, fügte er deutlich sanfter hinzu und ich ließ mich in den anderen Raum führen. Billmeier sah krampfhaft in eine andere Richtung.
„Entschuldige bitte, aber der Kerl ist wie mein Vater, ein richtig bornierter Drecksack, jedoch feige bis zum Abwinken. Ohne meinen kleinen Auftritt hätte er immer weitergemacht und ich will mit diesem Menschen nicht diskutieren.“
„Charles Manson hätte mir nicht weniger Angst eingejagt als du eben.“
Patrick lachte. „War ich so schlimm?“
„Schlimmer. Für einen Moment sah es so aus, als ob du ihn gleich in winzige Stücke hacken würdest.“
„Ich hab das alles hier so satt. Sollte man sich im Haus seiner Eltern nicht geborgen und ‚daheim’ fühlen? Ich fühl mich hier eingesperrt, wie in einem Mausoleum. Hier drin macht mich alles krank. Am liebsten würde ich den Schuppen abfackeln.“
„Ich weiß echt nicht was ich dir jetzt sagen soll“, antwortete ich nachdenklich. „So was wie hier kenne ich einfach nicht. Aber versuch bitte nach vorne zu schauen. Das hier“, ich machte eine ausholende Geste, „das ist alles Vergangenheit. So sehr ich es mir für dich wünsche, es lässt sich nicht mehr ändern. Der Weg liegt vor uns, nicht hinter uns.“
Patrick lächelte endlich wieder. „Du hast Recht, aber ich werde wohl noch eine Weile brauchen.“
„Wir packen das. Vielleicht sollten wir uns demnächst einen Tapetenwechsel gönnen und einfach mal hier verschwinden. Ans Meer, zum Beispiel.“
„Ich halte es für keine gute Idee, solange deine Eltern noch sauer sind. Die Wogen sollten sich erst einmal glätten.“
„Sie beruhigen sich schneller als du glaubst, wenn sie merken, dass du es wirklich ernst mit mir meinst.“
„Das glaube ich dir ja, aber ich fühle mich unwohl bei dem Gedanken. Und außerdem möchte ich mit Mutter sprechen, sobald sie wieder einigermaßen klar ist.“
Patricks Augen blickten in die Ferne und ein Ausdruck von Sehnsucht spiegelte sich darin. Er wirkte ein bisschen wie ein Junge, der im dichten Kaufhausgewühl seine Eltern verloren hatte. Stumm griff ich nach seiner kalt-klammen Hand.
„Okay. Natürlich sollst du dich wohlfühlen, wenn wir zu mir fahren.“
Mir fielen keine tröstenden Worte mehr ein und die Türglocke ließ mich erneut zusammenzucken.
„Ja, sie ist scheußlich. Wie passend für dieses Haus. Sehr stimmig. Aber hoffentlich hören wir sie heute zum letzten Mal.“ Er bewegte sich in Richtung Tür und ich blieb unsicher sitzen, vielleicht wollte er mich nicht dabei haben?
„Na komm, die Katze ist eh aus dem Sack, jetzt brauchen wir auch keine Rücksicht mehr nehmen. Außerdem tut mir deine Nähe gut.“
Er hakte seinen Arm unter meinen und wir gingen gemeinsam weiter. Doktor Billmeier stand unschlüssig im Wohnzimmer, als wir die Sanitäter mit der Trage hereinließen.
Auf dem Weg zur Treppe sprach Patrick ihn wieder an. „Sie können dann draußen warten, ich schicke Ihre Laufburschen gleich nach.“ Billmeier verschwand wortlos und sichtbar eingeschüchtert nach draußen. Die Augen des Arztes funkelten vor unterdrückter Wut.
Die zwei Männer zerrten die alte Frau etwas grob auf die Trage und folgten uns schweigend zum Ausgang. „Wenn meine Mutter wieder ansprechbar ist, dann will ich informiert werden. Sie haben ja meine Handynummer“, ranzte er den Doktor kaltschnäuzig an.
„Kleiner, warte bitte kurz.“ Er küsste mich, vor den Augen Billmeiers, auf die Wange und ging kurz ins Haus zurück.
Der Arzt sah uns mit unverhohlener Verachtung an, wandte sich aber ab, als Patrick mit dem Schlüssel das Haus verließ und die Tür verriegelte. Dieses Machtspiel zwischen den beiden gefiel mir überhaupt nicht und ich war mir auch nicht ganz sicher, ob der Kuss ernst war, oder einfach nur provozieren sollte.
„War das eben wirklich nötig?“ Kaum saßen wir im Auto, da schoss die Frage aus mir raus.
„Du meinst den Kuss? Ich wollte es schon die ganze Zeit über, aber nicht nochmal in dem Haus.“
„Du bist manchmal echt schwer zu durchschauen“, entgegnete ich frustriert.
„Und du traust mir immer das Schlimmste zu.“ Seine Stimme klang beleidigt.
„Lass uns bitte nicht streiten. Die letzte Stunde war aufregend genug.“
„Mir ist eigentlich auch eher nach kuscheln. Einverstanden?“
Wie hätte ich da noch widersprechen können?
Patrick
Fabian ahnte nur, welche Abgründe sich in mir auftaten, wenn ich in diesem Haus war. Mein Verhalten gegenüber der Frau, die ich als Mutter bezeichnete, konnte er bei seinem Elternhaus nicht verstehen. Ich hatte schon längst meine Gefühle für diese Familie verloren, wollte nicht mehr ein Teil von so etwas sein. Ein Gespräch gestand ich ihr noch zu, dann würde der letzte Bruch folgen.
Dass Fabian, seit dem Betreten des Hauses, heute all meine Taten anzweifelte und mir provozierendes Kalkül vorwarf, war zwar nachvollziehbar, aber es verletzte mich sehr. Er war der Einzige, der mir emotional noch nahe stand, der mir wichtig war.
Das Kuschelangebot hatte seine Laune zwar verbessert, aber während der Heimfahrt herrschte bedrückendes Schweigen.
„Bist du sauer auf mich?“ Ich hielt die Stille nicht mehr aus.
„Eher auf mich“, kam es zögerlich zurück. „Ich hätte das nicht sagen sollen.“
Seufzend antwortete ich. „Doch, es hätte so aussehen können. Billmeier wird ähnliches gedacht haben. Vielleicht wollte ich ihm, unterbewusst, ja wirklich noch eins auswischen, aber…“
„Aber?“
„Ich hab gehofft du freust dich darüber, nach der heftigen Zeit in meiner persönlichen Hölle.“
Sein Gesicht verzog sich und das schlechte Gewissen prangte wie eine Leuchtreklame auf seiner Stirn. Das wollte ich aber auch nicht. „Fabi, fühl dich deswegen nicht schlecht. Ich werde zukünftig etwas aufpassen.“
Er antwortete nicht, sondern legte seine Hand auf mein Knie und auch seine Züge glätteten sich wieder.
„Wenn du dich entspannst, dann bist du besonders hübsch“, merkte ich noch an. Die Wirkung der Worte blieb nicht aus, er lächelte verlegen in sich hinein und wurde etwas rosig um die Nase. Um die Ernsthaftigkeit dieser Worte zu betonen strich ich mit der rechten Hand über seine Wange.
„Surfst du eigentlich, wenn du zuhause bei deinen Eltern bist?“
Seine Augen bekamen sofort einen verträumten Glanz. „Ja, ich liebe die Wellen unter dem Brett, aber die sind da meist nicht ganz so spektakulär. Ich würde gerne Mal irgendwann auf richtigen Brechern gleiten. Hast du die WM gesehen? Dieses Jahr waren sie in Costa Rica. Einfach geile Strände und … wie kommst du da eigentlich drauf?“ Sein fragender Blick wirkte regelrecht jungenhaft und ich musste grinsen.
„Du siehst wie ein Surfer aus. Du machst bestimmt eine gute Figur im Wasser.“ Er genoss meine Komplimente deutlich, nachdem ich sie ihm so lange Zeit verwehrt hatte. Er sehnte sich nach meiner Anerkennung.
In meiner Wohnung verzogen wir uns sofort auf die Couch und er schmiegte sich an mich, bis es kurz darauf, an der Tür klopfte. Widerwillig stand ich auf und warf einen Blick durch den Spion.
Was wollte die denn jetzt? Ich bemühte mich um einen freundlichen Tonfall.
„Guten Abend, Frau Mohrbeck.“
„Herr Reder, ich möchte mich entschuldigen. Ich wusste ja nicht, was Sie alles durchmachen mussten. Und die Sache mit Ihrem Vater war ganz furchtbar. Der wollte Sie umbringen! Ich habe die ganze Nacht kaum schlafen können und habe auf Sie gewartet. Hier ist ein wenig von meinem Nudelsalat. Der ist von gestern, also noch ganz frisch. Oder haben Sie schon etwas gemacht?“ Sie plapperte wie ein Wasserfall und brachte mich zum Lächeln. Sie war eigentlich doch nicht ganz verkehrt.
„Frau Mohrbeck, beruhigen Sie sich bitte, es ist ja alles gut gegangen.“ Ich nahm die Schüssel entgegen. „Fabian und ich haben noch nichts vorbereitet und nehmen dankend an. Möchten Sie auf einen Kaffee hereinkommen?“
„Nein, nein, Sie brauchen bestimmt noch etwas Ruhe und da will ich Sie mal nicht stören.“
„Dann noch einen schönen Abend, Frau Mohrbeck. Ich bringe Ihnen die Schüssel morgen wieder.“
„Es hat keine Eile. Einen guten Abend Herr Reder. Einen schönen Gruß an ihren Freund.“
Ob sie es wusste? Den Grund für das Theater gestern hatte sie zwar mitbekommen, aber zog sie auch die richtigen Schlüsse? Es war mir, ehrlich gesagt, mittlerweile egal. Er war schließlich auch mein Freund.
„Hast du Hunger? Hausgemachter Nudelsalat von meiner Nachbarin.“
Erstaunt sah er auf. „Von der Mohrbeck?“
„Sie hat gestern alles mit angesehen und ihre Meinung über mich wohl geändert. Die Polizei und den Notarzt hat sie auch informiert. Ich lag ja bewusstlos im Flur. Mein alter Herr hat ein ziemlich hartes Kinn. Dagegen ist auch mein Dickschädel nicht immun.“
Kurz umriss ich die Details der Auseinandersetzung, soweit ich mich erinnern konnte. Eine Gänsehaut kroch über seine Arme, aber er schwieg. Was sollte man dazu auch sagen?
„Ja, ich habe Hunger. Lass uns den Salat mal begutachten.“ Er entfernte die Alufolie von der weißen Porzellanschüssel. Sie war bis zum Rand gefüllt und nichts schien zu fehlen. Der war garantiert nicht von gestern übrig. Gierig mampften wir die Schüssel leer, das Zeug war köstlich.
Die leere Schüssel verschwand in der Spülmaschine und wir gingen zurück auf die Couch. Fabian kuschelte sich an meine Schulter und wir nickten ein. Keiner von uns hatte vergangene Nacht besonders gut geschlafen und der Tag war ziemlich anstrengend.
Irgendwann wurde ich wach, als Fabian sich unter meinem Arm herauswand. Draußen war es bereits dunkel.
„Ich geh nur kurz duschen. Kommst du dann ins Bett?“
Ich nickte ihn verschlafen an. „Gute Idee, bis gleich.“
Wenige Minuten später rauschte das Wasser der Dusche und ich verspürte einen unangenehmen Druck auf der Blase. Also klopfte ich leise an die Duschkabine.
„Stört es dich, wenn ich eben auf die Toilette gehe?“
„Nein, mach nur“, kam es zurück.
Ich setzte mich auf die Schüssel und verrichtete meine Notdurft. Durch die beschlagenen Scheiben der Dusche zeichnete sich die schlanke Silhouette seines Körpers ab. Er hatte die Arme im Nacken verschränkt und ließ das Wasser genießerisch über seine Haut fließen.
Meine Gedanken reisten zurück zu unserer letzten gemeinsamen Nacht, als er sich vor meinen Augen zum Höhepunkt streichelte. Vor dem geistigen Auge erblickte ich seinen sinnlichen Gesichtsausdruck und hörte das leise, wohlige Stöhnen. Mein Blut sammelte sich in tieferen Regionen.
„Pat, bist du eingeschlafen?“ Seine Stimme hallte leicht über die glatten Fliesenwände.
„Nein. Noch nicht.“ Ich stand auf, zog mich aus und lief unschlüssig auf die Dusche zu. Er stand noch immer mit dem Rücken zu mir. „Stell mal bitte kurz das Wasser aus.“
Er drehte sich kurz um und sah meinen Schatten vor der Kabine. Das Rauschen des Wassers verstummte. Ich öffnete die Tür und sah seinen nassen Körper, umgeben vom warmen Wasserdampf.
„Hättest du was dagegen, wenn wir schnell zusammen duschen?“
Seine Augen betrachteten mich neugierig und wurden größer, als er mir auf den Schritt starrte. Die Reaktion auf seiner Seite blieb nicht aus. Er schüttelte den Kopf und ich kletterte ebenfalls hinein.
Plötzlich bekam ich wieder Angst vor der eigenen Courage. Der Gedanke daran war eben doch noch etwas anderes. Fabian deutete meine Zurückhaltung richtig. „Schon gut, ich war auch so schon überrascht genug. Na komm, dreh dich mal um.“
Sanft drehten mich seine Hände an den Schultern um und ich ließ den Kopf gegen die Wand sinken. Mein Mut wurde mit einer zärtlichen Massage belohnt, wobei er auf einen größtmöglichen Abstand zwischen unseren Körpern achtete.
Nach viel zu kurzer Zeit hörte er wieder auf. „Darf ich dich einseifen?“ Ich brummte etwas Zustimmendes. Kurz darauf waren seine zarten Hände fast überall. Liebevoll massierte er meinen Oberkörper mit dem Duschgel. Als er meine Vorderseite wusch, berührte seine Brust meinen Rücken und seine Erregung drückte leicht gegen meinen Oberschenkel. Ich wollte es genießen, aber meinem Kopf wurde es für den Moment zuviel.
„Fabian, bitte hör auf. Ich …“ Sofort zog er sich zurück. „Tut mir leid. Es ist einfach ein Schritt zuviel auf einmal.“
„Du musst dich nicht entschuldigen. Ich hab mich hinreißen lassen. Es ist so schwer dir zu widerstehen, dass glaubst du gar nicht.“
Ich wollte mich für seine Berührungen revanchieren, aber die Stimmung war weg. Jeder wusch sich selber fertig und wir verließen nacheinander die Dusche.
„Ich muss es vielleicht nicht, aber du solltest wissen, dass ich mein Verhalten von eben nicht okay finde. Es war schön, bis zu… einem gewissen Punkt.“ Ich wollte es nicht aussprechen, aber er nickte verstehend.
Wir griffen nach unseren Badetüchern und trockneten uns ab. „Es wird Zeit mich daran zu gewöhnen“, murmelte ich und griff unvermittelt nach seiner Hand. So zog ich ihn ins Schlafzimmer.
Ohne jeden weiteren Kommentar legte ich mich nackt ins Bett und lupfte die Decke, damit er mir folgen konnte. Er kam der Aufforderung zögerlich nach.
„Hältst du es wirklich für eine gute Idee?“
„Vielleicht nicht, aber ich möchte es versuchen.“
„Dir ist aber schon klar, dass ich dich ziemlich heiß finde und … ich bin auch nur ein Kerl.“
„Jetzt hör auf zu labern und komm endlich her“, lachte ich. Vorsichtig robbte er an mich heran.
Fabian
Seit der Dusche machte ich mir gewaltige Vorwürfe. Sein Anblick, wie er sich entspannt nach vorne beugte und mir seinen Rücken präsentierte, hatte mich ziemlich angemacht und beim Einseifen verlor ich ein wenig meine Selbstkontrolle.
Als mein Schwanz seinen Schenkel streifte, hätte ich am liebsten sofort mit ihm geschlafen, oder mich von ihm nehmen lassen. Es wäre mir völlig egal gewesen. Aber es war ein Fehler.
Und nun lagen wir nackt im Bett, all meine aufgestauten Sehnsüchte kämpften sich langsam an die Oberfläche. Ich konnte ihn ja verstehen, aber die Situation war vergleichbar mit einem Verhungernden, dem man ständig mit der Keksschachtel vor der Nase herumwedelte, ohne ihn davon essen zu lassen. Er hatte die Grenzen verwischen lassen und meine Sehnsucht auf mehr geweckt.
Die Gedanken waren nicht unbedingt hilfreich, um gegen meine steigende Lust zu kämpfen und ich war sicher, dass er den zunehmenden Druck an seiner Taille spüren musste. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und kuschelte meine Wange etwas tiefer an seine Schulter, während mein Arm reglos auf seiner Brust verharrte. Ich hoffte, dass er eingeschlafen war.
Den Gefallen tat er mir natürlich nicht, denn plötzlich sah ich in seine Augen, die im seichten Licht der Straßenbeleuchtung schimmerten und meine Pupillen innerhalb der hellen Iris fixierten.
„Du darfst ruhig weiteratmen“, flüsterte er. „Es ist alles okay, denke ich.“
Der Arm, auf dem ich lag, streichelte vorsichtig über meine untere Rückenpartie und jagte mir zusätzliche Schauer durch den Körper. „Du fühlst dich so herrlich weich an.“
„Nicht überall“, antwortete ich frech, aber mit wackeliger Stimme.
„Hab’s schon bemerkt.“ Seine andere Hand lag nun auf meiner Schulter und glitt langsam abwärts, bis er auf der Hüfte stoppte. Die zittrigen Finger beschrieben seinen inneren Kampf. Ich versuchte krampfhaft meine Atmung unter Kontrolle zu halten, um nicht aufzustöhnen.
Sein Daumen rutschte Stück um Stück tiefer und ich griff mit meiner Hand unabsichtlich fester um seine Schulter. Er schloss seine Augen und seine Hand legte sich um meine Erregung. Diesmal konnte ich das Keuchen nicht stoppen und er quittierte es mit der Andeutung eines Lächelns.
Seine Finger drückten und kneteten mich vorsichtig und er traf dabei einige verdammt gute Stellen. Mein Atem war längst außer Kontrolle.
„Er fühlt sich gut an, viel weicher als meiner.“ Sein rauer Tonfall zog in Wellen durch meine reizüberfluteten Nerven. „Fass mich bitte an!“
Das brauchte er nicht zweimal sagen. Meine Finger glitten flink unter die Decke und fanden sofort ihr Ziel. Nun stöhnte auch er auf und seine Finger bewegten sich fordernder. Seine Lippen fischten gierig nach meinem Gesicht und trafen meinen Mund. Sofort war seine Zunge in mir.
Ich hielt die Spannung nicht mehr aus und kam ohne Vorwarnung. Meine verlangende Erwiderung des Kusses brachte auch Patrick über die Klippe und meine Hand wurde feucht.
Fast schon erwartete ich, dass er von mir abrücken würde, doch das Gegenteil passierte. Er zog mich dichter heran. Das schwache Licht reichte aus, um seine leicht gerunzelte Stirn zu erkennen. „Woran denkst du?“
„An die Vergangenheit, die Gegenwart und an die Zukunft. Hauptsächlich an das Jetzt und unseren Weg. Du hast Recht, die Vergangenheit ist geschehen, steht fest.“
„Und wie siehst du die Zukunft? Bereust du das ‚Jetzt’?“
Er drehte sich auf die Seite, so dass wir Brust an Brust gekuschelt lagen. „Nein. Und die Zukunft… ich kann es dir nicht genau sagen, doch der Weg geht in die richtige Richtung.“
Er schien noch etwas sagen zu wollen, während seine Stimme immer leiser wurde. Doch dann beruhigte sich sein Atem und er war eingeschlafen. Ich genoss einfach noch den Augenblick und folgte ihm bald ins Reich der Träume.
***
Warme Sonnenstrahlen wischten über meine Augen und weckten mich sanft auf. Das Bett fühlte sich kühl an und ich streckte meinen Arm nach Patrick aus. Ich griff ins Leere.
In seiner Wohnung war es verdächtig still. Ob er wohl auf die Couch ausgewandert war? Der Blick auf die Uhr ließ diesen Gedanken platzen, es ging bereits auf elf Uhr zu. Sicherheitshalber schlüpfte ich in meine Shorts und machte mich auf die Suche, doch die Wohnung war und blieb leer. Seine Schuhe und der Schlüsselbund fehlten.
Sein Verschwinden verunsicherte mich. Traurig ging ich ins Schlafzimmer zurück und zog die verschmierten Bettsachen ab. Kurz darauf hatte ich sie in dem Waschtrockner im Bad deponiert. Ich zog mich komplett an und ging in die Küche, um noch einen Kaffee zu trinken, bevor ich zu meiner eigenen Wohnung aufbrechen würde.
Doch an der Maschine klebte ein Stück weißer Karton, den er mit Klebeband am Gehäuse befestigt hatte.
„Guten Morgen, Kleiner.
Ich bin heute recht früh wach geworden und konnte nicht mehr einschlafen. Wecken wollte ich Dich aber auch nicht.
Ich bin gegen Mittag zurück und bring was zum Brunchen mit.
Bis nachher, Pat.“
Glücklich presste ich seine Nachricht an meine Brust. Ich hätte nicht wieder an ihm zweifeln sollen, vor allem nicht mehr nach dieser Nacht. Dass er mich angefasst hatte, kam mir beinahe wie ein Traum vor. Genießerisch ließ ich noch einen zweiten und dritten Kaffee durch die Kehle fließen.
Das Telefon riss mich aus meiner Schwärmerei. Es stand keine Nummer im Display, aber ich vermutete, Kramer wollte etwas.
„Westerkamp, bei Reder?“
Niemand antwortete und ich hörte jemanden scharf einatmen.
„Hallo?“
„Was machst du bei Patrick? Und wo ist er? Gib ihn mir.“ Mir stockte der Atem, es war Christine.
„Er… er ist unterwegs“, stotterte ich. Die Frau war mir nicht geheuer, schließlich hatte Pat ihr die Attacke des Vaters zu verdanken und sie trug sein Kind.
„Na klasse. Jemand muss mich abholen. Ich sitze noch bei der Polizei. Die haben mich einfach mitgenommen, ohne Geld, nur die Brieftasche mit den Papieren.“
„Er ist nicht da und ich hab kein Auto.“ Mein Ton klang entschuldigend und ich wusste nicht warum. Neben ihr fühlte ich mich einfach klein. Sie war skrupellos.
„Hör zu, ich will von dir nicht geholt werden. Patrick ist mir was schuldig.“
„Sch-schuldig? Die Fotoaktion hat ihn fast umgebracht!“ Hatte die Tussi sie noch alle?
„Das war nicht geplant. Sein Vater hat einen schlimmeren Schaden als ich dachte. Patrick gehört zu mir, das wird er noch merken und du lässt die Finger von ihm.“
Ich hatte die Nase voll. „Das wird er ja wohl selber entscheiden können, von wem ‚er’ die Finger lässt und von wem nicht.“ Sie schnappte nach Luft und ich genoss kurz den billigen Triumph. Die Worte taten mir auch wieder leid. Das war nicht mein Niveau.
„Das soll er mir selber sagen“, zischte sie und beendete das Gespräch. Mein Herz klopfte bis zum Hals und ich stand starr auf dem Fleck, das Telefon ungläubig betrachtend.
So fand mich dann auch kurz darauf Patrick. Ich bemerkte ihn erst, als er mich mit seinem Arm umschlang und mir das Telefon aus der Hand nahm. Beiläufig registrierte ich seine Sporttasche an der Wand.
„Was ist passiert?“ Seine Stimme verriet nervöse Anspannung.
„Tini. Sie wurde entlassen und wollte abgeholt werden.“
Seine Haltung versteifte sich sofort und sein Tonfall kühlte ab. „War das alles?“
„Tut mir leid, ich glaub mir ist vor Ärger was rausgerutscht. Sie weiß jetzt vermutlich Bescheid.“
Ich schilderte ihm das Gespräch und erwartete, dass er sauer auf mich war.
„Komm, die Brötchen sind noch warm, frisch aus dem Ofen.“ Er klang bemüht locker, aber hinter seiner Stirn arbeitete es.
Patrick verteilte Teller, Brötchen und ein paar frische Feinkostsalate auf dem Esstisch. Mutlos kaute ich auf einem der leckeren Brötchen herum.
„Pat, bitte sag was.“
Er kaute nachdenklich weiter und schluckte. „Was denn? Dass ich sauer bin, weil du dich hast provozieren lassen?“
„Zum Beispiel, ja.“
„Konnte ich denn heute Nacht die Finger von dir lassen?“
„Nein, aber…“
„Kein aber. Ich finde es nicht okay, dass sie es auf die Art erfahren hat, aber gelogen hast du auch nicht.“ Er sprach in einem ungewöhnlich beherrschten Tonfall und ich traute dem Frieden nicht ganz. Den Beweis für mein Misstrauen fand ich an seiner Hand, die sich dermaßen fest um die Tischkante schloss, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Er folgte meinem Blick mit den Augen und zog die Hand weg. „Verdammt, was bildet die sich ein? Und ich bin wirklich nicht sauer auf dich! Die Frau schafft es immer wieder aufs Neue. Sie hat dich mit Sicherheit absichtlich provoziert, weil du ihr anders nie geantwortet hättest. Glaub mir, ich weiß nur zu gut, wozu sie fähig ist.“
Ich erinnerte mich an dieses Telefonat in der Nacht, als er mit ihr geschlafen hatte und fühlte mich richtig dämlich. Natürlich, sie hatte mich total ausgespielt.
„Wir müssen das klären“, meinte er mehr zu sich selbst.
„Wir? Ich soll mit?“ Mir war überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken.
„Ja, ich möchte nicht mit ihr alleine sein. Sie soll ruhig sehen, dass du dir das nicht einbildest.“
„So wie bei Billmeier?“ Ich biss mir auf die Lippe, doch es war ausgesprochen.
Patrick warf mir einen angesäuerten Blick zu. „Fabian, du wolltest mit mir zusammen sein. Jetzt sind wir es wirklich und ich möchte es auch zeigen. Warum nimmst du immer gleich das Schlimmste an?“ Er gab sich die Antwort selber. „Wir haben wohl beide noch zu arbeiten, oder? Du an der Vergangenheit und ich an der Zukunft.“
Ich nickte bloß.
„Und was ist mit deinem Spruch, die Vergangenheit ließe sich sowieso nicht ändern und wir müssen nach vorne blicken?“
„Das ist unfair“, entgegnete ich leise.
„Du hast Recht, tut mir leid“, schlug er versöhnlicher an. „Aber auch Tini lässt sich nicht einfach unter ‚Vergangenheit’ ablegen.“
„Also gut, ich bin dabei.“ Er lächelte wieder ein wenig nach meiner Zusage.
Ich würde noch eine ganze Weile stark sein müssen, um unsere frische Beziehung nicht zu gefährden. Die ganze Sache schien schwieriger als gedacht, aber es würde sich lohnen, davon war ich überzeugt.
Patrick
Trotz aller Zuversicht war die Stimmung bei uns beiden angeknackst. Im Studio hatte ich mir den Tag schön vorgeplant, aber wieder war Tini im Weg. Schlimmer hätte es eigentlich nicht mehr kommen können, doch dann vibrierte mein Handy.
„Reder.“
„Billmeier hier. Sie ist wach.“ Der Arzt beendete das Gespräch und ich starrte auf das Telefon.
„Was ist los?“
„Meine Mutter ist wach. Kommst du mit?“
Fabian nickte niedergeschlagen.
„Sorry, Kleiner, ich hatte mir den Tag auch anders vorgestellt. Deutlich zweisamer.“
Nun stahl sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen, aber er wirkte noch immer etwas verloren. Ich stand auf und besorgte mir noch einen Kaffee aus der Kanne. Fabian stand etwas deplaziert vor dem Tisch. Zwinkernd bewegte ich meinen Zeigefinger und winkte ihn heran. Der Kleine kam zögernd auf mich zu und ich schloss ihn in meine Arme. Sein Gesicht sank auf meine Brust und er holte tief Luft.
Ich griff nach seiner Taille und hob ihn vorsichtig an, um ihn nach einer Drehung auf die Küchenzeile zu setzen. Ich drängte mich zwischen seine Beine, legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn zum Kuss heran. Seine Lippen öffneten sich zögerlich, doch dann erwiderte er den Druck meiner Lippen, während seine Arme meinen Rücken streichelten.
„Geht es dir wieder besser?“, fragte ich nach einer Weile.
Statt einer Antwort wurde er rot und warf einen verschämten Blick nach unten, wo sich seine Jeans verdächtig wölbte.
Lachend griff ich nach seiner Hand und legte sie auf meinen Schoß. „Keine Angst, mir geht es genau so.“ Ich seufzte. „Aber lass es uns später fortsetzen, wenn wir das mit meiner Mutter hinter uns gebracht haben.“ Ich glitt mit der Hand über seinen angespannten Schritt und er schloss mit einem kleinen Stoßseufzer die Augen. „Wirklich, ich freu mich drauf.“
Ich verstand mittlerweile meine ehemals krankhafte Scheu vor seinem Körper nicht mehr. Zumindest was das Anfassen anging. Alles an ihm fühlte sich sexy an, von der samtigen Haut zu dem Spiel der zarten Muskeln. Sein atemloses Keuchen, als ich ihn zum Höhepunkt streichelte, hallte noch angenehm durch meine Erinnerung. Das alles und auch die sanften Liebkosungen seiner Hand hatten gereicht, um mich auch um den Verstand zu bringen. Dies war mein bisher unbeschwertester Höhepunkt, eine regelrechte Befreiung aus den alten Zwängen und ich hoffte, dass dieses Gefühl auch zukünftig die Oberhand behielt-.
Meine Lippen strichen noch einmal über seinen Hals, bevor wir uns voneinander lösten. Ich hielt ihm den gesunden Arm hin und half ihm von der Arbeitsplatte.
„Ich wünschte, so könnte es immer bei uns sein“, flüsterte er.
„Wird es, irgendwann bestimmt.“ Diese Worte meinte ich auch so.
Kurze Zeit später fädelte ich meinen Wagen in den Innenstadtverkehr ein. Billmeiers Privatklinik lag ein wenig außerhalb und der Verkehr nahm stetig ab, je näher wir dem weißen Kasten im Grünen kamen.
An der Schranke zum Parkplatz hielten wir an und ich öffnete das Fenster, um das Ticket zu ziehen. Wir fanden einen Parkplatz in der Nähe des Eingangs.
Billmeier ließ es sich nicht nehmen uns persönlich zu begrüßen. „Welch eine Freude Sie hier zu sehen, Herr Reder.“ Seine Stimme troff vor Zynismus, denn hier fühlte er sich wieder stark. Fabian hingegen ignorierte er. „Folgen Sie mir.“
Wir gingen über die Treppe in den ersten Stock, wo sich die luxuriöseren Zimmer seiner Privatpatienten befanden. Meine Mutter befand sich gleich im ersten Krankenzimmer, 102 prangte auf dem goldenen Schild neben der Tür. Billmeier verließ uns grußlos, denn hier waren wir alleine und er musste keinem seiner Angestellten eine Show vorspielen.
Ohne zu klopfen traten wir ein. Mutter öffnete ihre Augen, sah uns an und drehte den Kopf wieder zur Seite.
„Ist der da der Grund, warum Heinrich im Gefängnis sitzt?“, fragte sie tonlos.
„Nein, Mutter. Vater sitzt dort, weil er mich erschlagen wollte.“
„Du bist so undankbar, nach allem, was wir dir ermöglicht haben.“ Ich wurde sauer und Fabian griff nach meiner Hand.
„Undankbar? Er hat mich ständig geschlagen und du hast dich besinnungslos gesoffen und es ignoriert. Du warst mir nie eine gute Mutter.“
Sie lachte wehmütig auf. „Du bist nicht mein Sohn.“
„Warum, weil ich einen Mann liebe? Du bist nicht besser als Vater.“
„Du bist nicht unser Sohn!“ Sie schrie mir die Worte entgegen und sie taten weh. Trotz allem, es war meine einzige Familie. Auch Fabian sah irritiert zwischen uns hin und her.
„Pat, sie meint das ernst. Ich hab doch das alte Foto der beiden gesehen. Es macht Sinn.“
„Was meinst du?“
„Ihr seht euch nicht ähnlich.“
„Schlauer Bursche, dein Freund.“
Ich verstand die Welt nicht mehr. „Ich bin nicht euer Kind?“
„Ich bin schon mein Leben lang unfruchtbar.“
„Oh mein Gott“, stöhnte ich. „Wo sind denn meine richtigen Eltern?“
„Das weiß ich nicht. Heinrich hat sich damals darum gekümmert. Wir hatten Freunde, die uns geholfen haben.“
„Aber meine Geburtsurkunde? Da steht doch…“ Ich glaubte das alles nicht.
„Sie ist nicht echt, Heinrich hat dafür gesorgt. Frag ihn.“ Die Umgebung flimmerte vor meinen Augen. Fabian ahnte etwas und stützte mich, bevor meine Beine den Dienst versagten. Er zog einen Stuhl vom Besuchertisch und ließ mich hinsetzen.
„Wir finden es raus, keine Angst. Die Adoption muss ja irgendwo festgehalten worden sein.“ Seine Worte beruhigten mich, doch meine Mutter sah das anders.
„Nein, ihr werdet keine Aufzeichnungen finden. Es gab keine Adoption. Ich wollte damit nie etwas zu tu haben, sprich mit Heinrich.“
Allmählich kehrte die Kraft in meine Beine zurück und ich erhob mich wortlos. Fabian half mir zur Tür.
„Patrick, es tut mir leid. Ich hätte es dir schon vor langer Zeit sagen sollen.“
Mit Tränen in den Augen verließ ich das Zimmer. Mein Leben löste sich zusehends auf. Nichts war mehr so wie es schien, meine Vergangenheit war eine Lüge. Ich hatte andere Eltern. Wie wären die wohl gewesen? Sie waren noch schlimmer, sonst hätten sie mich nicht weggegeben.
„Ich bin bei dir, Patrick, hörst du? Ich helfe dir.“ Fabian weinte ebenfalls, er hielt mein Leid nicht aus. Dafür war ich ihm dankbar. Es war kaum vorstellbar, was ich ohne ihn getan hätte.
Zusammen verließen wir die Klinik. Billmeier begegnete uns noch einmal und warf mir einen höhnischen Blick zu. Er musste davon gewusst haben und es hätte mich nicht gewundert, wenn er in die Sache verwickelt gewesen wäre. Besonders dann, wenn sie wirklich unfruchtbar war,
Fabian hielt mich fest im Arm und gab mir ein notwendiges Gefühl von Stabilität. Er schien gerade meine einzige Verbindung zur Realität zu sein. Leise öffnete er die Beifahrertür und drückte mich auf den Sitz.
„Was soll das!“, protestierte ich.
„Na was wohl? Dich mit dem Arm fahren zu lassen gefiel mir schon nicht und in dem Zustand fährst du nicht. Ich hab vielleicht kein Auto, aber einen Führerschein.“ Er warf die Tür zu und setzte sich neben mich.
„Danke.“ Ein Gefühl von Bewunderung stieg in mir auf. Ich hatte ihm das Leben schwer gemacht und trotzdem blieb er tapfer. Wo nahm er nur diese Kraft her?
„Gern geschehen“, antwortete er leise. „Möchtest du nach Hause? Oder…“
„Nein, nach Hause. Ich habe gerade weder Kraft für ein Treffen mit Tini, noch mit … Vater.“
Es war fraglich, ob Heinrich mir überhaupt antworten würde. Wenn die Geschichte meiner Mutter stimmte, wovon auszugehen war. Dann war die Geburtsurkunde eine Fälschung und das war mit Sicherheit strafbar. Damit würde er Mutter und noch jemanden hineinreiten.
„Gut.“ Er startete den Wagen und fuhr etwas ruckelig an, das Auto war ihm fremd.
Die Fahrt verlief schweigend, ein Zustand, an den ich mich langsam gewöhnte. Jeder hing still seinen Gedanken nach. Wenigstens seine Hand legte sich tröstend auf meinen Unterarm.
In der Wohnung ging ich gleich ins Schlafzimmer und legte mich hin. Fabian wollte erst noch etwas nachschauen und bald darauf zu mir kommen. Ich hörte, wie der Computer hochfuhr und döste weg.
Knappe zwei Stunden später weckten mich seine vorsichtigen Bemühungen, sich unauffällig an mich zu kuscheln.
„Hey“, sagte ich leise.
„Hey. Ich wollte dich nicht wecken.“
„Ist okay. Und, was hast du gemacht?“
Sein Gesicht verriet mir, dass er mich damit eigentlich nicht behelligen wollte. „Ich hab im Internet nachgeforscht. Natürlich gab es nichts Konkretes zu dir, aber wenigstens weiß ich jetzt, dass eine Fälschung der Geburtsurkunde nicht schwer ist, wenn man die richtigen Leute kennt. Billmeier zum Beispiel hätte eine Meldung an die Ämter machen können.“
Es war schon interessant, dass Fabi auch gleich Billmeier bedachte.
„Schön und gut, aber dann müsste im Gegenzug ein anderes Kind verschwunden sein. Kann ein Arzt eine ganze Geburt vertuschen?“
„Vielleicht eine unbekannte Hausgeburt. Es ist möglich, aber über das Wie weiß ich nichts.“
Wenn mein Freund Recht hatte, dann dürfte es ziemlich unmöglich sein, etwas über meine Wurzeln herauszufinden, außer mein so genannter Vater würde mit der Wahrheit rausrücken. „Also wissen nur meine Eltern und ihr Komplize wirklich Bescheid. Oder die, die mich einfach weggegeben haben.“
Egal was meine Zieheltern getan hatten, die Frage nach dem Warum, warum meine leiblichen Eltern so gehandelt hatten, nagte noch stärker an mir. Fabians warmer Körper drängte sich dichter an mich heran und seine Nähe gab meinen Gedanken etwas Frieden. Meine Hand schob sich unter sein Shirt und kam auf dem Rücken zum liegen, was ihm ein wohliges Schnurren entlockte.
„Wenn du es wirklich herausfinden willst, dann versuche ich dir zu helfen“, nuschelte er an meinem Hals.
Wollte ich das wirklich? Es wäre besser, mit der Sache endlich abzuschließen, als noch eine Enttäuschung zu erleben. Sonst hätte ich am Ende zwei Elternpaare, die mit mir nichts zu tun haben wollten. „Ich denk drüber nach.“
Der Tag war noch relativ jung und wir blieben noch eine kleine Weile liegen. Fabian fühlte sich nicht besonders wohl und machte sich auf den Weg zu einer entspannenden Dusche, während ich mich um ein spätes Mittagessen kümmerte. Wir wollten am Abend noch mal ins Studio, damit Fabian etwas trainieren und ich mit Jochen reden konnte. Sport kam für mich derzeit kaum in Frage, vom Ausdauertraining mal abgesehen und das hatte ich an diesem Tag schon hinter mir.
Das Gemüse war schnell geschnitten und ich wollte eben den Herd einschalten, als ein unwillkommenes Schellen die Ruhe störte. Ich stiefelte genervt zur Tür, da Fabian eben erst das Duschwasser abgestellt hatte. Die Überraschung hätte nicht unangenehmer sein können.
„Was willst du, Christine?“
„Wir müssen reden.“ Ihre gesamte Haltung drückte Kampfeslust aus und mich störte ihre Anwesenheit gewaltig.
„Das hätten wir auch am Telefon machen können.“
„Natürlich, wenn du nie zuhause bist und nicht an dein Handy gehst. Ich war gerade in der Gegend und hab dein Auto stehen sehen.“
„Natürlich rein zufällig, oder? Wie ich sehe bist du auch ohne meine Hilfe vom Revier nach Hause gekommen.“
„Ich bin mit dem Taxi heim und hab dann Geld aus der Wohnung geholt. Immerhin, dein Schwuchtelchen hat davon erzählt.“
Für den Hausflur war sie mir etwas zu laut und ich trat einen Schritt zur Seite, damit sie in die Wohnung konnte. „Nenn ihn nicht so.“
„Was meinst du?“ Fabian trat gerade aus dem Bad, mit einem Handtuch um die Hüfte und mit einem anderen rubbelte er sich die Haare trocken.
„Der ist ja immer noch hier!“ Tini kreischte beinahe schon hysterisch und durchbohrte seinen schlanken Körper mit giftigen Blicken. Fabian eilte ins Schlafzimmer und meine Ex wollte gleich hinterher, doch ich hielt sie am Arm fest.
„Lass mich los, verdammt noch mal! Ich hab ein Hühnchen mit dem zu rupfen.“
„Das hast du nicht. Er bleibt und du lässt ihn in Ruhe!“
„Was willst du denn mit dem? Warum erlaubst du ihm ständig in deiner Nähe zu sein?“ Ein verletzter Ausdruck huschte über ihr Gesicht.
„Ich bin mit ihm zusammen und… ich liebe ihn.“ Gerne hätte ich es ihr anders beigebracht, aber es war an der Zeit für klärende Worte. Endlich wusste sie es.
„Du spinnst doch! Du willst dich nur an mir rächen, wegen dem Bild.“
„Blödsinn. Tini, es ist aus, endgültig. Und ich habe mich aus freien Stücken für ihn entschieden.“
Christine sah mich ungläubig an und der Blick wandelte sich in Verachtung. „Weißt du, was du deiner Familie damit antust?“
Ich lachte etwas schrill auf. „Familie? Oh, du weißt es ja gar nicht. Überraschung: ich bin nicht ihr leiblicher Sohn.“ Ihr Gesicht entgleiste. „Die Urkunden sind gefälscht, sagt ‚Mutter’. Ich weiß es aber auch erst seit heute.“
„Das kann doch nicht sein.“
„Mutter ist unfruchtbar, sagt sie. Ich war nur eine gesellschaftliche Investition. Und deswegen fiel es Vater auch nicht besonders schwer mich ausschalten zu wollen.“
„Oh mein Gott.“ Sie kam auf mich zu und versuchte ihre Arme tröstend um mich zu legen.
Fabian
Kaum war ich aus dem Bad, da traf mich beinahe der Schlag. Tinis Stimme war hasserfüllt und ich stürmte ins Schlafzimmer, um mir schnell ein paar Klamotten überzustreifen. Gönnte man uns denn überhaupt keine Ruhe?
Als ich mich etwas gesammelt hatte, betrat ich die Höhle des Löwen.
„Verdammt bleib mir vom Hals!“ Patrick schob Tini nachdrücklich von sich weg, welche im Moment traurig aussah. „Ich bin eigentlich ganz froh darüber, dass ich nicht ihr Sohn bin. Spar dir den Trost.“
Das Geräusch der schließenden Schlafzimmertür ließ beide herumfahren.
„Er soll verschwinden.“ Tinis Blick war eisig.
Mein Freund kam direkt auf mich zu. „Fabian bleibt.“ Er sah mich entschuldigend an. „Tut mir leid, Kleiner, ich hab mit ihr nicht gerechnet.“
Fast schon erwartete ich eine neue verbale Attacke gegen mich, doch die blieb aus.
„Wieso nimmst du ihn mir weg?“ Ihre wütende Fassade brach zusammen und ihre Augen wurden feucht. Ich sah Patrick Hilfesuchend an.
„Das tut er nicht.“ Er zog mich zu seinem Sessel und wir setzten uns dicht nebeneinander. „Fabian ist unschuldig. Ich habe ihn ein gutes halbes Jahr wie ein Spielzeug benutzt und seine Gefühle mit Füßen getreten, nur um mir nicht einzugestehen, dass ich etwas mehr für ihn empfand.“
„Ein halbes Jahr schon?“ Ihre Augen weiteten sich.
Sein Körper zitterte leicht. „Ja, ich hab ihn ein halbes Jahr durch die Hölle gehen lassen. Er wollte gestern verschwinden, für immer.“
Innerlich musste ich ihm zustimmen, es war die Hölle. Aber er hatte sich verändert und auch Tini wirkte verändert. Der offensichtliche Hass auf mich verschwand aus ihren Augen und sie musterte mich eher mitleidig. „Und was wird jetzt aus unserem Kind?“
Ich traf eine Entscheidung. „Patrick würde sich gerne um euer Kind kümmern und ich würde gerne mithelfen. Christine, es tut mir leid, aber man kann Gefühle nicht beeinflussen.“
Fragend sah sie zu Patrick. „Also war es das wirklich mit uns?“
Er nickte. „Sieht so aus. Es tut mir leid, Tini, aber es gibt keinen Weg zurück. Ich habe mich wirklich in ihn verliebt.“
„Ich melde mich. Das… muss ich erstmal verdauen.“ Sie stand auf und verschwand ohne weitere Kommentare zur Tür.
Neben mir hörte ich Patrick verzweifelt ausatmen. „Oh Gott, ich muss hier raus.“ Seufzend vergrub er seinen Kopf in meiner Schulter.
„Mein Angebot steht noch. Ich müsste nur mit meinen Eltern reden und es ihnen erklären.“
„Das geht nicht, nach allem was passiert ist.“ Er hatte richtig Angst vor einer Begegnung, dass war deutlich.
„Sie werden es verstehen, glaub mir.“
„Fabi, was ist mit der Uni?“
Offenbar klammerte er sich an jeden noch so kleinen Vorwand und ich seufzte. „Es wird schon, ich bin eigentlich ganz gut im Stoff, müsste aber kurz mit ein paar Kommilitonen und meinem Prof sprechen.“
„Also gut. Schlimmer kann es eigentlich nicht mehr werden.“ Resignierend sank er tiefer in den Sessel.
Mein Herz machte vor Freude einen Hüpfer. „Ich bin gleich bei dir.“
Das Telefon war schnell zur Hand ich und wählte die Nummer meiner Eltern.
„Fabian, ist alles okay bei dir?“ Meine Mutter schien neben dem Telefon gewartet zu haben, so schnell wie sie dran ging.
„Hallo Mama, ja, es geht soweit. Deswegen rufe ich auch an. Hier sind einige Dinge passiert. Patrick und ich brauchen eine kleine Auszeit und … hättet ihr etwas dagegen, wenn wir euch besuchen würden?“
Patrick sah erwartungsvoll zu mir rüber und ich wartete angespannt auf ihre Antwort.
„Mama, bitte. Wir erzählen euch auch alles ganz genau. Gebt ihm bitte eine Chance“, flehte ich sie an.
„Also gut. Wann kommt ihr her?“ Im Hintergrund hörte ich Paps leise reden.
„Eventuell morgen Abend?“ Die Frage galt eher Patrick und er nickte.
„Morgen ist okay. Das Gästezimmer muss ich wohl nicht vorbereiten, oder?“
„Nein, Mama. Und danke.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. „Seid bitte nett zu ihm, er hat es gerade nicht leicht.“
„Wir geben uns Mühe. Bis morgen, Schatz.“ Sie klang nicht wirklich glücklich darüber.
„Bis morgen, Mama. Hab dich lieb und grüß Papa.“
Wir beendeten das Gespräch. Patrick starrte mutlos vor sich hin und ich setzte mich auf seinen Schoß. Er brauchte dringend eine Ablenkung.
„Es wird schon, glaub mir. Wir sollten das Studio heute ausfallen lassen und uns mit Jochen auf ein Bier treffen.“
Er lächelte leicht. „Eine gute Idee. Seit unserem Auftritt in der Firma hatten wir noch keine Gelegenheit zum quatschen.“
Patrick schob mich sanft von seinem Schoß und ging in die Küche, um die Anfänge des Essens in den Kühlschrank zu stellen. Dann rief er unseren Kollegen an, der dieser Planänderung zustimmte. Wir verabredeten uns in einem Restaurant und machten uns ausgehfertig.
***
„Da kommt ja unser Tagesgespräch!“ Jochen wartete bereits am Tisch und erhob sich grinsend.
„Wie ist die Stimmung in der Firma?“ Patrick und ich reichten ihm nacheinander die Hand.
„Gut. Ein paar sind überrascht, aber es scheint niemand ein ernsthaftes Problem damit zu haben. Es wird natürlich viel über euch geredet.“
Das war zu erwarten, aber Patrick nahm es recht locker auf.
„Und dich hat es nicht überrascht?“
„Nicht richtig. Ich kenne dich schon lang genug und du warst in den letzten Tagen ziemlich verändert. Du erinnerst dich an meine Umarmung im Studio? Seitdem hatte ich den Verdacht.“
„Oh. Du Hund.“ Patrick lachte und ich verstand nur Bahnhof.
„Welche Umarmung?“, fragte ich.
Mein Freund erzählte von dem Tag, an dem er die Trennung von Tini verkündete. Jochen hatte ihn abends getestet, nachdem Patrick meine Umarmung in der Küche zugelassen hatte.
Ein Kellner notierte unsere Wünsche und brachte bald darauf unsere Bestellungen. Ausnahmsweise griff ich auch zu einem einzelnen Bier.
„Und wie geht es dir jetzt dabei?“ Forschend legte Jochen seinen Blick auf mich, als Patrick kurz in Richtung Toiletten verschwunden war. Während des Essens hatte mein Freund die letzten Neuigkeiten knapp zusammengefasst.
„Die Frage meinst du nicht ernst, oder?“
Seine Augen funkelten kurz amüsiert auf. „Das du glücklich bist, ist mir klar. Aber im Moment geht doch so einiges drunter und drüber.“
„Na ja, ich hätte es mir schon irgendwie einfacher gewünscht, aber er bemüht sich sehr um mich und es tut verdammt gut.“
Alles konnte ich meinem Kollegen nicht erzählen, für die letzten Monate hätte er wohl kaum Verständnis gehabt. Und Patrick sollte nicht mit noch mehr Vorwürfen konfrontiert werden. Sein Zustand bereitete mir auch so schon genügend Sorgen.
„Seine krankhafte Ablehnung dir gegenüber, hätte mir eigentlich schon viel früher zu denken geben sollen.“
„Lass uns bitte nicht darüber reden. Diesen Teil möchte ich ganz schnell vergessen. Wir müssen all unsere Energie auf die nächsten Wochen konzentrieren.“
„Verstehe schon. Ich war ja selber auch ziemlich sauer auf ihn. Und ihr wollt morgen wirklich fahren?“
„Ja, er muss unbedingt für ein paar Tage hier weg, sonst dreht er noch völlig durch.“
Nickend stimmte Jochen mir zu und schien die Sorge zu teilen. „Wenn das alles stimmt, dann haben seine Eltern echt ein mieses Spiel mit ihm getrieben.“
„Er schafft das, egal wie es ausgeht und ich werde alles tun, um ihm zu helfen.“
„Wobei helfen?“ Patrick legte seine Hand auf meine Schulter, als er mir einen schnellen Kuss auf die Wange gab.
„Dir dabei helfen, ein anständiger Mensch zu werden“, lachte Jochen.
„Wenn das einer schaffen kann, dann Fabian.“ Das Grinsen meines Freundes wirkte etwas gequält, für solche Scherze hatte er momentan nicht viel übrig.
Viel länger hielten wir es auch nicht mehr aus. Patrick und Jochen tranken noch ein paar wenige Biere, während ich mich, nach der einen Ausnahme, an Wasser klammerte, damit wir noch sicher heim kamen.
„Ich werde euch Kramer vom Hals halten, auch wenn es Überstunden bedeutet. Nicht das er am Ende doch noch Arbeit für euch hat.“ Jochen zeigte sich großzügig und schwankte beim Aufstehen leicht, so wie mein Freund auch.
„Danke, du hast was gut.“ Wir verabschiedeten uns vor dem Lokal und unser Kollege ließ sich schwer in ein wartendes Taxi fallen.
„Das Essen war eine gute Idee, ich fühl mich etwas besser.“ Patrick beugte sich zu mir rüber und gab mir einen sanften Kuss auf die Lippen, kaum dass wir im Auto saßen. Sein Atem roch nur leicht nach Alkohol. Für eine kurze Zeit befürchtete ich, er würde sich betrinken, aber der neue Pat mied den Rausch. Seit dem Tag, an dem ich ihn völlig betrunken in seiner Wohnung fand, hatte er nicht eine Flasche von dem Malt mehr im Haus.
„Gern geschehen. Und ab Morgen ist Entspannung pur angesagt, dann liegen wir den ganzen Tag am Strand.“ Ich freute mich wahnsinnig darauf, aber die Erinnerung, an das Treffen mit meinen Eltern, ließ seine verbesserte Stimmung wieder abflauen.
„Vertrau mir, Pat, dass wird gut gehen.“
Er seufzte nur.
Patrick
Schweigsam verbrachten wir die restliche Fahrt zu mir. Ein kurzer Urlaub wäre zwar das Richtige gewesen, doch mit unserem geplanten Ziel konnte ich mich nicht anfreunden. Fabians Zuversicht wollte nicht so Recht überspringen.
Beinahe schon routiniert stellte er meinen Wagen vor dem Haus ab und öffnete mir galant die Tür. Seine ausgestreckte Hand beachtete ich nicht und kämpfte mich mühsam aus dem Sitz heraus.
Enttäuscht ließ er die Hand wieder sinken. „Wenn du nicht willst, dann sag es mir, aber ignorier mich nicht schon wieder. Ich meine es doch nur gut, du Dickkopf!“
Nachdenklich sah ich zu seinen Augen auf, die mich mit einem undefinierbaren Blick musterten. Er wirkte verletzt und sauer.
„Nein, lass uns fahren. Es tut mir leid.“ Ich hielt ihm meinen rechten Arm entgegen und er griff sofort nach der Hand, zog mich in seine Umarmung.
In der Wohnung hielten wir uns nicht lange im Bad auf und gingen gleich ins Bett. Er kuschelte seinen nackten Körper fest an mich heran und das Gefühl seiner Nähe machte mich, wider Erwarten, auf eine angenehme Art schläfrig. Ich spürte das gleichmäßige Klopfen seines Herzens an meiner Seite.
„Ich bin froh das du bei mir bist“, flüsterte ich ihn sein Ohr.
Mit müden Augen sah er auf und seine Lippen verzogen sich zu einem zaghaften Lächeln. „Du wirst mich auch nicht mehr los“, kam es flüsternd von ihm.
„Ich nehme dich beim Wort“, antwortete ich leise, doch er hörte es nicht mehr. Zaghaft streichelte ich über seinen schlafenden Körper und hatte plötzlich ein sehnsüchtiges Verlangen nach mehr, wollte mit ihm schlafen und ihn dicht an mir fühlen. Wie sein bestes Stück wohl schmecken würde? In dieser Richtung fehlte mir jede Erfahrung. Aber ich erinnerte mich, mit welcher lustvollen Leidenschaft er mich immer verwöhnt hatte.
Fabian bewegte sich, seine Hand rutschte tiefer und kam auf meinem Becken zur Ruhe.
‚Na perfekt’, murmelte ich und hielt den Atem an, als er seinen Kopf unter meiner Achsel vergrub und mich sein Atem auf der empfindlichen Haut kitzelte. Die kurzen blonden Bartstoppeln, welche man bei Licht kaum erkennen konnte, taten ihr übriges, als sein Kinn mich berührte. All diese kleinen Reize lösten unglaubliche Gefühle in mir aus, in einer Intensität, die ich bei Tini vorher nicht empfunden hatte. Der Sex mit ihr war toll, aber es gab keinen Vergleich zu dem, was Fabian hier unbewusst mit mir anstellte.
Wieder bewegte sich seine Hand, nur wenige Millimeter tiefer und ein Kribbeln zog durch meinen Körper. Und als ob das noch nicht gereicht hätte, schob sich sein oberes Bein über meinen Oberschenkel. Sein schlankes Knie kam kurz vor meinem Lendenbereich zum liegen. Schlief er wirklich? Ich lauschte in die Dunkelheit und hörte seinen gleichmäßigen Atem. Außerdem lag seine Männlichkeit schlapp an meiner Hüfte.
Dann setzte sein Atem kurz aus und er schmatze leise, die feuchten Lippen berührten einen der oberen Rippenbögen und eine prickelnde Gänsehaut breitete sich wellenförmig über meinem Körper aus.
Mein Verstand schaltete sich langsam aus und ich genoss die totale Reizüberflutung, während sich mein Atem beschleunigte. Der Daumen seiner Hand strich hauchzart über den äußeren Rand meiner gekürzten Schambehaarung und legte damit endgültig den letzten Schalter um: ich unterdrückte ein Stöhnen und kam, ohne das eine einzige Hand mein bestes Stück berührt hatte.
Nur langsam beruhigte sich mein Herz und ich fühlte mich auf eine glückliche Art befreit. Entspannt konnte ich nun seine Nähe genießen und schlief bald darauf ein.
***
Der Morgen begann, wie der Abend zuvor geendet hatte, in entspanntem Glück. Fabian war nicht einen Zentimeter von mir abgewichen, lag aber mit dem Kopf nun auf meiner Schulter, die sich ein wenig taub anfühlte.
Ich kroch langsam unter ihm hervor und bettete seinen Arm vorsichtig unter seinen Kopf, damit er nicht aufwachte. Mit einem Bündel frischer Klamotten ging ich unter die Dusche, um die getrockneten Spuren unseres ‚Nicht-treibens’ zu beseitigen. Bei dem Gedanken daran musste ich lächeln, so etwas hatte ich definitiv noch nie erlebt.
In der Küche heizte ich den Kaffeeautomaten ein und beobachtete den anbrechenden Tag durch das Fenster. Gerade wurde es 7 Uhr und es herrschte bereits geschäftiges Treiben auf der Straße. All zu lange würde ich meinen Kleinen nicht mehr schlafen lassen können, da er früh zur Uni wollte, um seine Abwesenheit zu regeln. Doch darüber musste ich mir keine Gedanken machen, denn kaum war die erste Tasse Kaffee durchgelaufen, hörte ich leise Schritte im Flur. Mein Freund tauchte nackt und völlig verpennt in der Küche auf.
„Guten Morgen, Schlafmütze.“ Ich ging auf ihn zu und schlang meine Arme um den warmen Körper. „Magst du auch einen Kaffee?“ Verschlafen nickte er an meiner Schulter. Noch nie hatte ich ihn direkt nach dem Aufstehen erlebt und fand das irgendwie süß.
Mit meinem Mund neckte ich seine Lippen und entlockte ihm ein Lächeln.
„Guten Morgen“, nuschelte er.
Zärtlich strich ich mit der Hand über den knackigen Läuferpo und genoss das samtig-weiche Gefühl seiner Haut, was er mit einem Seufzen quittierte. Ich verstand mein altes Verhalten immer weniger, jetzt, wo ich meine Finger kaum noch von ihm lassen konnte. Doch dafür blieb jetzt keine Zeit und ich gab ihm einen sanften Klaps auf den Hintern, bevor ich mich von ihm löste. Er reagierte mit einem unwilligen Murren.
„Später, Schlafmütze“, vertröstete ich ihn und reichte ihm einen Tasse mit dampfenden Koffein. Ich betrachtete weiterhin seinen nackten Körper, den er mir ohne Scheu zur Schau stellte.
„Ich mag deine Blicke“, lächelte er. „Es kommt mir immer noch wie ein Traum vor.“
Schweren Herzens riss ich mich von seinem Anblick los. „Ich würde ja auch gerne noch mit dir weiter träumen, aber dafür haben wir kaum noch Zeit.“
„Du hast Recht.“ Er nippte vorsichtig an dem heißen Getränk. „Ich verschwinde mal schnell ins Bad.“
Die kurze Wartezeit verbrachte ich am Fenster, nachdem er sich in die Dusche verabschiedet hatte. Erneut dachte ich an die bevorstehende Reise und die Nervosität kehrte zurück. Auch Tini und meine Zieheltern spukten mir durch den Kopf. Die Vergangenheit brach mir unter den Füßen weg und ich hatte nur den einen Halt, den Fabian mir geben konnte. Doch dazu gehörten auch seine Eltern.
Derartig versunken bemerkte ich nicht, wie er die Küche wieder betrat, bis sich sein Arm um mich legte. Ich schrak kurz zusammen.
„Ich bin es nur. Denkst du wieder an heute Abend?“ Sein Kehlkopf vibrierte an meiner Schulter, nachdem er sich an mich geschmiegt hatte.
„Ja, auch. Sag mal, trinken deine Eltern Wein?“
Er dachte einen Moment nach. „Irgendeinen Rotwein, aber ich weiß nicht welchen. Trockener Rotwein.“
„Dann lass mich bitte in der Stadt raus, du kannst das Auto haben.“
Ich bekam einen dankbaren Kuss auf den Hals. „Das ist super. Ich hatte mir schon überlegt, wie ich an mein Fahrrad komme.“
Fabian ließ mich in der Stadt aus dem Auto und fuhr weiter zur Uni. Ich besorgte derweil einen guten Wein und zusätzlich einen schönen Strauß frischer Blumen, den ich seiner Mutter geben wollte.
In einem Café wartete ich dann auf seinen Anruf und gönnte mir ein kleines Frühstück.
Die Sonne genießend schloss ich die Augen und lauschte auf die Geräusche in der Straße. Kreischende Kinder und sich unterhaltende Menschen mischten sich unter das Geklapper von Schuhen.
„Darf ich Ihnen noch etwas bringen?“ Der junge Kellner riss mich aus der Geräuschwelt.
„Einen Kaffee, bitte.“
Er nickte kurz und räumte mein leeres Geschirr ab. Nachdenklich sah ich ihm hinterher, als er im Laden verschwand. Eigentlich war er ganz nett anzusehen und ich fragte mich, ob mir auch andere Männer gefallen würden. Doch der Gedanke ihn anzufassen ließ mich schaudern. Nein, ich wollte Fabian.
Meine Augen richteten sich wieder auf das hektische Treiben und ich zuckte zusammen. Aus der Menschenmenge schälte sich Tini heraus, in einem knappen roten Kostüm und hochhakigen Schuhen gleicher Farbe. Sie hatte ihr Handy zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt, während sie in der schwarzen Handtasche etwas suchte.
Offensichtlich hatte sie den Vormittag bei einem Frisör verbracht und die neue Frisur stand ihr gut. Das ehemals rot-blonde Haar leuchtete in einem hellen Braunton und war etwas kürzer als vorher.
Dann sah sie mich und ließ die Tasche unschlüssig sinken. „Ich rufe später zurück.“
Meine Ex beendete das Gespräch und kam langsam auf mich zu.
„Patrick, was machst du hier?“
„Frühstücken.“ Die Antwort kam ziemlich aggressiv und ich wollte sie schnell wieder loswerden. Tini sah gut aus und genau dieses Empfinden störte mich.
„Allein?“ Hoffnung klang in der Stimme mit.
Ich zeigte auf meine Einkäufe. „Das sind Mitbringsel für Fabians Eltern. Er ist gerade in der Uni und regelt seine Abwesenheit.“
Sie setzte sich ungefragt auf den freien Stuhl an meinem Tisch. „Patrick, ich habe mich falsch verhalten. Diese eine Nacht hätte nicht passieren dürfen. Aber ich war so wütend auf dich. Ich bin einfach zu weit gegangen.“ Ihre Hand griff nach meiner und ich zog sie hastig weg. Ihr sanfter Blick passte nicht mehr zu dem Bild der Furie, die mich nur wenige Tage zuvor zum Sex erpresst hatte.
„Zu weit gegangen? Mehr fällt dir nicht dazu ein? Tini, ohne Fabian wäre ich am Tag drauf vermutlich an meiner eigenen Kotze erstickt. Mir wäre es an dem Tag egal gewesen, die Demütigungen waren zu viel. Er hat mich ins Leben zurückgeholt!“
Die Art, wie sie die Aktion herunterspielen wollte, machte mich sauer. „Es ist alles gesagt. Uns verbindet nur noch das Kind, aber mit dir will ich ansonsten keinen Kontakt mehr.“
„Du liebst ihn wirklich?“ Eine Träne stahl sich in ihr Auge.
„Ja, sieh es endlich ein.“ Der Kellner brachte meinen Kaffee und ich bezahlte.
„Hier, trink den Kaffee, ich muss weg.“ Mit diesen Worten schob ich ihr die Tasse rüber, raffte meine Sachen zusammen und ging. Kurz darauf klingelte auch endlich das Telefon.
Fabian
Erleichtert verließ ich das Sprechzimmer von meinem Professor. Ein paar befreundete Kommilitonen würden ihre Unterlagen für mich kopieren.
Voller Vorfreude griff ich nach dem Handy. „Ich bin fertig. Wo steckst du?“
„Auf der Flucht“, brummte er mir entgegen. „Tini hat mein Frühstück gestört. Komm bitte zur Haltestelle vor der Passage, ich bin gleich da.“
„Okay, ich beeil mich!“ Als er nichts mehr sagte drückte ich das Gespräch weg. Hoffentlich war seine Stimmung nicht zu weit unten.
Kaum zehn Minuten später hielt ich am Treffpunkt an. Patrick wartete bereits ungeduldig und winkte mir zu. Schnell sprang ich aus dem Wagen und öffnete den Kofferraum, wo er seine Einkäufe verstaute.
Unschlüssig sah ich ihn an und wusste nicht was ich sagen sollte. Er bemerkte den Blick, sah sich kurz um und legte seine gesunde Hand auf meine Wange, bevor er mich zu einem flüchtigen Kuss heranzog.
„Alles okay, Kleiner. Mir geht es gut.“
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
***
Mittlerweile war es dunkel und die letzten Kilometer lagen vor uns. Patrick wurde auf der Fahrt immer stiller. In der Wohnung wirkte er noch ganz normal, als wir unsere Klamotten in Rekordtempo zusammenpackten. Von Staus blieben wir weitestgehend verschont und lauschten ein paar CD’s. Doch die Nervosität nahm stetig zu.
Pünktlich zu den Nachrichten um 22:00 Uhr erreichten wir die Einfahrt zum Haus meiner Eltern und ich parkte unter dem Carport neben der Eingangstür.
Ich schnappte mir die Reisetaschen aus dem Kofferraum und machte mich auf den Weg zur Tür, während Patrick zögerlich die Geschenke betrachtete. Auf dem Hof blieb es dunkel, eine der Glühbirnen war durchgebrannt.
Meine Mutter stand im Eingang und wartete bereits. Schummriges Licht drang aus dem Haus.
„Hallo mein Schatz“, begrüßte sie mich. Ihr misstrauischer Blick ging an mir vorbei in die Dunkelheit.
„Hi, Mama.“ Ich drehte mich nach der Umarmung ebenfalls um und erkannte Patricks schemenhafte Silhouette. „Bitte denk an dein Versprechen“, flüsterte ich.
„Ja, ist schon gut, wir werden versuchen nett zu sein.“
Ich warf ihr einen flehenden Blick zu. „Nicht versuchen. Es war schon schwer genug ihn hierher zu bekommen. Er hat seine Fehler eingesehen.“
Sie seufzte auf. „Ist ja gut, guck mich nicht so treudoof an.“
Leise näherten sich die Schritte meines Freundes. „Guten Abend, Frau Westerkamp. Ich bin Patrick, Patrick Reder.“ Seine Stimme klang unsicher und zitterte.
Er trat in das schwache Licht des Hauses und meine Mutter riss überrascht die Augen auf, als sie ihn ansah.
Mechanisch streckte sie ihm die Hand entgegen. „Heidemarie Westerkamp, hallo.“
Das Verhalten meiner Mutter und der starrende Blick irritierte Patrick zusehends. „Stimmt etwas nicht?“
„Nein, Sie erinnern mich nur an jemanden.“ Ich hatte eine starke Vorahnung, auf wen sie anspielte.
„Sie meinen bestimmt Thomas. Fabian hat mir erzählt, ich sähe ihm ähnlich.“ Bei der Erwähnung des Namens sah er mich liebevoll an und legte seine Hand auf meine Schulter.
„Ich habe ihm alles von Thomas erzählt, Mama.“
Sie riss sich von seinem Anblick los und bat uns ins Haus. „Anton ist noch schnell in die Stadt gefahren, er kommt sicher gleich, der Supermarkt hat ja jetzt geschlossen.“ Ihr Tonfall wirkte nervös, von Ablehnung keine Spur.
Patrick ging wieder zum Auto um seine Mitbringsel zu holen.
„Du hast gesagt, er sähe ihm ähnlich. Aber er sieht aus wie er.“ Sie flüsterte, damit mein Freund es nicht hören konnte.
„Ich weiß. Ein unglaublicher Zufall, oder? Man könnte sie für Brüder halten. Und sein Verhalten ist dem von Thomas auch ganz ähnlich geworden. Ich fühle mich genau so wohl in Patricks Nähe.“
Sie sagte nichts sondern blickte wieder zur Tür, wo mein Großer mit dem Strauß Blumen stand und schüchtern lächelte. „Der ist für Sie, Frau Westerkamp.“
Mama lächelte zurück. „Heidi reicht völlig, Patrick. Ein hübscher Strauß, danke.“ Sie ließ uns ins Wohnzimmer und suchte nach einer Vase, während ich die Taschen neben die Tür stellte. „Geht es dir gut?“
Patrick stand etwas verloren vor dem Sofa. „Ich glaube ja. Die Begrüßung war etwas unheimlich.“
Ich ging auf ihn zu und er schloss mich sofort in seine Arme. Er vergrub sein Gesicht in meiner Schulter und atmete tief ein, bis ein Räusperer von der Tür ihn zurückfahren ließ.
„Lasst euch nicht stören. Ich wollte nur etwas zum Trinken bringen. Was möchtet ihr?“
„Kaffee!“, riefen Pat und ich gleichzeitig.
Wir setzten uns auf die Couch und warteten. Er legte seine Hand in meine und bettete seinen Kopf auf meiner Schulter. Der Tag und die Fahrt steckten uns beiden in den Knochen und ich unterdrückte ein Gähnen.
Mama brachte den Kaffee und ich bemerkte ihre heimlichen Blicke, mit denen sie Patrick unauffällig musterte. Scheinwerferlicht drang durch die Fenster und der Kombi meines Vaters fuhr auf den Hof.
Meine Mutter verschwand zur Tür und kehrte kurz darauf zurück. „Anton braucht Hilfe, er hat eine neue Festzeltgarnitur gekauft.“
Patrick stand sofort auf und wir gingen beide nach draußen.
„Hallo Papa“, mein Vater nahm mich herzlich in den Arm.
„Schön, dass du hier bist, Fabian. Na, wo ist dein Freund?“
Ich zeigte auf die Haustür, wo mein Großer schüchtern wartete und mit seinen Fingern spielte. So zurückhaltend sah man ihn selten und er wirkte um Jahre jünger. In solchen Momenten wurde die Ähnlichkeit zu Tommy noch größer. Und mein Vater reagierte beinahe genau so seltsam, wie es Mama auch schon getan hatte.
Langsam schritt er auf die Tür zu und Patrick fühlte sich sichtbar unwohler, unter den forschenden Augen meines Vaters.
„Hallo, Herr Westerkamp. Patrick Reder.“ Er hielt meinem Vater die Hand entgegen, die dieser auch gleich ergriff.
„Anton. Habt ihr die Fahrt gut überstanden?“ Der lässige Plauderton sorgte wieder für Entspannung.
„Ja, danke, Fabian fährt wirklich gut.“
„Das will ich meinen“, lachte Paps. „Er hatte auch den besten Fahrlehrer im Rostocker Umland.“
Patrick schaltete schnell. „Sie… du bist Fahrlehrer?“
„Fahrschule Westerkamp, ganz genau.“ Mein Vater klopfte meinem Freund wohlwollend auf den linken Oberarm, was Patrick ein schmerzvolles Stöhnen entlockte. Die Prellung war noch zu frisch und er hatte auch einen ziemlich Bluterguss.
„Alles in Ordnung?“
„Papa, lass uns später darüber reden“, schritt ich helfend ein. Das Thema war gewiss nichts für einen nächtlichen Hofplausch. Patrick sah das ähnlich und lächelte mich dankbar und mit leicht schmerzverzehrter Miene an.
Paps klemmte sich die Bänke unter die Arme und wir trugen gemeinsam den Tisch hinter das Haus, auf die Terrasse. Mama ließ uns über die Glastür zum Esszimmer herein.
Geschlossen gingen wir ins Wohnzimmer zurück und setzten uns. Die Stimmung war angespannt und meine Eltern musterten Patrick ständig mit kurzen Blicken.
Mir wurde das zuviel. „Ja, er sieht Thomas ähnlich.“ Mein Freund schien im Sofa versinken zu wollen.
„Es tut mir leid, dass ich euch so mit dem Besuch überfallen habe, aber wir mussten einfach mal raus aus Heidelberg. Die Situation ist ziemlich angespannt.“
Meine Eltern schwiegen taktvoll, aber die fragenden Gesichter machten deutlich, dass sie mehr hören wollte.
„Meine Ex-Freundin ist schwanger und nicht glücklich darüber, dass ich mich für Fabian entschieden habe. Sie hat einigen Ärger provoziert. Ich gebe zu, ich wollte nicht herkommen, wegen allem was vorher zwischen Fabian und mir passiert ist. Das war ganz großer Mist.“
„Das war es allerdings. Aber wenn ich mir unseren Sohn so anschaue, dann scheint ihr eure Probleme im Griff zu haben.“
Patrick nickte und unterdrückte ein Gähnen. „Ja, ich weiß nicht, wo ich jetzt ohne ihn wäre.“
Mein Vater schien mit der Antwort noch nicht ganz zufrieden. „Das war vermutlich noch nicht alles, oder? Es geht uns zwar nichts an, aber wir würden gerne mehr darüber erfahren, wie es bei euch zu dieser Wende kam.“
Pat verspannte ein wenig und Mama lenkte ein. „Wir sollten morgen in aller Frische weiterreden. Ich glaube die Jungs sind müde, Anton.“
Sie erntete ein zustimmendes Nicken und wir wünschten uns eine gute Nacht, bevor sich alle in ihre Räume verteilten.
„Hast du ein Bild von ihm?“ Patrick sah sich aufmerksam in meinem alten Zimmer um. „Ich würde gerne verstehen, warum deine Eltern so seltsam auf mich reagieren.“
Wortlos ging ich auf eins der Regale über meinem Schreibtisch zu und zog ein Fotoalbum hervor. Ich blätterte durch die Seiten, bis ich zu einem Schnappschuss von uns kam, den meine Eltern, ungefähr ein halbes Jahr vor Tommies Tod, in einem Rostocker Café gemacht hatten. Thomas und ich unterhielten uns damals über einen Surfwettbewerb und er strahlte richtig dabei. Das Foto hatte es unglaublich gut eingefangen.
„Ach du Scheiße!“ Patrick stand hinter mir und starrte fassungslos auf das Bild. „Wenn ich es nicht besser wüsste, dann könnte das ein Bild von uns sein.“
Er sah mich nachdenklich an und ich ahnte, was ihm wohl durch den Kopf ging. Es war bestimmt wieder eine Frage, die er mir schon vor ein paar Tagen gestellt hatte und er sah sich hier aufs Neue bestätigt.
„Nein, Patrick, ich habe mich vielleicht wegen der Optik in dich verknallt, aber ich liebe dich. Den Menschen Patrick Reder. Du bist nicht Thomas Maler. Ich hab mich ja auch schon gefragt, ob du nicht sein Bruder gewesen sein könntest, nach der Offenbahrung deiner Mutter, aber es ist unmöglich. Seine Eltern sind in deinem Geburtsjahr geflohen und wurden geschnappt. Er kam vier Jahre ins Gefängnis und sie musste in einer Fabrik arbeiten. Von einem Kind haben sie nie etwas erzählt. Marlies hat damals auf Robert gewartet und sie wurden gleich wieder ein Paar, kurz nach seiner Entlassung. In der Nacht wurde dann auch Thomas gezeugt. Er kam einen Tag vor mir im gleichen Krankenhaus zur Welt.“
„Und wenn sie bei der Flucht ein Kind gehabt hätten, was wäre damit passiert?“
„Der Staat hätte es sicher einbehalten und unter anderem Namen in ein Heim und zu Pflegeeltern gegeben. So was war früher normal, um die Kinder zu staatstreuen Menschen zu erziehen. Doch dann hätten die Beiden ihr Kind, nach Öffnung der Stasiakten bzw. nach dem Mauerfall gesucht.“
„Sie hatten ein Kind bei der Flucht dabei und es wurde ihnen weggenommen. Sie fanden Holger, ihren ersten Sohn. Er ist bei den Pflegeeltern verstorben, nur eine Woche nach der Übergabe.“
Wir hatten Mama nicht bemerkt, die wartend in meiner offenen Zimmertür stand. „Verstorben, zwei Monate nach seiner Geburt im Februar 82. Der Totenschein war, glaube ich, auf den dritten April ausgestellt. Marlies hat mir davon erzählt. Erfahren haben sie davon 93, als ihnen endlich jemand Auskunft geben konnte.“
Patrick wurde blass. Ich erinnerte mich, dass er einen Tag später Geburtstag hatte. Konnte das alles Zufall sein? „Mama, warum habt ihr nie etwas gesagt?“
„Marlies und Robert wollten es nicht. Die Beiden haben damals sehr darunter gelitten und wollten euch damit nicht belasten. Und nach Thomas Tod ging es überhaupt nicht mehr. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre nur einen Sohn zu verlieren, aber gleich zwei… das ist unmenschlich.“
„Frau We… Heidi, wir sollten uns morgen wirklich über ein paar Dinge unterhalten. Aber ich muss erst noch einiges sortieren.“
„Selbstverständlich, Patrick. Schlaft gut.“
Mein Freund zitterte. „Fabi, was hältst du davon? Es sind alles ein paar Zufälle zuviel, oder nicht?“
„Ich weiß nicht. Möglich wäre es schon. Die Geschichte deiner Ziehmutter und das jetzt… und dann frag ich mich wieder, wie wahrscheinlich es ist, dass ausgerechnet wir uns treffen, so weit von meiner Heimat entfernt.“
Patrick sah schlecht aus und seine Hand legte sich verkrampft auf seinen Bauch. „Wo ist die Toilette?“, fragte er gehetzt und ich deutete auf die Tür neben dem Schreibtisch, auf mein kleines Privatbad.
Patrick stürmte los und ich hörte nur noch, wie der Klodeckel gegen die Wand fiel und wie er sich röchelnd übergeben musste. Eine gewisse Hilflosigkeit machte sich in mir breit. Die Idee hinter dem Urlaub war schließlich eine Ablenkung von dem ganzen Stress in Heidelberg und nun kam es noch dicker. Ich hoffte, dass er deswegen nicht sauer auf mich war.
Nach einigen Minuten kehrte er aus dem Bad zurück und sah furchtbar aus. Wortlos legte er sich auf mein Bett und schloss die Augen. Der Brustkorb hob und senkte sich schneller als üblich und die Anspannung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Vorsichtig ließ ich mich auf der Bettkante nieder. „Bist du böse auf mich?“
Seine kalte Hand suchte nach meiner und fand sie. „Du bist ein Idiot, wenn du das wirklich denkst.“
„An deiner Art, wie du mir etwas Nettes sagen kannst, sollten wir noch arbeiten“, lächelte ich unwillkürlich.
„Du könntest damit anfangen und dich an mich kuscheln.“ Er rückte ein Stück zur Seite, kam aber nicht sonderlich weit, da mein Bett nur einen Meter breit war.
„Und wie soll das deiner Ausdrucksweise helfen?“, gab ich skeptisch zurück.
Er warf mir einen genervten Blick zu und klopfte ungeduldig auf die Matratze. Also fügte ich mich und kuschelte mich an seinen zittrigen Körper. Mit der Hand auf seiner Brust spürte ich den wummernden Herzschlag.
„Schön, dass du bei mir bist“, sagte er leise. „Besser?“
„Viel besser. Aber ich habe vorhin etwas gesagt und du hast nicht darauf reagiert.“
„Was meinst du?“
„Ich hab gesagt dass ich dich liebe.“
„Ach das meinst du! Ja, ich weiß.“ Er grinste mich unverschämt an und aus Rache kniff ich ihm in die Hüfte.
„Aua!“, jammerte er übertrieben theatralisch. „Ich liebe dich auch, mehr als jemals jemanden zuvor.“
So einen Satz hatte ich nicht erwartet und war mehr als positiv überrascht. „Wow, danke.“
„War das jetzt gut genug?“ Seine Hand spielte an meiner Jeans herum und öffnete den obersten Knopf. Dann folgte der Reißverschluss. Ein wohliges Stöhnen entrann meiner Kehle. Innerhalb von wenigen Augenblicken hatte er meinen Schwanz aus dem Gefängnis befreit und ich schloss die Augen, bis ich seine warme, feuchte Hand…
‚Gestern hatte seine Hand noch keine Zähne’, dachte ich.
Ungläubig riss ich die Augen auf und sah eindeutig seine Zunge, die sich an dem rapide verhärtenden Schaft bemerkbar machte.
„Was tust du da?“, stöhnte ich.
„Etwas, dass ich erst vor Kurzem gerne getan hätte. Aber jetzt bist du ja wach.“
War er wirklich schon so weit? Das intensive Gefühl in meinen Lenden wischte die vorsichtigen Bedenken hinfort, denn ein Paar warmer Lippen schloss sich fordernd um meine blanke Spitze und fing an zu saugen, während eine, nun deutlich wärmere Hand, zärtlich meine Hoden knetete. Mit der Zunge stahl er den ersten Lusttropfen von meiner Eichel und er leckte sich vorsichtig über die Lippen.
„So schmeckt das also. Lecker“, grinste er.
Zu einer klaren Antwort war ich längst nicht mehr fähig. Meine Zweifel, ob er sich wirklich jemals auf mich einlassen könnte, waren wie ‚weggeblasen’, im wahrsten Sinne des Wortes. Es war kaum zu glauben, dass er es heute zum ersten Mal machte. Die Art und Weise, wie er seine Zähne vorsichtig an der empfindlichen Haut spielen ließ, war mehr als gekonnt.
Kaum stülpte sich sein Rachen wieder über die gesamte Länge, da setzte auch mein Kopf wieder ein. Ich stand kurz vor dem Höhepunkt und gab ein warnendes Knurren von mir. Meine Hände wollten seinen Kopf wegziehen, doch er wischte sie zur Seite. Hilflos gab ich mich dem unaufhaltsamen Höhepunkt hin. Zum einen genoss ich das irre Gefühl in mir, welches befreiender als alles andere zuvor war und zum anderen bekam ich Angst, dass er sich an der Stelle maßlos überforderte.
Seine starken Hände hielten meine Hüfte umklammert und er zog mich immer näher an sich heran. Während es in Wellen aus mir heraus floss, sah er mir tief in die Augen und ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkel nahm mir die Angst. Es gefiel ihm.
Er leckte sich erneut über die Lippen und sah mich reumütig an.
„Was ist mit dir? Bereust du es?“ Ein Teil meiner Furcht kehrte zurück.
„Ja, ich bereue einiges, aber nicht dieses hier.“
Die Wärme in seiner Stimme bereitete mir eine wohlige Gänsehaut. „Und was bereust du im Moment?“
„Das wir… .“ Er stand auf und legte sich halb auf mich, bevor unsere Lippen zu einem innigen Kuss verschmolzen. „Das wir uns danach nie geküsst haben“, beendete er seinen Satz, nachdem er sich wieder von mir gelöst hatte.
Er streifte sich das Shirt ab und legte sich seitlich neben mich. Die Schwellung seines Armes war zurückgegangen und hatte ein Muster bunter Flecken zurückgelassen. Vorsichtig fuhr ich mit dem Finger über den Erguss und er stöhnte leicht auf. Es tat immer noch weh. Dennoch löste er die Knöpfe meines leichten gelben Sommerhemdes und streifte es über meine Schultern. Ich half ihm dabei und kurz darauf lag auch dieses am Boden.
„Fabi, ich möchte mit dir schlafen, richtig mit dir schlafen. Wäre das okay für dich?“
Als Antwort nickte ich ihm lächelnd zu und reichte ihm das Gleitgel aus der Schublade neben dem Bett. Er nahm die kühle Tube an sich und rieb sie einen Moment zwischen seinen Händen, bis er einen ordentlichen Klacks auf seine Finger lud, um es dort weiter anzuwärmen. Mit seinem Finger platzierte er das angewärmte Zeug auf und in meinem Po, bevor er sich auch seine eigene Erektion einrieb. Ich schmiegte meinen Rücken an seine Brust, damit der beeinträchtigte Arm locker über mir liegen konnte. Mit der anderen Hand dirigierte ich ihn näher an sein Ziel.
Da dieses nicht mein erster Analverkehr war, es gab ja auch Kerle vor Patrick, ging ich mit der nötigen Entspannung an die Sache heran. Allerdings war er der Erste, der ohne Gummi ran durfte. Patrick drang nahezu problemlos ein, blieb aber übervorsichtig.
„Mach ruhig weiter, ich melde mich schon, wenn es zu heftig wird.“
Er schob sich ein Stück tiefer hinein und ein lustvolles Stöhnen entfuhr mir, als die breite Spitze über meine Prostata schrammte.
„Tut das weh?“ Er hielt unsicher inne,
„Um Gottes Willen, mach weiter!“
Er überwand die letzten fehlenden Zentimeter und setzte zu gleichmäßigen Stößen an. Es dauerte auch nicht sehr lang, bis sein Körper hinter mir zu zucken anfing und ein unterdrücktes Stöhnen an mein Ohr drang. Patrick sagte nichts und versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Ich kuschelte mich etwas dichter heran und genoss das ausgefüllte Gefühl.
„Willst du … noch fertig machen?“
Langsam drehte ich meinen Kopf zu ihm und betrachtete das, vor Verlegenheit, gerötete Gesicht.
„Ich glaube, du würdest lieber reden?“, fragte ich ihn lächelnd.
Ein leichtes Nicken war die Antwort. „Hab ich dir wirklich nicht wehgetan?“
„Ganz im Gegenteil. Du warst wirklich toll, beide Male.“
Ein weiteres, unerwartet scheues, Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Es war so anders als alles zuvor, viel schöner.“ Mühsam unterdrückte er ein Gähnen.
„Wollen wir noch schnell duschen und dann schlafen?“
Er machte ein zustimmendes Geräusch und wir huschten ins Bad.
Patrick
Fabian lag bereits schlafend an meiner Seite, geschafft von der langen Fahrt und unserem ersten Mal. Meine Gedanken kreisten ausnahmslos um die letzten zwei Stunden, die seither vergangen waren. Sex mit ihm war mit nichts anderem zu vergleichen und er hatte die trüben Erinnerungen an die Diskussion davor restlos verdrängt.
Doch nun waren diese Gedanken wieder da. Die Möglichkeit, der Bruder von diesem Thomas zu sein, war so absurd, dass es schon beinahe wieder einleuchtend war. Dann wäre auch diese nagende Frage, warum meine wirklichen Eltern mich weggaben, plausibel beantwortet. Aber all dies konnte auch weiterhin ein gewaltiger Zufall sein. Es gab ein totes Kind, wenn auch nur die Sterbeurkunde. Und Urkunden mussten nicht zwangsweise echt sein.
Ich drängte all diese Gedanken aus meinem Kopf und lauschte den ruhigen Atemzügen meines Freundes, dessen Lippen, vom roten Licht des Weckers beschienen, zu einem Lächeln verzogen waren. Mit diesem Bild vor Augen schlief ich dann ebenfalls ein.
***
Gegen neun Uhr kitzelte mich das Sonnenlicht wach und ich erlebte eine ungewohnte Situation: Fabian war nicht mehr bei mir und ich knurrte frustriert. Sein kuschelig-warmer Körper fehlte mir und ich verstand, wie er sich in den letzten Tagen gefühlt haben musste, wenn ich morgens weg war. Ein Punkt, der sich zukünftig ändern würde.
Der Duft von Brötchen und Kaffee lag in der Luft und ich zog mich vorsichtshalber an, bevor ich am Ende seinen Eltern begegnete.
In eine Zeitung vertieft saß Fabian am Küchentisch. Auf der Arbeitsplatte stand ein Tablett mit Brötchen, zwei Kaffeetassen und frischem Orangensaft. Ich räusperte mich und er sah auf.
„Guten Morgen, du bist ja schon wach!“
„Ja, es war so einsam im Bett“, entgegnete ich mit einem gespielten Vorwurf.
Sein Blick glitt zu einer kleinen Küchenuhr. „In zwei Minuten sind die Eier fertig, dann hätte ich dich mit Frühstück geweckt. Wie geht es dir?“
„Viel besser. Und dir?“
Er lächelte. „Es war noch nie besser. Von so einer Nacht konnte ich bisher nur träumen. Tut mir übrigens leid, dass ich nach der Dusche so schnell eingeschlafen bin, aber es ging nicht mehr anders.“
„Kein Problem.“ Ich nahm mir eine Tasse vom Tablett, der Kaffee war noch heiß. „Wo sind deine Eltern?“
„Papa ist arbeiten und Mama hat eine Nachricht hinterlassen, sie müsse noch etwas erledigen und das es spät werden könnte. Der Tag gehört also nur uns allein. Wir könnten zum Strand, dass Wetter ist vielversprechend.“
„In der Sonne brutzeln und im Wasser planschen?“
„Nur wenn du willst. Wir können natürlich auch was anderes machen“, lenkte er ein, weil er mich scheinbar falsch verstanden hatte.
„Nein, Sonne und Meer ist perfekt. Dafür sind wir ja eigentlich auch hergekommen.“ Fabian strahlte gleich noch ein Stück mehr.
Das Frühstück ließen wir uns in der Küche schmecken und mein Kleiner räumte blitzschnell die Reste weg, bevor er sich einen gepackten Rucksack schnappte. „Ich hab schon Handtücher und Badesachen eingepackt, wir können also gleich los.“
Gesagt, getan, keine zwanzig Minuten später erreichten wir den Strand. Fabian räumte den Rucksack aus und legte die Badehosen auf die Tücher, zwei rote Hosen im Retrolook.
„Und wo ziehen wir uns um?“ Zur Antwort streifte mein Kleiner seine Klamotten ab und saß kurz nackt, für alle sichtbar, am Strand, bis die neue Hose ihren angestammten Platz fand.
„Ganz einfach, macht hier fast jeder.“
Ich ließ mein Shirt an und zog es über den Schritt, bevor ich mich meiner Hose entledigte und etwas verkrampft die Badeshort überzog, die die richtigen Stellen auffällig betonte.
„Nicht so schüchtern, nackt steht dir echt gut“, grinste er mich an. „Oder duschst du nach dem Training mit Klamotten?“
„Blödmann“, gab ich zurück und streifte mir das Shirt ab. Mein verkrampfter Versuch, mich umzuziehen, hatte tatsächlich mehr Aufmerksamkeit erregt als Fabians Klamottentausch.
„Entspann dich ein wenig, genieße die Sonne und lausche dem Meer, dass hilft wirklich.“
Leicht verstimmt legte ich mich auf die Decke und schloss die Augen, aber wirkliche Entspannung wollte nicht aufkommen. Fabian ließ sich neben mir auf das Tuch fallen und ich spürte sein Bein leicht an meinem.
„Hörst du wie die Wellen leicht gegen den Strand laufen? Gleichmäßig, wie ein Pulsschlag. Wenn du genau aufpasst, dann hörst du wie sich der Kamm kräuselt und in das leise Rauschen übergeht, wenn sie gekippt ist. Das Wasser läuft leise am Sand hinauf und noch bevor es zurückfließt legt sich die nächste Welle darüber. Für einen kurzen Moment berühren sie sich, wälzen sich über den Strand und liebkosen sich, wie flüchtige Liebhaber.“
Seine Stimme hatte beinahe einen hypnotischen Klang und seine Worte entspannten mich tatsächlich. Mein Kopf befreite sich von den Problemen der letzten Woche und ich hörte nur noch die rauschenden Wellen und seine sanfte Stimme, während seine Hände mir sanft Sonnencreme in die Haut massierte.
Nach einigen Minuten hatte ich das Gefühl, den leichten Aufprall der Wellen spüren zu können und Fabians Liebe zu dieser Urgewalt schwappte herüber. Ich hätte ewig hier bleiben können. Irgendwann schlief ich ein.
***
Mein Hals fühlte sich völlig ausgetrocknet an und ich wachte auf. Ich musste wohl eine ganze Weile geschlafen haben und lag in meinem eigenen Saft. Mir war wahnsinnig heiß.
„Heidelberg ist wirklich sehr schön, aber mit der Heimat ist es nicht vergleichbar.“ Fabians leise Stimme hob sich nur leicht vom Meeresrauschen ab. „Aber ich habe ihn und den gibt es eben nur dort.“
„Ist es ihm auch wirklich so ernst wie dir?“ Die Stimme war männlich und mir völlig unbekannt.
„Da bin ich mir sicher“, kam es sehr zuversichtlich von meinem Freund.
Langsam richtete ich mich auf und öffnete die Augen. Neben Fabian saß ein Typ in meinem Alter, ziemlich attraktiv, wie ich mir eingestehen musste.
„Hey, du bist ja wach“, lächelte Fabian mich an. „Stefan, das ist Patrick.“
Dieser Stefan ließ seine Zähne aufblitzen und hielt mir die Hand hin. „Hi, schön dich kennen zu lernen.“
„Er arbeitet für meinen Vater, einer seiner Fahrlehrer“, erklärte mein Kleiner.
„Ich muss dann auch mal wieder weiter, meine Frau ist mit unserem Knirps ganz allein und der ist gerade in einer anstrengenden Phase. Ich wünsch euch was. Und Fabian, melde dich ruhig mal zwischendurch.“
„Geht klar, Gruß an Carmen und Pascal.“
Stefan verschwand in Richtung Promenade.
„Hast du eigentlich was zum Trinken dabei?“
Fabian nickte und gab mir eine erwärmte Flasche Wasser. „Wir sollten uns abkühlen gehen.“
Er stand auf und sein schweißnasser Körper glänzte in der Sonne. Auffordernd streckte er mir seine Hand entgegen. Wir alberten eine ganze Weile im kalten Wasser herum, trugen wilde Wasserschlachten aus und übten uns im Ringkampf. Selten hatte ich soviel Spaß gehabt. Fabian bereicherte mein Leben in unglaublich vielen Punkten.
Nach der anstrengenden Schlacht, die wegen dem engen Körperkontakt glücklicherweise im eiskalten Meer stattfand, legten wir uns zum Trocknen wieder auf unseren Platz. Überglücklich zog ich seinen kalten Körper heran und küsste ihn spontan, ohne mir Gedanken über mögliche Zuschauer zu machen.
Gegen 16:00 Uhr rafften wir unsere Klamotten zusammen, denn der Hunger zog uns in sein Elternhaus. Auf ein weiteres Umziehen am Strand verzichteten wir.
„Und was hast du jetzt vor?“ Fabian hatte meine Hand genommen und sah mich ernst an, während wir zu ihm Heim liefen.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht sollten wir uns einfach mal mit Thomas Eltern treffen, auch wenn ich nicht glaube, dass es was hilft.“ Es war immerhin eine kleine Spur auf dem Weg zu meiner Vergangenheit. Ich versprach mir nicht allzu viel davon, allein schon, um nicht enttäuscht zu werden.
„Gute Idee, ich hab da auch schon dran gedacht. Wenn Marlies und Robert das überhaupt möchten, dann können wir ja morgen nach Lübeck fahren.“
„Gerne, es kommt auf einen Versuch an.“
Wir erreichten das Haus nur kurze Zeit später. Ein kleiner roter Mazda parkte vor dem Haus.
„Mama ist zurück.“ Heidi war durch das offene Küchenfenster zu sehen und huschte geschäftig hin und her. Wie auf Kommando knurrte mein Magen und Fabian lachte.
„Die Seeluft macht ganz schön hungrig, was?“
„Das Toben im Wasser mit überdrehten Studenten aber auch“, konterte ich.
Plötzlich war sein Mund ganz nah an meinem Ohr. „Ich würde auch ganz gerne wieder in meinem Zimmer mit dir toben, ohne Zuschauer und ohne Badehose“, flüsterte er.
„Kleiner Nimmersatt“, raunte ich zurück und spürte die aufkommende Lust. „Aber die Idee ist sehr gut.“ Wir küssten uns leidenschaftlich, ein Stück abseits vom Sichtbereich der Küche.
Im Haus begaben wir uns gleich in die Kochstube, wo Heidi erschrocken zusammenzuckte, da sie von unserer Rückkehr nichts mitbekommen hatte.
„Hallo Mama. Was hast du denn vor? Das sind ja Unmengen.“
„Das ist eine Überraschung, Schatz. Hallo Patrick.“ Sie lächelte mich an und es wirkte deutlich weniger verkrampft als am Vortag.
„Hallo Heidi.“
Sie rührte weiter im Topf herum.
„Mama, wir wollen morgen eventuell nach Lübeck.“
Heidi hielt inne. „Was wollt ihr denn da?“
„Marlies und Rob besuchen. Es ist nur eine kleine Spur, aber wir sollten ihr nachgehen.“
„Spur?“ Fabians Mutter war sichtbar irritiert. Es wurde Zeit für eine Erklärung.
„Heidi, das Gespräch gestern hatte einen bestimmten Hintergrund. Es geht nicht nur um diese Ähnlichkeit. Wir haben erst diese Woche erfahren, dass meine Eltern nicht meine Eltern sind. Meine Mutter behauptet, dass meine Geburtsurkunde gefälscht ist. Meinen Vater kann ich dazu im Moment nicht befragen, er sitzt in Untersuchungshaft.“
Heidemarie wurde blass. „Im Gefängnis?“
„Ja“, antwortete ich zögerlich. „Er wollte mich umbringen. Meine Ex hatte ein Foto geschossen, wo ich Fabian im Arm hielt. Das war noch bevor wir wirklich zusammen waren. Und das hat ihm gereicht.“ Bei dem Gedanken, wie knapp ich davongekommen war, bildete sich ein dicker Kloß im Hals.
Heidi sah mich aus schreckensgeweiteten Augen an und Fabian sprach weiter. „Patricks Geburtstag ist ein Tag nach Holgers Tod. Es mag ein Zufall sein, aber wir wollen dem nachgehen.“
„Oh mein Gott.“ Heidi war durch die Informationsflut überfordert. Bei der Mordattacke von Heinrich schien es ihr schon zuviel zu werden, aber die Anhäufung der Zufälle war zuviel.
„Mama, alles okay?“ Fabian war besorgt.
„Ich glaube das alles nicht. Was für ein Dreckskerl! Deswegen einen Menschen zu töten und dann aus einem Verdacht heraus? Wie kann …“, sie seufzte. „Du wurdest also am vierten April ‚geboren’? Ein ziemlich großer Zufall.“ Sie rührte gedankenverloren im Topf. „Den Weg nach Lübeck könnt ihr euch sparen, die beiden machen Urlaub auf dem Campingplatz. Wir haben sie für heute zum Essen eingeladen. Das ist die Überraschung. Ich muss Marlies anrufen.“ Schnurstracks eilte sie aus der Küche.
Erschöpft ließ ich mich auf einen Stuhl sinken, mein Herz klopfte bis zum Hals. Fabian setzte sich auf meinen Schoß und schlang seine Arme um meinen Hals. „Hey, ganz ruhig, ich bin bei dir.“ Seine Lippen lagen an meinem Hals und ich spürte die sanften Küsse auf meiner Haut. Langsam normalisierte sich mein Puls wieder.
Heidi kam mit dem Telefon am Ohr zurück. „Gut, dann bis gleich. Ja, mache ich. Tschüß.“ Sie legte das Gerät auf dem Küchentisch ab und sah uns unschlüssig an. „Ich habe sie vorgewarnt und ich soll euch beide ganz lieb grüßen. Marlies ist ziemlich aufgeregt, auch wenn es ein Fehlalarm sein sollte. Normalerweise bleiben Tote tot, aber wer weiß was unsere feine Regierung damals für Schweinereien abgezogen hat.“
In dem Punkt musste ich ihr Recht geben. Über die DDR hatte man schon einiges gehört. Und genau dieser Gedanke weckte wieder etwas mehr Hoffnung und gleichzeitig die Angst, dass diese Spur eine Sackgasse war. Fabian musste das gespürt haben und schmiegte sich gleich wieder fester an mich heran.
Fabian
Die Stimmung war gespannt und Patrick war ein nervöses Wrack. Sein Gesicht wirkte bleich und eingefallen. Also blieb ich auf seinem Schoß sitzen und streichelte seinen Nacken. Zum Dank erntete ich ein liebevolles Lächeln, doch seine Augen starrten auf einen Punkt an der Wand.
Minute um Minute verstrich und plötzlich hörten wir ein Auto im Hof. Patrick wurde unruhig und Mama stürmte zum Fenster.
„Es ist Anton“, gab sie Entwarnung und mein Schatz sackte wieder in sich zusammen.
„Möchtet ihr ihm das erzählen, oder soll ich?“ Mama sah uns fragend an, aber Patrick sagte nichts.
„Soll sie es ihm sagen, Großer?“ Er nickte leicht und meine Mutter verschwand aus der Küche. Nach weiteren fünf Minuten betraten beide den Raum. Paps schaute betreten aus der Wäsche.
Kurz darauf ertönte wieder das knirschende Geräusch von Reifen auf Kies. Mama führte uns ins Wohnzimmer und Papa wartete an der Tür. Aus dem Flur drang leises Gemurmel zu uns herein, während Patrick weiterhin apathisch auf den Boden starrte. Es war eigenartig, ihn so zu sehen. Ich hatte ihn als willensstark und selbstbewusst kennengelernt, er war groß und wirklich sehr athletisch gebaut. Doch nun saß er hier wie ein verängstigtes Kind und von seiner körperlichen Kraft war nichts zu sehen.
Mama erhob sich und ging zur Zimmertür. Im Flur stand Marlies und klammerte sich an Robert fest. Ihre Blicke suchten nach Patrick und sie musterte ihn nervös aus der Entfernung. Viel war von seiner gekrümmten Gestalt bestimmt nicht zu sehen. Dann betraten sie endlich den Raum.
„Hi“, rief ich leise und Robert nickte mir zu, den Blick aber gebannt auf Patrick gerichtet.
„Großer, sie sind da.“ Als ich nach seiner Hand griff blickte er auf. Seine Miene war schwer zu deuten. Im direkten Vergleich fiel mir die Ähnlichkeit zu Robert auf.
Marlies sah ihm zum ersten Mal ins Gesicht und ihre Augen weiteten sich. „Oh mein Gott“, flüsterte sie.
„Rob, Marlies, dass ist Patrick“, machte ich sie bekannt.
Der Vater meines Jugendfreundes machte ein paar Schritte auf uns zu und streckte seine Hand aus. „Freut mich dich kennen zu lernen, Patrick“, sagte er mit wackeliger Stimme.
Mein Freund griff unsicher nach der Hand. „Gleichfalls.“
„Heidi hat uns schon alles erzählt. Ich… ich weiß nicht was ich sagen soll, aber ich könnte schwören… aber wie kann das möglich sein?“ Robert war nicht weniger nervös als wir alle.
Patrick klammerte sich an der Hand fest, ihm standen Tränen in den Augen. Er schluckte schwer und wollte offenbar etwas sagen, doch er blieb stumm.
Mir kam eine Idee, wie wir vielleicht die Spur noch erweitern konnten. „Kann die Sterbeurkunde gefälscht sein? Habt ihr mit dem damaligen Arzt gesprochen?“
„Nein, wir hatten keinen Zweifel an der Urkunde. Wir wussten ja, dass die Kinder in Heime oder Pflegefamilien gesteckt wurden. Aber viele Familien wurden nach der Wende wieder vereint und es gab keinen Grund der Urkunde nicht zu glauben.“
Zwischenzeitlich hatte Patrick seine Hand wieder sinken lassen und er sah Robert an. „Dann müssen wir diesen Arzt finden und fragen. Kennen… erinnerst du dich an den Namen?“
Marlies trat einen Schritt vor. „Den Namen werde ich nie vergessen. Die Urkunde wurde von Dr. Franz Billmeier unterzeichnet.“
Ich zuckte vor Schreck zusammen und Erkenntnis glomm in Patricks Augen auf. „Billmeier?“, flüsterte er.
„Ihr kennt ihn?“ Robert hielt seine Frau fest im Arm und Patrick nickte.
„Besser als mir lieb ist.“ Mein Freund stand auf. „Aber in diesem Fall… ich glaube nicht das euer Sohn gestorben ist. Er wurde nach Heidelberg geschleust und“, Patrick kämpfte schwer mit seiner Fassung, die ich schon längst verloren hatte. Als der Name des Arztes fiel, da war mir bereits alles klar. „Und steht jetzt vor euch.“
Die folgenden Minuten waren kaum zu beschreiben. Patrick und seine leiblichen Eltern standen im Wohnzimmer, hielten sich in den Armen und weinten hemmungslos.
Meine Eltern hatten sich in die Küche zurückgezogen, aber auch in ihren Augen stand das Wasser. Die Malers hatten so lange unter dem Verlust ihrer beiden Söhne leiden müssen, doch nun hatten sie einen zurück. Und ich war überglücklich, hatte ich mich doch tatsächlich in Tommies Bruder verliebt.
***
In den folgenden Monaten normalisierte sich unser Leben stetig. Patrick und ich lebten unsere Liebe in jeder Beziehung aus. Seine körperliche Scheu gehörte sehr bald der Vergangenheit an. Marlies und Robert konnten sich nach längerer Suche, beruflich im Heidelberger Umland neu orientieren.
Dadurch konnten wir uns, sehr zur Freude von Herr Kramer, auch wieder ganz auf unsere Arbeit in der Agentur und ich auf mein Studium konzentrieren.
Mein Freund fand in den beiden eine wertvolle Unterstützung und es entwickelte sich eine harmonische Familienbeziehung. Gemeinsam brachten wir auch Billmeier ins Gefängnis, der mit Heinrich Reder zusammen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und seine Zulassung verlor. Seine Ziehmutter wurde in ein Pflegeheim verlegt.
Im Laufe der Zeit freundete ich mich sogar mit Tini an, die keine weiteren Versuche mehr unternahm, um Patrick zurückzugewinnen. Sie hatte sich damit abgefunden und verstand sich auch mit den Malers sehr gut.
Etwa sieben Monate später (Patrick)
„Gut, dann haben wir alles. Legt los!“ Ich beendete das Meeting und wir machten uns an unser neues Projekt. Fabian wartete bis alle anderen verschwunden waren und gab mir einen Kuss. Sofort erwachte in mir die Lust auf mehr, aber dazu blieb am Abend noch ausreichend Zeit.
Plötzlich stürmte Moni in den Besprechungsraum. „Patrick, deine Eltern haben angerufen, ihr sollt sofort ins Krankenhaus kommen. Es ist soweit!“
„Ach du Schande. Okay, Fabi, geh ans Auto, ich sag Kramer Bescheid!“
„Schon erledigt, ihr habt grünes Licht“, antwortete meine Kollegin sofort.
„Danke, bis später!“ Eilig stürmten wir zum Auto und steuerten auf das Krankenhaus zu.
„Bist du sehr aufgeregt?“ Fabians Hand glitt, wie schon so oft, in meine eigene und nahm mir die Anspannung. Natürlich war ich aufgeregt, mein erstes und definitiv einziges Kind kam zur Welt.
Mein Vater, Robert, wartete bereits im Eingangsbereich und rauchte eine Zigarette. Als erstes nahm er mich in den Arm, eine Geste, die mir anfangs sehr fremd war. Aber ich gewöhnte mich schnell daran. „Herzlichen Glückwunsch, du hast einen Sohn!“ In seiner Stimme schwang großväterlicher Stolz mit.
Er führte uns in das Krankenzimmer, wo meine Mutter alleine wartete. Auch hier wiederholte sich die Umarmung mit den Glückwünschen. „Christine wird gleich gebracht, die Geburt ist aber gut verlaufen, sehr schnell.“
Wenige Minuten später wurde Tini samt Bett ins Zimmer gebracht, gefolgt von einer Schwester mit einem rollenden Kinderbett.
„Hi“, begrüßte sie uns müde.
„Hallo, du Mama.“
Fabian beugte sich über das kleine Bettchen und lächelte selig. „Süß, der Kleine. Hast du dich eigentlich schon für einen Namen entschieden?“
„Ja, habe ich.“ Sie musterte meine Eltern auffällig lange, bevor sie uns antwortete. „Wenn ihr nichts dagegen habt, dann soll euer Enkel Thomas heißen.“
Die beiden nickten, zu Tränen gerührt. Tini sah nun auch zu Fabian und mir. „Und was denkt ihr?“
Ich nickte ihr sprachlos zu. Thomas war perfekt. Mein Freund streichelte über den kleinen Kopf. „Hi Tommy, willkommen auf der Erde.“
Ende